Globalisierung - EKD-Synode 2001

 

„Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten“, lautete das Thema der EKD-Synode vom 4.-9. November 2001. Wer nach fundierten theologischen Beiträgen der Synode zu diesem Schwerpunktthema sucht, kann vor allem auf die Bibelarbeit von Professor Jürgen Ebach zum Psalm 104 verwiesen werden. [1] Seine Einsichten und sein Schlusssatz im Blick auf das Synodenthema: „Es gibt eine Grenze!“ wurden allerdings nicht erkennbar in den Beschluss der Synode aufgenommen. Allgemein lässt sich beobachten, dass theologische Fragen im Zusammenhang mit der Globalisierung einen geringen Stellenwert in den Vorbereitungstexten der Synode hatten. Aufmerksamkeit verdient in diesen Ausführungen eine Passage: „Die Option für die Armen: Sie spielt keineswegs die Armen gegen die Reichen aus. Sie rückt die Zuwendung zu den Reichen aber in die Perspektive der Armen. Sie verkennt nicht den wirtschaftlichen Sinn begrenzter Einkommensungleichheiten. Sie beurteilt solche Ungleichheiten aber danach, ob sie auch den Schwächsten die größtmöglichen Vorteile bringt.“

 

Es muss gefragt werden, ob diese Aussagen der (lukanischen Fassung) Bergpredigt gerecht werden, in dem vom „Wehe euch ihr Reichen“ die Rede ist. Der Skandal der krassen Ungleichheiten auf der Welt und des Hungers trotz eines Überflusses an Nahrungsmitteln in anderen Teilen der Welt hätte Jesus nicht dazu veranlasst, über den wirtschaftlichen Sinn von Ungleichheiten zu sprechen. Jesus hat für die Armen Partei ergriffen, und zwar in dem Sinne, dass ihnen hier und jetzt geholfen werden müsse. [2]

 

Umstrittener Text des Vorbereitungsausschusses der Synode

 

In einem Entwurf des Vorbereitungsausschusses für die Synode war von der „Produktivkraft wirtschaftlicher Ungleichheit“ die Rede. Dieser Passus wurde noch vor der Synode wieder gestrichen, aber dann doch öffentlich bekannt. [3] In einer Welt voller Hunger und krassem Elend kann eine solche Bemerkung für die „Verlierer“ der Globalisierung zynisch klingen.

 

Die Vorlage für die Synode enthält einen Abschnitt zu „Schere zwischen Armut und Reichtum“, in dem zunächst das Gemeinsame Wort der Kirchen zu dieser Frage zitiert wird. Dieses Gemeinsame Wort beschäftigte sich primär mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland, der Armut in Deutschland und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich bei uns. Diese Akzentuierung wird im Papier des Vorbereitungsausschusses fortgeführt, klare Aussagen zur Armut im Süden der Welt fehlen an dieser Stelle. Auch im Abschnitt „Internationale Gerechtigkeit“ fehlt ein deutliches Wort zu der Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt. Dabei hatte Wolfram Stierle bei einer Tagung zum Thema „Markt und soziale Verantwortung“ im Vorfeld der Synode festgestellt:

 

„Für die Formulierung der Wirtschaftsethik im globalen Horizont sind die radikalen Stimmen aus der Ökumene nicht nur unverzichtbar, sie stellen sogar ein besonders wertvolles Potenzial der Kirchen dar, ein Frühwarnsystem von höchster ekklesiologischer Sensibilität. Ein Schatz, wenn Sie so wollen, den es zu heben gilt.“ [4] Eine solche Einbeziehung hätte vielleicht zu einer anderen Formulierung der Passagen der Kundgebung über Auslandsinvestitionen führen können.

 

In der Debatte der Synode wurde kritisiert, dass in den Texten ein theologischer „roter Faden“ gefehlt habe [5], und der Kundgebungsentwurf des Vorbereitungsausschusses wurde von der Synode bearbeitet und ergänzt. Zum Beispiel ist die folgende Passage aufgenommen worden: „Der Skandal weltweiter wirtschaftlicher Ungerechtigkeit ist die zentrale Herausforderung an die Gestaltung der globalen Entwicklung. Maßstab für die Beurteilung der Globalisierung muss deshalb die Frage sein, ob der dadurch ermöglichte wirtschaftliche Wohlstand auch den schwächsten Gliedern der Weltgemeinschaft zugute kommt.“[6]

 

Globalisierung und weltweite Ökumene

 

Über die Frage der Ökumene im Beschlussentwurf gab es eine Debatte, über die Bettina Stang schreibt: „Die Synode war jedoch nicht bereit, dem Vorbereitungsausschuss in der weitgehenden Ausblendung der verzweifelten wirtschaftlichen Situation in den Partnerländern der weltweiten Ökumene zu folgen.“ [7] Deshalb wurde ein Abschnitt mit dem Titel „In ökumenischer Verantwortung handeln“ in den Beschlusstext aufgenommen. Darin wird deutlich gemacht: „Wir leben als Kirchen in einer weltweiten Gemeinschaft und spüren deshalb in besonderer Weise die Herausforderungen, die durch die Veränderungen in der Einen Welt entstehen. Wir sind verbunden mit Kirchen auf allen Kontinenten, gerade auch mit Kirchen in den Ländern, die wegen ihrer Armut und Instabilität heute wirtschaftlich und politisch als ‚uninteressant’ gelten.“[8] Es wird dann unter anderem auf die Partnerschaften, auf Brot für die Welt und kirchliche Entwicklungsdienste verwiesen. Auch das ökumenische Gespräch über Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung wird erwähnt.

 

Gemessen an solchen Aussagen war die ökumenische Beteiligung an der Vorbereitung und der Durchführung der Synode unzureichend. Dem Vorbereitungsausschuss gehörte niemand aus der weltweiten Ökumene an, und dies, obwohl es allein schon unter den in Deutschland tätigen ökumenischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geeignete Personen gegeben hätte. Dass Rogate Mshana als Vertreter des ÖRK in der Debatte zu Wort kam, ist für eine wirklich intensive Mitwirkung der weltweiten Ökumene kein Ersatz.

 

In der säkularen Presse fand die Synodendebatte zum Thema Globalisierung wenig Beachtung. Das lag sicher auch an der fehlenden Parteinahme. Das hat Evamaria Böhle in einem Beitrag in der Zeitschrift „Zeitzeichen“ deutlich herausgearbeitet und auf den Satz in der Kundgebung verwiesen, „Kirchen (können) ... als Mediatoren eine wichtige Rolle spielen“. Evamaria Böhle schreibt dazu: „Dieses Rollenverständnis scheint der Schlüssel zu dem Gesamtentwurf des Globalisierungspapiers zu sein und gleichzeitig darüber hinaus auf Grundsätzliches zu weisen: Mediation, die Rolle eines Vermittlers, als Konkretion eines evangelischen Kirchenverständnisses. Salopp gesagt, fordert die ‚Kundgebung’ die evangelische Kirche dazu auf, im Globalisierungsprozess entschieden zwischen allen Stühlen Platz zu nehmen: zwischen Ökonomie und Theologie, zwischen Globalisierungsgegnern und Globalisierungsgewinnern, zwischen Gewerkschaften und Konzernen, zwischen Nationen und internationalen Organisationen.“ [9]

 

Lücken im Beschluss der Synode beklagt

 

Es ist auffällig, dass diejenigen gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte, die eine entschiedene Position in der Frage der Globalisierung vertreten, gefragte Gesprächspartner der politisch und wirtschaftlich Mächtigen und internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen sind. Bewegungen wie ATTAC setzten sich auch kritisch mit der Ideologie der neoliberalen Globalisierung auseinander, ein Feld, auf dem auch Kirchen viel zu sagen hätten – und in der weltweiten Ökumene sagen. Auch der ÖRK hat eine deutlichere Position eingenommen und steht trotzdem im Gespräch mit internationalen Organisationen wie der Weltbank.

 

Dass die Tobin-Steuer im Beschluss der Synode nicht empfohlen wurde, bringt die EKD in der weltweiten Ökumene in eine recht einsame Position. Es mag Gründe für diese Position geben, aber kaum jemand regte sich darüber auf, wie der Hauptreferent Hans-Helmut Kotz (Präsident der Landeszentralbank der Bundesländer Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen) mit dieser Frage umging: „Ich habe gehört, dass es zum Beispiel sehr ratsam wäre, im Rahmen dieses Vortrages die Tobin-Steuer zu erwähnen, was ich hiermit getan habe.“[10] In der Dokumentation dieses Vortrages ist nach diesem Satz vermerkt: „Heiterkeit“. Ist dies das Niveau, auf dem über die Schicksalsfragen der Armen im Süden diskutiert werden kann? [11] Der Ratsvorsitzende Manfred Kock hob sich positiv davon ab, indem er die Tobin-Steuer schon in seinem Ratsbericht für wünschenswert erklärte.[12]

 

Im Beschluss fehlen zum Beispiel auch die Forderung nach mehr Entwicklungshilfe und Aussagen zum fairen Handel (die Forderung nach einer weiteren Entschuldung wurde erst auf Initiative von Synodalen in die Kundgebung aufgenommen [13]). Auf ein weiteres Defizit wies Thomas Bastar hin: „Und während die Autoren des Wirtschafts- und Sozialwortes von 1997 in den privatwirtschaftlichen Interessen der Unternehmen einen Gegensatz zu ihrer sozialen Verantwortung erblickten, nennt das neue EKD-Papier lediglich die Möglichkeit internationaler Unternehmen, ‚auf ihrem Gebiet Standards zu setzen, die sich an den Kriterien einer nachhaltigen Wirtschaft orientieren’. Auch hier also Dialog und Selbstverpflichtung statt Forderung und Druck.“[14]

 

In einem epd-Bericht befasste Rainer Clos sich mit der Frage einer neuen wirtschaftsethischen Positionsbestimmung und schrieb dazu: „Dabei bewegt sich die Kirche nicht auf völlig fremdem Terrain. In der Ökumene, aber auch in kirchlichen Gruppen und Hilfswerken sind reichlich Erfahrungen mit den Resultaten des Globalisierungsprozesses vorhanden. Die Unterstützung des ‚fairen Handels’, der auf gerechtere Handelsbeziehungen für Kleinerzeuger zielt, das Eintreten für internationale soziale Standards sowie die Förderung von sozialen und ökologischen Labels dokumentieren das kirchliche Bemühen um Solidarisierung mit den Armen. Mit ihren ökumenischen Kontakten, im Dialog mit anderen Religionen können die Kirchen am Entstehen eines Weltethos mitwirken.“[15] Clos zitiert dann noch Ernst-Ulrich von Weizsäcker, den Leiter der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission zur Globalisierung der Weltwirtschaft: „Wir brauchen die Nichtregierungsorganisationen und die Kirchen für so etwas wie ein Weltgewissen.“

 

 © Frank Kürschner-Pelkmann



[1] Jürgen Ebach: „Die Grenze hast Du bestimmt, dass sie die nicht überschreiten“, in: epd Dokumentation, 49/2001, S. 5ff. und in: Junge Kirche, 3/2002

[2] Die theologischen Defizite der Vorbereitung der Synode wurden in der Aussprache zur Globalisierung deutlich. In einem Bericht heißt es: „In der Aussprache regte der Tübinger Pfarrer Volker Teich an, bei der Globalisierung auch theologische Fragen zu stellen. So wolle Gott, dass Menschen ‚Leben in Fülle’ haben. Teich schlägt auch vor, das Evangelische Missionswerk an den Beratungen zu beteiligen. Die Mission habe hier ‚ungeheure Kompetenz’. Er beklagte, dass zu den Verlierern auch Familien und Kinder in Deutschland zählten. Dieser Wirtschaftsprozess dürfe nicht auf Kosten des ‚Keims’der Gesellschaft gehen.“ idea, 5.11.2001

[3] Vgl. Frankfurter Rundschau, 6.11.2001

[4] Wolfram Stierle: Protestantismus, Wirtschaftsethik und Globalisierung – Ökumenisch-ökonomische Perspektiven für die EKD-Herbstsynode 2001, in: epd Dokumentation, 43/2001, S. 53

[5] Vgl. Frankfurter Rundschau, 6.11.2001

[6] epd Dokumentation 49/2001, S. 42

[7] Bettina Stang: Globalisierung: Synode sieht sowohl Chancen als auch Risiken, in: epd Entwicklungspolitik, 22/2001, S. 12

[8] epd-Dokumentation, 49/2001, S. 42f.

[9] Evamaria Böhle: Entschieden zwischen allen Stühlen, in: Zeitzeichen, 12/2001, S. 38

[10] Hans-Helmut Kotz: Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten, in: epd Dokumentation, 49/2001, S. 16

[11] Es sei hier angemerkt, dass sich eine ganze Reihe von Synodalen mit einer solchen Bemerkung nicht zufrieden geben wollten und es dann doch noch zu einer Debatte über die Tobin-Steuer kam, allerdings wurde die Forderung nach einer solchen Steuer wie erwähnt nicht in die Erklärung aufgenommen.

[12] Vgl. zu dieser Diskussion Bettina Stang: Globalisierung: Synode sieht sowohl Chancen als auch Risiken, a. a. O., S. 12; Kock stellte in seinem Bericht außerdem u. a. fest: „Die Globalisierungsgewinner haften aber für die Verlierer.“ Zitiert nach: epd, 4.11.2001

[13] Vgl. epd-Dokumentation 49/2001, S. 45; sie hat etwas unglücklich einen Platz im Abschnitt „Internationale Institutionen stärken“ gefunden.

[14] Thomas Bastar: Die Chancen des weltweiten Handels, in: Chrismon plus, 12/2001, S. 55

[15] Rainer Clos: Evangelische Kirche befasst sich mit Folgen der Globalisierung, in: epd Zentralausgabe, 2.11.2001, S. 3