Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel
Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel Foto: iStock.com/reyoung

Die Ankündigung der Geburt Jesu

 

Lukas 1,26-38 Bibeltext

 

Viele Christinnen und Christen haben diese Geschichte schon häufig gehört, kennen sie fast schon auswendig. Und doch hat sie nichts von ihrer Faszination ver­loren und bewegt viele von uns jedes Jahr aufs Neue tief. Dem einfachen Mädchen Maria erscheint ein Engel und verkündet ihr, dass sie einen Sohn gebären wird, mit dem Gott Großes vorhat. Diese Verheißung, die Maria vom Engel erfuhr, überwältigte sie, und sie fragte, wie diese Verheißung in Erfüllung gehen solle, wo sie keinen Mann kenne. Die Engel versicherte ihr, dass der Heilige Geist über sie kommen und Jesus später Gottes Sohn genannt werden würde. Vom Engel erfuhr Maria auch, dass ihre betagte Verwandte Elisabeth ebenfalls einen Sohn erwartete. Lukas verknüpfte auf diese Weise schon vor der Geburt die Geschichten von Johannes dem Täufer und Jesus und lieferte Maria angesichts der unglaublichen Ankündigung ihrer eigenen bevorstehenden Schwangerschaft einen Beweis dafür, dass vor Gott kein Ding unmöglich ist. Die Theologin Katharina Coblenz hat die Ankündigungen der Schwangerschaft einer alten Frau und einer ledigen jungen Frau in einer Bibelauslegung so kommentiert: „Gottes großer Heilsplan für diese Welt ist eben von Anfang an anstößig und belebend unkonventionell.“[1]

 

Der Schweizer Theologe Karl Barth hat in einer Auslegung dieses Bibelabschnitts die Ankündigung mit der ver­glichen, die Zacharias im Tempel in Jerusalem erfuhr: „Ein Neues beginnt, aber eben ein Neues in völliger Unansehnlichkeit und seltsamer Verborgenheit. Dass der Schauplatz des Ereignisses nicht mehr der Tempel zu Jerusalem ist, sondern ein einfaches Haus in dem etwas verachteten Nazareth, in dem Lande, wo Heiden und Juden sich mischten, das mag darauf hindeuten, welches Neue hier anhebt: Die christliche Kirche. Gelöst von der heiligen Stätte spricht Gott nun zu den Menschen. Nur in der Gestalt Josefs ist die Verbindung mit den Vätern aufrechterhalten. Das Haus David war schon im Alten Testament ausgezeichnet, als Inbegriff der Gnade Gottes, die bei diesem Volk eingekehrt ist, und das nun auch Stätte der Offenbarung sein soll. Also: Das Alte wird fortgesetzt und zugleich unzweideutig ein Neues angekündigt.“[2]

 

Hier stehen wir erneut vor der Grundfrage: Enthalten die Evangelien das Neue Testament die exakte Wiedergabe des historischen Geschehens oder sind sie Glaubenszeugnisse, mit denen die Evangelisten die überlieferten Bruchstücke aus Leben und Lehre Jesu so verknüpft haben, dass die Heilsverkündigung deutlich wird? Können wir theologische Überlegungen also auf der Annahme aufbauen, dass die beiden Ver­kün­di­gungs­szenen, wie sie der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, ganz real auf die Weise statt­gefunden haben? Und ist wirklich nur die Gestalt Josefs die Verbindung zu den Vätern oder waren nicht Maria und Jesus ebenfalls Teil des Alten, des Judentums, das Jesus erneuern wollte?

 

Die katholische Theologin Marlis Gielen ist der Auffassung, dass auch hier – wie bei der Geburtsankündigung von Johannes dem Täufer – eine Kombination aus Verkündigungs- und Berufungsschema konstruiert wird,[3] wobei sie mit dem Wort „konstruiert“ bereits ihre Auffassung deutlich macht, dass es sich nicht um ein historisches Ereignis handelt, sondern um eine Erzählung zur theologischen Er­schließung der heilsgeschicht­lichen Bedeutung von Johannes dem Täufer und in diesem zweiten Fall von Jesus von Nazareth. Nachdenkenswert auch die folgende Aussage von Marlis Gielen: „Ebenfalls im Dienst des Erzählkonzepts wird Maria zu Elisabeth in ein verwandtschaftliches Verhältnis gerückt (1,36), wobei Lukas bezeichnenderweise darauf verzichtet, dieses Verwandtschaftsverhältnis zu präzi­sieren. Dass es historisch fundiert ist, darf füglich bezweifelt werden.“[4] Die verwandt­schaftliche Beziehung zwischen Maria und Elisabeth sei literarisch nötig, damit es im nächsten Abschnitt des Lukasevangeliums zur Begegnung der beiden Frauen kommen konnte und auf diese Weise die beiden Kindheitserzählungen in eine Beziehung zueinander gebracht wurden.

 

Maria traf eine Entscheidung

 

Es gibt daher gute Gründe dafür, die Lukaserzählung nicht als Darstellung eines historischen Ereignisses zu verstehen. Dennoch, oder vielleicht gerade dann, wenn wir dies erkennen, enthält die Erzählung wichtige Botschaften, die Lukas in seinem Evangelium vermitteln wollte. Maria nahm ihre Aufgabe an. Sie traf aus innerer Überzeugung eine eigene Entscheidung, sie war nicht nur passives Objekt göttlichen Handelns. Der katholische Theologe Claudio Ettl spricht in diesem Zusam­menhang von der „freien Entscheidung einer Frau gegenüber Gott, so die Darstellung des Lukas“.[5]

 

Ulrike Heimann, Pfarrerin im Rheinland, hat in einer Predigt zu diesen Bibelversen geschrieben: „Das Ja der Maria ist ein äußerst selbst-be­wusstes Ja. Sie konnte es nur sagen, weil sie sich ihrer Wünsche und Hoffnungen für ihr Leben und für das Leben ihrer Mitmenschen bewusst war, weil ihr das Alte nicht mehr genügte, weil sie sich nicht länger einrichten wollte in einem Leben, geprägt von Zwängen und Kompromissen aller Art. Sie hat eben nicht Ja gesagt zum Leben, wie es war, sondern Ja zu dem neuen Leben, das Gott will … Mit diesem Ja beginnt die lukanische Heilsgeschichte.“[6]

 

Elise Liwele Bokonga aus der Demokratischen Republik Kongo und Kornelia Eich­horn aus Deutschland gehörten zu einer Ökumenischen Wohngemeinschaft der Vereinten Evangelischen Mission (Wuppertal) und befassten sich 2002 mit der Reaktion Marias auf die Ankündigung des Engels: „Maria war empfangsbereit und somit fähig, Gottes machtvolles, lebensveränderndes Wort zu hören. Obwohl sie Angst hatte und die Verheißung Gottes hinterfragte, glaubte sie zuletzt doch und gab sich dem Willen Gottes hin. Folgen wir ihrem Beispiel.“[7]

 

Dass das Kind den Namen Jesus tragen sollte, war ein Hinweis darauf, dass Gott Großes mit diesem Kind vorhatte. Denn Jesus oder Jeschua bedeutet übersetzt „Gott wird erlösen“ oder „Er wird erretten“. Und dass dann Joseph in der Überlieferung von Lukas dem Jesuskind diesen Namen gab, hat der jüdische Theologe Pinchas Lapide als Ausdruck einer sehnsüchtigen messianischen Naherwartung gedeutet: „Joseph und die Seinen mussten zu jenen Kreisen gehören, die tatkräftig ‚auf die Erlösung Jerusalems‘ hofften, von denen uns Lukas (2,38) noch im selben Kapitel erzählt. Feststeht, dass ein Vater in Israel, der seinen Söhnen solche Namen gab, sie von Kindheit an im Geist der Freiheit Gottes zu erziehen entschlossen war.“[8]

 

Ein Blick in die apokryphen Schriften zeigt, dass nicht nur bei Lukas, sondern auch im Protevangelium des Jakobus die Ankündigung der Geburt Jesu beschrieben wird. Jakobus geht ausführlicher auf die Ankündigung der Jungfrauengeburt ein, die bereits in den ersten Jahrhunderten angezweifelt wurde, um sie glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Maria fragt nach der Ankündigung, sie werde aus Gottes Wort empfangen, zweifelnd: „Ich soll empfangen vom Herrn, dem lebendigen Gott, (und gebären) wie jede Frau gebiert?“ Daraufhin erklärt der Engel ihr, was geschehen wird: „Nicht so, Maria. Die Kraft Gottes nämlich wird dich überschatten, darum auch wird das Heilige, das geboren wird, Sohn des Höchsten genannt werden. Und seinen Namen sollst du Jesus nennen, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.“ Und ähnlich wie bei Lukas überliefert, erklärt Maria nun: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn vor ihm; mir geschehe nach deinem Wort!“[9]

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

Eine Übersicht über weitere Beiträge zu Maria finden Sie auf der Seite "Maria - die Mutter Jesu". 



[1] Katharina Coblenz: Lukas 1,26-33 (34-37), 38, Die Zeichen der Zeit, 11/98, S. P5

[2] Karl Barth: Die Verheißung, München 1960, S. 30

[3] Vgl. Marlis Gielen: Geburt und Kindheit Jesu, Aachen 2008, S. 25

[4] Vgl. ebenda, S. 27

[5] Claudio Ettl: Leben mit einem Wunderkind, in: Maria und die Familie Jesu, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2009, S. 14

[6] Ulrike Heimann: Der Anfang der Heilsge­schichte, in: Mieke Korenhof: Mit Eva predigen, Düsseldorf 1996, S. 45

[7] Elise Liwele Bokonga und Kornelia Eichhorn: Ein Wort, das Leben verändert, Frauen leben, Wuppertal, 4/2002, S. 5

[8] Helmut Gollwitzer/Pinchas Lapide: Ein Flüchtlingskind, Auslegungen von Lukas 2, München 1981, S.24

[9] Zitiert nach: Marlis Gielen: Geburt und Kindheit Jesu, a.a.O., S. 116