Schritte zu einer anderen Globalisierung - Gesundheit

 

1 Das Überleben von vielen Millionen Menschen im Süden der Welt ist dadurch gefährdet, dass die Medikamente zu Preisen angeboten werden, die weit über ihren finanziellen Möglichkeiten liegen. Ziel muss es deshalb sein, ihnen kostenlos oder zu einem minimalen Preis die Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, die sie zur Gesundung oder zur Linderung ihrer Schmerzen brauchen.

 

2 Es muss verhindert werden, dass kriminelle Banden, die international operieren, die Notlage von armen Menschen ausnutzen, um mit hohen Gewinnen gefälschte Medikamente zu verkaufen. Dies erfordert ein System der Verteilung und des Verkaufs von Medikamenten, das überschaubar ist und Kontrollen importierter Medikamente einschließt. Ein wirksames Mittel gegen die oft mörderischen Aktivitäten der Fälscher besteht darin, bezahlbare Medikamente in Krankenhäusern und zugelassenen Apotheken anzubieten.

 

3 Das Konzept der Weltgesundheitsorganisation WHO, mit einer Liste unentbehrlicher Arzneimittel, den Import und Verkauf von Medikamenten zu verhindern, die nicht gebraucht werden oder überteuert sind, verdient eine breite Unterstützung. Es kann auch in Ländern wie Deutschland zur Begrenzung der Arzneimittelkosten beitragen. Damit dieses Konzept wirkt, muss es eingebettet sein in ein umfassendes Reformprogramm des Gesundheitswesens, das zum Ziel hat, eine finanzierbare Versorgung für alle sicherzustellen und dafür auch die Gewinnmöglichkeiten einzelner Akteure wie der Pharmaunternehmen zu begrenzen.

 

4 Der staatliche Beitrag zur medizinischen Forschung dient häufig dazu, die heimischen Pharmaunternehmen bei der Entwicklung neuer Medikamente zu unterstützen, vor allem in der Durchführung von Grundlagenarbeit für die Gewinnung neuer Wirkstoffe. Der Staat sollte sich stärker auf die Bereiche konzentrieren, wo es kein ausreichendes privatwirtschaftliches Interesse gibt, so vor allem auf Mittel gegen Krankheiten, die unter armen Menschen in den Tropen weit verbreitet sind. Dabei gilt es auch, die Forschungskapazitäten in den Ländern des Südens selbst zu stärken.

 

5 Das internationale Patentrecht, wie es gegenwärtig vor allem in der Welthandelsorganisation formuliert und durchgesetzt wird, muss grundlegend reformiert werden. Der gegenwärtige 20jährige Patentschutz entspricht ausschließlich den Interessen der großen Pharmaunternehmen in der westlichen Welt. Es muss den armen Ländern erlaubt werden, beziehungsweise erlaubt bleiben, Medikamente zu produzieren und auch in andere Länder des Südens zu exportieren, die nicht zuletzt deshalb preiswert sind, weil Patente auf die Wirkstoffe nicht anerkannt werden. Diese preiswerten Medikamente, die unter anderem in Indien produziert werden, ermöglichen die Arzneimittelversorgung vieler Millionen Menschen.

 

6 Die WTO-Verhandlungen über Patentrechte und bilaterale Verhandlungen, wie sie vor allem von den USA vorangetrieben werden, dienen nicht nur dem Ziel, einen großen globalen Medikamentenmarkt zu schaffen, sondern auch dazu, unliebsame Konkurrenten ohne Patente aus diesem Markt zu verdrängen. Diese Verhandlungen müssen sehr viel kritischer begleitet und beeinflusst werden. Dabei kann nicht oft genug herausgestellt werden, dass auch viele westliche Staaten noch vor kurzer Zeit selbst keine Patente auf Medikamente anerkannt haben und dass viele der patentierten Medikamente auch auf staatlich finanzierten Forschungsprogrammen beruhen.

 

7 Der Aufwand der großen Pharmaunternehmen für Werbung und Marketing erreicht bis zu einem Drittel des Umsatzes. Dadurch werden die Medikamente nicht nur unnötig verteuert, sondern es wird auch eine einseitige Ausrichtung vieler Fortbildungsangebote für Ärztinnen und Ärzte auf die Interessen der finanzierenden Pharmaunternehmen gefördert. Ebenso wird eine unabhängige Berichterstattung in vielen Zeitschriften verhindern, und sie werden zu PR-Instrumenten missbraucht, obwohl sie zur Fortbildung der Ärzteschaft dienen sollen. Es muss sowohl bei uns als auch im Süden der Welt eine von Geschäftsinteressen unabhängige Fortbildung und medizinische Fachpresse gefördert werden.

 

8 Der Gesundheitsbereich muss eine Priorität der Förderungen kirchlicher Entwicklungsorganisationen und Missionswerke bleiben. Dazu gehört auch der Medikamentenbereich. Keine Hilfe für die von Krankheit betroffenen Menschen sind unprofessionell zusammengestellte und nach Afrika oder Asien gesandte Medikamentenspenden. Das „Deutsche Institut für Ärztliche Mission“ hat einen Leitfaden erarbeitet, der hilft, solche Fehler zu vermeiden.

 

9 Besser als Medikamentenspenden sind oft Hilfen beim Aufbau einer einfachen Arzneimittelproduktion im Lande selbst. Es gibt viele ermutigende Beispiele dafür, dass mit geringem Finanzaufwand und guten Fortbildungsangeboten für Beschäftigte von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen eine solche lokale Versorgung entstehen kann. Solche Initiativen sollten noch stärker gefördert werden, um die extreme Abhängigkeit von Importen zu vermindern.

 

10 Seit vielen Jahrtausenden tragen Heilpflanzen erfolgreich dazu bei, kranke Menschen zu heilen und Schmerzen zu lindern. Dieses Wissen ist in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt worden. Mancherorts wird jetzt versucht, die Wirkung von Heilpflanzen systematisch zu untersuchen und das Wissen von traditionellen Heilkundigen für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung einzusetzen. Dabei sind schon beachtliche Erfolge erzielt worden.

 

Bedroht wird die Verwendung von Heilpflanzen als preiswerte und gute Alternative zu den Angeboten der Pharmaindustrie allerdings dadurch, dass skrupellose Unternehmen sich die Patente an den Wirkstoffen von Heilpflanzen sichern und damit weltweite Monopole auf die Nutzung solcher Wirkstoffe dazu nutzen, teure Medikamente anzubieten. Das Patentrecht muss dringend präzisiert und verändert werden, um solche Aneignungen des Jahrtausende alten Wissens der Völker der Welt zu verhindern.

 

12 Die Auswüchse des Geschäfts mit Medikamenten zeigen, wie dringend erforderlich es ist, sich darauf zurückzubesinnen, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist und dass alle Tätigkeiten zur Erhaltung oder Wiederherstellung von Gesundheit mit einer hohen Verantwortung verbunden sind. Kirchliche Klöster und Krankenhäuser haben seit vielen Jahrhunderten gezeigt, wie eine Gesundheitsversorgung jenseits von Gewinnmotiven gestaltet werden kann. Diese Tradition gilt es neu zu beleben und als Alternative zu dem Versuch zu propagieren, den Gesundheitsbereich in einen einzigen globalen und sehr profitablen Markt zu verwandeln. Teil des kirchlichen Engagements muss es sein, die alternativen Konzepte für die Versorgung mit Medikamenten zu fördern.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann