Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1529 – Johannes Bugenhagen sorgt mit seiner Kirchenord-nung für Ordnung in Hamburg

Ein fetter Ochse, ein Ohm Wein (152 Liter) und zwei Tonnen von dem berühmten Hamburger Bier warteten auf den Reformator, und begrüßt wurde er gleich von allen drei Bürgermeistern mit einem großen Festessen. Der Rat der Stadt war hocherfreut, dass Johannes Bugenhagen im Oktober 1528 nach Hamburg kam, obwohl eben dieser Rat ihm vier Jahre vorher das Amt eines Pastors an der St. Nikolaikirche verwehrt hatte. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Nach einer Disputation zwischen katholischen und lutherischen Geistlichen hatte der Rat beschlossen, dass die Stadt von nun an lutherisch sein sollte.

Das verhinderte erst einmal den Aufstand der lutherischen Bürgermehrheit, aber viele neue Probleme traten auf. Was sollte aus den Klöstern werden? Wer sollte in Zukunft die Armen unterstützen? Wie konnte man die ärmere Mehrheit der Bevölkerung daran hindern, den Gedanken der Freiheit eines Christenmenschen zu wörtlich zu nehmen und Mitsprache in kirchlichen und politischen Angelegenheiten durchzusetzen?

Da war Johannes Bugenhagen genau der richtige Mann, um Reformation und Ordnung miteinander zu verbinden. Er hatte gerade in Braunschweig eine Kirchenordnung fertiggestellt und dafür viel Anerkennung gefunden. Außerdem war er ein enger Freund Luthers und konnte deshalb mit großer Autorität eine Kirchenordnung erarbeiten und durchsetzen, die nicht nur rechtliche, sondern auch theologische Fragen und die Ordnung des Gottesdienstes verbindlich regeln sollte.

Als Rektor einer Schule und als Theologe setzte Bugenhagen sich für Reformen ein

Geboren wurde Johannes Bugenhagen am 24. Juni 1485 als Sohn eines Ratsherrn in Wollin. Er studierte Theologie an der Universität Greifswald, kam aber über das Grundstudium nicht hinaus. Seine überragenden Fähigkeiten waren schon damals nicht zu übersehen, und man berief ihn schon im Alter von 19 Jahren zum Lehrer und Rektor der städtischen Lateinschule in Treptow an der Rega. Es ging ihm in seiner pädagogischen Arbeit darum, junge Menschen zu „verständigen Leuten“ zu machen, aber nicht nur das, sie sollten auch „fröhlich und lustig“ sein. Auch mit öffentlichen Vorlesungen und in der Priesterausbildung fand Bugenhagen viel Anerkennung.

1509 weihte man ihn auch ohne abgeschlossenes Theologiestudium zum Priester. 1520 bekannte Bugenhagen sich öffentlich zu Luther und zog ein Jahr später nach Wittenberg, wo man ihn zum Pfarrer an die Stadtkirche berief. Auch wurde er Beichtvater Luthers, sein Tröster in schweren Stunden und sein enger Berater. Bugenhagen war es auch, der Martin Luther und Katharina von Bora traute. Von 1524 an unterrichtete er zusätzlich an der Universität Wittenberg. Daneben fand er Zeit, an der niederdeutschen Fassung des Neuen Testaments mitzuarbeiten und theologische Bücher zu veröffentlichen. Mit Martin Luther und Philipp Melanchton zählte er zu den bedeutendsten Wittenberger Theologen der Reformation.

Bugenhagen sollte für Reform und Ordnung der Kirche in Hamburg sorgen

1524 hatte er Koffer und Kisten schon gepackt, um nach Hamburg überzusiedeln, als ein Bote des Rates der Stadt ihm mitteilte, er könne nun doch nicht Pfarrherr in Hamburg werden. Zwar hatten die Kirchenältesten von St. Nikolai ihn gewählt, aber der Rat verweigerte die Zustimmung, denn Bugenhagen war als Anhänger Luthers bekannt und hatte zwei Jahre zuvor geheiratet. Ein ehemaliger katholischer Priester, Lutheraner und verheiratet, das wollte der katholisch geprägte Rat der Stadt nicht akzeptieren. So blieb der Reformator zunächst in Wittenberg, zog Anfang 1528 nach Braunschweig und kam dann doch nach Hamburg.

Sein Ziel der „Reform und Ordnung der Kirche aus dem Wort“ muss die Ratsherren beruhigt haben, hatten doch der Bauernkrieg und das Auftreten der religiösen Schwärmer selbst in Orten wie Flensburg die schlimmsten Befürchtungen geweckt. Bugenhagen stand wie Luther unter dem Eindruck des Bauernkrieges, und so wurde die kirchliche und politische Mitsprache auf jene wohlhabenden Bürger beschränkt, die Grundstücke besaßen und gegenüber revolutionären Vorstellungen immun waren. Schon vor der Ankunft Bugenhagens hatten sich die wohlhabenden Bürger gegenüber dem Rat der Stadt gewisse Mitspracherechte erstritten, und die wurden nun kirchlich und politisch anerkannt und gefestigt.

Ausgangspunkt für die Mitsprache der wohlhabenden Bürger war ausgerechnet die Armenordnung. Hatten bis dahin vor allem die Klöster und reiche Stifter den Bedürftigen geholfen, so sollte diese Aufgabe nun in erster Linie den vier Kirchengemeinden zukommen. In „Gotteskästen“ sammelte man die Gaben, über deren Vergabe an Bedürftige dann die ehrenamtlichen Armen-Diakone entschieden. Diese Form kirchlich getragener Armenhilfe bildete die Grundlage für die spätere Diakonie.

Während vorher das Seelenheil des Stiftenden der Ausgangspunkt für milde Gaben war, ging es jetzt stärker um die Bedürfnisse der Armen, Kranken und Alten. Bugenhagens Kirchenordnung sah vor, dass ein zentraler fünfter „Gotteskasten“ eingerichtet werden sollte, um übergreifende Aufgaben zu finanzieren. Mit der Verwaltung dieser Gelder wurden die zwölf ältesten Diakone beauftragt, die sogenannten Oberalten. Diakone, Sub-Diakone und Oberalte waren aber nicht nur mit kirchlichen Aufgaben betraut, sondern konnten auch durchsetzen, dass der Rat sie als „Kollegium der 144“ in politischen Fragen konsultieren musste. Sie sollten mit „göttlicher Hülfe zu allen Zeiten helfen und in die Wege richten, daß allerlei Unlust, Schade und Verderb“ von der Stadt abgewendet werden konnte.

Bugenhagens Ordnung schloss den größten Teil der Bevölkerung von kirchlichen und indirekt auch politischen Entscheidungen aus

Die enge Verknüpfung von Kirche und Politik war gewollt, sie sollte die Einheit von Stadtstaat und lutherischer Kirche zum Ausdruck bringen und festigen. Seit dem Reichstag in Speyer im Jahre 1526 hatte jedes politisch selbstständige Territorium im Deutschen Reich das Recht, die eigene Konfession zu bestimmen. Taten das andernorts Fürsten und Könige, so musste im Stadtstaat Hamburg der Rat in Konsultation mit der Bürgerschaft die Entscheidung treffen und neue Strukturen des kirchlichen und politischen Lebens finden. So nützlich Johannes Bugenhagens Ordnung für ein Miteinander von politischer und geistlicher Leitung der Stadt war, so gab es doch auch viele Nachteile.

Die Ordnung war dazu geeignet und dafür gedacht, den größten Teil der Einwohner der Stadt von allen wichtigen Gremien und Entscheidungen auszuschließen. Für Frauen und Arme gab es noch Jahrhunderte später keine Möglichkeit zur Mitentscheidung. Auch boten die Kirchenordnung und die damit verwobene politische Ordnung Nichtlutheranern allenfalls die Hoffnung auf eine Duldung, aber keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten an den Angelegenheiten der Stadt. Wer sich nicht zum lutherischen Glauben bekannte, konnte kein politisches Amt in Hamburg übernehmen. Zwar war es auch in den Fürstentümern und Königreichen zu dieser Zeit nicht leicht, das falsche Gesangbuch zu haben, aber in Hamburg behinderte die komplizierte Verquickung von Kirchenordnung und politischem Machtkartell der reichen Kaufleute lange Zeit ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Religionsgemeinschaften.

In Hamburg musste Bugenhagen erfahren, wie schwierig es war, einen religiös homogenen Stadtstaat zu gestalten. Die Nonnen des Zisterzienser-Klosters in Harvestehude weigerten sich beharrlich, ihre Rechte aufzugeben oder zum evangelischen Glauben überzutreten. Über die Nonnen in Harvestehude ärgerte sich Bugenhagen so sehr, dass er eine eigene Schrift gegen sie verfasste mit dem Titel „Wat me van dem Cluster leuende holden schall allermeist vor de Nunnen unde Bagynen gescherten“. Darin stellte er auch seine Auffassung dar, dass das Klosterleben keine Begründung im Evangelium habe. Das Kloster in Harvestehude wurde trotz allen Widerstandes kurz darauf abgerissen.

Am 15. Mai 1529 verabschiedeten Rat und Bürgerschaft die Kirchenordnung. Sie trug den Titel „Der ehrbaren Stadt Hamburg christliche Ordeninge to Dienste dem Evangelio Christi, christlicher Liebe, Friede und der Einigkeit“. Bugenhagen initiierte mit der Kirchenordnung auch die Gründung des Johanneums als erstem Gymnasium der Stadt.

Auch die Neuordnung der Gottesdienste mit der „reinen und lauteren Predigt des Evangeliums“ als Mittelpunkt wurde in die Kirchenordnung aufgenommen. Von Hamburg kehrte Bugenhagen nach Wittenberg zurück, arbeitete dort als Hauptpfarrer und entwarf in den folgenden Jahren noch mehrere Kirchenordnungen, unter anderem von Lübeck, Dänemark und Schleswig-Holstein. 1533 wurde er zum Doktor der Theologie promoviert. Johannes Bugenhagen starb am 20. April 1558 in Wittenberg.

 

An Bugenhagen erinnern in Hamburg u. a. die Bugenhagenkirche, die Bugenhagen-Schule und das Studierendenwohnheim Bugenhagen-Konvikt. Vor dem Johanneum steht ein Denkmal des Reformators.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann