Peter Bichsel - ein Schweizer Dichter wird mit kurzen Texten berühmt
„Der Dezember ist ein Stress, Geschenke und Geschäfte, und das Fest zu Hause will nicht mehr so richtig gelingen. Aber es muss trotzdem sein, das Fest, es muss auch sein, wenn wir nicht an jenen glauben, der an Weihnachten geboren wurde. Und viele haben den Verdacht, dass uns die Geschäfte das Weihnachten versauen.“[1] Das schrieb der Schweizer Schriftsteller Peter Bichsel Anfang der 1990er Jahre in einem Beitrag mit der Überschrift „Feiertage“. Peter Bichsel hat schon viele Artikel zu Weihnachtsthemen geschrieben, und in dem Beitrag „Die heilige Zeit“ hat er sich mit dem Wunsch seines Lesers Egon beschäftigt, der Schriftsteller möge doch eine weitere Weihnachtsgeschichte verfassen: „Nein, lieber Egon, du bist nicht der einzige, der von mir – warum immer von mir? – eine Weihnachtsgeschichte erwartet. Es haben auch dieses Jahr wieder einige Zeitungen angerufen und gefragt, ob ich ihnen eine Weihnachtsgeschichte schreiben könnte. Noch nie wurde mir eine Ostergeschichte abverlangt, noch nie eine Pfingstgeschichte.“[2]
Das religiöse Bekenntnis als Emanzipation
Wer ist der Weihnachtsdienst-Verweigerer? Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren. Sein Vater war Maler und Dekorateur, seine Mutter Hausfrau. Peter Bichsel schrieb später, dass er als Kind den Eindruck gehabt hatte, dass seine Eltern an Gott glaubten. Beim Vater, der aus einer pietistischen Familie stammte, „stimmte das wohl auch“.[3] Von der Mutter war er später fast sicher, dass sie nicht glaubte. Der Vater ging häufiger in den evangelischen Gottesdienst, aber zu Hause spiegelte sich dies nicht wider: „Über Religion wurde bei uns zu Hause nicht gesprochen. Gebetet wurde am Tisch nicht, vor dem Ins-Bett-Gehen ‚E ghöre es Glöggli‘ gesungen nur im Kleinkindalter und eher als Kinderlied denn als Gebet.“[4]
Der Sohn beließ es nicht bei dem bürgerlichen, nach außen dargestellten Christsein. Er ging eifrig in die Sonntagsschule und trat dem Hoffnungsbund des Blauen Kreuzes bei, der sich strikt gegen jeden Alkoholkonsum wandte. Als er mit 16 Jahren das erste Bier trank, trug ihm das die Verachtung all seiner Freunde beim Blauen Kreuz ein. Aber er blieb dem Hoffnungsbund treu. Als Leiter des frommen Jünglingsbundes zog er mit Gleichgesinnten vor die Lokale der Stadt und skandierte alkoholfeindliche Slogans. Im Rückblick sieht Peter Bichsel diese Zeit so: „Das religiöse Bekenntnis wurde zu meinem Emanzipationserlebnis. Ich hatte sozusagen den Dreh gefunden, gegen meine Eltern zu rebellieren, ohne dass sie viel dagegen haben konnten. Ich tat ja nichts Schlechtes im religiösen Sinne, ich verstieß nur gegen ihren Grundsatz der Diskretion.“[5] Ein Abweichen von den Vorstellungen der Eltern war auch das wachsende Interesse Peter Bichsels am Katholizismus. Es war dann ein katholischer Pfarrer, der ihm immer wieder dringend vom Konfessionswechsel abriet.[6]
Sein späterer Berufswunsch kristallisierte sich schon früh heraus, wie Peter Bichsel 2002 in einem Interview mit dem Magazin der „Neuen Zürcher Zeitung“ preisgab: „Ich wollte einen Roman schreiben, ja. Das gelang mir zwar nicht, aber mit zwölf wusste ich trotzdem, dass ich ein Schriftsteller bin. Ich sagte es nur niemandem.“[7] Zunächst beschäftigte er sich als älterer Schüler erst einmal intensiv mit dem Christentum: „In jener Zeit begann mein Abschied von der Kirche, ohne dass ich es merkte. Ich bekam ein intensives Interesse an der Theologie, angefangen bei Kierkegaard; ich hatte den Ehrgeiz, den ganzen Karl Barth zu lesen. Mein Abschied von der Kirche begann damit, dass ich aus meinem Glauben eine Wissenschaft machen wollte. Ich ersetzte meine Frömmigkeit durch Interesse.[8]
Der Meister der kleinen Form
Peter Bichsel absolvierte nach dem Ende seiner Schulzeit von 1951 an eine Lehrerausbildung und wurde 1955 Primarschullehrer. Im folgenden Jahr heiratete er die Schauspielerin Marie Therese Spörri und wurde bald darauf Vater eines Sohnes und einer Tochter. Etwa 1960 begann Peter Bichsel mit dem Schreiben und veröffentlichte erste lyrische Texte in Zeitungen sowie als Privatdruck ein erstes Prosabuch. Den Durchbruch schaffte der Schriftsteller 1964 mit dem Band „Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen“, eine Sammlung von sehr kurzen Geschichten über den kleinbürgerlichen Alltag. Peter Bichsel fand – auch zur eigenen Überraschung – dafür sofort große Anerkennung, angefangen mit Marcel Reich-Ranicki, dem damaligen Kulturchef der „Zeit“.[9] Niemals vor Peter Bichsel wurde ein Schriftsteller mit so wenigen Seiten, 50 waren es, so berühmt. Er avancierte mit den 21 kurzen Geschichten des Buches zum „Meister der kleinen Form“.
Peter Bichsel wurde noch im Jahr des Erscheinens des Buches in die „Gruppe 47“ aufgenommen und erhielt ein Jahr später den Literaturpreis dieser hoch angesehenen Vereinigung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Peter Bichsel gab seine Lehrerstelle auf, arbeitete von 1964 bis 1968 als Redakteur der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ und konzentrierte sich dann ganz auf seine schriftstellerische Tätigkeit. Von nun an veröffentlichte er regelmäßig Kolumnen in der „Weltwoche“ und später in der „Schweizer Illustrierten“. Er hat dabei ein ganz eigenes Genre von Stammtisch- geschichten kreiert. Zum Bedauern vieler Leserinnen und Leser veröffentlichte Peter Bichsel nur noch in großen Abständen Erzählbände. Von dem Band „Kindergeschichten“ bis zu „Der Busant“ vergingen sogar 15 Jahre.
1970 trat er mit 21 weiteren bekannten Autoren wie Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Kurt Marti aus dem „Schweizerischen Schriftstellerverband“ aus, weil sie dessen Präsidenten untragbar empfanden, nachdem dieser in einem „Zivilverteidigungsbuch der Schweiz“ Schweizer Schriftsteller als Kollaborateure des Feindes bezeichnet hatte.[10] Die Dissidenten gründeten im folgenden Jahr die „Gruppe Olten“, die sich als sozialistische Schriftstellergewerkschaft verstand. In den Statuten der (mittlerweile wieder aufgelösten) Gruppe wurde „eine demokratische sozialistische Gesellschaft“ als Ziel genannt.[11]
Immer wieder mischte Peter Bichsel sich in politische Auseinandersetzungen in der Schweiz ein. Das Engagement für eine Schweiz ohne Armee machte den Schriftsteller bei den wohletablierten Schweizern ebenso unbeliebt wie seine Beteiligung an der (erfolgreichen) Bewegung zur Verhinderung des Baus von Atomkraftwerken. 1969 erschien sein Buch „Des Schweizers Schweiz“, in dem er die Selbstgefälligkeit der Schweizer anprangerte und sich kritisch mit einigen „Nationalheiligtümern“ wie der Schweizer Neutralität und der Schweizer Demokratie auseinandersetzte. In diesem Buch stand auch der Satz: „Ich erschrecke beim Gedanken, in zwanzig Jahren in einer Schweiz leben zu müssen, die aussieht wie diese“ – nur um nach zwei Jahrzehnten feststellen zu müssen, dass sich die Schweizer Mentalität absolut nicht verändert hatte.[12]
Peter Bichsel wurde ganz in der Tradition seines Freundes Max Frisch zum „meistgehassten Schweizer“. Dazu trugen Sätze wie dieser bei: „Der innere Feind der Schweiz heißt pervertierter Bürgersinn.“ Peter Bichsel blieb trotzdem der beliebteste Gegenwartsautor der Schweiz, aber viele bürgerliche Schweizer teilten seine Auffassungen über ihr Vaterland auch weiterhin absolut nicht.
Von 1974 an beteiligte sich der Schriftsteller aktiv am politischen Leben seines Landes. Er wurde persönlicher Berater des sozialdemokratischen Bundesrates Willi Ritschard und schrieb viele Reden für ihn. Als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei engagierte der Schriftsteller sich auch an der Basis seiner Partei. Aber als Politikberater und als Parteimitglied musste Peter Bichsel feststellen, wie wenig er politisch bewegen konnte. Der Germanist Rolf Jucker, der sich intensiv mit Peter Bichsel beschäftigt hat, schreibt über diese Ernüchterung: „Ihn interessierten handfeste, praktische Veränderungen, und als ihm bewusst wurde, dass selbst diese in der Schweiz nicht durchzusetzen waren, begann ihn die Parteipolitik zu langweilen.“[13] Da war es nur konsequent, dass der Schriftsteller 1995 aus der Sozialdemokratischen Partei austrat. Aber auch danach hat er sich politisch eingemischt.
Der etwas andere Missionar
Mit dem Engagement in der Politik ging ein Nachdenken über den eigenen Glauben einher, das schon früher begonnen hatte. Im Rückblick sagte Peter Bichsel in einer Rede über seine Kindheit: „Ich war ein eifriger, ein übereifriger Sonntagsschüler, und ich wollte als Kind Missionar werden, zu den Heiden gehen, die leben in Afrika, und ihnen das Evangelium bringen.“[14] Er habe sich, schrieb er später, in gleicher Weise für die Mission interessiert wie andere für Karl May.[15]
Nachdenklich stellt er im Rückblick fest: „Dass das Negerchen, das nickte, wenn man den Batzen durch den Schlitz fallen ließ, eine fürchterlich rassistische Einrichtung war, ist inzwischen ein allgemein anerkanntes Klischee. Aber hat uns vielleicht doch die Vorstellung von den Heiden viel mehr zu Rassisten gemacht – Christen waren und sind wir zwar nicht, aber immerhin keine Heiden; das geht tiefer als die Hautfarbe.“[16] In der gleichen Rede erscheint dann kursiv der Satz: „Die Buchstaben weitergeben, die Arbeit des Missionars.“[17] Und dann erzählte Peter Bichsel, wie der Pädagoge Paulo Freire den Menschen im brasilianischen Urwald die Buchstaben vermittelte, wie er das Lesen und Schreiben auf ihre konkrete soziale Situation bezog. Ähnlich hat Ivan Illich sich erfolgreich um Alternativen zu einer Schule bemüht, in der nur „gebüffelt“ wird, statt die Menschen auf ihrem Weg zur Befreiung zu begleiten. Für viele sicher überraschend, sagte Peter Bichsel in seiner Rede dann: „Und sollte ich gegen meinen Willen wiedergeboren werden, dann bitte in der Nähe einer Missionsstation, in der Nähe von Freire und Illich.“[18]
Im Nachwort zu dem Bichsel-Buch „Über Gott und die Welt“ schrieb der Theologe und Literaturwissenschaftler Andreas Mauz: „Entgegen seinem frühen Berufswunsch hat Bichsel nicht das Evangelium von Jesus Christus nach Afrika gebracht. Doch Missionar geworden ist er wohl dennoch, denn auch er hat auf seine Weise die Buchstaben weitergegeben, das Evangelium vom Lesen und Erzählen.“[19]
Peter Bichsel hat immer wieder über seinen Glauben nachgedacht. Über Gott hat er geschrieben: „… ich brauche ihn, damit das alles, was ist, nicht sinnlos ist – und damit das alles, was ist, nicht alles ist“.[20] Der Schriftsteller hat sich trotz aller Kritik nie ganz von seiner Kirche verabschiedet, auch wenn er einen Aufsatz „Abschied von der geliebten Kirche“ genannt hat. Die real existierende Kirche hat er einmal als „halbstaatliche Anständigkeitsinstitution“ bezeichnet.[21]
Peter Bichsel ist ein religiöser Mensch geblieben, der bei einer Bali-Reise überlegte, zum Hinduismus zu konvertieren, aber dann fast fluchtartig die Insel verlassen hat, weil er doch kein Hindu werden wollte.[22] Er bleibt dem „nonkonformen jüdischen Philosophen Jesus von Nazareth“[23] verbunden, und freut sich, dass die Kirche ihren Gründer nicht los wird. Er hat einmal geäußert, „dass das Versprechen des Jesus von Nazareth für mich das Versprechen einer Gegenwelt ist, und dieses Versprechen hat mich für immer geprägt …“[24]
„Man braucht eine gewisse Traurigkeit“
In einem gemeinsamen Interview mit Dorothee Sölle hat Peter Bichsel ein Sölle-Gedicht als eine „eigenartige Mischung von Resignation und Hoffnung“ beschrieben.[25] Diese Mischung hat beide Schriftsteller verbunden. In dem Interview hat Peter Bichsel sich gegen einen platten Optimismus zur Wehr gesetzt: „Ich hasse nichts so wie die Optimisten. Sie sind die Schrecklichsten dieser Welt. Die Optimisten haben diese Welt zerstört.“[26] Die Optimisten, ist der Schriftsteller überzeugt, sind zum Beispiel für das Wachstum verantwortlich, nicht die Pessimisten. In einem anderen Interview äußerte Peter Bichsel über das Lesen und Schreiben: „Man braucht dazu eine gewisse Traurigkeit. Lesen wie Schreiben ist etwas für empfindsame Menschen.“[27] Und in einer Vorlesung in Frankfurt sagte der Schriftsteller: „… das Leben retten werden uns die Geschichten allerdings nicht. Sie machen es nur erträglich … die Endlichkeit des Lebens bleibt und die Traurigkeit darüber.“[28]
Traurig bleibt der Schriftsteller auch über seine Kirche. „Die Kirche war in ihrer Geschichte nicht Christus verpflichtet, sondern den Umständen.“ Diesen kirchenkritischen Satz schrieb Peter Bichsel in dem ausführlichen Beitrag „Wie christlich sind die Christen?“ Und er fuhr fort: „Echte Gläubige gab es immer, und die Institutionschristen sahen immer einen Sinn darin, die Kirche vorerst mal zu retten und den Umständen anzupassen. Sie wussten, dass sie damit nicht als Christen handelten, aber sie glaubten, damit das Christentum einigermaßen über die Runden zu bringen. Sie machten sich zwar schuldig vor Christus, aber nach ihrer Meinung immerhin auch für Christus.“[29]
Weihnachten: „Ein Fest der Erinnerung“
Die Hilflosigkeit vieler Menschen an den Weihnachtstagen hat Peter Bichsel in „Die Weihnachtsgeschichte“ in Worte gefasst: „25. Dezember, ob wir Christen sind oder nicht, wir kommen nicht um ihn herum. Wir sitzen da, und vielleicht ist es ein bisschen langweilig, vielleicht auch ein bisschen zu heiß – so viele Leute sind nur an Weihnachten in der Stube, es ist ein bisschen viel –, und dann die Kerzen, und auf die Heizung hätte man verzichten können. Aber irgend etwas müsste doch jetzt geschehen: Man erinnert sich, man erinnert sich ein bisschen, und man hat fast alles vergessen.“[30] Dann beginnt Tante Sabine zu erzählen, wie jedes Jahr, und sie hat ein schlechtes Gedächtnis, und so sind ihr viele Namen entfallen, und sie kommt mit ihrer Geschichte nicht voran …
Ob solcher Erfahrungen kann es nicht überraschen, dass ein anderer Weihnachtsbeitrag des Schriftstellers mit diesen Sätzen beginnt, die an die „Weiße Weihnachten“ in früheren Zeiten erinnert: „Weihnachten, ein Fest der Erinnerung. Wie weiß war sie doch damals, wie still und wie bescheiden. Das Fest, das ist wohl wieder einmal vorbestimmt, wird uns wohl misslingen. Sie wird wohl kaum weiß sein und still und bescheiden wohl gar nicht. Die Erinnerung, die wunderbare macht die Gegenwart schal.“[31] Und nachdem Peter Bichsel entfaltet hat, dass und warum der heutigen Jugend dafür die Schuld gegeben wird, lesen wir gegen Ende des Beitrags: „Die heutige Jugend aber, die gab es schon immer. Und sie war schon immer verwöhnt und verweichlicht und interesselos.“[32] Und er fügt hinzu: „Ja, es gibt genügend Gründe dafür, dass uns – uns Erwachsenen – das Weihnachtsfest misslingt. Unsere Verlogenheit zum Beispiel, unsere verlogene Erinnerung. Sollte Ihnen Ihr Weihnachtsfest aber wirklich misslingen, dann bleibt Ihnen der Trost, dass auch Ihre Kinder sich dereinst an eine weiße, stille, ruhige und bescheidene Weihnacht erinnern werden. Und dass auch Ihre Kinder dereinst ihren Kindern entsprechende Vorwürfe machen werden.“[33]
Am 24. Dezember
Der 24. Dezember, für viele Menschen ein Tag mit festen Ritualen. Und viele dieser Rituale haben nichts mehr mit dem eigentlichen Anlass zu tun, der Geschichte von der Geburt Jesu. Das hat Peter Bichsel zu einer Erzählung meisterhaft verarbeitet, die er „24. Dezember“ genannt hat.[34] Mehrere Weihnachtsritual-Geschichten werden parallel in jeweils kleinen Abschnitten entfaltet. Da sind Otto und Peter, die sich jeden 24. Dezember um vier Uhr nachmittags im Restaurant Rössli treffen, um einen halben Roten zu trinken. „Sie treffen sich oft im Rössli. Jede Woche dreimal. Aber am 24. Dezember ist es etwas anderes, es ist eine Tradition.“
Ein anderes Ritual: „Am 24. Dezember um vier Uhr holt Franz Brunner seine Jagdflinte aus dem Schrank.“ Das tut er schon seit über dreißig Jahren. „Am 24. Dezember streichelt Franz Brunner die Silberbeschläge seiner Jagdflinte. Franz ist sonst kein zärtlicher Mensch.“ Nachdem die Flinte strahlt, raucht er eine Zigarre und holt die Ordonannzpistole hervor.
Walter Binswanger streichelt zur gleichen Stunde einen Schuhkarton, bevor er ihn öffnet. Im Schuhkarton, erfahren wir einige Abschnitte weiter, befinden sich Karten mit Angaben über seine Mieter. Heute trägt Herr Binswanger nichts ein. „Heute freut er sich nur über seinen Besitz, und er spricht die Namen seiner Mieter zärtlich aus …“ Seine Frau sagt, erfahren wir in der kurzen Geschichte, Walter wäre nicht auszuhalten, wenn er nicht seine Mieter hätte.
Derweil rennt Fritz, der verkündet hatte, ihm komme kein Weihnachtsbaum ins Haus, kurz vor Ladenschluss zum Einkaufszentrum, um doch noch einen Baum zu erstehen. Und auch bei der „anderen Frau“ geht Fritz noch schnell vorbei und übergibt ihr die Alimente.
Die Banalitäten des Alltags, fest gefügt in Rituale, werden in der Erzählung von Peter Bichsel entlarvt. Allenfalls noch der Weihnachtsbaum erinnert daran, worum es Weihnachten traditionell gegangen ist, aber dieser Baum wird eben auch erst in letzter Minute gekauft, gegen die ursprüngliche Absicht. Die Friedensbotschaft von Weihnachten wird in ihr Gegenteil verkehrt: „Es gibt nichts Friedlicheres als eine Jagdflinte, denkt Direktor Brunner. Weihnachten hat für ihn mit Jagd zu tun. Er sagt: mit dem Wald.“
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[1] Peter Bichsel: Über Gott und die Welt, Frankfurt am Main 2009, S. 72
[2] Ebenda, S. 96f.
[3] Ebenda, S. 127
[4] Ebenda, S. 126
[5] Ebenda, S. 128
[6] Ebenda, S. 130
[7] Das erste Mal – Peter Bichsel, Retten Bücher Leben? Interview in NZZ Folio, 3/2002
[8] Peter Bichsel: Über Gott und die Welt, a.a.O., S. 130
[9] Vgl. hierzu u. a. „In Olten umsteigen“, Über Peter Bichsel, Frankfurt am Main 2000, S. 80f. und 126f.
[10] Vgl. ebenda, S. 134
[11] Vgl. ebenda, S. 133
[12] Vgl. ebenda
[13] Ebenda, S. 136
[14] Peter Bichsel: Über Gott und die Welt, a.a.O., S. 171
[15] Ebenda, S. 129
[16] Ebenda, S. 171
[17] Ebenda, S. 177
[18] Ebenda, S. 178
[19] Ebenda, S. 253
[20] Ebenda, S. 12
[21] Vgl. ebenda, S. 134
[22] Vgl. ebenda, S. 124f.
[23] Vgl. ebenda, S. 144
[24] Vgl. ebenda, S. 134
[25] Vgl. ebenda, S. 197
[26] Ebenda, S. 218
[27] Das erste Mal – Peter Bichsel, Retten Bücher Leben?, a.a.O.
[28] Zitiert nach: In Olten umsteigen, a.a.O., S. 88
[29] Peter Bichsel: Über Gott und die Welt, a.a.O., S. 144
[30] Ebenda, S. 76
[31] Ebenda, S. 87
[32] Ebenda, S. 89
[33] Ebenda, S. 89f.
[34] Peter Bichsel: Über Gott und die Welt, a.a.O., S. 47ff. (alle nachfolgenden Zitate aus der Erzählung sind dieser Quelle entnommen.)