Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Wirtschaftliche Grundlagen von politischer Macht und bescheidenem Wohlstand

 

Der wichtigste Wirtschaftszweig in Babylonien blieb über die Jahrtausende die Landwirtschaft,[1] die schon deshalb eine zentrale Bedeutung besaß, weil die Menschen mit der Aufgabe betraut waren, die Götter mit Nahrung zu versorgen. Die Landwirtschaft war angesichts gut nutzbarer Böden des Schwemmlandes und ausreichendem Wasser von Euphrat und Tigris sehr ertragreich. Es bedurfte aber aufwendiger wasserbaulicher Investitionen in Deiche und Kanäle, damit das kostbare Nass auf die Felder gelangte und gleichzeitig sowohl Dürren als auch Flutkatastrophen so weit wie möglich vermieden wurden.

 

Ackerbau war in Babylonien nur mit einer Bewässerung durch Flusswasser möglich, weil die Niederschläge gering waren und unzuverlässig eintraten. Die Aussaat mithilfe von Saatpflügen erfolgte von September bis November, geerntet werden konnte im Frühsommer. Wie auch heute noch war mit der Bewässerung der Felder die Gefahr einer Versalzung verbunden. Durch gezielte zeitweilige Flutung der Felder schwemmte man Salz aus dem Boden und ermöglichte so eine weitere landwirtschaftliche Nutzung. Die Bauern stellten sich auf die trotzdem nicht zu vermeidende Versalzung ein und bauten vor allem Gerste an, weil dieses Getreide eine hohe Salzresistenz besitzt. Daneben wurde eine größere Zahl von Getreide-, Gemüse- und Obstarten angebaut. Große Bedeutung erlangten Dattelgärten, weil die Dattelpalmen nicht nur sehr salz- und hitzeresistent, sondern auch in Anbau, Pflege und Ernte arbeitsintensiv waren, sodass dieser Teil der Landwirtschaft viele neue Arbeitsplätze schuf. Zur Vielfalt der Ernährung der Bevölkerung trugen auch Fischfang und Jagd bei.

 

Der größte Teil der landwirtschaftlichen Flächen befand sich im Eigentum des Königs und der Tempel. Sie hielten auch große Viehherden auf Flächen, die für den Ackerbau ungeeignet waren. Schafe und Ziegen waren nicht nur Fleischlieferanten, sondern auch ihre Wolle war begehrt und wurde zum Teil exportiert. Bauernfamilien, die über kein eigenes Land verfügten, pachteten es und waren dafür zu Arbeitsleistungen und zur Lieferung von Naturalien an König oder Tempel verpflichtet.

 

Die wachsenden Überschüsse der Landwirtschaft erlaubten es einer großen Zahl von Menschen, nichtlandwirtschaftliche Tätigkeiten auszuüben, ohne dass die Ernährungssicherheit gefährdet war. In Babylon entwickelte sich seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. eine ständig wachsende Handwerkerschicht, die die unterschiedlichsten Berufe ausübte. Dazu gehörten zum Beispiel die Metallverarbeitung, das Töpferhandwerk, die Textilherstellung, der Möbelbau und die Steinbearbeitung. Neuerungen an Webstühlen und die Nutzung drehbarer Töpferscheiben ermöglichten eine starke Ausweitung der handwerklichen Produktion. Weit über das eigene Land hinaus geschätzt waren die babylonischen Bierbrauer, die etwa 20 verschiedene Biersorten herstellten und exportierten. Wichtig waren angesichts der regen Bautätigkeit in Babylon auch die Baugewerke. Insgesamt wurden mehr als 60 Berufe in Babylon ausgeübt.

 

Von der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. an gelang es, Glas herzustellen, nach einiger Zeit sogar durchsichtiges Glas. Dies eröffnete u. a. neue Möglichkeiten der Schmuckherstellung. Die Glasherstellung verbreitete sich von Mesopotamien aus im ganzen Mittelmeerraum. Berühmt war auch die Keramikproduktion in Babylon, die durch zahlreiche archäologische Funde belegt ist. Viele Handwerkserzeugnisse wurden exportiert, um dafür unter anderem Rohmetalle und Holz importieren zu können. Die Außenhandelsbeziehungen Babyloniens reichten bis nach Indien und   Ägypten. Sogar mit der heute zu Indonesien gehörenden Inselgruppe der Molukken wurden über Zwischenhändler Geschäftsbeziehungen aufgebaut.

 

Von Silberstücken und Geldverleihern

 

Bis ins 6. Jh. v. Chr. gab es in Babylonien kein Münzgeld, aber selbstverständlich brauchte man ein Zahlungsmittel, weil sonst nur ein direkter Tauschhandel einzelner Waren möglich gewesen wäre. Der Geldverkehr wurde lange Zeit mit Silberstücken von einer standardisierten Größe und Legierung getätigt. Bei Bedarf wurden die Silberstücke in Teile gebrochen, um einen kleineren Betrag zu zahlen. Die Silberstücke erfüllten also die Funktion späterer Münzen, auch wenn sie weniger praktisch im alltäglichen Wirtschaftsleben zu nutzen waren und es bei größeren Zahlungen erforderlich wurde, die Silberstücke und Bruchteile von Silberstücken zu wiegen.

 

Ein wichtiges Instrument zur Abwicklung von Geldgeschäften waren Schuldscheine oder genauer gesagt Schuldtontafeln, auf denen die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Betrages in Keilschrift festgehalten und von beiden Vertragspartnern durch ihre Rollsiegel bestätigt wurde.

 

Meistens erhielt der Gläubiger als Pfand ein Haus oder einen anderen Vermögenswert des Schuldners. Kam dieser seiner Zahlungsverpflichtung nicht nach, ging das Pfand zur dauerhaften Nutzung an den Gläubiger über. Wie heute auch, konnten Schuldscheine oder Wechsel an Dritte veräußert werden. Es gab einzelne Geschäftsleute, die sich auf die Vergabe von Krediten spezialisierten, die also als Geldverleiher tätig waren. Sie setzten dafür in der Regel eigenes Geld ein – und dies zu Zinssätzen, wie sie auch unter Geschäftspartnern üblich waren. Man kann nur eingeschränkt von Vorformen eines Bankwesens sprechen.

 

Münzen als Zahlungsmittel wurden in Babylon im 6. Jh. v. Chr. durch die persischen Könige eingeführt, aber zunächst noch nicht allgemein verwendet. Alexander der Große hatte nach seiner Eroberung von Babylon 331 v. Chr. große Pläne mit der Stadt, und so ließ er dort eine Münzstätte errichten, um das einheitliche Münzgeld für sein ganzes Reich prägen zu lassen. Auch nach dem Tod des Herrschers und dem raschen Zerfall seines Weltreiches blieb Babylon ein zentraler Ort für die Prägung  von Münzen. Dies änderte sich 300 v. Chr., als König Seleukos ganz in der Nähe von Babylon die neue Hauptstadt Seleukia bauen ließ und auch die Münzstätte dorthin verlegte. Der Niedergang von Babylon als Finanz- und Wirtschaftsmetropole war nun nicht mehr aufzuhalten.

 

Der Alltag mit harter Arbeit und fröhlichen Festen

 

Die babylonische Gesellschaft war patriarchal geordnet, wobei die Vielehe nicht weit verbreitet war. Allenfalls einige reiche Männer konnten zusätzlich Nebenfrauen heiraten. Kinder hatten bis zum Alter von sechs Jahren noch keine großen Pflichten. Dann begann der Ernst des Lebens mit dem Erlernen eines Handwerks oder – in selteneren Fällen – mit dem Schulunterricht bzw. dem Unterricht bei einem Keil-schriftgelehrten. Der Schulbesuch von Mädchen war selten.

 

Die soziale und materielle Kluft zwischen Arm und Reich war groß und ein sozialer Aufstieg schwierig, aber nicht unmöglich. Ganz unten in der sozialen Hierarchie standen Sklavinnen und Sklaven. Sie waren, wie noch dargestellt wird, nicht völlig rechtlos, aber in aller Regel der Willkür ihrer Besitzer ausgeliefert. Häufig muss ein Vertrauensverhältnis bestanden haben, denn es ist überliefert, dass Sklaven relativ eigenständig für ihre Eigentümer ein Handwerk oder einen anderen Beruf ausübten.

 

Die selbstständigen Handwerker bildeten die größte Gruppe innerhalb der Mittelschicht. Das Handwerk wurde gewöhnlich im eigenen Haus ausgeübt, wobei Frauen nur eine beschränkte Zahl von Aufgaben übernehmen konnten, vor allem das Spinnen und Weben. Männer übten die größere Zahl handwerklicher Berufe aus und dies häufig mit heute noch bewunderter Kunstfertigkeit. Goldschmiede, Töpfer oder Steinmetze konnten ein hohes Ansehen und einen beträchtlichen Wohlstand erlangen.

 

Auch der Handel warf hohe Gewinne ab, war aber mit großen Risiken verbunden, denn es war möglich, alles durch ein einziges fehlgeschlagenes Geschäft zu verlieren. Wer eine leitende Aufgabe in Verwaltung, am Tempel oder am Königshof übernahm, konnte seiner Familie ein Leben im Wohlstand bieten. Das galt auch für viele Ärzte und Beschwörer. Manche dieser Familien besaßen Häuser mit einem Dutzend oder mehr Zimmern, in einigen Fällen waren sie sogar mehrgeschossig.[2]

 

Es wurde hart gearbeitet in Babylon, meist von frühmorgens bis abends, unterbrochen von einer Pause in der heißesten Zeit des Tages. Den Tagesabschluss bildete  eine gemeinsame Mahlzeit der Familie, dann wurde die Haustür verriegelt, das Öllämpchen gelöscht und man ging schlafen, überzeugt, dass die Götter dies nun auch tun würden.

 

Gerste, das wichtigste Getreide der Babylonier, wurde zu Brot, Grütze, Mehl sowie Bier verarbeitet. Auch Weizen und Dinkel waren im Angebot. In Babylon wurden über 300 Fladenbrotsorten gebacken. Auch eine große Zahl von Gemüsesorten und Gewürzen sorgte für eine abwechslungsreiche Ernährung. Linsen, Erbsen und Kichererbsen hatten einen festen Platz in den babylonischen Küchen, ebenso Datteln. Kuh- und Schafsmilch waren sehr beliebt, auch die Herstellung von Käse und einer Art Sahne war schon bekannt. Karpfen und andere Fische wurden gebraten oder gekocht. Fleisch kam bei den meisten Familien nur selten in den Topf, weil es teuer war. Getrunken wurden vor allem Wasser und Bier, aber auch Fruchtsaft und Milchgetränke. Diejenigen, für die die Trauben nicht zu hoch hingen, tranken Wein. Viele  Familien aßen aus nicht dekoriertem Keramikgeschirr. Die Reichen leisteten sich glasiertes Geschirr oder Glasgeschirr.

 

Angesichts der harten Arbeit bot der Kauf von Gemüse, Datteln oder Gewürzen auf einem der Märkte Babylons eine Abwechslung vom Alltag. Sehr willkommen waren Feste und Festessen mit Musik, Gesang und Tanz. Es gab über das Jahr verteilt zahlreiche religiöse Feste, von denen das Neujahrsfest zu Ehren des Stadtgottes   Marduk das bedeutendste war. Bei vielen Festen wurden Tiere geopfert.

 

In Babylon war die Wickelmode bestimmend. Männer und Frauen wickelten sich Stoffbahnen um den Körper und befestigten sie mit Gürteln, Fibeln und Nadeln. Die Stoffe wurden aus Flachs oder Wolle hergestellt. Man ging barfuß durchs Leben, und nur auf wenigen Bildern ist eine Fußbekleidung zu erkennen. Wertvollen Schmuck konnten sich nur die wirklich Reichen leisten, die Armen hingegen allenfalls einen dünnen Kupferreif. Reiche Frauen trugen gern goldene Ohrringe, Ketten, Ringe, Armreife, Stirnbänder und Fibeln, die mit Perlen verziert waren. Sie pflegten ihre Haut und ihre Haare mit Salben und Ölen.

 

Ein Leben in Babylon konnte 60 Jahre oder etwas länger dauern. Allerdings war die Kindersterblichkeit hoch, und viele Frauen starben bei der Geburt eines ihrer Kinder. Viele Babylonierinnen und Babylonier haben das Leben offenbar als unsicher und die eigene Zukunft als ungewiss empfunden. Stärker noch als heutige Menschen sahen sie sich unerklärlichen gesundheitlichen, familiären oder wirtschaftlichen Katastrophen ausgesetzt und suchten in der Religion nach Erklärung, Trost, Abhilfe oder Milderung. Durch religiöse Tonplaketten und kleine Tonfiguren waren die Menschen bestrebt, sich vor Unbill zu schützen. Es war äußerst wichtig, sich mit Göttern und Geistern gut zu stellen.

 

Über den Glauben der einfachen Leute schreibt die Altorientalistin Astrid Nunn: „Die Götter waren allmächtig, ihre Entscheidungen unergründlich; die Weltordnung war fest gefügt. Gottesgehorsam war selbstverständlich und betraf alle Aspekte des Lebens. Vieles, was einem im Leben widerfuhr, war undurchsichtig, unerklärbar und nicht voraussehbar.“[3] Da war es geboten, einen Talisman oder ein Amulett zu tragen. Für Verstorbene wurde, wenn irgend möglich, eine       ordnungsgemäße Bestattung ausgerichtet, weil dies nach babylonischem Glauben  die Voraussetzung dafür war, in der Unterwelt weiterzuleben. Grabbeigaben wie Schmuck und Keramik und das Wachhalten der Erinnerung an die Verstorbenen in der Familie waren wichtig für ein angenehmes Weiterleben.

 

Ein Platz auch für die Fremden

 

Babylon ist nicht durch die Vielfalt von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen untergegangen, sondern wäre ohne sie wahrscheinlich nie zu einer führenden kulturellen und ökonomischen Metropole geworden. Diese Erkenntnis lässt sich aus neueren wissenschaftlichen Arbeiten ablesen, die zahllose Keilschrifttexte und archäologische Grabungsergebnisse ausgewertet haben. Dominique Charpin hat 2011 in einem Buchaufsatz[4] erläutert, dass ein Hauptgrund für den Aufstieg der Stadt in altbabylonischer Zeit die Zuwanderung von Menschen aus südmesopotamischen Städten war, die im 18. Jh. v. Chr. aus unterschiedlichen, zum Teil noch nicht geklärten Gründen ihre Heimat verlassen hatten und im aufstrebenden Babylon ihre Kenntnisse und Fertigkeiten auf handwerklichem Gebiet oder als Schreiber einsetzen konnten. Besonders die Migration zahlreicher Menschen aus der lange Zeit weit bedeutenderen Nachbarstadt Esnunna förderte die wirtschaftliche und wissenschaftliche Vormachtstellung Babylons in der Region. Babylon profitierte also vom „brain drain“ aus anderen Regionen Mesopotamiens. Die Stadt habe das Erbe des Reiches der Sumerer vor allem angetreten, so Dominique Charpin, „als die Einwohner des Südens nach Babylon und in die umgebenden Städte immigrierten“.[5]

 

Wie erwähnt folgte der ersten Blütezeit der Stadt eine Zeit des Niedergangs und der Stagnation. Mit dem erneuten Aufstieg in der so genannten „neubabylonischen“ Zeit im 7. und 6. Jahrhundert waren wiederum bedeutende Migrationsströme verbunden. Die hat Kabalan Moukarzel untersucht und die Ergebnisse 2014 in einem Buchaufsatz[6] publiziert. Es gab damals sehr unterschiedliche Formen der Zuwanderung von „Ausländern“ aus entfernten Teilen des babylonischen Reiches und jenseits davon.

 

Eine wichtige Gruppe bildeten Kriegsgefangene und Menschen, die aus ihrer eroberten Heimat nach Babylonien verschleppt wurden. Die Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen wurde bereits in großem Stil innerhalb des assyrischen Reiches praktiziert, und einzelne dieser umgesiedelten Gruppen fanden auch in Babylonien eine neue Heimat, das ja längere Zeit zum assyrischen Reich gehörte. Nach ihrem militärischen und politischen Aufstieg setzten die babylonischen Könige diese Politik von Umsiedlungen in begrenzterem und selektivem Umfang fort. Das lässt sich daran ablesen, dass die Assyrer große Teile der Bevölkerung des israelitischen Nordreiches umgesiedelt hatten, während die Babylonier nach der Eroberung von Jerusalem vor allem Angehörige der Elite, potenzielle Unruhestifter und für eigene Bauvorhaben benötigte Handwerker nach Babylonien holten. Ähnlich verfuhren sie in anderen eroberten Gebieten.

 

Ein großer Teil dieser verschleppten Menschen wurde in eigenen Ortschaften angesiedelt, wo sie sich zu einem gewissen Grad selbst verwalten und vor allem ihre eigene Sprache, Kultur und Religion bewahren konnten. Kabalan Moukarzel hebt hervor: „Die begrenzte Selbstverwaltung der hadru-Gemeinschaften (Gemeinschaften von Zugewanderten, d. Verf.) spielte eine wichtige kulturelle Rolle für die ‚Ausländer‘, die in diesen Gebieten wohnten. Sie half den Angehörigen dieser Gemeinschaften einerseits, die Fortschritte der babylonischen Kultur zu übernehmen, und andererseits, ihr kulturelles und ethnisches Selbstbewusstsein zu bewahren.“[7] Die jüdischen Gemeinschaften in Babylonien haben diese Möglichkeiten zweifelsohne genutzt und davon auch nach der Rückkehr aus dem Exil profitiert.

 

Manche Kriegsgefangene und Verschleppte wurden in den Städten und in erster Linie in Babylon angesiedelt. Vor allem die Vorstädte wurden zum neuen Zuhause von Migrantengruppen. Dazu gehörten zum Beispiel phönizische Händler sowie Handwerker aus verschiedenen Teilen des Reiches, die oft nur für einige Jahre in der Fremde arbeiteten.

 

Es gab auch größere arabische Gruppen, die das ländliche Leben aufgaben und in die Städte mit ihren sehr viel größeren ökonomischen und kulturellen Möglichkeiten zogen. Viele Mitglieder dieser Migrantengruppen siedelten sich dort in Vorstädten an, wo bereits eine größere Zahl von eingewanderten Familien aus der eigenen Heimat lebte. Zu erwähnen sind auch die Soldaten aus anderen Ländern, die im Dienst der Babylonier kämpften. So wird zum Beispiel von einer Armee-Einheit von Edomitern berichtet.

 

Die Zugewanderten hatten durchaus Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg, wenn sie sich integrierten und zum Beispiel die langjährige Ausbildung zum Schreiber babylonischer Keilschrifttexte auf sich nahmen. Aus den Namenslisten von Angehörigen der Verwaltung lässt sich ablesen, dass auch Zuwanderer hier Karrieremöglichkeiten hatten. Kabalan Moukarzel ist zum Ergebnis gekommen, dass „die Babylonier ein gut entwickeltes System der Integration“ von Menschen aus anderen Teilen des Reiches besaßen,[8] die man etwas vereinfacht als Ausländer in Babylonien selbst bezeichnen kann.

 

Babylon war also tatsächlich eine vielsprachige und multikulturelle Stadt. Aber anders als in der biblischen Geschichte vom Turmbau lebten die Menschen nach allem, was wir wissen, relativ harmonisch zusammen. Ein Indiz dafür ist, dass einheimische Eltern ihren Kindern häufiger ägyptische oder persische Namen gaben, also Namen aus dem Kulturkreis von Zuwanderern. Umgekehrt gaben Zuwandererfamilien ihren Kindern häufig babylonische Namen.

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. hierzu: Joachim Marzahn: Die Arbeitswelt – Wirtschaft und Verwaltung, Handel und Profit, in: Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 233ff.

[2] Zum Alltagsleben in Babylon vgl. u. a. Astrid Nunn: Der Alltag in Babylon, in: Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 277ff.

[3] Ebenda, S. 291.

[4] Dominique Charpin: Babylon in der altbabylonischen Zeit: eine Hauptstadt von vielen ... die als einzige übrig blieb, in: Babylon, Wissenskultur in Orient und Okzident, Berlin 2011, S. 77ff.

[5] Ebenda, S. 89.

[6] Kabalan Moukarzel: Some Observations about „Foreigners“ in Babylonia during VI Century BCE, in: Melammu, The Ancient World in the Age of Globalization, Berlin 2014, S. 129ff.

[7] Ebenda, S. 140f.

[8] Ebenda, S. 140.