Glasfenster mit einer Darstellung von Franz von Assisi
Glasfenster mit einer Darstellung von Franz von Assisi in der Kirche von Stabroek/Belgien Foto: iStock.com/Jorisvo

Franz von Assisi - eine Krippenfeier und der Friede mit der ganzen Schöpfung

 

„Wenn du willst, dass wir in der Nähe von Greccio miteinander Weihnachten feiern, dann geh und richte alles mit viel Liebe her, wie ich es dir sage. Denn ich will die Erinnerung an jenes Kind lebendig halten, das in Bethlehem geboren ist. Ich will mit meinen eigenen Augen und mit allen meinen Sinnen schauen, welch große Not es schon als Kind zu leiden hatte, wie es in die Krippe gelegt wurde und wie es, um­geben von Ochs und Esel, auf dem Heu lag.“[1] Mit diesen Worten beauftragte Franz von Assisi den von ihm sehr geschätzten Ritter Johannes von Greccio, das weihnachtliche Hochamt in einem Wald in der Nähe von Greccio vorzubereiten. Es war historisch nicht die erste Krippenfeier, aber es wurde zum Ausgangspunkt für eine Krippenfeier-Tradition, die bis heute fortbesteht.

 

Die Krippenfeier fand in der Nacht zum 25. Dezember 1223 in einem Wald in der Nähe der Stadt Greccio nördlich von Rom statt. Auf Einladung des damals schon verehrten Wanderpredigers Franz von Assisi hatten sich viele Frauen und Männer aus der Umgebung mit Fackeln und Kerzen auf den Weg in den Wald gemacht. Was dann geschah, hat Thomas von Celano fünf Jahre nach dem Ereignis aufge­schrieben: „Aus Einfachheit, Armut und Demut entsteht in Greccio ein neues Beth­lehem. Die Nacht wird hell wie der Tag, für Mensch und Tier ein Genuss. Die Leute eilen herbei und werden im Anblick des neuen Geheimnisses mit neuer Freude erfüllt. Der Wald ertönt von den vielen Stimmen, und das Echo schallt von allen Felsen zurück. Die Brüder singen das Lob Gottes, und die ganze Nacht jubelt. Der Heilige steht vor der Krippe, seufzend, betroffen und voll Jubel. Über der Krippe wird das Hochamt gefeiert, und der Priester verspürt neues Glück.“[2]

 

Als Diakon sang Franz von Assisi mit seiner klaren Stimme das Evangelium. Anschließend predigte er an der steinernen Krippe über die Geburt eines armen Königs und rühmte die kleine Stadt Bethlehem. Dabei soll er auch pantomimische und schauspielerische Elemente aufgenommen haben, sodass hier zumindest die Tradition der später so beliebten Krippenspiele anklang. Thomas von Celano berichtete, wie ergriffen die Menschen von dieser Predigt waren: „… in vielen Herzen war Jesus vergessen, und durch den heiligen Franz ist es aufgewacht und lebt nun im liebenden Gedächtnis der Menschen. Am Schluss der nächtlichen Feier kehrt jeder voll seliger Freude nach Hause zurück.“[3]

 

Das übrig gebliebene Heu der Krippenfeier heilte kranke Tiere, wenn sie davon fraßen, und wenn es schwangeren Frauen auf den Bauch gelegt wurde, bewirkte es auf wundersame Weise eine Heilung von Krankheiten, wurde überliefert. Bald pilgerten viele Menschen nach Greccio, erfahren wir von Thomas von Celano, und wurden von ihren Leiden geheilt. Über der Steinkrippe wurde eine Kirche errichtet, und bald entwickelte sich Assisi zu einem bedeutenden Wallfahrtsort.

 

Der Einfluss der Feier in Greccio auf die Weihnachtstraditionen war beträchtlich. Deutlich ablesbar ist die Wirkung auf die bildende Kunst der Renaissance,[4] und besonders der Franziskanermaler Giotto trug dazu bei, dass die Krippenfeier bekannt wurde. Die Traditionen, Krippen mit Figuren aufzustellen und Weihnachts­­spiele aufzuführen, gab es wie erwähnt schon vor der Feier in Grec­cio, aber die Verbreitung dieser Weihnachtstraditionen durch die Fran­ziskaner hat erheblich dazu beigetragen, dass sie zunächst überall in Europa und später auch in anderen Teilen der Welt große Verbreitung fanden. Trotzdem ist es wohl übertrieben, dass die „Berliner Zeitung“ zum Weihnachtsfest 2001 schrieb, Franz von Assisi habe Weihnachten zum „Volksfest“ gemacht.[5]

 

Abschied vom familiären Reichtum

 

Es war ihm ein Leben im Reichtum in die Wiege gelegt, denn der Vater von Fran­ziskus oder abgekürzt Franz war ein reicher Tuchhändler mit internationalen Geschäftsverbindungen. Dass der 1181 oder 1182 geborene Sohn den Namen Fran­ciscus (der „Franzose“) erhielt, soll darauf zurückgehen, dass der Vater viele seiner Stoffe in Frankreich einkaufte.[6] Helmut Feld hat in einer Biografie über die Kindheit des Tuchhändlersohns geschrieben: „Die nahezu unbegrenzten finanziellen Mit­tel des väterlichen Hauses ermöglichten Franziskus eine sorglose, freuden- und ge­nussreiche Jugendzeit. Er konnte sich auffällige, teure Kleider ebenso leisten wie aufwendige Gastmähler und Gelage, bei denen er die Schar seiner Freunde freihielt.“[7]

 

Aber es waren unruhige Zeiten, in denen der spätere Heilige am Ende des 12. Jahrhunderts aufwuchs. Die kleine Stadt Assisi in Umbrien wurde zum Spielball der Kämpfe zwischen lombardischen Städten, dem Kaiser und dem Papst um die Vorherrschaft in Norditalien. 1202 kam es zu einer Schlacht zwischen den Bürgern von Assisi und denen der benachbarten Stadt Perugia. Assisi unterlag, und zu den Bürgern, die in Kriegsgefangenschaft gerieten, gehörte auch der junge Franziskus. Ein Jahr lang blieb er eingekerkert, bevor er von seinem Vater freigekauft werden konn­te. Aber in der Jugendzeit von Franziskus gab es auch heftige Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt As­sisi. Das wohlhabend gewordene Bürgertum setzte sich gegen die Vormacht des Adels zur Wehr und hatte damit Erfolg.

 

Auch die Kirche wurde in diesen Zeiten des bürgerlichen Wohlstands reich, und nicht nur prachtvolle Kirchengebäude wurden errichtet, sondern auch prächtige Bischofs- und Kardinalspaläste. Das erboste viele einfache Christinnen und Christen, die sich an den armen Aposteln und Gläubigen der frühen Christenheit orientierten und denen jede kirchliche Macht- und Prachtentfaltung zuwider war. Bußprediger zogen durch die Lande und forderten die Gläubigen und die ganze Kirche zur Umkehr auf. Der Papst, die Erzbischöfe und Bischöfe sahen – zu Recht – in den Forderungen nach einer Kirche der Demut und Armut einen direkten Angriff auf die eigene Lebensweise und die vorherrschende Form des Kircheseins. Sie reagierten mit Verboten und Gewalt, aber die Wanderprediger fanden dennoch zahlreiche An­hängerinnen und Anhänger.

 

Das Evangelium schlicht und einfach nehmen

 

In dieser Zeit, in der die feudale Ordnung im Zusammenbrechen war, das Bürgertum an Einfluss gewann und eine Kirche der Macht- und Prachtentfaltung auf Widerspruch stieß, hatte Franziskus etwa im Jahr 1204 eine Erscheinung des gekreuzigten Christus, der ihn beauftragt: „Franziskus, geh und baue mein Haus wie­der auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“[8] Franziskus verstand dies zunächst so, dass er eine Kirchenruine in der Nähe der Erscheinung wieder aufbauen sollte, begriff aber dann, dass er sein bisheriges Leben aufgeben und sich für die grundlegende Erneu­erung der Kirche einsetzen sollte.

 

Das war angesichts der Verfolgung und Ermordung vieler „Ketzer“, die sich dem Kirchenestablishment entgegenstellten, ein gefährliches Unterfangen. Franz von Assisi entschloss sich dennoch, für eine Kirche der Armut einzutreten und andere da­zu einzuladen, diesen Weg mit ihm zu gehen. Es kann nicht überraschen, dass dies mit einem vollkommenen Bruch mit seinen reichen Eltern verbunden war. Schließlich eskalierte diese Auseinandersetzung so sehr, dass Franziskus auf einem Platz mitten in der Stadt all sein Geld und seine ganze Kleidung ablegte, öffentlich auf sein Erbe verzichtete und erklärte, von nun an werde er nur noch Gott als seinen Vater anerkennen.

 

Franziskus wollte nach der Weise des Evangeliums leben und gab den Gläubigen mit auf den Weg: „Regel und Lebensnorm der Minderen Brüder ist diese: unserem Herren Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten“. Er wählte einen Weg der Einfachheit, den der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff beschrie­ben hat: „Er nimmt die Evangelien schlicht und einfach, wie er sie vorfindet, und lebt sie ohne irgendwelche Interpretationen.“[9]

 

Franz von Assisi kam zu der Einsicht, dass sein Platz an der Seite der Armen war. Und zwar ganz wortwörtlich an der Seite der Armen und Kranken. Er gründete kein Hospital und keine mildtätige Stiftung, sondern lebte zusammen mit den ganz Armen und Bedürftigen, teilte ihre Not und das wenige Essen aus dem gemeinsamen Napf. Die Gute Nachricht für die Armen war für ihn von nun an nicht mehr ein abstrakter Begriff, sondern eine Botschaft der Hoffnung, die er gemein­sam mit seinen Freunden verkündete. Leonardo Boff schrieb über sein großes Vorbild: „Nach einer langen Lehrzeit des Suchens nach der wesensmäßigen Armut tat sich in seinem Herzen das verlorene Paradies auf, das irdische Paradies, in das der Mensch aber nur findet auf dem geschichtlichen Weg der Demut, der Solidarität und der innigen Liebe zu allen. Franziskus hat gezeigt, dass es möglich ist und wie es zu erreichen ist.“[10]

 

Franz von Assisi zog als Wanderprediger von Ort zu Ort und predigte das Evangelium in einer volkstümlichen Sprache. Er, der nie Theologie studiert hatte, vermittelte dem einfachen Volk die zentralen Botschaften der Guten Nachricht und wollte dem Christentum ein anderes Gesicht geben – außerhalb der prächtigen Kir­chen und ohne den Prunk und die Macht derer, die die Kirche leiteten. Er gründete eine kleine Bruderschaft, der sich rasch immer mehr Gläubige anschlos­sen.

 

Aus der Bewegung wird ein Orden

 

Franz von Assisi vermied die öffentliche Konfrontation mit den Mächtigen seiner Kirche. Er bemühte sich vielmehr intensiv darum, dass sein Weg der Nachfolge von der Kirche anerkannt wurde und damit ein Teil dieser Kirche blieb. 1209 zog er mit einer kleinen Schar seiner Anhänger nach Rom, um vom Papst die Bestä­tigung für die von ihm verbreitete „Lebensform nach dem Evangelium“ zu erwirken. In langen Gesprächen im Vatikan konnte Franziskus erreichen, dass Papst Innozenz III. seine Bruderschaft anerkannte und den Mitgliedern, die keine Priester waren, die Predigterlaubnis erteilte. Allerdings stand man im Vatikan der Vorstel­lung von einer radikalen Armut, wie sie Franziskus für seine Gemeinschaft pro­pa­gierte, ablehnend gegenüber. Es war nicht zu übersehen, dass dieser Gedanke im krassen Widerspruch zu einer Kirche stand, die ihren Reichtum mehrte und für ihre Prachtentfaltung bekannt war. Immerhin wurde dem franziskanischen Weg die Anerkennung nicht verwehrt, wobei die neu entstehende Bewegung sich zum Gehorsam gegenüber dem Papst verpflichten musste.[11]

 

Der Weg war nun frei für die Gründung des Ordens der „geringen Brüder“ oder „Minderbrüder“, dessen Ordnung 1223 von Papst Honorius III. anerkannt wurde. Unter Leitung von Klara von Assisi bildete sich parallel zum Männer- auch ein Frau­en­orden, der sich an den Lehren von Franziskus orientierte. Aus einer Bewegung waren nun Institutionen geworden. Franziskus beharrte auf einem absoluten Verzicht auf materielle Güter, während manche seiner Anhänger dieses Prinzip aufweichen wollten, um einen gut funktionierenden Orden aufzubauen. Die Bot­schaft des Wanderpredigers Jesus, der bitterarm auf die Welt ge­kommen war, den Armen das Himmelreich zugesagt hatte und bitterarm und als politisch Verfolgter gestorben war, hat Franz von Assisi auf seine Zeit bezogen und mit Leben gefüllt – und das war wie zu Jesu Zeiten eine Provokation für alle, die den Status quo nicht aufgeben wollten, auch deshalb nicht, weil sie von ihm pro­fitierten.

 

Franziskus und viele seiner Anhängerinnen und Anhänger blieben ihren Überzeugungen treu und fanden mit ihren Vorstellungen von einer grundlegenden Erneuerung der Kirche viel Zustimmung in der Bevölkerung. In dieser konfliktge­ladenen Zeit lud Franziskus die Menschen 1223 zur Weihnachtsmesse in den Wald von Greccio ein. Dass in dem Bericht Celanos über diese Messe die Inhalte der Predigt von Franziskus nur kurz angedeutet wurden, ist vermutlich kein Zufall, denn es wurde wohl als ein Gebot der Klugheit angesehen, die radikalen Botschaften des Wan­derpredigers nicht schriftlich festzuhalten. Dazu der Franziskus-Biograf Hel­mut Feld: „Da die Ideen des Heiligen aber nicht nur an die Grenzen des im Rahmen der kirchlichen Rechtgläubigkeit Erträglichen rührten, sondern nicht selten dar­über hinausgingen, bestand kein Interesse daran, sie im Detail festzuhalten.“[12]

 

Frieden für die ganze Schöpfung

 

„Der Herr gebe dir Frieden!“ So begrüßte Franz von Assisi nicht nur seine Mitmenschen, sondern auch die Tiere und Pflanzen, denen er begegnete. Er gab seinen Brüdern diesen Friedensauftrag mit auf den Weg: „Wie ihr den Frieden mit dem Mund ankündigt, so sollt ihr ihn in eurem Herzen und darüber hinaus haben. Niemand soll durch euch zum Zorn und Ärgernis provoziert werden, vielmehr sollen alle durch eure Sanftmut zum Frieden, zur Güte und Eintracht angeregt werden. Denn wir sind dazu berufen, die Verwundeten zu heilen, denen mit gebrochenen Knochen einen Verband anzulegen und die Irrläufer zurückzurufen. Denn viele schei­nen uns Glieder des Teufels zu sein, die später einmal Jünger Christi sein werden.“[13]

 

Immer wieder wurde über Franz von Assisi berichtet, wie begeistert er von der Natur war, die ihn umgab. Er sah die Menschen nicht als „Krone der Schöpfung“, dazu berufen, diese zu beherrschen und nach eigenem Gutdünken zu nutzen. Für ihn waren die Menschen Teil einer wunderbaren Schöpfung. Tiere und Pflanzen betrachtete er als seine Brüder und Schwestern. Es ist überliefert, dass er zu Blumen predigte und sie in all ihrer Schönheit zum Lob Gottes einlud. Und umgekehrt konnte er den Menschen sagen: „Unsere Schwestern Lerchen loben ihren Schöpfer; wir wollen uns unter sie gesellen. Wir wollen mit ihnen das Stundengebet sprechen und den Herrn preisen.“[14]

 

Alles, was ihn umgab, auch die Steine und den Wind, betrachtete Franz von Assisi als Geschwister. Daher ging er ehrfurchtsvoll über die Steine des Weges. Der berühmte „Sonnengesang“ von Franz von Assisi bringt die erhoffte umfassende Versöhnung in der Natur, zwischen Natur und Menschen sowie zwischen Schöpfung und Gott auf wunderbare Weise zum Ausdruck. Die innere Harmonie der Menschen spiegelt sich wider in der großen Harmonie von Gottes Schöpfung. Einer der Verse lautet:

 

Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Erde,

Die uns erhält und leitet

Und mannigfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.

 

Heute wird der kirchliche Gedenktag an Franziskus, der 4. Oktober, in aller Welt zugleich als Tierschutztag gefeiert, und viele Christinnen und Christen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung und die Achtung unserer Mitgeschöpfe einsetzen, finden in Franziskus jemanden, der sie inspiriert und ihnen den Weg weist.

 

Der Tod eines Heiligen

 

Die franziskanische Bewegung wuchs stetig und hatte bald etwa 5.000 Mitglie­der. Aber auch wenn Franziskus der herausragende geistliche Leiter der Gemeinschaft war, nahmen doch seine Konflikte mit denen zu, die dem Orden feste Formen geben und aus ihrer Sicht gar zu radikale und strenge Forderungen von Franziskus abmildern wollten. Es waren bereits Konflikte zwischen Franziskus und Teilen der von ihm gegründeten Bewegungen entstanden, als 1223 in Greccio Weihnachten gefeiert wurde.

 

Zu diesem Zeitpunkt war Franziskus auch schon von seiner Reise in den Nahen Osten zurückgekehrt, die ihn 1219 nach Ägypten geführt hatte. Dort versuchte er vergeblich, einen Friedensschluss zwischen den christlichen Kreuzfahrern und dem muslimischen Sultan von Ägypten herzustellen.

 

Als Franz von Assisi 1220 in die Heimat zurückkehrte, war er nicht nur von Krankheiten gezeichnet, sondern musste auch erleben, dass die von ihm gegrün­dete franziskanische Bewegung in seiner Abwesenheit noch stärker auf dem Weg zu einer Institutionalisierung und einer Anpassung an vatikanische Vorstellungen vorangeschritten war.

 

Franziskus fühlte sich – zu Recht – getäuscht und sah, dass von seinem Ideal einer geisterfüllten Gemeinschaft nicht viel übrig geblieben war. Wenige Monate vor seinem Tod schrieb er ein „Testament“, das seine Vorstellungen noch einmal zusammenfasste. Aber die Leitung des Ordens war nicht bereit, diesem Text eine gleiche Verbindlichkeit zuzugestehen wie der neuen von ihr verfassten Ordensregel.

 

Am 3. Oktober 1226 starb Franz von Assisi. Zwei Jahre später erfolgte die Heiligsprechung des Ordensgründers. Gern hätte er im göttlichen Auftrag die Kirche als Ganze erneuert und wieder aufgebaut. Aber die Hoffnungen auf eine Kirche, die mit den Armen unterwegs ist, wirken bis heute weiter. Und diejenigen, die in seiner Tradition arbeiten und leben, bewirken viel Positives.

 

Ein Weihnachtsfest auch für die Lerchen

 

Hätte Franz von Assisi einmal die Gelegenheit gehabt, mit dem Kaiser zu sprechen, hätte er ihm vorgeschlagen, ein Gesetz für die Weihnachtstage mit dem folgenden Wortlaut zu erlassen: „Es ist verboten, Lerchen zu fangen oder ihnen sonstwie Schaden zuzufügen. Bürgermeister, Schloss- und Dorfherren sind gehal­ten, ihre Untertanen un­ter Druck zu setzen, am Weihnachten Getreide- und andere Körner auf die Straßen außerhalb der Städte zu säen. Denn vor allem die Schwes­tern Lerchen und die anderen Vögel sollen an einem so hohen Fest etwas zu fres­sen haben. Aus Ehrfurcht vor dem Sohn Gottes, den Maria, seine Mutter zwischen Ochs und Esel in eine Krippe legte, sollen die Brüder Ochsen und die Brüder Esel in der hochheiligen Nacht genügend Heu zum Fressen haben. Und die Reichen müs­sen dafür sorgen, dass alle Armen an Weihnachten sich satt essen können.“[15] Der katholische Theologe Anton Rotzetter, der eine Reihe von Büchern über Franz von Assisi verfasst hat, beschreibt die politische Dimension des Weihnachtsverständnisses des Heiligen so: „Von Weihnachten her will Franziskus die Gesellschaft verändern. Er will, dass sich das menschliche Zusammenleben im Staat an der Mensch­werdung Gottes orientiert und ‚symbolisch’ ausdrückt.“[16]

 

Der Heilige ist dem Kaiser nie begegnet, und man muss bezweifeln, dass dieser ein Gesetz nach den Vorstellungen von Franz von Assisi erlassen hätte. Aber seine Predigten und Texte, in denen er sich für die Achtung und die Unterstützung der Tiere und armen Menschen einsetzte, haben über die Jahrhunderte dennoch eine große Wirkung gezeigt. Das Gleiche gilt für seine Hervorhebung der Bedeutung des Weihnachtsfestes. In einer Textsammlung von Perugia, die etwa 1246 entstand, heißt es dazu: „Der heilige Fran­ziskus hatte nämlich zum Weihnachtsfest eine größere Verehrung als zu irgendeinem anderen Fest Christi. Denn, so sagte er, obwohl sich an den anderen Fes­ten des Herrn unser Heil vollzieht, ist die Tatsache, dass er für uns geboren wurde, die notwendige Voraussetzung für unser Heil. Deswegen wünschte er, dass jeder Christ an Weihnachten im Herrn singe und juble. Und jeder sollte wegen der Liebe Gottes zu uns – er hat sich selbst hingegeben für uns – mit großer Freude großzügig sein, nicht nur gegenüber den Armen, sondern auch gegenüber den Tieren und Vögeln.“[17]

 

Anton Rotzetter bekannte in einer Broschüre über die Krippenfeier von Grec­cio, dass er früher Ostern für das Fest aller Feste gehalten hat, und hinzugefügt: „Jetzt, wo ich mit Franziskus erkenne, dass Weihnachten der Kern der Offenbarung Gottes ist: seine ganze Hingabe, seine Verletzbarkeit, seine alles, auch den Tod überwindende Liebe, jetzt kann ich Weihnachten als das Fest der Feste feiern.“[18]

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

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[1] Zitiert nach: Anton Rotzetter: Franziskus feiert Weihnachten, Eschbach 1989, S. 3

[2] Zitiert nach: ebenda, S. 4

[3] Zitiert nach: ebenda

[4] Vgl. Helmut Feld: Franziskus von Assisi, München 2001, S. 66

[5] Vgl. Eberhard Straub: Ochs und Esel in der Kirche, Berliner Zeitung, 24.12.2001

[6] Vgl. Helmut Feld: Franziskus von Assisi, a.a.O., S. 18

[7] Ebenda

[8] Zitiert nach: ebenda, S. 20

[9] Leonardo Boff: Schrei der Erde, Schrei der Armen, Düsseldorf 2001, S. 325

[10] Ebenda, S. 339

[11] Vgl. zur päpstlichen Anerkennung u. a. Helmut Feld: Franziskus von Assisi, a.a.O., S. 32ff.

[12] Helmut Feld: Franziskus von Assisi, a.a.O., S. 43

[13] Zitiert nach: ebenda, S. 47

[14] Zitiert nach; Leonardo Boff: Schrei der Erde, Schrei der Armen, a.a.O., S. 337

[15] Zitiert nach: Anton Rotzkettter: Franziskus feiert Weihnachten, a.a.O., S. 20

[16] Ebenda, S. 13

[17] Zitiert nach: ebenda, S. 20

[18] Ebenda