Mit dem Schiff zum Nordpol?

 

Der Rückgang des Eises in der arktischen Region ist dramatisch. Im November 2004 wurde der Bericht „Arctic Climate Impact Assessment veröffentlicht, an dem 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitgearbeitet haben. Der Bericht war bereits im Oktober 2004 fertig, die offizielle Präsentation erfolgte aber erst nach den US-Präsidentschaftswahlen – auf Druck der Bush-Administration, waren die meisten der beteiligten Wissenschaftler überzeugt. Im Wahlkampf sollte nicht bekannt werden, dass die in den USA so beliebten Eisbären vom Aussterben bedroht sind, und dies vor allem wegen des hemmungslosen Energieverbrauchs und der Erzeugung von Treibhausgasen durch die US-Amerikaner. Die USA sind mit etwa 20 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen beteiligt. Die Bush-Adminis­tration weigerte sich, das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, mit dem Maßnahmen zum Klimaschutz durchgesetzt werden sollten. Die Regierung wollte kein Abkommen unterzeichnen, das das Wirtschaftswachstum im eigenen Land vermindern könnte.

 

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung" sind in den letzten Jahren zur Erkenntnis gekommen, dass sich die Arktis mindestens doppelt so rasch erwärmt wie der Globus als Ganzer. Eines von vielen Daten, die dies belegen, war die Temperatur von plus sechs Grad Celsius in der Polarnacht Nordgrönlands im Februar 2018. Zu dieser Zeit registrierten die Forscher eine arktische Eisfläche von 14 Millionen Quadratkilometern und damit den niedrigsten Wert seit Beginn der Satellitenmessungen der Eisfläche im Jahre 1978.

 

Auch im Durchschnitt der Februar-Messungen nimmt die Eisfläche jedes Jahrzehnt um 2,75 Prozent ab. Das hat im Frühjahr 2019 das Alfred-Wegener-Institus für Polar- und Meeresforschung als Ergebnis seiner Forschungen zur Eisdrift in der Arktis veröffentlicht. Bisher bildete sich ein Großteil des arktischen Eises in den flachen Schelfmeeren vor den Küsten Sibiriens und driftete dann zwei bis drei Jahre durch das nördliche Eismeer, um schließlich zwischen Island und Grönland auf wärmere Wasser- und Lufttemperaturen zu treffen und allmählich zu schmelzen.

 

Inzwischen schmelzen aber 80 Prozent des neuen Eises vor den Küsten Sibiriens und nur 20 Prozent driften durch das Nordpolarmeer. In Kombination mit der Erwärmung der polaren Regionen wird dies nach den Erkenntnissen der Forscher dramatische Folgen haben. Es ist zu befürchten, dass der Nordpol ab etwa 2040 von Schiffen überquert werden kann.

 

Diejenigen, die sich an Bilanzzahlen orientieren und nicht an der Überlebensfähigkeit unseres Planeten, beschäftigen sich mit den neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten durch das Abschmelzen der Eismassen im arktischen Raum. So wird angenommen, dass es nun leichter möglich wird, die großen Vorräte an Erdgas, Erdöl, Kupfer und anderen Bodenschätzen in der russischen Arktis zu fördern. Auch im Polarmeer ist mit vermehrten Explorationsversuchen zu rechnen, wobei schon der Streit entbrannt ist, welches Land auf welche Schätze unter dem Meeresgrund Anspruch hat.

 

Wirtschaftlich interessant ist auch, dass die Nordwestpassage vom Atlantik zum Pazifik durch das kanadische Nordmeer nun länger im Jahr eisfrei und für Handelsschiffe befahrbar ist. Während sich die USA und Kanada darüber streiten, ob dies ein kanadischer oder internationaler Seeweg ist, befürchten Umweltschützer, dass die Durchfahrt von großen Öltankern durch die Nordwestpassage zu Umweltkatastrophen führen könnte. Ähnliche Befürchtungen bestehen im Blick auf eine Befahrbarkeit der Nordostpassage entlang der russischen Küste von Norwegen bis zur Beringsee.

 

In dieser Situation erheben die indigenen Völker der Arktis gemeinsam die Stimme für entschiedene Maßnahmen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe. Nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse der ­Studie „Arctic Climate Impact Assessment“ erklärte Geir Tommy Pedersen vom Rat der Saami im November 2004: „Das Erste, um das wir alle Indu­strienationen bitten, sind Maßnahmen zur Verlangsamung der globalen Erwärmung.“ Sheila Watt-Cloutier, Vorsitzende der Vereinigung der Inuit der arktischen Region, sagte angesichts der Ergebnisse der Studie: „Wir befinden uns am Scheidepunkt in der Geschichte unseres Planeten. Die Erde ist im wahrsten Sinne des Wortes am Schmelzen.“ Und sie fügte hinzu: „Schützt die Arktis und ihr schützt diesen Planeten.“

 

© Frank Kürschner-Pelkmann