Die erhalten gebliebene Westmauer des Tempelplateaus ist heute für Jüdinnen und Juden ein Ort des Gebete
Die erhalten gebliebene Westmauer des Tempelplateaus ist heute für Jüdinnen und Juden ein Ort des Gebetes. Foto: iStock.com/lucky-photographer

Tempel in Jerusalem

 

Der Tempel in Jerusalem war für alle Juden das wichtigste religiöse Zentrum, das auch von Maria, Josef und dem 12-jährigen Jesus besucht wurde. Für die Gläubigen in Galiläa war es allerdings mühsam, die über 100 Kilome­ter bis Jerusalem zurückzulegen und dabei das Land der Samariter, mit denen sie in ständigem Kon­flikt lebten, zu durchqueren oder weiträu­mig zu umgehen. Der Tempel war auf Initiative von König Hero­des prachtvoller neu errichtet worden, als er jemals zuvor gewesen war. Bis zu 40 Metern war der Tempel hoch, und die Tempelanlage war mit mehr als 14 Hek­tar sehr ausgedehnt. Im Stil erinner­te der Herodesbau an hellenistisch-römi­sche Monumen­tal­bauten und konnte jedem Vergleich mit Tempeln in Rom standhalten. Noch lange nach dem Tod von König Herodes wurde am Tempel gebaut, und erst im Jahre 66 war er fertiggestellt. Aber schon vier Jahre später wurde er als Reaktion auf einen jüdischen Aufstand von den römischen Besatzungstruppen zerstört.[1]

 

Wie prächtig der Tempel gewesen sein muss, erfahren wir von dem jüdischen Historiker Flavius Josephus, der im Jahre 80 im Rückblick schrieb: „Der äußere An­blick des Tempels bot alles dar, was Auge und Herz entzücken konnte. Auf allen Sei­ten mit schweren goldenen Platten bekleidet, schimmerte er bei Sonnenaufgang im hellsten Feuerglanz und blendete das Auge gleich den Strahlen des Tagesge­stirns. Fremden, die nach Jerusalem pilgerten, erschien er von fern wie ein schnee­bedeckter Hügel; denn wo er nicht vergoldet war, leuchtete er in blendender Weiße.“[2]

 

Der Tempel als religiöses und ökonomisches Zentrum

 

Drei Mal im Jahr kamen große Pilgergruppen in die Stadt Jerusalem, zum Passah-Fest im Frühjahr (Erinnerung an den Auszug aus Ägypten), zum Schawuot-Fest im Frühsommer (Feier der Weizenernte) und in besonders großer Zahl zum Laub­hüt­tenfest Sukkot im Herbst. Dieses Fest dauerte sieben Tage, und mit einem Teil des Zehnten der Ernte, den die Gläubigen zum Tempel gebracht hatten, wur­den fröhliche Festessen gefeiert. Die 40.000 Einwohner-Stadt Jerusalem beher­bergte in die­ser Zeit mehr als 100.000 Pilger aus allen jüdischen Gemeinden rund um das Mit­telmeer. Diese Menschenansammlungen waren für die römischen Besatzer immer ein Anlass zur Beunruhigung und zur Stationierung von ausreichend vielen Soldaten in der Stadt, um möglichen Unruhen sofort mit abschreckender Gewalt begegnen zu können. Aber meist ging es friedlich im Tempel zu – und laut. Auf dem Tempelplatz im Zentrum der Anlage herrschte ein reges Treiben. Geldwechsler priesen ihre Diens­te an, und nebenan wurden Lämmer und Tauben feilgeboten, die die Pilger für ihre Opfer benötigten.[3]

 

Der Tempel war nicht nur das religiöse Zentrum des Judentums, sondern besaß auch eine große ökonomische Bedeutung für die Stadt Jerusalem. Darin unterschied er sich nicht von anderen großen Tempeln und religiösen Heiligtümern der An­tike. Angesichts der sehr engen Verflechtung von religiösem, politischem und wirtschaftlichem Leben fungierte der Tempel in Jerusalem auch als Schatzkammer, Finanzamt, Bank und Münzprägeanstalt.[4] Es bestand die Möglichkeit, Ersparnisse im Tempel zu deponieren und vor Diebstahl zu schützen. Der gute Ruf dieser „Tem­pelbank“ hing natürlich davon ab, dass die Gelder sicher verwahrt wurden. Im 2. Jahrhundert v. Chr. konnte das Vermögen, das in der Schatzkammer des Tempels lagerte, nur mit göttlicher Hilfe vor dem Zugriff der Gefolgsleute eines fremden Herr­­schers geschützt werden.[5] Geplündert wurde der Tempelschatz dann kurz vor der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. durch die Römer. Als die jüdische Bevöl­kerung sich weigerte, Steuern an Rom zu zahlen, bediente sich die imperiale Macht selbst im Tempel und ließ den erbeuteten Schatz nach Rom schaffen. Aber zu Lebzeiten Jesu war der Tempel noch unangefochten und prachtvoll das religiöse und auch wirtschaftliche Zentrum des Judentums.

 

Tempelsteuer und Sühneopfer

 

Für alle Juden war die Zahlung der jährlichen Tempelsteuer verpflichtend. Die Steuer musste von jedem männlichen Familienmitglied entrichtet werden und hatte unabhängig von der finanziellen Situation für alle die gleiche Höhe. Zu Lebzeiten Jesu war die Tempelsteuer etwa doppelt so hoch wie die – verhasste – römische Kopfsteuer. Die Tempelsteuer zu verweigern, war gleichbedeutend mit dem Abfall vom jüdischen Glauben. Diese Steuer diente dem Unterhalt des Tempels und der Aufrechterhaltung des Opferkults. Zusätzlich wurde der Zehnte, ein Zehntel aller für den menschlichen Genuss bestimmten Feldfrüchte, bei der jährlichen Wallfahrt zum Tempel in Jerusalem bezahlt.[6]

 

Sühneopfer in Gestalt von Tieropfern mussten unter Einhaltung genauer religiöser Vorschriften von den Priestern ausgeführt werden. Jeden Tag musste zwei Mal während der Gottesdienste Brandopfer dargebracht werden, eine der wichtigsten Auf­­gaben der Priester.[7] Michael Tilly, Experte für das antike Jerusalem, verweist darauf, dass die fortwährenden Opferhandlungen nicht nur dem Streben nach Sühne und Sündenvergebungen entsprangen: „Von ebenso hoher Bedeutung wie die Sühnefunktion des zentralisierten Tempelopfers war auch der Gedanke, dass der Kosmos durch den Jerusalemer Tempel als Mikrokosmos repräsentiert wird und dass die ritualgerechte Opferkult- und Festpraxis unmittelbar mit der kosmischen Ordnung zusammenhängt. Der Opferkult im Tempel sollte das Geschehen in der Welt beeinflussen. War das Tempelopfer in Ordnung, war auch die Welt in Ordnung.“[8]

 

 © Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Vgl. u. a. Joachim Schaper/Michael Tilly: Tempel, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, S. 581ff. sowie Jérome Murphey-­O-Connor: Das Herz Jerusalems zur Zeit Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 2/2007 S. 12f.

[2] Zitiert nach: Jérome Murphey-O-Connor: Das Herz Jerusalems zur Zeit Jesu, a.a.O., S. 13

[3] Eine lebendige Darstellung des Lebens im Tempel bietet Gesa Gottschalk in ihrem Beitrag „Im Zentrum des Glaubens“, Geo Epoche, Nr. 45, Das Heilige Land, Hamburg 2010, S. 102ff.

[4] Vgl. Joachim Schaper: Schatzhaus, Bank und Prägeanstalt, in: Gott und das Geld, Welt und Umwelt der Bibel, 1/2008, S. 29

[5] Vgl. Der gute Ruf der Tempelbank, in: Gott und das Geld, Welt und Umwelt der Bibel, 1/2008, S. 30f.

[6] Vgl. Joachim Schaper/Michael Tilly: Abgaben, in: Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, a.a.O., S. 1ff.

[7] Vgl. Michael Tilly: Opferkult für die Weltordnung …, Welt und Umwelt der Bibel, 2/2004, S. 62f.

[8] Ebenda, S. 62