Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1767 – Gotthold Ephraim Lessing wird Dramaturg am „Deutschen Nationaltheater“ in Hamburg

„… daß davon ist keine Notiz zu nehmen“ wäre, ordnete die Hamburger Obrigkeit am 7. März 1781 an. Gemeint war der Tod des Dichters Gotthold Ephraim Lessing. Der Rat wollte verhindern, dass Nachrufe erscheinen und der Dichter gelobt werden könnte. Lessing war eine Unperson, und dabei hatte er sich zeitlebens für Humanität und Toleranz eingesetzt. Geboren wurde er am 22. Januar 1729 in Kamenz in der Lausitz. Sein Vater, ein strenggläubiger Theologe, und ein Hauslehrer erteilten ihm Unterricht, bevor er auf die Lateinschule seiner Heimatstadt wechselte.

Er erhielt bald darauf ein Stipendium für den Besuch der Fürstenschule in Meißen. Diese Schule konnte er vorzeitig abschließen, weil der Rektor zum Ergebnis gekommen war, dieser Schüler zeichne sich durch eine so große Gelehrsamkeit aus, dass er keiner weiteren Schulbildung bedurfte. Mit 17 Jahren begann er, der Familientradition folgend, ein Theologiestudium in Leipzig. In diese Zeit fallen auch die ersten literarischen Veröffentlichungen, die in den „Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüths“ erschienen, von einem Vetter in Hamburg herausgegeben.

Lessing entscheidet sich, Dichter zu werden

Das Vergnügen des Gemüts Lessings wandte sich rasch von der Theologie ab und der Dichtkunst zu. In seinem ersten Lustspiel „Der junge Gelehrte“ verspottete er die Eitelkeit und „Buchstabenkrämerei“ von „Gelehrtchen“. Das Stück wurde mit großem Erfolg von der Neuberschen Truppe aufgeführt, einer bedeutenden Wandertheatertruppe des 18. Jahrhunderts, die wesentlich dazu beitrug, dem anspruchsvollen Theater in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.

Lessing schloss das Studium ab und hatte da schon beschlossen freier Schriftsteller zu werden, der von seiner Tätigkeit den Lebensunterhalt bestreiten wollte. So jemanden hatte es vor ihm nicht gegeben. Hohe finanzielle Erwartungen hatte er nicht: „Was tut mir das, ob ich in der Fülle lebe oder nicht, wenn ich nur lebe.“ Und wie zu befürchten, war es ein mühsamer Weg zu bescheidenen Einkünften, dies umso mehr, als der junge Mann nicht zögerte, selbst berühmte Persönlichkeiten mit Spottversen zu bedenken. Voltaire, der zu dieser Zeit in Berlin lebte, verzieh ihm das nie und verhinderte, dass Lessing jemals eine Anstellung in Preußen bekam. Das umso weniger, als er auch die Kriegspolitik von Preußenkönig Friedrich II. kritisierte.

Die Berufung ans Deutsche Nationaltheater in Hamburg

Nach vergeblichen Versuchen, von seiner literarischen Arbeit zu leben oder doch noch eine Anstellung in Berlin zu finden, nahm Lessing 1760 das Angebot an, als Sekretär eines Generals nach Breslau zu gehen. Diese Tätigkeit war nicht sehr anspruchsvoll und ließ ihm genügend Zeit für seine literarische Arbeit. Alle Bemühungen um eine andere Tätigkeit scheiterten zunächst, aber dann wurde er 1767 zum Dramaturgen des gerade in Hamburg gegründeten Deutschen Nationaltheaters berufen.

Das Theater am Gänsemarkt betrieben zwölf Hamburger Kaufleute, die viel Enthusiasmus, aber ziemlich wenig Kapital in das „Entreprise“ einbrachten. Lessing inszenierte an diesem Theater die Uraufführung seines Stücks „Minna von Barnhelm“, das sofort einen diplomatischen Eklat auslöste. Ein Eklat um ein Lustspiel? Was heute ein unterhaltsames Stück auf vielen Bühnen ist, erboste den preußischen Gesandten in der Hansestadt noch vor seiner Uraufführung: Ein Stück, in dem jemand im preußischen Offiziersrock auf die Bühne kam, das hatte noch niemand gewagt. Lessing wagte es und hatte mit seinem Stück beachtlichen Erfolg. Aber: Das Publikum forderte nach einigen Tagen eine Erweiterung des Stücks um ein flottes Ballett. Da Preußen dann doch noch ein Verbot des Stückes durchsetzte, war Lessing zumindest von der Ballettfrage befreit.

Um das Interesse am Nationaltheater zu erhöhen und Verständnis für anspruchsvolle Stücke zu wecken, gab Lessing die Theaterzeitschrift „Hamburgische Dramaturgie“ heraus. Darin setzte er sich auch kritisch mit den eigenen Aufführungen auseinander - und den Leistungen der beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler. Das führte zu einem Aufstand des Ensembles. Wirtschaftlich waren weder Theater noch Zeitschrift ein Erfolg. Das Deutsche Nationaltheater musste trotz (oder wegen?) des hohen Niveaus und hervorragender Schauspieler wie Conrad Ekhof nach eineinhalb Jahren schließen. Die Zuschauer erwarteten Amüsement und kein ernsthaftes Theater.

Lessing war wieder ohne festes Einkommen. Er blieb in Hamburg und schrieb an seiner „Hamburgischen Dramaturgie“, einem grundlegenden Werk über die Aufgaben des ernsthaften Theaters, vor allem der Tragödie. Der Dichter genoss in Hamburg offenkundig das gesellige Leben mit gebildeten Freunden und war häufiger Gast im „Baumhaus“, einem beliebten Lokal am Baumwall. Dort trat der Dichter nicht im Stile Spitzwegs als armer Poet auf, sondern war modisch gekleidet mit weißen Kniestrümpfen und hellbraunem Frack.

Der Streit mit Goeze

Ihm blieb nun auch genügend Zeit für intellektuelle Auseinandersetzungen, zu denen er polemisch und witzig beitrug. AIs Verfechter der Aufklärung und der künstlerischen Freiheit war Lessing vor allem mit dem orthodox-lutherischen Hauptpastor Johann Melchior Goeze in Streit über die Sittlichkeit des Schauspiels geraten. Dieser Streit erregte die Gemüter der Hanseaten wie heutzutage das letzte Bundesliga-Lokalderby, und jede Woche gab es neue polemische Briefe und Erklärungen. Der Rat der Stadt war beunruhigt und verbot schließlich weitere Debatten in dieser Sache.

Um finanziell besser dazustehen, gründete Lessing gemeinsam mit dem Schriftsteller Johann Joachim Christoph Bode eine Druckerei und einen Verlag. Nur fehlten dem Vorhaben sowohl Kapital als auch kaufmännische Kenntnisse. Zudem schmälerten Raubdrucke die Einnahmen. Lessing zog sich rasch resigniert aus diesem Unternehmen zurück. Bode machte weiter und gab gemeinsam mit Matthias Claudius den „Wandsbecker Boten“ heraus. Die Zeitung wurde viel gelobt, musste aber mangels Käufern bald wieder eingestellt werden.

Der Wechsel als Bibliothekar nach Wolfenbüttel

Da lebte Lessing, ein Freund von Claudius, längst nicht mehr in der Hansestadt. Er war in den knapp vier Hamburger Jahren berühmt geworden, stand aber zugleich vor dem finanziellen Ruin. 1770 nahm er deshalb eine Stelle als Bibliothekar in der Residenzstadt Wolfenbüttel an. Trotz intensiver Arbeit bei der Neuordnung der wertvollen Bibliothek blieb ihm Zeit für seine literarischen Arbeiten und für weitere Auseinandersetzungen mit den Gegnern der Aufklärung. Er war in seiner Hamburger Zeit mit dem Aufklärer Hermann Samuel Reimarus < S. 210 > befreundet und hatte ein Manuskript lesen dürfen, in dem dieser sich mit Bibel und christlichem Glauben auseinandersetzte.

Reimarus, sehr viel weniger streitlustig als Lessing, hatte das Manuskript nie veröffentlicht, musste er doch damit rechnen, geächtet und aus der Stadt vertrieben zu werden. Nach dem Tod des vorsichtigen Aufklärers war es Lessing, der Teile des Manuskriptes unter dem Titel „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ veröffentlichte. In Hamburg sprach sich bald herum, wer die „Fragmente eines Ungenannten“ verfasst hatte, und da der nicht mehr zu belangen war, richtete sich der Zorn gegen Lessing, dem Herausgeber des Werkes. Hauptpastor Goeze sprach vom „Samen der Rebellion“, und wie zu erwarten reagierte Lessing mit polemischen Repliken.

Die Entstehung des Theaterstücks "Nathan der Weise"

Der Braunschweiger Herzogs, der Arbeitgeber Lessings, verbot diesem schließlich, die öffentliche Auseinandersetzung fortzuführen. Lessing ließ sich nicht zum Schweigen bringen und schrieb ein bis heute aktuelles Stück über die Toleranz: „Nathan der Weise“. In Hamburg löste auch das Theaterstück heftige Debatten aus und nur wenige Freunde sollen Partei für Lessing ergriffen haben.

Immerhin, der Braunschweiger Herzog hatte 1776 ein Einsehen und erhöhte Lessings dürftiges Bibliothekarsgehalt endlich deutlich, sodass dieser sich in der Lage sah, eine Familie zu gründen. Er heiratete am 8. Oktober 1776 Eva König. Da war Lessing bereits 47 und seine Frau 40 Jahre alt. Das Eheglück währte nur ein Jahr, dann starb die Ehefrau bei der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes, auch der Sohn überlebte nicht. Betrübt schrieb Lessing einem Freund: „Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.“

Heinrich Heine, der Lessing in Hamburg kennengelernt hatte, schrieb im Rückblick: „Ein Unglück gab es, worüber sich Lessing nie gegen seine Freunde ausgesprochen: dieses war seine schaurige Einsamkeit, sein geistiges Alleinsein. Einige seiner Zeitgenossen liebten ihn, keiner verstand ihn.“ Am 15. Februar 1781 starb Lessing, von vielen geschätzt, aber eben doch einsam.

 

Ein ganzes Jahrhundert dauerte es, bis in Hamburg ein Lessing-Denkmal errichtet wurde. Zwei Jahrzehnte vorher war immerhin bereits eine Straße in Hohenfelde nach dem unbequemen Gelehrten und Dichter benannt worden.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann