Maria bei Elisabeth, Altarbild in der Kathedrale von Amiens/Frankreich
Maria bei Elisabeth, Altarbild in der Kathedrale von Amiens/Frankreich Foto: iStock.com/Catherine Leblanc

Marias Besuch bei Elisabeth

 

Lukas 1,39-45 Bibeltext

 

Zwei sehr unterschiedliche Frauen begegnen sich in dieser Geschichte. Eine sehr junge Frau, unverheiratet, aus armen Verhältnissen, und eine alte Frau, die mit einem Priester verheiratet ist, der am Tempel in Jerusalem Dienst tut, also zur religiösen Oberschicht gehört. Aber beide verbindet, dass sie auf wundersame Weise zu Müttern werden sollen und nicht ohne Bangen diesen Geburten entgegen­sehen. Die Initiative für diese Begegnung geht von Maria aus. Sie nimmt eine mehrtägige Reise auf sich, um ihre Verwandte Elisabeth zu treffen und mehrere Monate bei ihr zu bleiben. Eilends, schreibt Lukas, hat sich Maria auf die Reise gemacht. Der Zweck der Reise wird nicht erwähnt, auch nicht der Verwandtschaftsgrad der beiden Frauen.

 

Aber die ersten Minuten der Begegnung der beiden schwangeren Frauen schil­dert Lukas sehr genau, denn diese Begegnung eröffnet ihm die Möglichkeit, Heils­­botschaften zu verkünden und die beiden Söhne schon vor deren Geburt in Ver­bindung miteinander zu bringen. Die Begegnung dient auch zur Verge­wis­se­rung der beiden Frauen. Elisabeth bekräftigt mit eigenen Worten das, was Maria schon vom Engel des Herrn erfahren hat, nämlich dass sie die Mutter des Heilands wer­den wird. Der ungeborene Johannes bekräftigt dies ebenfalls, indem er vor Freu­de im Leib der Elisabeth hüpft. Johannes wird von Lukas bereits als derjenige ein­geführt, der Jesus vorangeht und ihn als Heiland verkündet. Elisabeth wird durch die hier geschilderte Begegnung in der Überzeugung bestärkt, dass Gott ihre Schwan­­gerschaft in hohem Alter veranlasst und mit ihrem Sohn Großes vorhat. Die Künstlerin Käthe Kollwitz hat mit beeindruckenden Holzschnitten die Begegnung der beiden ungleichen Frauen dargestellt.

 

Die biblische Erzählung - Darstellung historischen Geschehens oder Glaubenszeugnis?

 

Dass sich die junge Frau Maria, fast noch ein Mädchen, allein auf die gefahrvolle Reise von Nazareth in Galiläa zu einer Verwandten im Bergland von Judäa aufgemacht haben soll, muss als sehr unwahrscheinlich angesehen werden.[1] Hierzu schreibt die katholische Theologin Marlis Gielen: „Dass freilich ein junges Mädchen von 12 oder 13 Jahren aus eigner Entscheidung und zudem alleine ohne Begleitung der Eltern oder des Verlobten und sogar ohne Anschluss an eine Reisegruppe diesen nicht ungefährlichen Weg angetreten haben soll, liegt jenseits jeder historischen Plausibilität. Literarisch ist es freilich ein Leichtes, Maria auf diese Weise von Galiläa nach Judäa wandern zu lassen, um dort das Zusammentreffen mit Elisabeth zu arrangieren.“[2] Es geht Lukas an dieser wie an anderen Stellen seines Evangeliums eben nicht darum, sich als Historiker einen Namen zu machen.

 

Karl Barth vertritt allerdings die Auffassung, man solle es wortwörtlich verstehen, wenn berichtet wird, dass das Kind in Elisabeths Leib hüpft, denn Johannes der Täufer „freut sich jetzt schon … und gibt dem Messias Zeugnis als sein Prophet und Apostel. Man würde alles verderben, wenn man sagen wollte, es gehe hier um ein Bild oder Symbol. Die Bibel meint es nicht bildlich und nicht symbolisch. Es kommt alles darauf an, dass man diese Stelle wort­wört­lich versteht.“[3] Mit diesem Verständnis des biblischen Textes ist verknüpft, dass Johannes der Täufer sich nach Karl Barth so versteht: „Ich bin nicht das Licht, sondern ich bin gekommen zu zeugen von dem Licht.“[4] Der Schweizer Theologe schreibt in diesem Zusammenhang: „Der Heiland ist da, und Johannes begrüßt ihn schon im Mutterleibe, so gewiss es Gottes Werk und Tat ist.“[5]

 

Die feministische Theologin Claudia Janssen hingegen betont nicht die Begrüßung durch Johannes, sondern lenkt das Augenmerk auf den selbstbewussten Lobpreis Elisabeths, die bis dahin in Lukas Evangelium geschwiegen hat: „Ihr Lobpreis enthält zugleich eine Anklage dieser Gesellschaft, die sie gedemütigt hat und ihr wegen ihrer Kinderlosigkeit einen der untersten Plätze zugewiesen und ihr wahres Frausein abgesprochen hat … In ihrem Lobpreis drückt Elisabeth eine Befreiungserfahrung aus. Gott hat das Elend Elisabeths gesehen, ihre Erniedrigung ist nicht unsichtbar geblieben.“[6] Mit ihren knappen Worten, so Claudia Janssen, nimmt Eli­sabeth die Aussagen des Magnifikats schon vorweg. Das christologische Bekenntnis Elisabeths und das Magnifikat Marias sind die einzigen Reden von Frauen, die Lukas in seinem Evangelium überliefert.

 

Die indische Ordensfrau Sr. Prema hat betont, dass Elisabeth bei ihrem Lobpreis vom Heiligen Geist erfüllt war: „Der prophetische Geist gibt ihr die Macht, die Vergangenheit zu kennen und zu sehen, was noch verborgen ist, ohne dass jemand ihr dies sagen muss. Sie erkennt Maria als die Mutter dieses Messias. Der Geist ermöglicht ihr auch, das Hochgefühl in den Bewegungen des Babys in ihrem Mutterleib zu deuten und dessen Hochachtung gegenüber Maria und ihrem ungeborenes Baby in Worte zu fassen.“[7]

 

Wenn wir die Geschichte nicht als Darstellung historischer Ereignisse betrach­ten, sondern als Glaubenszeugnis, können wir viel daraus lernen. Dazu gehört, dass wir die „Wundmale“ in den Seelen der beiden Frauen ernst nehmen müssen, die sich begegnen, die Schande der Kinderlosigkeit Elisabeths und die Situation Marias als werdende Mutter, die zunächst keinen Mann vorweisen kann. Darauf hat Pastor Dirk Süssenbach der Evangelischen Kirchengemeinde Aumühle bei Hamburg in einer Predigt am 4. Advent 2008 hingewiesen.

 

Heutige Erfahrungen von Ausgrenzung

 

Die Erfahrungen von Ausgren­zungen sind zeitlose Erfahrungen des Leides: „Zeitlos, wie die Armut unzähliger Menschen, die auch heute unüberwindbar zu sein scheint. Zeitlos wie die Hoffart, die Überheblichkeit der Mächtigen, die ihre Macht missbrauchen gegen das Wohl der Völker. Zeitlos wie die Unausrottbarkeit von Krieg, Gewalt und Terror. Zeitlos wie Krankheit und Seuchen.“[8]

 

Nachdem er Beispiele für heutiges Elend gegeben hat, fährt der Aumühler Pastor in seiner Predigt fort: „Wir dürfen die Wahrheit dieser Welt nicht ausblenden, wenn wir Weihnachten feiern wollen, weil Gott sie nicht ausblenden kann, sondern seine frohmachende Botschaft genau in diese schmerz­haften Wahrheiten hineinsprechen will … Eine arme, stigmatisierte Frau hat Gott erwählt, seine menschgewordene Liebe zur Welt zu bringen.“[9]

 

Der bekannte kirchen- und gesellschaftskritische Theologe Helmut Gollwitzer hat die Begegnung von zwei schwangeren Frauen „eine wundersame Geschichte, ja eine der schönsten, meine ich, in der Weltliteratur, aber eine ganz einfache, alltägliche“ genannt.[10] Lukas schrieb, so Gollwitzer, diese Geschichte im Wissen auf, dass eines der hoffnungsvoll erwarteten Kinder später enthauptet und das andere gekreuzigt werden würde. Er gab zwei Lebenswege, die im Leiden endeten – und die dort doch nicht zu Ende waren –, einen hoffnungsvollen, ja fröhlichen Anfang. „Noch ist von diesem Leidensweg Gottes in Jesus hier zwischen den beiden Frauen nicht die Rede, nur vom Jubel, mit dem schon das Kind Johannes im Leibe seiner Mutter hüpft.“[11]

 

In Rom wurden Geburt und Kindheit bedeutender Persönlichkeiten nicht selten mythisch überhöht. Lukas setzt, führt Helmut Gollwitzer aus, dem eine Geschichte von zwei armen, aber hoffnungsvollen Frauen entgegen. Dass der menschge­wordene Gott nicht zu einem im imperialen Sinne mächtigen König werden wür­de, deutete sich hier schon an. Nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen, kam der Sohn Gottes auf die Welt. Dies ist, um mit Helmut Gollwitzer zu sprechen, „die große, verbindliche Liebeserklärung Gottes an uns Menschen, an alle Menschen“.[12] Und welche alles verändernde Kraft von diesem Kind ausgehen würde, hat Maria in ihrem Lobgesang, dem Magnifikat, zum Ausdruck gebracht.

 

Die Begegnung der beiden Frauen hat im Kirchenjahr einen festen Platz. Im deutschen Sprachraum wird in der katholischen Kirche am 2. Juli das Fest Mariä Heimsuchung (der Besuch bei Maria) oder das lateinische „Visitatio Mariä“ (Besuch Marias) gefeiert. Dieses Fest wurde vermutlich zunächst im Orient begangen und erst im 13. Jahrhundert durch den Franziskanerorden in die katholische Tradition eingeführt.[13] Auch in der altkatholischen und den lutherischen Kirchen wird dieses Fest begangen, hat bei den Lutheranern aber keine große Bedeutung.

 

Die methodistische Laienpredigerin Ruth Höhne hat in einer Andacht über Maria und Elisabeth ausgeführt, dass und warum die Geschichte der Begegnung der beiden Frauen nicht nur in biblischen Zeiten eine Bedeutung gehabt hat: „Ich habe mir an Wendepunkten meines Lebens auch Freundinnen, Seelsorgerinnen gesucht. Sie teilten für eine gewisse Zeit ihr Leben mit mir. Sie halfen mir, mich neu zu orientieren und begleiteten mich lange Zeit im Gebet. Es waren die ‚Sternstunden’ in meinem Leben. Ich möchte uns Frauen ermutigen, immer wieder den Austausch mit unseren Schwestern, mit unseren Freundinnen zu suchen. Sorgen wir miteinander dafür, dass es unseren Seelen gut geht! Nehmen wir uns Zeit füreinander! Begegnen wir uns auf Augenhöhe, nehmen wir einander ernst!“[14]

 

Die südkoreanische Künstlerin und Ordensschwester Marie Teresita hat eine Meditation über die Begegnung von Maria und Elisabeth geschrieben, mit der ich diesen Abschnitt beenden möchte:

 

Der Tag, wo sich Himmel und Erde begegnen!

Das Licht des Himmels ist in die Welt gekommen,

der so lang ersehnte Messias.

„Das Reis aus der Wurzel Jesse!“ (Is. 11,1)

 

Wahrlich zwei gegnadete Frauen,

denn sie haben geglaubt des Herren Wort.

Zwei Frauen, Botinnen Gottes geworden

für das Heil der Welt.

 

Gott hat die Menschen so sehr geliebt,

dass die Erde gefärbt ist durch seine Liebe

und erfüllt ist mit neuem Leben für die Menschen.

 

Zwei Frauen verkünden mit Leib und Seele

Gottes Liebe und Gutsein.

Weil sie glaubten an des Herren Wort

sind sie wahrlich zwei begnadeten Frauen.

 

Gottes Liebe herabgestiegen zu den Menschen,

wahrlich eine gnadenhafte Begegnung![15]

 

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

Eine Übersicht über weitere Beiträge zu Maria finden Sie auf der Seite "Maria - die Mutter Jesu". 

 



[1] Unter dem Stichwort „Reisen“ wird im „Sozialgeschichtlichen Wörterbuch zur Bibel“ deutlich, dass das Reisen in der Antike „teuer, beschwerlich und gefährlich“ war, vgl. Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, S. 475ff.

[2] Marlis Gielen: Geburt und Kindheit Jesu, Stuttgart 2008, S. 28

[3] Karl Barth: Die Verheißung, München 1960, S. 51

[4] Ebenda

[5] Ebenda, S. 52

[6] Claudia Janssen: Eine alte Frau wird schwanger, Junge Kirche, 6/2001, S. 15

[7] Sr. Prema: A Christmas Meditation, The Prophetic Mothers of the Christmas Story, Indian Theological Studies, 3-4/2004, S. 210

[8] Dirk Süssenbach: Predigt zu Maria und Elisabeth, 21.12.2008, S. 2, zu finden auf der Website www.kirche-aumuehle.de

[9] Ebenda

[10] Helmut Gollwitzer: Vertrauen in die Verheißung, Junge Kirche, 12/85, S. 642

[11] Ebenda, S. 644

[12] Ebenda, S. 643

[13] Vgl. u. a. Mariä Heimsuchung, auf der Website www.katholisch.de

[14] Ruth Höhne: Maria und Elisabeth, in: Frauenwege, Frauenwerk der Evangelisch-Methodistischen Kirche, 2/2011, S. 9

[15] Sr, Marie Teresita: Meditation zu Mariä Heimsuchung, zu finden auf: www.missio-aachen.de