Politisches Engagement ist unverzichtbar

 

„Das heute vorherrschende Steuerungssystem des freien Marktes allein erweist sich als unfähig, wirtschaftliche Effizienz, soziale Gerechtigkeit und ökologische Zukunftsfähigkeit auf verträgliche Weise miteinander zu verbinden. Noch weniger ist es imstande, dauerhaft Frieden, demokratische Partizipation und kulturelle Vielfalt zu schaffen bzw. zu sichern, wenn es nicht von einem Konsens in grundlegenden Wertfragen getragen ist.

 

Dazu bedarf es einerseits ordnungspolitischer Maßnahmen, die den marktwirtschaftlichen Wettbewerb in die gewünschte Richtung zu lenken vermögen, andererseits ausgleichende Interventionen, um die Bedürfnis- und Chancengerechtigkeit aller Menschen zu gewährleisten.“ So hat die „Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz“ in ihrer Studie „Die vielen Gesichter der Globalisierung“ die Notwendigkeit einer politischen Gestaltung der Globalisierung auf nationaler und internationaler Ebene begründet.[1]

 

Dass politisches Handeln gefragt ist, um der Globalisierung ein menschliches Gesicht zu geben, ist in den Kirchen der Welt weitgehend unbestritten. Der „unsichtbaren Hand“, die nach Auffassung klassischer westlicher Ökonomen das Marktgeschehen steuert und allen dient, vertrauen besonders die Opfer des gegenwärtigen Globalisierungsprozesses nicht. Deshalb sind ein starker und verantwortungsbewusster Staat und eine politisch wirkungsvolle Zivilgesellschaft erforderlich, um dem Globalisierungsprozess eine soziale und ökologisch verantwortbare Richtung zu geben.

 

Dazu gehört, dass Regierungen und Nichtregierungsorganisationen sich auf internationaler Ebene für eine andere Globalisierung einsetzen, zum Beispiel in internationalen Strukturen wie der Welthandelsorganisation oder dem Internationalen Währungsfonds. Dies ist ein komplizierter Prozess. Die Probleme beginnen damit, dass viele Regierungen keine demokratische Legitimation besitzen, despotisch regieren und in Wirtschaftsfragen unverantwortlich handeln.

 

Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Nutzung von Chancen, Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung zu nutzen

 

Dass in vielen Ländern starke Zivilgesellschaften entstanden sind, hat auch den Grund, dass die Regierungen sich als unfähig erwiesen haben, ihre Aufgaben wahrzunehmen. Deshalb müssen die Bürgerinnen und Bürger sich selbst helfen. Eine Grundlage für den Weg zu einer anderen Globalisierung ist deshalb eine Demokratisierung, verbunden mit der Einhaltung der Menschenrechte. Besonders in Afrika haben die Kirchen seit Anfang der 90er Jahre wesentlich dazu beigetragen, dass in vielen Ländern demokratische Wahlen stattfinden konnten, ein erster Schritt, dem weitere in Richtung auf eine umfassendere Demokratisierung folgen müssen.[2]

 

Da der Weg zu einer anderen Globalisierung beginnen muss, bevor es überall auf der Welt demokratische und verantwortungsbewusste Regierungen gibt, ist es notwendig, in jedem einzelnen Land die Möglichkeiten zu prüfen, durch Kooperation oder Konfrontation mit den Regierenden auf die Globalisierungspolitik einzuwirken. Die Kirchen können dabei mit Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Die vielen internationalen Verbindungen der Kirchen erlauben es zudem, einen Informationsaustausch und Bündnisse zu globalen Fragen wie GATS aufzubauen.[3]

 

Kern einer solchen Strategie ist es, die nationalen Chancen zu einer Umgestaltung der vorherrschenden Globalisierung zu nutzen und gleichzeitig konkrete Alternativen zu verwirklichen, wofür die lokale Ebene besonders wichtig ist. Beide Teile der Strategie hängen eng zusammen. Durch Reformen des bestehenden Systems wächst auch der Spielraum für alternative Konzepte, und der Nachweis, dass es funktionierende Alternativen gibt, unterhöhlt den Alleinvertretungsanspruch der Verfechter des Status quo.

 

Die Verantwortung der westlichen Kirchen

 

Große Erwartungen richten sich an die Kirchen im Norden, auf ihre Regierungen und Gesellschaften einzuwirken und selbst Zeichen zu setzen, damit das internationale Wirtschaftssystem nicht weiterhin zu krasser Verarmung im Süden führt. So haben die argentinischen Kirchen im Dezember 2001 einen „Brief an die Schwesterkirchen im Norden“ verfasst, in dem sie unter anderem schreiben: „Wir bitten Sie, alle Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Ihren Einfluss geltend zu machen, um auf Gerechtigkeit und Gleichstellung gegründete internationale Wirtschafts- und Handelsbeziehungen herzustellen. Wir bitten Sie auch, diese Mittel einzusetzen, um uns zu helfen, das Joch der Auslandsverschuldung zu erleichtern, das in dieser Situation Millionen Menschen Elend und Tod bringt. Angesichts der Ungerechtigkeit und der Ungehörigkeit dieser Schulden steht nicht nur die Solidarität auf dem Spiel, sondern die Ethik selbst. Wir bitten Sie, konkrete Zeichen des Verzichts zu Gunsten der Ärmsten des Südens zu setzen und Erweise konkreter Solidarität mit denen zu bringen, die heute am stärksten leiden.“[4]

 

Bei einer ökumenischen Konsultation in Soesterberg in den Niederlanden haben Vertreterinnen und Vertreter westeuropäischer Kirchen im Juni 2002 nach Antworten auf diese ökumenischen Anfragen gesucht. Es wurde sichtbar, wie viele Initiativen und gemeinsame Aktivitäten es in den Kirchen auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung bereits gibt. Gleichzeitig stehen die westeuropäischen Kirchen noch vor großen Aufgaben, wenn sie das Ziel der ökumenischen Solidarität ernst nehmen. In einem Brief der Soesterberg-Konsultation an die Kirchen in Westeuropa werden unter anderem als Aufgaben genannt: sich in einem ökumenischen Prozess stärker für Gerechtigkeit in der Wirtschaft einzusetzen, Ungerechtigkeiten in der ökonomischen Globalisierung zur Sprache zu bringen, Alternativen wie Oicokredit stärker zu fördern, eng mit Bürgerbewegungen und sozialen Bewegungen zusammenzuarbeiten und einen einfachen Lebensstil gegen die kulturellen Verhaltensmuster der Konsumideologie zu fördern.[5]

 

Ein glaubwürdiges Engagement für eine andere Globalisierung durch lokale Kirchengemeinden und Gruppen sowie auf nationaler Ebene kann der weltweiten ökumenischen Bewegung die Möglichkeit eröffnen, sich für grundlegende Veränderungen des Prozesses der Globalisierung einzusetzen. Notwendig ist dann allerdings, dass die Kirchen mit einer größeren Sachkompetenz in diese Debatten hineingehen. Das Sachwissen vieler engagierter Christinnen und Christen in Fragen der Ökonomie, der sozialen Auswirkungen von Verarmungsprozessen und der Alternativen zur vorherrschenden Globalisierung bietet hierfür eine gute Grundlage. Positiv zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit der „Werkstatt Ökonomie“ in Heidelberg und von „Südwind – Institut für Ökonomie und Ökumene“ in Siegburg.[6]

 

Bei der Kritik der gegenwärtigen Globalisierungsprozesse geht es nicht um eine pauschale Verurteilung, sondern um eine Darstellung, was diese Prozesse für die „Verlierer“ bedeuten. Außerdem kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass die gegenwärtig vorherrschende Form des Wirtschaftens in eine ökologische Katastrophe münden wird. Es macht Sinn, Reformen innerhalb des bestehenden Systems zu fordern und durchzusetzen, die die Situation der Armen in allen Teilen der Welt etwas verbessern. Vor allem wird es aber darauf ankommen, sich für grundlegende Alternativen einzusetzen und diese mit durchzusetzen.

 

Orientierungspunkte für das kirchliche Engagement

 

Ein zentraler Orientierungspunkt für die Suche nach Alternativen ist die Orientierung an den Bedürfnissen der Armen. Sie müssen zu Subjekten des Weges zu einer anderen Globalisierung werden. Leonardo Boff hat hierzu in einem Interview gesagt: „Die Solidarität muss immer unten anfangen, mit dem am meisten benötigten. Und es muss eine Bedingung erfüllt sein: Alle müssen Platz haben in der Kommunikationsgemeinschaft. Alle müssen sich zu Hause fühlen, das Wort ergreifen können und Gehör finden.“[7]

 

Ein zweites Kriterium ist die Bewahrung der Schöpfung. Fügt man dem hinzu, dass der Sinn des menschlichen Lebens sich nicht auf das Wirtschaften beschränkt, sondern viele andere spirituelle, kulturelle und soziale Bedürfnisse hinzukommen, so ergeben sich aus diesen Orientierungspunkten eine ganze Reihe von Konsequenzen.

 

Nicht der totale Konsum und Luxus für alle ist das Ziel, sondern eine Welt, in der alle genug haben. Die Verantwortlichen des Jesuiten-Ordens in Lateinamerika haben das Mitte der 90er Jahre so formuliert: „Wir fordern nicht die Gesellschaft der grenzenlosen materiellen Befriedigungen, sondern eine gerechte Gesellschaft, in der niemand vom Zugang zu den Grundgütern für die Selbstverwirklichung ausgeschlossen bleibt, wie Erziehung, Ernährung, Gesundheit, Wohnung und Sicherheit.“[8]

 

Dazu sind Eingriffe des Staates erforderlich, denn ein Markt ist nicht sozial, sondern dient denen, die viele gefragte Waren produzieren können, und denen, die über eine große Kaufkraft verfügen. Staatliche Interventionen müssen einerseits dem Ziel dienen, den Armen zu einem ausreichenden Auskommen zu verhelfen und andererseits dazu beitragen, dass sie in die Lage kommen, selbst ein höheres Einkommen zu erzielen. Den gängigen Forderungen nach wenig Staat oder dem „schlanken“ Staat muss also die Forderung entgegengestellt werden, einen Staat zu schaffen und zu stärken, der dafür sorgt, dass die Interessen der Armen zum Zuge kommen. Für die Kirchen bedeutet dies, dass sie der Kampagne für immer weniger Staat entgegentreten und sich zum Beispiel gegen geplante Steuersenkungen für Spitzenverdiener engagieren müssen, wenn der Staat ohnehin zu geringe Einnahmen hat. Es gibt viele Gründe, der öffentlichen Verarmung entgegenzutreten, ein wichtiger ist, dass damit die Möglichkeiten von Kommunen und Regierung, eine Politik zugunsten der Armen zu entwickeln, gefördert werden.

 

Außerdem gilt es, die niedrigen Löhne auf eine solche Höhe zu bringen, dass damit der Lebensunterhalt verdient werden kann. Das vor allem in den USA inzwischen weitverbreitete Problem der „working poor“, also der Beschäftigten mit Niedrigstlöhnen, muss entschieden bekämpft werden. Die Kirchen und ihre Mitglieder müssen sich gegen die Tendenz zu ungesicherten und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen zur Wehr setzen. Dazu sind auch die kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse und die kirchliche Zusammenarbeit mit Firmen zu überprüfen. Es ist zum Beispiel zu fragen, ob die untersten Gehaltsstufen im kirchlichen Dienst zu schlecht dotiert sind, ob die Gehaltsunterschiede zugunsten der schlechter Verdienenden verändert werden müssen und ob für Reinigungsaufgaben Firmen beschäftigt werden sollen, die preiswert sind, weil sie ihren Beschäftigten keine Tariflöhne zahlen. Jede Gemeinde kann also ganz konkret prüfen, ob sie von der weltweit zu beobachtenden Tendenz zu ungesicherten Arbeitsverhältnissen und zu einer schlechten Bezahlung der Tätigkeiten mit geringeren Qualifizierungsansprüchen profitiert.

 

Viele solche Initiativen gegen den „totalen Markt“ werden in der Gesellschaft auf eine breite Unterstützung stoßen, vor allem dann, wenn vermittelt wird, mit welchen Problemen die Gesellschaft zu rechnen hat, wenn die gegenwärtigen Tendenzen im wirtschaftlichen und sozialen Leben sich verstärken. Ein solches Engagement gibt es bereits in vielen Kirchen in allen Teilen der Welt, und es bedarf der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Ermutigung und Unterstützung. Ökumene kann in der Verteidigung des Menschlichen in allen Gesellschaften eine neue Kraft gewinnen.

 

Gemeinsam besteht auch die Chance, der Vorstellung entgegenzutreten, alle Lebensbereiche müssten den Gesetzen des Marktes unterworfen werden. Statt dessen gilt es vorzuleben, dass es Alternativen zu einer Kommerzialisierung gibt, die viele Vorteile für die Menschen bringen. Je erfolgreicher solche Initiativen in den einzelnen Ländern sind, desto eher wird es gelingen, auch auf globaler Ebene Veränderungen durchzusetzen. Noch fehlt es auf globaler Ebene an demokratisch legitimierten Instrumenten, um die soziale Verpflichtung gegenüber den Armen und allen anderen „Verlierern“ der Wirtschaftsprozesse zu schaffen und neue Strukturen der weltwirtschaftlichen Zusammenarbeit durchzusetzen. Als Gemeinschaft mit weltweiten Verbindungen haben die Kirchen eine besondere Verantwortung, zu einer globalen Vernetzung all der Initiativen beizutragen, die sich für eine andere Form der weltweiten Beziehungen einsetzen. Ein Beispiel dafür sind die Netzwerke, die sich kritisch mit der Politik der Welthandelsorganisation WTO auseinandersetzen.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

 

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

 

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz: Die vielen Gesichter der Globalisierung – Perspektiven einer menschengerechten Weltordnung, Bonn 1999, S. 52f.

[2] Vgl. Jahrbuch Mission 2002: „Afrika? Afrika! Staat, Nation und Kirchen“, hrsg. Vom Evangelischen Missionswerk in Deutschland (EMW) und dem Verband Ev. Missionskonferenzen, Hamburg 2002

[3] Vgl. hierzu u. a.: Die vielen Gesichter der Globalisierung – Perspektiven einer menschengerechten Weltordnung, Bonn 1999, S. 56ff.

[4] Zitiert nach: epd-Dokumentation 22/2002, S. 46

[5] Vgl. epd-Dokumentation 43a/2002 zum Thema: „Wirtschaft im Dienst des Lebens“

[6] Südwind – Institut für Ökonomie und Ökumene, Lindenstraße 58-60, 53721 Siegburg, www.suedwind-institut.de; Werkstatt Ökonomie – Christen für Arbeit und Gerechtigkeit weltweit, Obere Seegasse 18, 69124 Heidelberg, www.woek.de 

[7] Publik-Forum 5/2002, S. 25

[8] Katholische Mission, 3/1997, S. 76