Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1690 – Johann Friedrich Mayer, ein Hamburger Pastor im Streit mit den Pietisten

„Gott im Himmel weiß, dass ich kein Faulenzer bin, sondern des Morgens um drei Uhr schon beim Studieren bin.“ Der Hauptpastor von St. Jacobi musste sich nicht nur gegen diesen, sondern auch viele andere Vorwürfe zur Wehr setzen. Faul war er tatsächlich nicht. So fleißig, wie Johann Friedrich Mayer studierte und predigte (6 Predigten pro Woche), so unermüdlich stritt er sich auch mit dem Rat der Stadt und mit Amtsbrüdern, die andere theologische Positionen vertraten als er.

Der unfreiwillige Wechsel als Pastor nach Hamburg

Johann Friedrich Mayer, der 1650 in Leipzig geboren wurde, hatte ein umfangreiches Studium absolviert und war anschließend Professor und Hofprediger in Wittenberg, bevor er 1686 nach Hamburg wechselte. Er kam im Grunde gegen seinen Willen in die Stadt, denn gern hätte er weiter von Luthers Kanzel herab in Wittenberg gepredigt. Aber als man ihm die Stelle eines Hauptpastors an St. Jacobi antrug, mochte er nicht gleich absagen, sondern ließ mitteilen, wenn die kurfürstliche Kirchenleitung in Dresden zustimmen würde, käme er nach Hamburg.

Mayer war fest überzeugt, man werde ihn dringend bitten, in Wittenberg zu bleiben, aber das war ein Irrtum. In Dresden war Philipp Jacob Spener Oberhofprediger, einer der führenden Vertreter des Pietismus in Deutschland, einer Bewegung im Protestantismus, die individuellen Hinwendung zu Gott, das eigene Lesen in der Bibel, eine innere Wandlung des Menschen und eine christliche Lebensführung betonte.

Spener ließ den orthodoxen Lutheraner Mayer nur zu gern ziehen, zumal er als Mitglied der Kirchenleitung nach einem Scheidungsprozess Mayers gegen seine Frau den geschiedenen Ehemann zu sittlichem Verhalten ermahnt hatte und daran mitwirkte, dass ihm ein Wiederverheiratungsvorbot erteilt wurde. Das hatte ihrer Beziehung verständlicherweise sehr geschadet.

Tief erzürnt und gekränkt kam Mayer nach Hamburg, stürzte sich aber trotzdem mit großer Energie in seine neue Arbeit. Der Theologe und Kirchenhistoriker Georg Daur hat Mayer in seinem Buch „Von Predigern und Bürgern“ so charakterisiert. Er „trug den damals üblichen Hamburger Pastorenhut nicht ohne Eitelkeit. Er legte Wert auf weltliche Ehrungen und kirchliche Würden; die hohen Einnahmen aus dem Amt eines Hamburger Hauptpastors wusste er aus mancherlei Gründen wohl zu schätzen.“

Vor allem aber wird Mayer als streitsüchtig beschrieben, sei es in Auseinandersetzungen mit seinen Amtsbrüdern, sei es im Verhältnis zum Rat der Stadt. Eher noch negativer hat der Historiker Heinrich Reincke den Hauptpastor gesehen. Er beschrieb ihn als „einen streitsüchtigen, humorlosen, vom Gefühl geistiger Überlegenheit besessenen, scharfsinnigen, hochgelehrten und leidenschaftlichen Mann, der seine freie Kanzel als einzigartiges Asyl freimütiger Kritik gegen jedermann verteidigte“.

Neben seinen Pastorenpflichten übernahm Mayer die Aufgabe eines Professors an der Universität Kiel und veröffentlichte zudem über 500 Artikel und Bücher. Als Hauptpastor wohnte er in einem prächtigen Haus, hatte einen schönen Garten in St. Georg und lud häufig zu großen und fröhlichen Gesellschaften ein, wo Musiker und Komödianten auftraten. Mayer war also kein verhärmter Kirchenführer, aber er verteidigte unnachsichtig alle Abweichungen von dem, was er als die reine lutherische Lehre betrachtete. Besonderes Augenmerk legte er auf den unerbittlichen Kampf gegen alle Pietisten.

Der "Pfaffenkrieg" von Hamburg

Der Zufall wollte es, dass ein Schwager Speners, Johann Heinrich Horb, gerade Hauptpastor an St. Nikolai geworden war. Mayer zögerte nicht einen Augenblick, den Streit mit den Pietisten und besonders seinem Amtsbruder zu beginnen. Ein erster, noch recht harmloser Konflikt entzündete sich an der Frage der Oper. Die Pietisten wollten Opernaufführungen als „heidnische Ergetzlichkeit“ verbieten, Mayer verteidigte sie. Er wollte der Bevölkerung den Zugang zu Theaterstücken und Opern ermöglichen und berief sich darauf, dass weder in der Bibel noch bei Luther solche Aufführungen verboten wurden. Also gehörten sie zur Freiheit der Christenmenschen.

Dann brach das aus, was als „Pfaffenkrieg“ in die Hamburger Geschichte eingegangen ist. Genauer betrachtet war das Ganze eine explosive Mischung unterschiedlichster Konflikte. Da war zunächst der Streit zwischen Pietisten und orthodoxen Lutheranern, bei dem es nicht um einen akademischen Disput ging, sondern um den rechten Weg der Nachfolge Jesu. In einer Stadt, in der viele Bürger mehrmals in der Woche in den Gottesdienst gingen, beteiligten sich große Teile der Bevölkerung aktiv an diesem Streit.

Hinzu kam der Konflikt zwischen Geistlichkeit und Rat der Stadt. Nachdem der Rat die Position des Superintendenten der Kirche nicht wiederbesetzt hatte, nahm er selbst die Leitung und Aufsicht über kirchliche Angelegenheiten wahr. Es gab daneben einen Senior in der Kirche, den jeweils ältesten Hauptpastor der Stadt. Das Geistliche Ministerium, das Gremium der Pastoren Hamburgs, wollte die Einmischungen des Rates in kirchliche Angelegenheiten nicht hinnehmen. Das machte das Ministerium zum Verbündeten der Bürger, vor allem der Handwerker, die die Macht des Rates ebenfalls einschränken wollten. Mayer gelang es, die Handwerksmeister und -gesellen auf seine Seite zu ziehen.

Anlass war wiederum ein Streit mit den Pietisten. Es gab damals neben den Handwerksmeistern in den Zünften viele Handwerker, die ohne Genehmigung in der Stadt arbeiteten, meist in Verschlägen oder auf Böden, um nicht entdeckt zu werden. Den Handwerkern in den Zünften war diese lästige Konkurrenz verhasst, und sie führten regelrechte Jagden auf die Handwerker auf den „Böden“ durch, die dann wie Hasen über die Dächer flüchten mussten. Das brutale Vorgehen der Zünfte gegen die „Bönhasen“ wurde von Pietisten wie Horb kritisiert, während Mayer die Zünfte unterstützte - von nun an hatte er eine im wahrsten Sinne des Wortes schlagkräftige Truppe hinter sich.

Mayer nutzt rigoros einen Fehler eines Amtsbruders aus

So gewappnet nutzte er einen Fehler Hauptpastor Horbs rücksichtslos aus. Dieser ließ 1693 einen schwärmerischen theologischen Text aus Holland mit einem eigenen Vorwort drucken und in kleiner Auflage in der Stadt verbreiten. Der Text war nach Auffassung Mayers nicht mit der lutherischen Lehre vereinbar. Mayer, fast alle anderen Pastoren der Stadt und die Zünfte forderten bei einer Versammlung der Bürger aller Kirchspiele einen Beschluss des Rates, Horb aus der Stadt zu weisen.

Vergeblich bemühte sich der Rat, zur Ruhe zu mahnen und einen Kompromiss auszuhandeln. Die Bürger wollten mehr Rechte gegenüber dem Rat, und Mayer wollte seinen Widersacher Horb aus der Stadt vertreiben. Nach zwei turbulenten Versammlungen der Bürger musste Horb im November 1693 die Stadt verlassen, und der Rat musste den Bürgern mehr Mitspracherechte einräumen. Die Bürger waren allerdings ihrerseits nicht bereit, der Leitung der Kirche mehr Eigenständigkeit zuzugestehen, sodass die orthodoxen Lutheraner nicht den erhofften Machtzuwachs erlangten.

Während des Streits hatte Mayer mehrmals angedroht, von seinem Amt zurückzutreten, aber da der Rat nachgab, fehlte ein Anlass zu einem spektakulären Rücktritt. Der Versuch, als Professor nach Wittenberg berufen zu werden, scheiterte am Einspruch Speners, was Mayers Zorn auf die Pietisten noch steigerte. 1701 verließ er die Hansestadt und wurde Generalsuperintendent für Pommern und Rügen. Auch hier ging er keinem Streit aus dem Wege. Nach einem heftigen Streit erlitt Mayer einen Schlaganfall. Am 30. März 1712 starb der streitbare Theologe in Stettin. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann