„… so steht Oskar mit seinem Warenhaus und schmettert mit krähendem Organ seine ulkigen Redensarten in Hamburger Platt oder Missingsch in die Gegend. Unermüdlich sorgt er dabei für Umsatz, wirft Groschen auf Groschen in seine Zigarrenkiste, verkauft nach vorn, nach hinten und nach beiden Seiten. Denn ruhige Minuten kennt er nicht; er ist immer in Hochform – mit den Händen und mit dem Mundwerk. Seine Kundschaft betrachtet er als eine große Familie. Er kennt nur das vertrauliche ‚Du‘ als Anrede, wünscht aber auch selbst nur als ‚Oskar‘ angesprochen zu werden.“ So hat Paul Möhring, der eine Broschüre über „Oskar vom Pferdemarkt“ verfasst hat, das Original in den 1930er Jahren erlebt.
„Eine Wucht in Tüten!“ war einer der beliebtesten Sprüche von Oskar. Er hatte noch viele andere Sprüche drauf, zum Beispiel „Frech wie Oskar“. Manche der Sprüche gingen in den Sprachgebrauch der Hamburgerinnen und Hamburger über. Auch wenn er die Sprüche vermutlich nicht alle erfunden hat, so machte er sie doch populär. Das kam gut an auf dem Pferdemarkt (heute Gerhard-Hauptmann-Platz), und der Stand des Straßenhändlers war meist umlagert. Er erhielt den Ehrentitel „König der Straßenhändler“. Der „Hamburger Anzeiger“ schrieb über ihn: „Er ist gewissermaßen ein wanderndes Warenhaus … Und dazu gibt’s bei Oskar eine Zugabe, sein köstliches Missingsch, nämlich seinen drögen Humor. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund, dieser bewegliche, vierschrötige Kerl, und das mögen die Leute … Wer lacht nicht gern mal am Straßenrande zwischen Sorgen und ernsten Geschäften. Oskar weiß schon, wo jedem der Schuh drückt.“
Oskar vom Pferdemarkt hieß mit bürgerlichen Namen Fritz Krüger. Er wurde am 11. April 1902 in Hamburg geboren und wuchs in St. Pauli auf. Gern wäre er Schauspieler geworden, aber das kam für die Eltern, der Vater war Schriftsetzer, nicht infrage. Der Sohn sollte etwas Solides lernen und machte eine Schlosserlehre. Er versuchte trotzdem, als Schauspieler zu reüssieren, musste sich aber damit begnügen, als Mitglied des Laien-Theatervereins Thaliamund von 1911 auf der Bühne zu stehen. Später verkündete er stolz: „Ich hab früher mal im Zigeunerbaron mitgewirkt.“
Er entschloss sich, sein Glück als Straßenhändler zu versuchen. Der Anfang war schwer nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg angesichts einer hohen Inflation und Massenarbeitslosigkeit. Aber unter den sich allmählich verbessernden wirtschaftlichen Verhältnisse und zunehmenden eigenen Erfahrungen im Straßenhandel konnte er seine Eloquenz und Witzigkeit zur Geschäftsgrundlage machen und als Oskar vom Pferdemarkt einen hohen Bekanntheitsgrad erreichen. War er zunächst mit einem Bauchladen unterwegs gewesen, konnte er nun einen Verkaufsstand am Pferdemarkt eröffnen.
Der Pferdemarkt wurde seine große Bühne und das fast täglich. Seine Erkennungszeichen waren eine Schlägermütze, ein kariertes Tuch und aufgekrempelte Ärmel. An seinem Stand hatte er ein Schild mit diesem Text angebracht: „Sogar dat Bäbi in Kinnerwogen wet, bi Oskar warst nich bedrogen.“ Paul Möhring schreibt zum Erfolg dieses begnadeten Straßenhändlers: „Oskar hat sich im Laufe der Jahre eine nach vielen, vielen Tausend zählende ‚Gemeinde‘ geschaffen. Leute aller Berufsschichten sind seine treue Kundschaft, Leute aller Bildungsgrade stehen an seinem Stand, zu jeder Tageszeit und bei jedem Wetter, um sich durch den Humor dieses urwüchsigen Hamburgers mal so richtig durchschütteln zu lassen. Zu seinen besonderen Lieblingen aber gehörten Kinder.“
Zum bunten Sortiment des Straßenhändlers gehörten Rasierklingen, Schnürsenkel, Taschenmesser und Suppenlöffel. Vor allem bot er nützliche Dinge für Hausfrauen an. Hatte er einmal eine Ware nicht im Angebot, so verwies er die Kunden auf sein „Filiale“, womit er das große Kaufhaus Karstadt gegenüber seinem Stand an der Mönckebergstraße meinte. Und wenn ein potenzieller Kunde bedauernd erklärte, er habe gerade nicht genügend Geld dabei, verkündete Oskar: „Wer kein Geld hat, langt dem Nebenmann in die Tasche, vielleicht hat der noch was!“
Der Straßenhändler musste Soldat werden
Zu seiner Entlastung stellte Oskar seinen Freund Heini ein, der einen eigenen Stil fand, um das Publikum anzulocken und zu unterhalten. Auch an den Tagen, an denen der Stand am Pferdemarkt von ihm betreut wurde, war er von Käufern umlagert. In seiner Freizeit war Oskar immer gern bereit, an wohltätigen Veranstaltungen mit lustigen Beiträgen mitzuwirken. In den 1930er Jahren ließ er sich auch für nationalsozialistische Vorhaben einspannen wie dem „Winterhilfswerk“ und dem „Reichskolonialbund“.
Der „König der Straßenhändler“ musste seinen erfolgreichen Handel 1940 vorerst beenden, weil er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Als er 1945 zurückgekehrt war, eröffnete er eine Kantine im Stadtpark, wo eine große Zahl von Behelfsheimen stand, sogenannte Nissenhütten, halbrunde Wellblechunterkünfte für Tausende Flüchtlinge und Ausgebombte. Als der Wirt 1951 einen handgreiflichen Streit zwischen Gästen schlichten wollte, traf ihn ein heftiger Handkantenschlag, der seinen Kehlkopf zertrümmerte. Dreizehn größere Operationen brachten ihm seine Stimme nicht zurück.
Der Prozess gegen Oskar und Heini
Ganz sprachlos war Oskar allerdings nicht und Humor hatte er noch immer. Das zeigte sich im Dezember 1951, als er zusammen mi seinem Kollegen Heini im Ziviljustizgebäude erscheinen musste. Der Geschäftsführer des Tanzlokals Café Keese hatte ihn und seinen Kollegen auf einen Schadensersatz von 1.500 Mark verklagt. Hintergrund war, dass Oskar, Heini und dessen Frau versucht hatten, das Lokal zu betreten. Die beiden Straßenhändler waren in Berufskleidung erschienen: mit Riesenschirmmütze, blauer Arbeitsschürze, sauberem Hemd, Pulli und Halstuch. So wollte der Portier sie nicht hereinlassen. Er rief den Geschäftsführer, der die beiden fragte: „Na, ihr wollt wohl ein Klavier abholen?“ Aber da kein Klavier abzuholen war, wollte er die beiden nicht ins Café lassen. Es kam zum Streit, bei dem eine wachsende Zahl von Passanten Partei für die stadtbekannten Oskar und Heini ergriff.
Oskar unterhielt die Anwesenden mit launigen Bemerkungen und Witzen, sodass die Zuhörerschaft immer weiter anwuchs und den Verkehr behinderte. Oskar sagte im Prozess zu seiner Verteidigung: „Wir sind zwei wunderbare Menschen, die auch in die Welt passen. Wir waren auch nicht total besoffen, und wenn so viele Menschen um uns herumstanden, dann liegt das eben an unserer Popularität.“ Einige wütende Sympathisanten der Straßenhändler entschlossen sich zu handfesten Argumenten und warfen mit Steinen einige Fenster des Lokals ein. Die herbeigerufene Polizei forderte die beiden Straßenhändler auf abzuhauen. Das taten sie nicht, was Oskar im Prozess gegenüber dem Richter so begründete: „Ich bin doch kein Verbrecher, ich hau nich äff. Das war mein Trotz, Herr Rat.“
Der Richter führte die Verhandlung mit Humor. Er hätte kürzlich ein Paar Schnürsenkel bei Oskar kaufen wollen und der hatte ihm geraten: „Nehmen Sie gleich zwei Paar, der Schiet hält ja doch nicht.“ Es gab Jubel im Zuschauerraum und der Richter versuchte nun, die beiden Straßenhändler für eine Schadensersatzzahlung zu gewinnen. 15 Mark sollten Oskar und Heini jeder zahlen. Der Café-Geschäftsführer, so war im „Hamburger Abendblatt“ zu lesen, „wurde ernstlich böse“. Die beiden Straßenhändler versuchten, den Richter auf jeweils 10 Mark herunterzuhandeln, aber der blieb bei 15 Mark. Oskar zahlte den Betrag, aber Heini legte Einspruch ein. Vergeblich. Es blieb bei den 15 Mark. Aber immerhin erlebte das Publikum eine zweite unterhaltsame Verhandlung, bei der Heini nun allein als Beklagter und Oskar als Zeuge auftraten.
Das traurige Lebensende eines Originals
Aber Oskars Sprachprobleme verschlimmerten sich. Trotzdem versuchte er, noch einmal an seine großen Erfolge als Straßenhändler anzuknüpfen. Er war weiterhin schlagfertig und originell, aber die Umstehenden verstanden ihn kaum noch. Nun holte ihn also doch noch das Schicksal anderer berühmter Originale ein, arm dran zu sein und einen traurigen Lebensabend zu verbringen. Er starb am 18. Februar 1969. Aus der Todesanzeige erfuhr man, dass Oskar vom Pferdemarkt gestorben war, und nur in Klammern stand dahinter Fritz Krüger. Seinem Sarg folgten auf dem Ohlsdorfer Friedhof neben der Familie auch manche seiner früheren Kundinnen und Kunden.
Von das Gedicht des zufriedenen Kunden H. Brendel, das in den 1930er Jahren in der Zeitschrift „Hummel“ erschien:
Der „Oskar“ auf dem Pferdemarkt
das ist ein Unikum.
Auf seinem Platz umringt ihn stets
Ein lust’ges Publikum.
Er ist nicht nur ein Unikum,
auch ein Verkaufsgenie;
denn was er feilhält zum Verkauf,
verkauft er, wie noch nie.
Ja, er versteht sich auf den Dreh. –
Den Leuten, die da stehn,
versteht er mit Humor und Witz
die Ware anzudreh’n.
Zu seiner Ehre sei gesagt:
- das ist nicht mehr wie recht –
Was er da anpreist mit Humor
Ist billig und nicht schlecht.
Wer einmal was von ihm gekauft,
kommt immer gerne wieder.
Und darum blüht auch sein Geschäft
so wie im Mai der Flieder.
Es gibt von Händlern seiner Art
in Hamburg nur den einen.
Es gibt nur einen „Oskar“ hier,
sonst gibt es weiter keinen.
So Oskar, so gefällst du mir,
denn du verstehst den Rummel.
Mach weiter so. – Ich grüße dich
Als Kunde. – Hummel! Hummel!
Noch ein Gedicht? Dieses schickte ein zufriedener Kunde aus dem fernen Bombay (heute Mumbai) an Oskar:
Aus Indiens heißen Gestaden
Denk ich an deinen Laden,
an dem so manche Stunde
stehend ich verbracht,
der Redeschwall aus deinem Munde
hat immer zum Lachen mich gebracht
reimt sich dieser Gruß auch schlecht,
er kommt von Herzen - er ist echt!
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro