Mein lüttje Madamm, Ihr Kaufen ehrt mich sehr,
woll’n Sie nich noch’n büschen mehr?
Mit solchen Sprüchen kurbelte Johann Jürgen Weber seinen Absatz als Straßenhändler an. Der um 1780 in Bremerlehe geborene Weber hatte das Bürstenbinder-Handwerk erlernt. Vormittags war er in Hamburg mit einer Karre unterwegs und verkaufte Bürsten, nachmittags und abends Aale. Er trat als eleganter Herr mit weißer Hose, roter Weste, heller Jacke und hellem Zylinder auf. Wenn er mit zwei Körben voller Aale durch die Straßen zog, rief er unüberhörbar „Smuttool! Smuttool!“ („Räucheraal! Räucheraal!“). Die Fische soll er gelegentlich im Fischladen der Familie Hagenbeck in St. Pauli gekauft haben.
Aussuchen konnte man sich seine Aale nicht. Die Kunden sagten, wieviel sie ausgeben wollte und der Händler entschied dann, wie viele Aale von welcher Qualität er ihnen für dieses Geld übereignen wollte. Seiner Kundschaft machte er unmissverständlich klar, dass es sein großes Entgegenkommen war, die Aale zu verkaufen. Johannes Sass hat in seinem Buch „Hamburger Originale und originelle Hamburger“ überliefert, dass Weber von der Kundschaft mit einer gewissen Vorsicht zu behandeln war: „Fragen, ob die Aale auch frisch geräuchert seien, nahm er als persönliche Beleidigung. Sie brachten die Gefahr mit sich, dass man überhaupt keine Aale bekam. Er war eben nicht irgendwer, er war der Herr J. J. Weber, von dem bedient zu werden, ein Entgegenkommen bedeutete. So empfindlich war er auch, wenn er gerade Schluss gemacht hatte und dann noch jemand etwas kaufen wollte. Dann konnte er wohl eine Kundin anfahren: ‚Kannst nich to rechte Tiet kamen? Bün ick dien Hansnarr?‘ Man musste schon gut bei ihm angeschrieben sein, um dann noch bedient zu werden.“
Dank der flotten Sprüche, Witze und Gedichte des Aalverkäufers versammelte sich stets eine Menschenmenge um seine Karre. Besonders erfolgreich war Aalweber an Markttagen, wo er mit dem Verkaufen kaum hinterherkam. An solchen Tagen beteiligte sich seine Frau am Verkauf. Aalweber nutzte auch die Märkte in Altona und Wandsbek, um seinen Absatz zu steigern. Hier ein weiterer seiner Verse:
Allerhand Waar – von de Kaar!
Kaufen Sie ein klein’n Reinmacherstock
für ihren neuen Winterrock!
Glanzbürsten und Wichsbürsten! Mansell von’n Saal.
Kommen Sie doch schnell mal hendal!
Was hat der Mann zu Kauf?
Bürsten hat der Mann zu Kauf!
Nehmen Sie eine mit rauf
oder ‘n Schwanz von die kleine arabische Pferd,
ist unter Brüdern 4 Schillinge wert.
Carl Hagenbecks Erinnerungen an den Aalverkäufer
Carl Hagenbeck hat als Kind Aalweber erlebt und anerkennend in seinen Lebenserinnerungen geschrieben: „Ich sehe ihn noch vor mir mit seiner hellen Jacke, seiner roten Weste und auf dem Kopf den hohen weißen Filzhut. Am Arm trug er stets den von einer Serviette bedeckten Korb mit leckeren Räucheraalen. Es gab in Hamburg keinen Menschen, der nicht einmal am Lämmermarkt oder in der Waisengrünanlage von Aalwebers Bude in der Kirchenallee zu St. Georg … erschienen oder sonst zu dem Genuß Aalweberscher Aale gekommen wäre. Wohl niemals hat sich irgendein Straßenverkäufer, der es verstand, in einem unendlichen Singsang von originellen Knüppelversen seine Ware anzupreisen, größerer Popularität erfreut.“
Seine Gedichte sollen Aalweber jeweils spontan eingefallen sein. Beim Bürstenverkauf sang er zum Beispiel mit lauter Stimme:
Der Weber ist da! Der Weber ist da!
Kommt nun alle her von fern und nah!
Die Bürsten sind alle patente Ware
Und halten an die hundert Jahre.
„So vergeht aller Glanz der Welt“
Aalweber war in Hamburg so bekannt, dass in dem Stück „Gustav oder der Maskenball“ ein Schauspieler in der Rolle Webers als origineller Straßenhändler zu sehen war. Das Stück kam bereits im ersten Jahr mehr als 150 Mal zur Aufführung. Der geschäftstüchtige Aalweber stellte dem Steinstraßen-Theater seinen Original-Verkaufskarren zur Verfügung. Später führte man das Stück auch in anderen Hamburger Theatern mit Erfolg auf.
Wie so manches Hamburger Original geriet auch Aalweber im Alter in Vergessenheit. Seine Frau Catharina Maria war bereits 1830 verstorben, und er hatte seine zweite Frau Elisabeth Margaretha 1835 geheiratet. Es lässt sich nicht mehr herausfinden, wie der erfolgreiche Straßenverkäufer verarmte und warum seine Familie ihn nicht unterstützte. Er lebte im Alter im Werk- und Armenhaus der Stadt und war so bettelarm, dass frühere Kunden eine Sammlung veranstalteten, um ihm einen Vorrat seines geliebten Tabaks zu kaufen. Weber starb 1855, übrigens ein Jahr nach Hans Hummel. Später erinnerte sich kaum noch jemand an das einst berühmte Original. In einem Buch von 1912 über Hamburger Originale und lustige Geschichten lautet der letzte Satz über Aalweber. „So vergeht aller Glanz der Welt!“
In Erinnerung gerufen hat Hamburg das Original Aalweber 1922 ausgerechnet auf „Notgeld“, das in der Wirtschaftskrise von der Stadt ausgegeben wurde, um den Mangel an Kleingeld zu beheben. Es ist dem Architekten Dieter Grohs zu verdanken, dass seit 2011 vor dem Haus Spadenteich 1 in St. Georg ein koloriertes Stahlrelief an Aalweber erinnert. Grohs sagte anerkennend bei der Denkmalseinweihung: „Der Aalweber wusste genau, wie man verkauft. Er kleidete sich auffällig und präsentierte sein Angebot in Form von gereimten Versen ... Seine Verkaufsmethode hatte Unterhaltungswert, so wie es heute noch der Aale-Dieter vom Fischmarkt hat.“ Auch auf Wikipedia gibt es mittlerweile einen kurzen Beitrag über Aalweber. Der Original Hamburger Hummel-Club von 1902 ruft Aalweber wie andere Originalen bei Auftritten ehrenamtlicher Schauspielerinnen und Schauspielern in historischen Kostümen in Erinnerung.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro
© Frank Kürschner-Pelkmann