Titelseite des Buches "Babylon - Mythos und Wirklichkeit"
Dieser Beitrag ist dem Buch "Babylon - Mythos und Wirklichkeit" von Frank Kürschner-Pelkmann entnommen, das im Steinmann Verlag, Rosengarten, erschienen ist. Das Buch ist im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Die Perser und der Glaube an den einen Gott

 

Mit der Übernahme der Herrschaft in Babylon und ganz Babylonien durch die Perser sahen die Exiljuden sich plötzlich auch mit für sie ganz neuen religiösen Vorstellungen konfrontiert. In der Zarathustra-Religion der Perser kam dem Gott Ahura Mazda eine zentrale Rolle zu. Der „Gott der Weisheit“ stand unangefochten als „der“ Gott über allen anderen Göttern. Deshalb konnten die Perser auch gelassen auf andere religiöse Vorstellungen reagieren: Die herausragende religiöse Position von Ahura Mazda blieb für sie stets garantiert. Der Archäologe Professor Frantz Grenet schreibt über den Umgang der persischen Herrscher mit Fremdreligionen: „Die Religionen aus der Zeit vor der persischen Eroberung konnten sich in ihrer Vielfalt weiter entfalten.“[1] Verfolgt wurden lediglich abweichende Kulte innerhalb der eigenen persischen religiösen Gemeinschaft.

 

Ähnlichkeiten der persischen Glaubensvorstellungen mit dem jüdischen Monotheismus sind eindeutig erkennbar. Es wäre unsinnig, anzunehmen, dass die jüdischen Theologen das Gottesverständnis der Perser übernommen haben, aber dass es vor allem den gelehrten Juden der babylonischen Diaspora bekannt war, ist unstrittig. Sowohl die persische als auch die jüdische Religion gehören zu den ersten „Buchreligionen“, in denen heilige Männer – Zarathustra und Mose – göttliche Botschaften und Weisungen erhielten, die zu den Grundlagen der Religionen wurden. Und in beiden Religionen kommt dabei der Unterscheidung von Gut und Böse sowie von Rein und Unrein eine zentrale Rolle zu.

 

Dass in beiden Religionen ein bildloser Gott verehrt wird, der ein ausschließlicher Gott ist, fällt ebenfalls auf. Helga Kaiser, Redakteurin der katholischen Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“, hat im Editorial einer Ausgabe über die Perser festgestellt: „… auch wenn sich die persische Epoche in den biblischen Schriften und archäologisch in Palästina eher versteckt, ist es gerade diese Epoche, in der die Judäer, die an den Gott JHWH glaubten, begannen, ihre mündlich überlieferten Traditionen ganz neu zu deuten und aufzuschreiben. Die Judäer erfanden sich als jüdische Glaubensgemeinschaft gewissermaßen neu. In den nun entstandenen Bibeltexten drückt sich auch ein neues Denken über Gott aus: Man ist sich sicher, dass es nur einen Gott gibt.“[2]

 

Neben dem Glauben an einen, einzigen Gott und weiteren Ähnlichkeiten bestehen auch Unterschiede zwischen persischer und jüdischer Religion, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden können. Babylon bildet auf jeden Fall die Brücke zwischen den beiden Religionen und ihren zum Teil recht ähnlichen Antworten auf die grundlegenden religiösen Fragen der Menschen des Mittleren Ostens im 5. und 4. Jh. v. Chr.

 

Der Alttestamentler Professor Gerstenberger betont: „… es lohnt sich, beide Religionen als Produkte einer Zeitepoche zu begreifen. Nur so sind auffällige Ähnlichkeiten der geistigen Einstellungen und theologischen Begriffsbildung verständlich. Weil es nur einen einzigen (guten) Gott gibt, der sich durch seinen Propheten kundtut und eine radikale, lebenslange Entscheidung für ihn selbst fordert, deshalb bleibt das Heil bei seiner auserwählten Gemeinde – davon waren Zarathustrier und Juden gleichermaßen überzeugt.“[3]

 

Die jüdischen Denker im babylonischen Exil zogen aus ihrem konsequenten Monotheismus und aus der Überzeugung, dass Gott die ganze Welt beherrscht, auch den Schluss, den Fremdvölkern einen neuen Platz in ihrer Glaubenswelt einzuräumen. Diesen Völkern wurde nun nicht mehr immer aufs Neue der Untergang angekündigt, sondern sie erhielten ihren Platz im Heilsplan Gottes, wenn sie ihn als den einzigen wahren Gott anerkannten: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr gerettet, aller Welt Enden; denn ich bin Gott, und sonst keiner mehr. Ich habe bei mir selbst geschworen, und Gerechtigkeit ist ausgegangen aus meinem Munde, ein Wort, bei dem es bleiben soll: Mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen schwören und sagen: Im HERRN habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Aber alle, die ihm widerstehen, werden zu ihm kommen und beschämt werden“ (Jesaja 45,22-24).

 

Diese Ausweitung der Heilszusage auf andere Völker würde nicht unbedingt gleich auf die ungeteilte Zustimmung des jüdischen Volkes stoßen, war den Verfassern dieser Verse bewusst. Sie fügten einen Vers hinzu, der die besondere Rolle Israels im Heilsplan Gottes herausstellte: Im HERRN wird gerecht werden Israels ganzes Geschlecht und wird sich seiner rühmen“ (Jesaja 45,25).

 

Mit Rainer Albertz lässt sich die Bedeutung der Exilszeit für die drei monotheistischen Weltreligionen so zusammenfassen: „Ohne die Exilserfahrung hätte es in Israel nie die Entdeckung des Monotheismus im strengen Sinne des Wortes gegeben, ohne sie wäre von Israel nie die Grenze der Nationalreligion überschritten und ohne sie wäre aus seiner Mitte nie die Idee einer weltweiten Mission geboren. Das heißt: Ohne das Exil Israels gäbe es das Judentum, das Christentum und auch den Islam nicht in ihrer unverwechselbaren Form, in der wir diese drei Weltreligionen kennen.“[4]

 

Verheißungen für die Völker – und Drohungen gegen Babylon

 

Die Verheißungen für die Völker der Welt gingen einher mit weiteren Angriffen auf Babylon und die babylonischen Götter. Gleich im ersten Vers des Kapitels 46 des Jesaja-Buches ist davon die Rede, dass die babylonischen Götter Bel (Marduk) und Neto zusammengebrochen und gefallen seien. Im nächsten Vers lesen wir: „Die Götzen sind gefallen und alle zusammengebrochen und müssen in die Gefangenschaft gehen.“ Den babylonischen Göttern wird also das gewünscht, was die Judäer nach der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier erlitten hatten.

 

Zwei Strafexpeditionen der Truppen des persischen Königs Darius gegen Babylon haben vermutlich die Hoffnung vieler Juden genährt, dass die Babylonier doch noch hart bestraft werden würden. Der Alttestamentler Rainer Albertz schreibt über diese Situation: „Endlich schien JHWH dem neubabylonischen Reich all das Leid, all die Verwüstung und Ausbeutung, die es zu verantworten hatte, heimzuzahlen!“[5] Dass die harte Bestrafung und die Vernichtung Babylons und Babyloniens trotzdem ausblieben, wird wahrscheinlich von den vielen Juden, die im babylonischen Exil geblieben waren und von der Strafe mit betroffen gewesen wären, nicht bedauert worden sein. Gott mochte die frevelhaften Babylonier von den gottestreuen Exiljuden unterscheiden, aber dass feindliche Truppen, die plündernd und brandschatzend durchs Land gezogen wären, diesen Unterschied beachtet hätten, war nicht anzunehmen.

 

Jüdische Existenz in Babylon in der nachexilischen Zeit

 

Die Juden, die in Babylonien geblieben waren, standen in intensivem Austausch mit ihren Glaubensgeschwistern in der Heimat, wozu vor allem Pilgerreisen nach Jerusalem beitrugen. An der Spitze der jüdischen Diasporagemeinschaft in Babylonien stand ein Exilarch. Er beanspruchte eine Abstammung von König David und trat selbstbewusst gegenüber den religiösen Autoritäten in Jerusalem auf. Es entwickelte sich ein Konkurrenzverhältnis, das zum Beispiel darin zum Ausdruck kam, dass die babylonischen Juden das 18-Bitten-Gebet zu einem 19-Bitten-Gebet erweiterten. Sie fügten nichts hinzu, teilten aber die 14. Bitte um den Wiederaufbau Jerusalems und das Kommen des Messias aus dem Hause Davids in zwei Bitten auf.

 

Klaus Herrmann hat als Mitarbeiter des Instituts für Judaistik der FU Berlin 2008 zu den Ursachen dieser Teilung geschrieben: „Zweifellos sollte damit die zentrale Rolle des Exilarchen in der Leitung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens der jüdischen Gemeinden in Babylonien gestärkt werden, der als Davidide geradezu messianische Ansprüche stellte und nun nicht mehr in einer einzigen Bitte mit Jerusalem direkt verbunden ist.“[6]

 

Bekannt geworden ist das babylonische Judentum vor allem durch den „Babylonische Talmud“, in dem die Einsichten und Glaubensüberzeugungen jüdischer Gelehrter zusammengefasst wurden. Dieses im weltweiten Judentum weit verbreitete Buch zeugt von dem hohen Stand theologischer Reflexion des babylonischen Diasporajudentums. In den theologischen Reflexionen der Diasporatheologen spielte eine wichtige Rolle, die überwiegend ausgesprochen negativen Aussagen über Babel in den fünf Büchern der Tora und anderen biblischen Büchern aus der Perspektive von Gläubigen neu zu interpretieren, die in Babylonien vorwiegend positive Erfahrungen gemacht hatten und für die dieses Land zur Heimat geworden war.

 

Im „Babylonischen Talmud“, der im 5./6. Jh. n. Chr. entstand, werden jene Babylon-Erwähnungen in der Tora hervorgehoben, die Babylonien neutral oder positiv darstellen. So wird betont, dass nach der Überlieferung die Flüsse Euphrat und Tigris durch den Garten Eden flossen. Auch stammte Abraham aus Mesopotamien und machte sich von hier aus auf den Weg nach Kanaan.

 

Es ließ sich allerdings nicht wegargumentieren, dass das babylonische Exil in den biblischen Texten als göttliche Strafe dargestellt wurde. Aber die jüdischen Rabbiner in Babylon argumentierten, dass dieses Land zwar nicht an Israel heranreichen würde, aber unter allen Diasporaländern eine hervorgehobene Stellung besitze. Auch wurde betont, das Leben in Babylonien sei friedlicher als in Israel. Manch ein israelischer Jude äußerte sich trotzdem negativ über seine babylonischen Glaubensgeschwister und bezeichnete sie als dumm.

 

Für andere antike Diasporajuden hingegen galten die babylonischen Juden als Vorbild für eine gelungene Integration in eine fremde Gesellschaft, ohne die eigene Identität aufzugeben. Daran knüpften viele Juden in Europa an, und das erklärt, warum sich hier der „Babylonische Talmud“ einer so großen Beliebtheit erfreut hat. Als vom 19. Jahrhundert an die zionistische Bewegung innerhalb des europäischen Judentums eine immer größere Bedeutung gewann, verloren die positiven Aussagen über das Leben im Exil an Interesse und Überzeugungskraft. Es gab aber auch eine Gegenbewegung, vor allem im Reformjudentum, die die religiöse Bedeutung eines Lebens in der Diaspora hervorhob.

 

Das babylonische Judentum durchlebte in den ersten Jahrhunderten n. Chr. auch Phasen der Verfolgung, die in der Zerstörung ihrer Siedlungen und der Ermordung eines Exilarchen gipfelten. Die Eroberung Mesopotamiens durch arabisch-muslimische Armeen im 7. Jahrhundert eröffnete den Juden eine längere Phase relativ großer Entfaltungsmöglichkeiten. Bagdad wurde zum neuen Zentrum der Diasporajuden der Region, auch wenn das dortige Judentum später an Bedeutung verlor. Im 17. Jahrhundert wurde Mesopotamien ein Teil des Osmanischen Reiches und nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg von britischen Truppen besetzt.

 

Mit den wachsenden zionistischen Siedlungsbestrebungen in Palästina wuchsen die arabisch-jüdischen Spannungen, und dies wirkte sich auch im Irak aus. Die jüdische Minderheit wurde Opfer von Morden und Plünderungen. Nach der Gründung des Staates Israel wurden 1950 und 1951 insgesamt mehr als 100.000 irakische Juden mit einer Luftbrücke nach Tel Aviv geflogen.[7] Am Ende des 20. Jahrhunderts lebten nur noch etwa 100 ältere jüdische Menschen im Irak, und diese Zahl dürfte seither weiter gesunken sein. Mehr als zweieinhalb Jahrtausende jüdischer Präsenz an Euphrat und Tigris fanden vorerst ein Ende.

 

Die archäologischen Funde in Babylon und den anderen mesopotamischen Städten ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden von gläubigen Juden – wie von gläubigen Christen – mit großem Interesse verfolgt. Jüdische Archäologen und Assyrologen beteiligten sich an Ausgrabungen und mehr noch an der religiösen Interpretation der Forschungsergebnisse. Zunächst sahen viele in den Grabungsergebnissen eine Bestätigung der Bibel, kamen doch viele Orte wieder zum Vorschein, die in den biblischen Geschichten erwähnt werden. Nach der Entzifferung von Keilschrifttexten zeigten sich allerdings auch Ähnlichkeiten zwischen mesopotamischen Epen und biblischen Texten. Der „Babel-Bibel-Streit“, über den ich schon berichtet habe, wurde auch im deutschen Judentum diskutiert, wobei die Abwertung des Alten Testaments durch Friedrich Delitzsch und seine Mitstreiter das Judentum ganz direkt traf und deshalb vehement zurückgewiesen und argumentativ bekämpft wurde.

 

 

© Steinmann Verlag, Rosengarten

Autor: Frank Kürschner-Pelkmann

 



[1] Frantz Grenet: Viele Völker, viele Götter, Religionen im persischen Großreich, in: Welt und Umwelt der Bibel, 3/2011, S. 37.

[2] Helga Kaiser: Editorial, Die Herrschaft der Perser, Welt und Umwelt der Bibel, 3/2011, S 1.

[3] Erhard S. Gerstenberger: Ausgerechnet die Perser, in: Welt und Umwelt der Bibel, 3/2011, S. 33.

[4] Rainer Albertz: Die Exilszeit, a. a. O., S. 324.

[5] Ebenda, S. 310.

[6] Klaus Herrmann: „An den Wassern Babels saßen wir“, Babylon aus der Sicht des Judentums, in: Babylon Wahrheit, a. a. O., S. 529.

[7] Vgl. ebenda, S. 531.