Die Kirchen in der globalen Kommunikationswelt

 

Welche Verantwortung und Möglichkeiten haben die Kirchen im Internet-Zeitalter? Sie können und sollten die neuen technischen Möglichkeiten nutzen, um die eigene Kommunikationsarbeit deutlich zu verbessern, um auf diese Weise auch ihre Stimme noch wirkungsvoller für tief greifende soziale Veränderungen zugunsten der Opfer der vorherrschenden Globalisierung zu erheben. Das Internet und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten haben mittlerweile auch viele Kirchen und lokale Kirchengemeinden in allen Teilen der Welt veranlasst, mit einen Internet-Anschluss und einer e-mail-Adresse ihre Kommunikationsmöglichkeiten zu verbessern. Immer mehr Kirchen investieren in eine eigene Homepage. Im „Netz“ mit einer eigenen Seite präsent zu sein, gilt als Zeichen der Modernität einer Kirche, und es besteht die Erwartung, besonders die Jugend anzusprechen.

 

Es gibt sehr erfreuliche Erfahrungen bei der Nutzung des Internets für die kirchliche Kommunikation. Die Nordelbische Kirche hat beispielsweise seit Jahren eine eigene Homepage. Mitte der 90er Jahre begann diese Kirche damit, Informationen über die eigenen Arbeitszweige und Angebote zusammenzustellen und im Internet zu präsentieren. Als ein intensiv genutztes Angebot erwies sich die Möglichkeit, auf elektronischem Wege eine seelsorgerliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Insgesamt wird die Homepage täglich von mehr als 1.000 Personen besucht. Der für die Betreuung der Websiteverantwortliche Pastor bietet außerdem Kurse für Kirchengemeinden an, die eine eigene Internet-Präszenz planen. Die Homepage der Evangelischen Kirche in Deutschland wird jeden Monat von einer Million Menschen genutzt, ebenso die Seelsorgeangebote.[1]

 

Interessant ist auch, dass an Ökumene und Mission interessierte junge Leute beginnen, sich zu vernetzen und Informationen und Erfahrungen aus ihrem ökumenischen Engagement auszutauschen. In anderen nord- und westeuropäischen Ländern hat sich das kirchliche Angebot im Internet ähnlich entwickelt wie in Deutschland. Die nordamerikanischen Kirchen waren die ersten, die systematisch und in großem Umfang Informations- und Seelsorgeangebote ins Internet stellten. In einigen asiatischen Ländern entwickelte sich die kirchliche Nutzung des Internets vielleicht noch dynamischer als in der westlichen Welt. Aber auch in Lateinamerika, der Karibik, dem Mittleren Osten und Teilen Afrikas nimmt das kirchliche Angebot im Internet rasch zu.

 

Kirchliche Präsenz im Internet umsichtig planen

 

Um angesichts des riesigen Informationsangebots im Internet Beachtung zu finden, ist ein inhaltlich attraktives Angebot erforderlich, das zudem ansprechend präsentiert werden muss – und das kostet oft viel Geld. Die professionelle Erstellung einer Homepage kostet in westlichen Ländern mindestens einige Tausend Euro. Vor der Entscheidung, ein eigenes Angebot ins Internet zu stellen, muss deshalb die Frage stehen, für wen das Angebot gedacht sein soll und welchen Ansprüchen es deshalb genügen muss. Dabei sein ist alles – diese Überzeugung der Gründer der neueren olympischen Bewegung gilt längst nicht mehr im Spitzensport und noch viel weniger im Internet.

 

Ziel der Internet-Präsenz kann es zum Beispiel sein, der wachsenden Zahl von Internet-Nutzern in der eigenen Kirchengemeinde und anderen Personen am Ort die Möglichkeit zu geben, sich über Veranstaltungen und andere Aktivitäten in der Gemeinde zu informieren und die eigene Auffassung zur Arbeit der Gemeinde und zu kontroversen Fragen des Gemeindealltags zu äußern. Bei den Planungen der Internet-Präsenz geht es darum, die Bedürfnisse der Menschen in der eigenen Gemeinde, am eigenen Ort im Auge zu haben und nicht der Illusion nachzuhängen, in Zukunft würde sich der Rest der Welt per Internet über die Angebote dieser Gemeinde informieren.[2] Aber gleichzeitig gilt es, den Blick der Nutzerinnen und Nutzer über die eigene Gemeinde hinaus zu weiten, zum Beispiel durch Beiträge über die Partnergemeinde in Tansania oder Papua-Neuguinea oder durch Informationen zu den Produkten im Eine-Welt-Laden der Gemeinde.

 

Bei der Erstellung und Betreuung von Internet-Angeboten gibt es Alternativen zu kommerziellen Angeboten. Eine Möglichkeit, zu einer preiswerten Homepage der Kirchengemeinde oder des Kirchenkreises zu kommen, besteht darin, mit einer Gruppe computer-begeisterter Jugendlicher zusammenzuarbeiten und sie bei einem Workshop gemeinsam mit einem Experten die Seite gestalten zu lassen und die jungen Leute auch dafür zu gewinnen, sie regelmäßig zu aktualisieren. Ein attraktives Bildungsprojekt für Jugendliche wird so verknüpft mit der Schaffung eines Informationsangebots der Gemeinde im Internet.

 

Daneben bleiben andere Formen der Kommunikationsarbeit der Gemeinde wichtig, angefangen bei den Gemeindebriefen, die in Deutschland zusammengenommen eine enorm große Leserschaft erreichen und die Chance bieten, auch Menschen anzusprechen, die (bisher) nicht zu Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen kommen. Wichtig sind auch kulturelle Formen der Kommunikation wie Theateraufführungen. In vielen Teilen der Welt haben Gemeinden und Kirchen sehr kreative „group media“ geschaffen, also kleine Medien, die aus der Arbeit in Gemeindegruppen erwachsen und von ihnen selbst hergestellt werden, zum Beispiel Plakate, Wandbilder, Fotos, einfach gemachte Videofilme etc.

 

Kirchliche Programme in Radio und Fernsehen

 

In zahlreichen Ländern haben die Kirchen die Möglichkeit, in Radio und Fernsehen zu Wort und ins Bild zu kommen. Öffentlich-rechtliche und ähnlich organisierte Sender sehen es als Teil ihres Auftrags an, Beiträge zu religiösen Themen in ihr Programm aufzunehmen, von Gottesdienstübertragungen bis zu Features. Die Sender übernehmen die redaktionellen Kosten und verantworten die Programme auch inhaltlich. Dies ist sowohl in Deutschland als auch zum Beispiel in vielen afrikanischen Ländern so. Im Rahmen der Kommerzialisierung und Privatisierung des Rundfunkbereichs verändern sich allerdings die Bedingungen. Viele Privatsender sind zwar bereit, religiöse Programme auszustrahlen, erwarten aber, dass die Kirchen die Programme selbst produzieren und die Kosten hierfür tragen. In manchen Fällen wird auch die Bezahlung der Sendezeit gefordert, und diese Forderung kommt auch von staatlichen Sendern, die die Auflage erhalten haben, möglichst hohe Eigeneinnahmen zu erzielen.

 

Die Liberalisierung des Rundfunkbereichs und der Verkauf von Sendezeit ermöglichen international tätigen Radio- und Fernsehpredigern einen leichteren Zugang zu den Ländern des Südens, vor allem den US-Fernsehpredigern wie Pat Robertson. Das Ergebnis ist, dass ihre individualistischen und westlich geprägten Vorstellungen jetzt auch dort zu hören und zu sehen sind.

 

Die Alternative besteht darin, sehr viel stärker als bisher einen Programmaustausch zwischen ökumenisch orientierten kirchlichen Programmanbietern in verschiedenen Teilen der Welt zu organisieren, damit Christinnen und Christen in den einzelnen Ländern mehr über Glaubensvorstellungen und kirchliches Engagement in anderen Teilen der Welt erfahren. Die modernen Kommunikationstechnologien und die Liberalisierung des Rundfunkbereichs haben zu einer Situation geführt, in der die Debatte über das angemessene Verständnis der Bibel und die sozialen Konsequenzen daraus vielerorts auch in Radio und Fernsehen ausgetragen wird. Auf diesem Gebiet gibt es trotz mancher erfolgreicher Initiativen große Defizite der ökumenischen Bewegung. Um sich in den Kirchen und als Kirchen wirkungsvoll für eine andere Globalisierung zu engagieren, ist eine sehr viel wirksamere international ausgerichtete Medienarbeit erforderlich. Ein Schritt hierzu ist die Förderung von internationalen christlichen Zusammenschlüssen im Medienbereich wie der Weltvereinigung für Christliche Kommunikation (WACC).

 

Es wäre bedauerlich, wenn sich das kirchliche Engagement in Fragen des Internets und anderer moderner Kommunikationsmittel darauf beschränken würde, eine eigene Homepage zu gestalten und eigene Medien zu produzieren, so wichtig dies ist. Die Verantwortung der Kirchen in der Gesellschaft erfordert es, die sozialen Auswirkungen der Kommunikations-Revolution zu analysieren, hierzu Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu betreiben und zu versuchen, auf die politischen Rahmenbedingungen Einfluss zu nehmen.

 

In vielen Fällen wird eine Analyse der lokalen und nationalen Kommunikationsstrukturen notwendigerweise zu einem Engagement führen, das Konflikte mit den politisch und oft auch den wirtschaftlich Mächtigen verursacht. Dies gilt vor allem in all den Ländern, wo die Pressefreiheit eingeschränkt ist oder nicht mehr besteht. „Reporter ohne Grenzen“, „amnesty international“, Mediengewerkschaften und andere Organisationen berichten tagtäglich von Einschüchterungen von Journalistinnen und Journalisten, vom Verbot von Medien, von der Ermordung von mutigen Verlegern und von anderen Repressionsmaßnahmen gegen Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehstationen.

 

Die Stimme der Kirchen in Mediendebatten und -konflikten

 

Wie erwähnt sind nicht selten auch kirchliche Medien davon betroffen. Es wäre politisch unklug und religiös unverantwortlich, zur Unterdrückung anderer Medien zu schweigen und abzuwarten, bis auch kirchliche Medien von den Unterdrückungsmaßnahmen betroffen sind, bevor von kirchlicher Seite protestiert wird. Die globalen kirchlichen Kommunikationsnetze erlauben es heute, sehr rasch über solche Vorgänge informiert zu werden, und damit wächst auch die Verantwortung von Christinnen und Christen in anderen Teilen der Welt, sich an der Seite der lokalen Kirchen zu engagieren.

 

Außerdem wird es für die Kirchen darauf ankommen, sich entschlossen an der Debatte und den Entscheidungsprozessen darüber zu beteiligen, welche Kommunikationsformen in dem jeweiligen Land gefördert werden und wer diese beherrscht. Der päpstliche Medienrat gehört zu den Gremien, die sich in solche Debatten einmischen, Anfang 2002 zum Beispiel mit einer Erklärung zu „Ethik im Internet“. Darin wird die „digitale Kluft“ beklagt und gefordert: „Man muss Wege finden, um das Internet auch den benachteiligten Gruppen zugänglich zu machen.“ Die Vorteile des neuen Mediums seien sehr ungerecht verteilt: „Manche Personen, Wirtschaftsunternehmen und Länder sind unglaublich reich geworden, während andere zurückfallen.“ Ganze Nationen würden vom Prozess der Globalisierung, zu dem das Internet wesentlich beitrage, vollständig ausgeschlossen. Stattdessen solle das Internet allen Menschen umfassende Informationen und Dienstleistungen in einer Vielzahl von Sprachen zur Verfügung stellen. Außerdem fordert der Medienrat eine verstärkte Kontrolle des Internets durch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und kirchliche Instanzen, um den Missbrauch einzudämmen.[3]

 

Eine ähnlich kritische Begleitung der Medienentwicklung ist auch bei Radio, Fernsehen und Druckmedien erforderlich. Dazu gehört es, weit verbreitete „Spielregeln“ zu hinterfragen, zum Beispiel den Wettlauf konkurrierender Medien, möglichst rasch mit einer Nachricht oder einem Bericht auf dem „Markt“ zu sein, selbst wenn dies zulasten der Qualität und der Zuverlässigkeit geht.[4]

 

Wenn unter dem Stichwort „Liberalisierung“ ein Ausverkauf der Medien und Kommunikationssysteme stattfinden soll, dann ist es die Aufgabe der Kirchen zu fragen, wem dieser Prozess mehr Freiheit bringt, einigen wenigen großen Unternehmen oder aber der Bevölkerung, die die demokratische Kontrolle oder zumindest den Anspruch auf diese Kontrolle über Medien verliert, die bisher im Besitz des Staates oder besser gesagt der Gesellschaft sind.

 

Auch ist zu fragen, welchen Zielen die „Liberalisierung“ dient, wie wird die neue „Freiheit“ genutzt? Einmischung ist also nötig. Die Kirchen haben die große Chance, ein christliches Verständnis der Kommunikation in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Ich bin in der EMW-Veröffentlichung „Von Gutenberg bis Internet“ (Weltmission heute 26) ausführlich auf Grundlagen, Konzepte und die praktische Umsetzung solcher Einsichten eingegangen. An dieser Stelle müssen deshalb einige Stichworte genügen. Auffällig sind an den biblischen Geschichten und Berichten die große Bedeutung von Werten wie Wahrheit, Wahrhaftigkeit, das Ernstnehmen der Gesprächspartner, die Einbeziehung von diskriminierten Menschen in die Kommunikation, die Bereitschaft, Konflikte anzusprechen und auszutragen, die Freiheit der einzelnen Menschen, auf Botschaften zu reagieren, und die unlösbare Verbindung von Reden und Handeln.

 

Alternative kirchliche Medienkonzepte

 

Auch kann nicht übersehen werden, dass die befreiende Botschaft des Evangeliums die Art und Weise prägt, wie kommuniziert wird. Dies eröffnet Perspektiven dafür, im Zeitalter der Globalisierung den vorherrschenden Formen der Kommunikation alternative Konzepte und eine alternative Praxis entgegenzustellen, die auf Befreiung zielen. Das bedeutet in unterschiedlichen Situationen auch Unterschiedliches. Es kann zum Beispiel bedeuten, im kirchlichen Raum die biblische Tradition des Geschichtenerzählens neu zu beleben, vor allem mit Geschichten der Hoffnung aus früheren Zeiten und aus der heutigen Welt. Es kann bedeuten, in einer Diktatur eine mutige kleine Zeitschriftenredaktion zu unterstützen, die die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass die Wahrheit den Weg zur Befreiung ebnen kann. Es kann bedeuten, in der Globalisierungsdebatte die modernen Kommunikationsmöglichkeiten so einzusetzen, dass endlich auch die gehört werden, die Opfer dieses ökonomischen Prozesses in ländlichen Gebieten Perus oder in Armenvierteln von Johannesburg geworden sind. Kommunikation soll dem Wohle der Menschen dienen, nicht der Unterdrückung von Menschen, nicht dazu, sie mundtot zu machen, nicht dazu, große Gewinne auf Kosten anderer zu erzielen. So ist es jedenfalls in dem Buch zu lesen, dass immer noch ein wunderbares Werk der Kommunikation des Schöpfers mit seiner Welt ist. Diese Botschaft der Befreiung und des Heils auf diesem Globus zu verkünden und zu leben, ist die Mission der Kirche und der einzelnen Gläubigen.

 

 



[1] Vgl. den Bericht: „Im Wirrwarr der Gefühle – Christliche Lebensberatung im Internet immer mehr gefragt“ in der epd-Zentralausgabe vom 3.5.2001

[2] Gemeinden im Kirchenkreis Pinneberg haben die Erfahrung gemacht, dass ihre jeweilige Homepage von etwa 100 Surfern im Monat besucht wird, vor allem Menschen, die der Gemeinde bereits nahe stehen; vgl. Nordelbische Kirchenzeitung, 17.6.2001

[3] Vgl. epd-Zentralausgabe, 1.3.2001

[4] Vgl. hierzu u. a. den Bericht in „Ecumenical News International“ vom 14.6.2000 über eine Ansprache von Kardinal Etchegaray zum modernen Journalismus.