Reis

 

Sie gehören zu den beeindruckendsten Bauten aus früheren Jahrtausenden auf der Welt: die asiatischen Reisterrassen. Sie prägen Landschaften und sind der besonders markante Teil wohldurchdachter, groß­flächiger Systeme von Kanälen, Stauanlagen und Dämmen. Die besten Methoden hierfür wurden über viele Jahrhunderte erprobt und verbessert. In Asien wird seit mindestens 7.000 Jahren Reis angebaut. Eine wichtige Grundlage für den Anbau dieses Getreides bilden die Monsunregenfälle, die in kurzer Zeit große Flächen unter Wasser setzen. Reis ist das einzige Getreide, das auch und gerade dann gedeiht, wenn es im Wasser versinkt.

 

Damit der Reis in der ersten Wachstumsphase ausreichend Wasser bekommt, wurden in gebirgigen Gegenden Terrassen angelegt. Dazu verwandelte man Berge in Treppen­landschaften, und auf jeder Stufe wurden Reisfelder angelegt. Das war eine gewaltige Aufgabe, denn es galt, Mauern zu errichten, die Felder einzuebnen und ein Bewässerungssystem zu entwerfen und zu bauen, das sicherstellte, dass immer ausreichend Wasser von den Feldern auf einer Ebene auf die Felder der nächsten Ebene weitergeleitet wurde. Viele Generationen von Bauernfamilien haben an diesen Anlagen gebaut, aber dafür wurden die Menschen mit ausreichend Reis für alle belohnt.

 

Jeder Quadratkilometer intensiv genutzter Reisterrassen ernährt mehr als 1.000 Menschen. Außerdem sind die Reisterrassen ein idealer Schutz gegen Flutkatastrophen und gegen eine schleichende Bodenerosion. Zudem erwies es sich als klug, direkt neben die Reisfelder Kokospalmen zu pflanzen, die an diesem Standort genügend Wasser erhielten und die den Menschen zusätzliche Nahrung und Material zum Hausbau lieferten. Außerdem wurde inzwischen wissenschaftlich belegt, was immer schon die Erfahrung der Reisbauern war, nämlich dass die Palmen zu einem kühleren Klima beitragen. Kein Wunder, dass die Palmen in Asien als „Bäume des Lebens“ bezeichnet werden.

 

Besonders beeindruckend sind die Terrassen auf der philippinischen Insel Luzon, die vor etwa 2.000 Jahren errichtet wurden und als eines der Welt­wunder gelten. Die Terrassen beginnen auf einer Höhe von 1.500 Metern und reichen bis auf 700 Meter herunter. Dafür mussten die Berghänge in Handarbeit neu geformt werden, und es galt sicherzustellen, dass das Wasser des oft heftigen Monsunregens ganz langsam von einer Ebene auf die nächste hinuntergeleitet wird.

 

Die Anlagen werden bis heute unterhalten und genutzt. Sie sind seit zwei Jahrtausenden eine wichtige Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung. Ebenso eindrucksvoll sind die Reisfelder, die vor einigen Tausend Jahren im Mündungsdelta des Mekong und anderer asiatischer Flüsse entstanden sind. Für jede Region wurden Reissorten gezüchtet, die für das Klima und den Boden besonders geeignet waren. Im Laufe der Jahrtausende entstanden in Asien so weit mehr als 100.000 Reissorten.

 

Es gibt inzwischen neben dem Nass- auch einen Trockenreisanbau, der aber niedrigere Erträge erbringt. Zudem sind diese Kulturen sehr stark davon abhängig, zur richtigen Zeit die richtige Menge Wasser zu erhalten. Solche verlässlichen Bewässerungssysteme fehlen aber in vielen Ländern. Deshalb dominiert weiterhin der Nassreisanbau. Er hat auch den Vorteil, dass viele jener Pflanzen, die meist unter der Kategorie „Unkraut“ zu­sammengefasst werden, im Wasser nicht gedeihen, sodass die Arbeit des Unkrautjätens stark reduziert wird.

 

Reisanbau erfordert gemeinsame Anstrengungen

 

Gewaltige Projekte wie die Bewässerungsanlagen an Berghängen bedurften einer organisierten Form der Zusammenarbeit und fester Regeln für die Wassernutzung. Auf der indonesischen Insel Bali mit seiner überwiegend hinduistischen Bevölkerung hat sich ein solches soziales System, die „seka subak“, „Reisgemeinschaft“, bis heute erhalten. Grundlage war und ist, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft auf eine Weise zusammenarbeiten, die den Göttern gefällt und die dem Wohlergehen der Menschen dient. Alle, die eines der Reisfelder an einem Berg besitzen, müssen Mitglied der lokalen „seka subak“ sein. Sie sind verpflichtet, sich an den Instandhaltungs­arbeiten zu beteiligen und die zahlreichen Regeln für den Reisanbau und die Ernte einzuhalten. Die Vereinigung verteilt das Wasser möglichst gerecht unter den Mitgliedern, und ohne Zustimmung des Vorsitzenden kann niemand die Zuteilungen verändern.

 

Die praktischen Regeln für die Bewahrung und Nutzung der Terrassen waren und sind auf Bali aufs Engste verknüpft mit einem religiösen Glauben, in dessen Zentrum die Reisgöttin Siri steht. Sie wird gnädig gestimmt, damit sie für eine gute Ernte sorgt. Deshalb gehören Tempel und Altäre zu jeder Terrassenanlage. Vor Beginn der Pflanzarbeiten und bei der Ernte werden Opferhandlungen durchgeführt. Alle Mitglieder müssen am Anfang der Pflanzarbeiten im Tempel einen Eid leisten, keine Veränderung an den Wasserzuleitungen zu den Feldern vorzunehmen und die Nachbarn nicht zu bestehlen. Manche Gemeinschaften holen heiliges Wasser aus einem der Kraterseen Balis und besprengen damit die Felder. Ist die Ernte dann eingebracht, wird ein großes Dankfest gefeiert.

 

Bali ist keine Ausnahme. Heidie Koch vom Völkerkundemuseum in Wuppertal schrieb 2001 in einem Heft der Zeitschrift „Frauen leben“ zum Thema Reis: „In ost- und südostasiatischen Ländern ist Reis nicht nur Grund­nahrungsmittel, sondern auch eine übernatürliche Kraft und Gottheit, die großen Einfluss auf den Alltag der Menschen nimmt. Dem Reis wird als göttlichem Gewächs und Symbol des Lebens Respekt und Verehrung entgegengebracht.“

 

Auch kulturell hat Reis in vielen asiatischen Gesellschaften eine große Bedeutung, angefangen mit den zahlreichen Rezepten für Reisgerichte. Aber auch in der darstellenden Kunst und in den Märchen und Geschichten kommt Reis immer wieder vor. Die Bedeutung von Reis für die Ernährung in Asien ist also nicht zu trennen von der religiösen und kulturellen Bedeutung. Im altindischen Sanskrit wird Reis beschrieben als: „der, der die Menschheit stützt“. Und in manchen asiatischen Sprachen ist das Wort für „Reis“ gleichzeitig das Wort für „Leben“.

 

Diese Kultur rund um den Reis ist bedroht. Die Arbeit auf den Reisterrassen ist hart, und der Preis, den die Bauern erzielen, oft niedrig. Manche Terrassen verfallen bereits, weil die jungen Leute in die Städte ziehen, um dort eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Oft bleiben die Frauen zurück und müssen die schwere Arbeit auf den Reisfeldern allein leisten. Außerdem nehmen die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen des knappen Wassers zu, und nicht selten haben die Reisbauern dabei das Nachsehen. Aber immer noch fließen etwa 90 Prozent des von den Menschen gebrauchten Frischwassers in Asien in die Landwirtschaft und vor allem in den Reisanbau. Gravierende ökologische Probleme entstehen da­raus vor allem dann, wenn Grundwasser für Bewässerungszwecke genutzt wird und bei den erforderlichen Mengen der Grundwasserspiegel rasch sinkt.

 

Die Folgen der „grünen Revolution“

 

Der Reisanbau in Asien verändert sich rasch, vor allem durch die Entwick­lung neuer Reissorten. Im Rahmen der „grünen Revolution“ ist es gelungen, mit Hochertragssorten die Reisernten in Asien mehr als zu verdoppeln, ein großer Erfolg im Kampf gegen den Hunger auf diesem Kontinent. Aber diese „Revolution“ hat auch Schattenseiten. So kann der Reis des Vorjahres bei diesen Hochleistungssorten nicht gepflanzt werden, sondern die Bauernfamilien müssen jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Das macht die Familien abhängig von den Unternehmen, die das Saatgut liefern. Vor allem wird Bargeld benötigt, um das Saatgut zu bezahlen. Wer es nicht hat, beschafft es sich zu Wucherzinsen bei Geldverleihern. Fällt die Ernte dann schlecht aus, bleiben nicht selten nur noch der Verkauf der Felder und die Abwanderung in die Slumgebiete der großen Städte.

 

Der Einsatz von Pestiziden und anderen Landwirtschaftschemikalien, der für die neuen Reissorten erforderlich ist, hat neben der Schadstoffbelastung des Wassers auch den Nachteil, dass die vielerorts traditionell betriebene Verbindung von Reisanbau und Fischzucht immer schwieriger wird. Denn die Fische nehmen mit ihrer pflanzlichen Nahrung große Mengen der Chemikalien auf, was den Verzehr der Fische problematisch bis gefährlich macht. Traditionell haben etwa 100 Tier- und Pflanzenarten in den Reisfeldern gelebt, die als Ernährung oder Medizin nützlich für die Menschen sind. Die moderne Agrarchemie vernichtet diese Tier- und Pflanzenwelt in erheblichem Umfang.

 

Nicht zuletzt aufgrund solcher Beobachtungen sind viele Bauernfamilien daran interessiert, ohne die „Segnungen“ der modernen Agrarchemie und ohne das Saatgut der großen Konzerne auszukommen. Sie setzten zum Beispiel auf Methoden der integ­rierten Schädlingsbekämpfung, die darauf beruhen, ein Gleichgewicht zwischen den Schädlingen und den natürlichen Feinden zu bewahren, während die „chemische Keule“ oft gerade die Tiere trifft, die die Schädlinge fressen. Unter dem Gesichtspunkt der Bewahrung der Wasserressourcen sind solche Bemühungen nur zu begrüßen.

 

Reis – unverzichtbar für die Ernährung der Welt

 

Reis ist heute das wichtigste Grundnahrungsmittel für mehr als die Hälfte der Menschheit. Besonders für die Armen Asiens ist die tägliche Schüssel Reis die Lebensgrundlage. In den Hauptanbauländern Bangladesch, China, Indien, Indonesien, Thailand und Vietnam wird mehr als die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs mit Reis gedeckt. Im wirtschaftlich armen Burma beträgt der Prokopfverbrauch ein Pfund Reis am Tag. Umso negativer wirkt sich aus, dass sich auch in Asien der geschälte weiße Reis immer stärker durchgesetzt hat, dem wichtige Proteine, Eisen, Vitamin B und andere für die Ernährung unverzichtbare Bestandteile fehlen, die der ungeschälte und unpolierte Reis enthält. Um den Reis für die Ernährung wertvoller zu machen, gibt es genveränderte Neuzüchtungen, die zum Beispiel Vitamin A enthalten. Diese Versuche sind aber umstritten, und Umweltschutzorganisationen plädieren dafür, mehr Gemüse anzubauen, statt die unabsehbaren Risiken der Gentechnik einzugehen.

 

Jahrtausende lang wurde Reis ausschließlich in Asien angebaut. Über den Mittleren Osten kam dieses Getreide dann mit den Muslimen nach Spanien und Portugal. Inzwischen wird Reis auf allen Kontinenten angebaut und beweist immer aufs Neue seine Anpassungsfähigkeit an örtliche Verhältnisse. Asien bleibt aber die wichtigste Anbauregion von Reis auf der Welt. Von den weltweit 769 Millionen Tonnen Reis im Jahre 2017 wurden 693 Millionen Tonnen in Asien geerntet. Nur etwa 5 bis 6 Prozent der Weltproduktion von Reis werden ins Ausland verkauft. Zu den wichtigsten Reisexporteuren auf der Welt gehören Indien, Vietnam, Thailand und die USA.

 

Die Bauern, die Reis anbauen, müssen zunehmend fürchten, den Konkurrenzkampf um das knapper werdende Wasser zu verlieren. Für jedes Kilogramm Reis müssen etwa 3.000 bis 5.000 Liter Wasser eingesetzt werden. Eine nicht zu verantwortende Verschwendung, sagen Kritiker des Reisanbaus. Aber die Rechnung ist so einfach nicht. Ein Liter Wasser, der in einem Industriebetrieb verwendet und dann mit giftigen Schadstoffen in die Kanalisation geleitet wird, ist erst einmal für den Wasserbedarf von Mensch und Natur verloren, während das Wasser eines Reisfeldes entweder auf die nächsten Felder fließt oder im Boden versickert und zur Grundwasserbildung beiträgt. Die Ökobilanz ist besonders dann positiv, wenn ganz oder weitgehend auf den Einsatz von Pestiziden und anderer Agrarchemie verzichtet wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Reisanbauflächen weltweit zu den größten verbliebenen Feuchtgebieten gehören, die vielen Tieren und Pflanzen ein Überleben ermöglichen. Es gibt, so hat auch die Welternährungs­organisation FAO 2004 in einer Studie festgestellt, keine einfache Lösung im Blick auf den Wasserverbrauch für den Reisanbau. Er reicht nämlich nicht, den Wasserbedarf der Reispflanzen zu vermindern, sondern es gilt erst einmal, den komplexen Wasserkreislauf im Detail zu verstehen, der Jahrtausende lang dafür gesorgt hat, dass die Reisfelder zur rechten Zeit ausreichend Wasser hatten.

 

Als Lösung für die Probleme durch Überflutungen und Wassermangel bieten internationale Pflanzenzuchtkonzerne genveränderte Reispflanzen an. Es wurde 2006 ein Gen identifiziert, das es Reispflanzen ermöglicht, zwei Wochen vollständig unter Wasser zu überleben, während die bisherigen Reissorten dann an Sauerstoffmangel sterben. Wissenschaftler der Universität von Kalifornien und des Internationalen Reis-Forschungsinstituts in Manila wollen mit dem genveränderten Reis einen Beitrag zur Lösung internationaler Ernährungsprobleme leisten, aber wegen der unabsehbaren Risiken genveränderter Pflanzen stoßen sie weltweit mit ihren Züchtungen auf Widerstand.

 

Neue Probleme entstehen durch die globale Klimaerwärmung. Nach Berechnungen des Internationalen Reis-Forschungsinstituts sinkt die Reisernte mit jedem Grad Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur um 10 Prozent. Grund dafür ist nach den Erkenntnissen der Forscher, dass die Reispflanzen mit steigenden Temperaturen auch nachts stärker atmen und dafür mehr energiehaltige Stoffe brauchen, die für das Wachstum der Reis­körner fehlen.

 

Das Dilemma ist, dass der Reisanbau gleichzeitig wesentlich zur Klimaerwärmung beiträgt, weil große Mengen Methangas freigesetzt werden. Es ist allerdings möglich, durch verbesserte Bewässerungstechniken und durch den Trockenreisanbau dieses Problem zu vermindern. Wichtiger für die globalen Klima­probleme sind all die anderen Faktoren, die zur Erderwärmung beitragen. Die tägliche Schüssel Reis für jeden und jede, mit der Chinas Kommunisten die hungernden Menschen ihres Landes für sich gewannen, kann unter diesen Bedingungen in Zukunft vielerorts gefährdet sein. Auch dies ist ein Grund, energisch etwas gegen die Ursachen der Klimaveränderungen zu tun.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann