Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1660 – Gerrit Roosen wird Prediger der Mennoniten-gemeinde in Altona

Anfang des 17. Jahrhunderts wurde den Mennoniten in Altona die Ausübung ihres Glaubens erlaubt, ebenso Katholiken, Reformierten und Juden. Der Landesherr Graf Ernst von Schauenburg hoffte darauf, dass die Einwanderer aus religiösen Minderheiten ganz wesentlich zum wirtschaftlichen Wohlergehen Altonas beitragen würden. Für die Glaubensflüchtlinge wie die Mennoniten, die seit 1575 aus dem katholischen Teil der Niederlande kamen, war Altona eine hoch geschätzte neue Heimat.

Diese Glaubensgemeinschaft war andernorts Verfolgungen ausgesetzt, weil sie die Erwachsenentaufe praktizierte (die manche Länder mit der Todesstrafe bekämpften) und aus der Bibel pazifistische Überzeugungen gewonnen hatte. In Altona waren die Mennoniten vom Kriegsdienst befreit. Mennoniten, Calvinisten (Reformierte) und Katholiken konnten in der Straße Große Freiheit eigene Kirchen bauen. Auch eigene Friedhöfe durften sie anlegen, was ihnen in Hamburg untersagt worden war.

Gerrit (oder Gerhard) Roosen wurde am 8. März 1612 in Altona geboren. Sein Vater Paul Roosen war Gerbermeister und (ehrenamtlicher) Diakon der Mennonitischen Gemeinde. Gerrit Rosen machte eine Krämerlehre in Hamburg und betätigte sich anschließend als Strumpfhändler. Einzelheiten über seine berufliche Tätigkeit sind nicht bekannt. Möglicherweise war er auch am Walfanggeschäft beteiligt.

Ein erfolgreicher Kaufmann und angesehener Prediger der Mennonitengemeinde in Altona

Er muss wirtschaftlich so erfolgreich gewesen sein, dass es den späteren Reichtum der Familie Roosen begründete und sich neben der Unterstützung der eigenen Gemeinde eine große Spende für den Bau des Kirchturms von St. Michaelis leisten konnte. 1640 heiratete er Maria Amourn, die Tochter seines Lehrherrn. Im folgenden Jahr zog die neu gegründete Familie in die Böhmkenstraße in Hamburg. Gerrit und Maria Roosen hatten zehn Kinder, von denen drei im Kindbett starben.

Nach dem Tod seines Vaters wurde Gerrit Roosen in dessen Nachfolge zu einem Diakon der Mennonitengemeinde gewählt. Er erlangte große Anerkennung durch seine Fähigkeit, Glaubensinhalte gut verständlich zu vermitteln, und durch sein Verhandlungsgeschick, die Einheit der Gemeinde weitgehend zu bewahren. 1660 erfolgte seine Wahl zum (Laien-)Prediger der Gemeinde. Drei Jahre später übernahm er auch das Amt des Ältesten und war nach mennonitischer Tradition nun auch berechtigt, zu taufen und das Abendmahl auszuteilen.

Er hielt über 700 Predigten, von denen viele gedruckt wurden und erhalten geblieben sind. Auch veröffentlichte er eine größere Zahl von Schriften, die weite Verbreitung fanden. Das gilt vor allem für seine Katechismen (Lehrbücher mit grundlegenden Glaubensinhalten) und Glaubensbekenntnisse. Aber auch zu Fragen wie konfessionsverschiedener Ehen bezog er klare Positionen, die für viele Mennoniten eine Orientierung im alltäglichen Leben boten. Während er auf Niederländisch predigte, verfasste er katechetische Instruktionen auf Deutsch.

Roosen trug entscheidend dazu bei, dass die Mennonitengemeinde 1675 die erste Kirche an der Großen Freiheit in Altona eröffnen konnte. Er hatte die reichen mennonitischen Walfang-Reeder überzeugt, fünf Prozent ihrer Erlöse einer Fangsaison für den Bau der Kirche zu spenden. Leider wurde diese Holzkirche bereits 1713 ein Opfer der Flammen, als schwedische Truppen im Verlauf des Nordischen Krieges die Stadt Altona niederbrannten.

Ein Berater europäischer Mennonitengemeinden, der bestrebt ist, die Einheit dieser Gemeinden zu fördern

Roosen unternahm viele Reisen, um Gemeinden in anderen Teilen Deutschlands, in den Niederlanden und in Polen zu besuchen und dort Konflikte beizulegen. Er gehörte zu den bekanntesten und einflussreichsten mennonitischen Predigern des 17. Jahrhunderts. Er war intensiv bemüht, die Mennoniten zu einer anerkannten religiösen Gemeinschaft nicht nur in Altona, sondern auch in Hamburg und andernorts zu machen. Eine Schwierigkeit war dabei zweifellos die von den Mennoniten praktizierte Erwachsenentaufe, die Roosen verteidigte. Er war aber bestrebt, sich von jener Täufer-Bewegung abzugrenzen, die in den 1530er Jahren eine radikal-apokalyptische Herrschaft in Münster aufgebaut hatten und mit Gewalt vernichtet worden war. Roosen betonte die Gründung seiner Kirche durch Menno Simons, der in einem Haus, der Mennokate, in Bad Oldesloe gelebt hatte. Auch grenzte er sich gegenüber den in Hamburg verbotenen Quäkern ab.

Als großes Problem für die Hamburger und Altonaer Mennoniten erwies sich die im 16. Jahrhundert weit verbreitete Tendenz zu Spaltungen in dieser Kirche. So stritten die Gemeindemitglieder heftig darüber, ob bei der Taufe das Untertauchen erforderlich oder auch die Besprengungstaufe möglich sein sollte. Zwischen 1649 und 1656, also vor der Übernahme der Leitung der Gemeinde durch Roosen, wurden mehrfach Angehörige der Gruppe der „Dompelaars“ (Untertaucher) aus der Gemeinde ausgeschlossen.

Roosen befürwortete die Taufe ohne Untertauchen, baute aber Brücken zur abgespaltenen Gruppe und lud später sogar einen ihrer Prediger ein, in der Gemeinde zu predigen. Eine Spaltung der Gemeinde war allerdings nicht zu verhindern zwischen jenen, die Glaubensbekenntnisse als gemeinsame Grundlage der Kirche propagierten (zu denen Roosen gehörte), und denen, die freie Gemeinden forderten, die aus eigener Kraft die Bibel auslegten.

Die Integration der Mennoniten in die Gesellschaft

Roosens Bemühungen um die Integration der Mennoniten in ihr gesellschaftliches Umfeld wurde dadurch erleichtert, dass viele von ihnen sehr erfolgreiche Kaufleute und Reeder waren. So hatten sie eine führende Position im sehr lukrativen Hamburger und Altonaer Walfang. In Hamburg betrieben sie Ende des 17. Jahrhunderts die Hälfte der Walfangreedereien.

Die Integration der Mennoniten wurde auch dadurch begünstigt, dass sie als sehr kleine Kirche keine Rolle in den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts spielten, zumal sie als Friedenskirche eine pazifistische Tradition hatten. Roosen vertrat auch in Fragen des Pazifismus eine klug-abwägende Position. So verbot er den mennonitischen Reedern, auf ihren Schiffen Kanonen mitzuführen, erkannte aber das Recht und die Pflicht der Staaten an, sich zu verteidigen.

Gerrit Roosen nahm bis zum Alter von 88 Jahren seine Aufgaben in der Gemeinde wahr. Er starb am 20. November 1711 im biblischen Alter von 99 Jahren an einer Blutvergiftung, die er sich beim Holzhacken zugezogen hatte.

Seit 1861 gibt es eine Gerritstraße in Altona, die an den Kaufmann und Prediger Gerrit Roosen erinnert. Die Roosenbrücke in der Hamburger Neustadt sowie Roosens Weg und Roosens Park in Othmarschen halten die Erinnerung an die Mennonitenfamilie wach. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann