Globalisierungs-Alternativen: bezahlbare Medikamente auch für die Armen

 

Der Medikamentenmarkt hat seine eigenen Regeln. Die Pharmaunternehmen bieten ihre Medikamente in einzelnen Ländern zu sehr unterschiedlichen Preisen an, wobei die Konkurrenzsituation auf dem jeweiligen Markt eine Rolle spielt, aber auch die Einschätzung, welcher Preis gerade noch durchsetzbar ist. So wirken sich die Preisregulierungen in den europäischen Ländern offenbar positiv auf die Preise der Arzneimittel aus. In der Wirtschaftszeitschrift Economist war im Mai 2002 zu lesen: „Die meisten europäischen Regierungen übernehmen zumindest einen Teil der Medikamentenrechnungen ihrer Bürger und setzen eine Reihe von Maßnahmen ein, um die Kosten zu begrenzen, darunter Preiskontrollen. Als Ergebnis sind viele Medikamente in Teilen der Europäischen Union billiger als in den Vereinigten Staaten, wo die Marktkräfte eine größere Rolle bei der Preisbildung spielen. Pfizer, ein amerikanisches Pharmaunternehmen, schätzt, dass die Europäer im Durchschnitt nur zwei Fünftel dessen für seine Medikamente zahlen, was amerikanische Verbraucher ausgeben müssen.“[1]

 

Unter diesen Umständen können die Europäer nur hoffen, dass ihnen der freie Markt im Medikamentenbereich, wie er in den USA herrscht, noch lange erspart bleibt, denn dann wäre das Gesundheitswesen endgültig nicht mehr zu finanzieren. Das bedeutet nun keineswegs, dass die europäische Pharmaindustrie darbt. Bert Ehgartner und Kurt Langbein, die Autoren des Buches „Das Medizinkartell“ kommen zu einem ganz anderen Ergebnis: „Geheime Preisabsprachen, gekaufte Ärzte, falsche Diagnosen. Die Gesundheitsindustrie ist ein undurchschaubares Geflecht, in dem sich Profitgier und Größenwahn ungestört austoben.“[2]

 

Hohe Medikamentenpreise in armen Ländern

 

Es ist keineswegs so, dass die Medikamentenpreise in armen Ländern durchgehend niedriger sind als in Industriestaaten. So ergab Ende der 90er Jahre ein Preisvergleich von 13 wichtigen Präparaten, dass sie in Kanada 277 Dollar kosteten, in Tansania aber 499 Dollar.[3]

 

Dass die Medikamente so teuer sind, hat nicht nur den Effekt, dass viele Patienten sich die Medikamente überhaupt nicht leisten können, sondern viele andere die Therapie abbrechen müssen. Das hat zur Folge, dass Resistenzen entstehen, weil die überlebenden Erreger „lernen“ mit dem unzureichend eingesetzten Wirkstoff zu leben. Dafür ist Tuberkulose ein Beispiel. Zwar kostete eine sechsmonatige Therapie mit einem wirksamen Medikament nur umgerechnet 10 Euro, aber viele Patienten können sich auch diesen Betrag nicht leisten und beenden die Therapie vorzeitig, sodass die Resistenz des TB-Erregers gegen das Medikament ständig zunimmt.[4]

 

Das birgt Risiken für die ganze Menschheit, ein Beispiel dafür, wie lokale Verarmung und Verelendung globale Auswirkungen haben. Es gibt auf diesem Gebiet große Erwartungen an die Religionsgemeinschaften, so vom Leiter der Tuberkulose-Abteilung der WHO, der erklärte: „Religiöse Führer müssen ihren Status nutzen, um die Ungleichheiten bei der Gesundheitsversorgung armer Menschen zu benennen. Es gibt eine erfolgreiche Behandlungsmöglichkeit von Tuberkulose, aber sie wird nicht in vollem Umfang eingesetzt. Tuberkulose ist deshalb nicht länger eine medizinische Epidemie, es ist eine Epidemie der Ungerechtigkeit.“[5]

 

Nicht nur die Patienten stehen angesichts geringer Einkünfte und hoher Arzneimittelpreise vor fast unlösbaren Problemen. Die Apothekerin Ingrid Hechler-Bellinger hat dies beim Aufbau einer Krankenhausapotheke in Uganda erlebt, wo die Mittel nie reichten, um größere Vorräte an Medikamenten vorzuhalten: „Die Medikamentenbeschaffung war stets ein Spagat zwischen Vorratshaltung zur Vermeidung von Versorgungsengpässen und Geldmangel.“[6] Eine Hilfe war die Belieferung durch eine kirchliche Großhandelsstelle, aber das Grundproblem bleibt bestehen, dass das Geld zur Bezahlung teurer Medikamente fehlt.

 

Ein gewichtiger Kostenfaktor für Medikamente sind die hohen Marketing- und Werbekosten. Das überrascht zunächst, wenden die Hersteller sich bei den meisten ihrer Produkte doch in der Regel nicht an breite Konsumentenkreise, sondern an Fachärzte und Kliniken. Trotzdem rechnet man damit, dass etwa ein Drittel der Umsatzerlöse in Marketing und Vertrieb fließt.[7]

 

Die Marketingstrategien der Pharmakonzerne bei uns und im Süden der Welt

 

Ein gewichtiger Bereich sind die „Aufwandsentschädigungen“ für Ärzte, die neu zugelassene Medikamente darauf prüfen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen im alltäglichen Gebrauch entstehen. Solche Untersuchungen sind sinnvoll und notwendig, aber die Honorierung ist oft hoch, um die Ärzte auf diese Weise dafür zu gewinnen, das neue Medikament zu verschreiben und es so auf dem Markt einzuführen. Ein wichtiges Marketinginstrument sind Fortbildungsveranstaltungen und Kongresse, die mittlerweile oft in attraktiven ausländischen Orten durchgeführt werden. Bei einer Untersuchung in den Niederlanden wurde festgestellt, dass Zuschüsse der Pharmaindustrie von 4.000 Euro und mehr pro teilnehmendem Arzt durchaus keine Ausnahme sind.[8]

 

In den hohen Kosten sind auch die stattlichen Honorare für Referentinnen und Referenten enthalten, die dann selbstverständlich nicht ganz unbefangen sind, wenn es um Medikamente des Unternehmens geht, das die Veranstaltung ermöglicht. Gerd Glaeske, Arzneimittelexperte an der Universität Bremen, stellte in diesem Zusammenhang fest: „Man kann nicht davon ausgehen, dass man von einem von einer Firma gut bezahlten Referenten objektive Informationen bekommt.“[9]

 

Dass diese Form der Vermischung von Marketinginteressen und Fortbildung durchaus zweifelhafte Ergebnisse zeitigt, kann nicht überraschen. Die 10.000 Euro Werbeaufwendungen aller Art pro Arzt im Jahr durch die Pharmaindustrie[10] tragen vor allem zu hohen Arzneimittelpreisen bei, einen positiven Effekt haben sie nur selten. Die Reisen im Orientexpress, mit denen Bayer bei mindestens 25 Verordnungen eines Medikaments Ärzte gewinnen wollte und gewann, die wertvollen Uhren und die exquisiten Einladungen in Luxusrestaurants[11] müssen selbstverständlich finanziert werden, nicht verwunderlich also, dass die Arzneimittelpreise hierzulande hoch sind.

 

Auch die medizinischen Zeitschriften werden systematisch dafür eingesetzt, Ärzte für die eigenen Produkte zu gewinnen, wobei Anzeigen nur eines von einer ganzen Reihe von Instrumenten zur Erreichung dieses Ziels sind.

 

Eine wichtige Maßnahme aus der Sicht von Pharmaunternehmen ist die Verhinderung von Beiträgen, die den eigenen Absatz vermindern könnten. So verhinderte eine Pharmafirma in den USA jahrelang die Veröffentlichung einer Studie der Universität von Kalifornien, aus der hervorgeht, dass die Nachahmmedikamente genauso wirksam sind wie das teure Originalpräparat des Unternehmens. In einem gemeinsamen Editorial wehrten sich die Chefredakteure verschiedener hoch angesehener wissenschaftlicher Zeitschriften in Großbritannien und den USA im Herbst 2001 dagegen, dass ihnen immer mehr angeblich unabhängige Studienergebnisse zur Veröffentlichung angeboten werden, die tatsächlich von einzelnen Pharmaunternehmen finanziert werden und die von diesen gewünschten Ergebnisse erbringen.[12]

 

Zwar leben diese Zeitschriften zu einem erheblichen Teil von den Anzeigen der Pharmaunternehmen, aber sie fürchten nicht ohne Grund, die eigene Glaubwürdigkeit bei der Leserschaft zu verlieren, wenn immer mehr getarnte Gefälligkeitsgutachten als Ergebnisse einer unabhängigen wissenschaftlichen Forschung ausgegeben werden. In Deutschland sieht die Situation eher noch trüber aus, ein beunruhigender Tatbestand, wenn man bedenkt, dass die Zeitschriften eigentlich der Fortbildung der Ärztinnen und Ärzte dienen sollten. Dass viele der Fortbildungszeitschriften kostenlos an die Ärzteschaft verschickt werden und damit ganz von Anzeigen leben, macht die Situation nicht besser. Die renommierten angelsächsischen Zeitschriften verlangen von ihren Autoren jetzt, dass sie alle finanziellen Verbindungen zu Pharmaunternehmen offenlegen, bevor ein Beitrag veröffentlicht wird.

 

Im Süden der Welt werden Medikamente mit ähnlichen Methoden vermarktet. Zwar ist hier das Absatzpotenzial insgesamt geringer, aber in vielen Ländern besteht ein Ärztemangel, sodass die Ärzte in Praxen und Krankenhäusern eine große Zahl von Patienten behandeln und Medikamente verschreiben. Deshalb lohnen sich der Einsatz von Pharmavertretern und die Verteilung finanzieller Vergünstigungen an Ärzte auch hier. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ethische Kriterien für die Arzneimittelwerbung herausgegeben, in der es auch um das Verhalten von Ärztebesuchern geht. Darin wird zum Beispiel gefordert, dass die Entlohnung der Ärztebesucher nicht direkt auf der Basis ihres Verkaufsvolumens erfolgen sollte, „um übermäßige verkaufsfördernde Aktivitäten zu vermeiden“.[13]

 

Dialog und Konfrontation – kirchliche Strategien im Umgang mit der Pharmaindustrie

 

Die BUKO-Pharmakampagne und Institutionen wie das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (DIFÄM) setzen sich dafür ein, dass nicht weiterhin sinnlose Medikamente durch geschickte Marketingbemühungen in den armen Ländern des Südens verkauft werden. Diese Frage spielt auch im „Dialogprogramm Kirche und Pharmaindustrie“ eine wichtige Rolle, und es konnte erreicht werden, dass deutsche Pharmaunternehmen einzelne Produkte nicht mehr in armen Ländern verkaufen. Der Dialog wird seit Anfang der 90er Jahre geführt und hat es ermöglicht, mit den Unternehmen über Themen wie die Preisgestaltung in armen Ländern ins Gespräch zu kommen. Ein solches Engagement der deutschen Kirchen wird von den Partnern im Süden erwartet. Meine Einschätzung ist, dass im Verhältnis zur Pharmaindustrie sowohl Konfrontation als auch Dialog erforderlich sind, wobei unterschiedliche Akteure diese Aufgaben übernehmen. Gruppen und Initiativen, die in der BUKO-Pharma-Kampagne mitarbeiten, machen Missstände und Probleme öffentlich und greifen dabei auch deutsche Pharmaunternehmen im Blick auf ihre Aktivitäten im Süden der Welt an.[14]

 

Solche Informations- und Kampagnenarbeit bleibt schon deshalb nicht ohne Wirkung, weil die Hersteller von Medikamenten vom Vertrauen der Öffentlichkeit und besonders der Ärzte und Patienten leben. Konfrontation eröffnet also durchaus die Möglichkeit, messbare Erfolge zu erzielen, zum Beispiel durch die Senkung von Medikamentenpreisen in armen Ländern oder durch die Einstellung des Verkaufs unsinniger Produkte.

 

„Auch wenn sich der Zugang zu Medikamenten, ganz besonders der lebensrettenden Aidsmedikamente deutlich verbessert hat, so muss noch viel geleistet werden, damit wirklich alle Betroffenen Zugang bekommen. Dazu müssen Regierungen, Zivilgesellschaft und Pharmaindustrie ihren Beitrag leisten, denn Leben ist ein Menschenrecht.“ Das ist das Fazit von Dr. Gisela Schneider, Direktorin des "Deutschen Instituts für ärztliche Mission"  in Tübingen bei einer Gesprächsrunde er "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung" zur Armutshalbierung am 28.01.2010 in Berlin.

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. The Economist, 11.5.2002

[2] Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung, 28.5.2002

[3] Vgl. Jahresbericht der DIFÄM-Arzneimittelhilfe 1999, S. 2

[4] Vgl. Ebenda

[5] Zitiert nach: International Review of Mission, Januar 2001, S. 164

[6] Zitiert nach: International Review of Mission, Januar 2001, S. 164

[7] Vgl. Pharma-Brief, 2/2002, S. 1

[8] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 18.9.2001

[9] Ebenda

[10] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 28.5.2002

[11] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 16.8.2001

[12] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 21.8.2001

[13] Zitiert nach: Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung/Verband Forschender Arzneimittelhersteller: Arzneimittelversorgung in der Dritten Welt, GKKE-Schriftenreihe 23, Bonn 1999, S. 40

[14] Im November 2001 zog die Pharma-Kampagne nach 20 Jahren eine Zwischenbilanz und konnte feststellen, dass eine Reihe von Erfolgen erzielt worden waren. Die Trägerschaft der Kampagne ist sehr viel breiter geworden, es ist gelungen, deutsche Pharmaunternehmen dazu zu veranlassen, unsinnige Medikamente nicht mehr in den Süden der Welt zu exportieren und in der Frage der Aids-Medikamente zu erreichen, dass die Bundesregierung die Pharmakonzerne zu Preissenkungen für Länder wie Südafrika aufgefordert hat. Vgl. Pressemitteilung der BUKO-Pharma-Kampagne vom 24.11.2001