„Hummel, Hummel! – Mors, Mors!“ lautet der deftige Gruß traditionsbewusster Hamburger und Hamburgerinnen. Aber Hans Hummel stieg erst nach seinem Tod zum populärsten Hamburger auf und dazu noch zu einer komischen Figur, die er zu Lebzeiten nie war. Manche deuten bis heute das Hamburger Autokennzeichen „HH“ als „Hummel, Hummel“.
Paul Möhring, der ein Theaterstück über Hummel verfasste, hat die zeitgenössischen Quellen über das heute so berühmte Hamburger Original studiert und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: „Die Chroniken und die verschiedenen geschichtlichen Darstellungen erwähnen das populäre Hamburger Original nicht. Hummel hat nach Auffassung der Historiker keinerlei Verdienste, die ihn dazu berechtigen, in die Stadtgeschichte einzugehen. Er war kein Wissenschaftler, kein Gelehrter, kein Kriegsheld, kein Künstler, kein Wirtschaftsführer, kein Politiker – er war eben nur ein ‚Kind des Volkes‘, ein Mann der Straße, der zur volkstümlichen Figur wurde.“
Wenigstens ist inzwischen vieles über seinen Beruf als Wasserträger bekannt. Dass es in Hamburg bis Mitte des 19. Jahrhunderts so viele Wasserträger gab, ist das Ergebnis einer völlig verfehlten städtischen Wasserversorgungspolitik der Stadt. In der reiche Kaufmannsstadt Hamburg regierten über Jahrhunderte die „Pfeffersäcke“ (wie man im Volksmund die reichen Kaufleute spöttisch nannte), und die wollten staatliche Ausgaben und Steuern möglichst niedrig halten. Also überließ die Stadt die Wasserversorgung der Privatinitiative.
Vom 14. Jahrhundert an bildeten wohlhabende Kaufmannsfamilien sogenannte Interessentschaften. Sie ließen hölzerne Rohrleitungen bauen, durch die das Wasser von Quellen außerhalb der Stadtwälle zu ihren Häusern floss. Für alle, die genügend Geld hatten, war das eine ideale Wasserversorgung.
Was aber taten die, denen das Geld für die Beteiligung an einer solchen Interessentschaft fehlte? Die Armen schöpften das Wasser aus den Fleeten, eine sehr ungesunde Sache, denn in diesen Alsterarmen und Kanälen landeten auch die Abwässer der Stadt. Verschiedene Choleraepidemien wurden durch diese Form der Wasserversorgung verursacht oder begünstigt.
Wer etwas Geld erübrigen konnte, ließ sich sauberes Trinkwasser von einem Wasserträger oder einer Wasserträgerin ins Haus bringen. Manche Wasserträger verminderten ihren Zeitaufwand allerdings dadurch, dass sie das Wasser heimlich aus den Fleeten statt von weiter entfernten Quellen oder Brunnen holten.
Ein mürrischer Wasserträger
Einer der Wasserträger war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Johann Wilhelm Bentz (oder Benz), geboren am 21. Januar 1787. Er soll nach zeitgenössischen Beschreibungen ein etwas griesgrämiges Original gewesen sein. Dass er griesgrämig war, dafür gab es der Überlieferung nach einen triftigen Grund. Er soll zunächst ein lebenslustiger junger Mann gewesen sein, der als Wasserträger auch zu etwas Geld kam. Nach dem Tod seines Vaters erbte er eine goldene Tabakdose und etwas Geld.
Er verliebte sich in eine junge Schenkmamsell und die beiden verlobten sich. Sie machten Pläne für ihre Heirat und Bentz übergab seiner Freundin die goldene Tabakdose und das Geld, damit sie Anschaffungen für den zukünftigen Hausstand tätigen konnte. Sie verschwand aber mit einem Seemann und mit ihr die goldene Tabakdose und das Geld. Sie ließ einen trübsinnigen und verbitterten Bentz zurück.
Vielleicht ist die Geschichte erfunden, aber wenigstens gut erfunden und erklärte den Zeitgenossen des Wasserträges, warum dieser auch bei kleinen Anlässen so aufbrausend und zornig werden konnte. Wie griesgrämig Hummel aussah, wissen wir heute nicht mehr, denn es gibt aus seinen Lebzeiten keine bildliche Darstellung.
Jahrelange Auseinandersetzungen mit den Jungen der Stadt
Es gibt aus seinen Lebzeiten keine einzige Abbildung des Wasserträgers und er wird auch in keiner damaligen historischen Darstellung erwähnt. Es blieb aber in Erinnerung, dass Hamburger Jungen ihn mit dem Ruf „Hummel, Hummel!“ neckten. Nach einer Überlieferung hatte Bentz die Wohnung des 1836 verstorbenen Stadtsoldaten namens Daniel Christian Hummel im Hinterhaus des Gebäudes Große Drehbahn 36 übernommen. Der Stadtsoldat war - im Gegensatz zu Bentz - bei der Jungen sehr beliebt gewesen. Er erzählte ihnen nämlich viele wahre und erfundene spannende Geschichten von Kriegserlebnisse. Die Jungen brachten Bentz in Zorn, wenn sie ihm den Namen dieses Vormieters nachriefen.
Da Bentz zwei schwere Eimer an einer „Tracht“ (einer Art Joch) trug, konnte er die Jungen nicht vertreiben und beantwortete die ewigen Neckereien mit dem Ausruf „Mors, Mors!“. Der Mors ist auf Plattdeutsch der Hintern, und Bentz verkürzte mit seinem Ausruf den Spruch „Klei mi an Mors“, was dem Götz von Berlichingen-Zitat recht nahe kommt. Bentz soll über die Wortwechsel mit den Jungen gesagt haben: „Jä, ick kann dat nich loten, ick mutt nu mol dat letzte Wort hebben! De Krieg mit de Jungs duert nu all’n lange Tied, und ick gleuw, he duurt noch öber mien Grav rut!“
Über sein Grab hinaus hat der „Krieg“ mit den Jungen nicht gedauert, aber doch so lange, dass Bentz zum bekanntesten Original der Stadt wurde. Einige Hamburger Bürger nahmen Anstoß an den lautstarken Wortwechseln zwischen Bentz und den Jungen. Sie fanden Bentz offenkundig weder witzig noch komisch. Diese Bürger beschwerten sich bei der Obrigkeit, und der Wasserträger wurde vom zuständigen Senator vorgeladen. Nach Vorhaltungen und seinem Versprechen der Besserung ging das Gespräch einvernehmlich zu Ende und der Senator wollte den Gast verabschieden. In diesem Augenblick fiel ihm der Familienname des Wasserträgers nicht ein, und deshalb sagte er ihm zum Abschied: „Hummel, Hummel“. Bentz behielt wieder einmal das letzte Wort und rief im Hinausgehen: „Mors! Mors! Herr Senator!“
Wie die Wasserträger ihre Arbeit verloren
Johann Wilhelm Bentz und die anderen Wasserträger wurden für ihre schwere Arbeit schlecht bezahlt, denn die Konkurrenz unter den Trägern war groß und die Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden gering. So musste Bentz oft lange mit dem Ruf „Woter! Woter!“ durch die Straßen ziehen, bis er Kunden für sein Wasser fand. Er war so arm, dass er dankbar die Essensreste annahm, die ihm wohlwollende Hausgehilfinnen reicher Bürger zusteckten. Er wickelte die Reste vom Tisch der Reichen in Zeitungspapier und verstaute sie in seinem hohen Zylinder, um sie später zu essen.
Es gab in Hamburg auch viele Wasserträgerinnen. Die berühmteste von ihnen war Mutter Blohm, die noch als alte Frau die Eimer voll Wasser über schmale Treppen auch in die obersten Etagen schleppte. Ihr Wahlspruch lautete: „Langsam un wiß!“ – langsam, aber sicher. Die Wasserversorgung in Hamburg blieb bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in dem desolaten, aber für Leute wie Bentz immerhin etwas einträglichen Zustand. Als 1842 ein Brand ausbrach, zeigte sich ein weiterer Nachteil dieser privatisierten Versorgung. Es fehlte an Löschwasser, und die Holzleitungen der privaten Wasserversorger wurden rasch ein Opfer der Flammen. Nachdem große Teile der Stadt niedergebrannt waren, konnte der aus England stammende Ingenieur William Lindley sich erfolgreich für eine öffentliche Wasserversorgung einsetzen.
Mit der Eröffnung der Stadtwasserkunst 1848 verlor Johann Friedrich Bentz seine Arbeit. Der Wasserträger hatte seine Schuldigkeit getan und starb am 15. März 1854 im Werk- und Armenhaus der Stadt. Man beerdigte ihn auf Kosten der Allgemeinen Armenanstalt in einem Armengrab. Er wurde wie die anderen Armen in einer sehr flachen Kiste beerdigt, die im Volksmund „Nasenquetscher“ hießen. Am Begräbnistag erschien in den „Hamburger Nachrichten“ die folgende Notiz: „Eine fast in der ganzen Stadt, und vornähmlich in der Neustadt, bekannte Persönlichkeit, der Arbeitsmann und Wasserträger Wilhelm Hummel, ist in diesen Tagen gestorben.“
Ein bis heute berühmtes Original
Hummel ist vor allem durch Geschichten und Beschreibungen von Zeitgenossen in Erinnerung geblieben. Emilie Weber hat Bentz in ihren „Jugenderinnerungen“ so beschrieben: „Er war ein Wasserträger, ein unschädlicher, harmloser Gemütskranker. Er ging immer mit seiner Tracht auf dem Rücken und schlenkerte mit seinen beiden Eimern hin und her. Diese Bewegungen begleitete er mit lautem Gesang, und es kümmerte ihn wenig, ob er dabei die Hälfte des Wassers verschüttete. Hochvergnügt zog er durch die Straßen, begleitet und geneckt von unserer lieben Straßenjugend.“ War Bentz also hochvergnügt und nicht griesgrämig? So genau kann das niemand mehr sagen. Aber ein Original, das war er auf jeden Fall.
Nach seinem Tod brachte das Varieté-Theater ein Volksstück über Hummel auf die Bühne. Mit dem echten Wasserträger hatte dieser Theater-Hummel nicht viel gemein. Der Theaterhistoriker Paul Möhring hat über die Aufführungen dieses Stücks geschrieben: „Der beliebte Volkskomiker Charles Schultz soll als der populäre Wasserträger allabendlich Lachstürme hervorgerufen haben.“ Dem echten Hummel ist das nie gelungen und er hat es wahrscheinlich auch nicht angestrebt. Das Stück war so erfolgreich, dass es mehr als 400 Mal gespielt wurde.
Jahre später kam ein neues Hummel-Volksstück zur Aufführung. Paul Möhring hatte es sich zur Aufgabe gemacht, „ihn lebenswahr ins Rampenlicht zu stellen“. Sein Volksstück „Hummel! Hummel!“ beginnt so:
In Hamborg an de Waterkant
Bin ick bi jerdereen bekannt!
Ich bin een echt Hamburger Bloot.
Bin Hummel mit dem hogen Hoot!
Mien Slachtroop is jo grood nich fein
Und ook gewiß nich stubenrein,
doch jeder hier in Hamburg weet
mien Antwort. Wenn de Gören schreet:
Hummel! Hummel! – Mors! Mors!
Die Uraufführung im Ohnsorg-Theater war ein großer Erfolg und Paul Möhring war mit der Leistung des Hauptdarstellers Ernst Grabbe sehr zufrieden, das Publikum auch. Von dem Möhring-Biografen Joachim Redetzki erfahren wir allerdings: „Der ‚Hummel‘ ist seit dieser Serie nicht wieder gezeigt worden. Es schien tatsächlich so zu sein, dass das Publikum den Hummel als eine der volkstümliche Hamburger ‚Typen‘ sehen wollten und nicht als tragikomische Figur.“ Demgegenüber hat das Stück „Zitronenjette“ von Paul Möhring bisher weit mehr als 1.000 Aufführungen erlebt, allerdings entgegen den Intentionen des Autors häufig in einer ins Komische verzerrten Version. Mehr dazu im Kapitel über Zitronenjette.
1938 ließ der Verein geborener Hamburger auf einem Platz am Rademachergang in der Neustadt ein Brunnendenkmal für Hummel aufstellen. An einem angrenzenden Wohnhaus wurde die Skulptur eines Jungen angebracht, der Hummel sein Hinterteil entgegenstreckt. Hummel-Denkmal und Junge hat Dietmar Kuöhl gestaltet.
2003 tauchten mehr als hundert lebensgroße Hummel-Figuren aus Kunststoff in der Hamburger Innenstadt auf. Wie waren von Künstlern bemalt worden und so populär, dass sie bis 2006 zu bestaunen waren und nicht wie ursprünglich geplant nur bis zum Oktober 2004. Am 23. Juni 2006 versteigerte man die Figuren zugunsten der Initiative „Ein Dach für Obdachlose“. Es kamen 343.000 Euro zusammen. Einzelne der Kunststoff-Hummel sind noch in der Stadt zu entdecken.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro