Badekulturen

 

Er müsste eigentlich zum Schirmherrn aller Wellnessbäder erklärt werden. Der römische Kaiser Diokletian ließ 217 n. Chr. die erste wirklich gigantische Badelandschaft bauen, 140.000 Quadratmeter, ein Rekord, der fast zwei Jahrtausende bestehen blieb. Die römische Badekultur war bestimmt durch den Wunsch nach Erholung, Gesundheit, Unterhaltung, Wohlbe­finden … Wellness eben. Laut ging es zu, verrät uns der Dichter Seneca, der neben einem Badehaus wohnte: „Ein Gepfeife und Gejohle … Lässt sich einer massieren, höre ich das klatschende Geräusch auf seinen Schultern. Ganz zu schweigen vom Schwimmbecken und dem Mordslärm, den jedes Eintauchen dort verursacht.“

 

Mit dem Römischen Reich ging auch diese Badekultur zugrunde. Baden war nun verpönt, und Päpste sollen verkündet haben, dass schlechter Körpergeruch vor Verlockungen bewahre. Im Mittelalter entstanden trotzdem in Mitteleuropa neue Badehäuser, einfacher gebaute, aber hoch geschätzte Orte der Gesundheit, der Erholung und des Vergnügens. Dass Männer und Frauen hier zusammen badeten und sich von Zeit zu Zeit zu zweit in einen Alkoven zurückzogen, war der Obrigkeit ein Dorn im Auge, nicht zuletzt der geistlichen Obrigkeit. Da traf es sich gut, dass Pest und Syphilis sich verbreiteten, sodass die Badehäuser als vermeintliche Horte der Ausbreitung von Krankheiten aller Art geschlossen wurden. Auch wurden Behauptungen verbreitet, waschen schade der Gesundheit, weil mit dem Wasser auch schädliche Stoffe in den Körper gelangen würden. Mit solchen Auffassungen wurde aber im Gegenteil die Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen gefördert.

 

Mit den Vermutungen von der Schädlichkeit von Wasser machten die Verfechter der Aufklärung Schluss. Christoph Wilhelm Hufeland verfasste eine Schrift über „Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern“, in der er – damals eine geradezu revolutionäre Botschaft – empfahl, täglich den ganzen Körper mit Wasser zu waschen und jede Woche wenigstens einmal in lauem Wasser zu baden. „Zurück zur Natur!“, der Schlachtruf Rousseaus in den geistigen Auseinandersetzungen, galt auch für das Baden im Wasser. Im nachrevolutionären Paris wurden die ersten Badeanstalten eröffnet, sogar dem Orient nachempfundene Dampfbäder kamen in Mode. Beliebt waren auch Badeschiffe in der Seine, wo man in gefiltertem und beheiztem Flusswasser ein Wannenbad nehmen konnte. In England wurde das Baden im Meer propagiert. So berichteten die „Göttinger Zeitschriften von Gelehrten“ 1851: „daß sogar die erlauchten Fürsten aus dem Königlichen Stamme sich des Seewassers diesen Sommer bedienet haben“.

 

In Deutschland brauchte es noch einige Zeit, bis die Badekultur zu einer neuen Blüte kam, auch wenn Friedrich Schiller im „Wilhelm Tell“ verkünden ließ: „Es lächelt der See, er ladet zum Bade.“ Zwar entstanden Kurbäder wie Baden-Baden, aber hier wurde das Wasser aus Gläsern getrunken und gelegentlich ein warmes Wannenbad genommen. Ansonsten wurden Spielkasino und Pferderennbahn zu Orten des Vergnügens. Auch zu Hause war man zurückhaltend, zu viel Wasser an sich herankommen zu lassen. So hatte noch Kaiser Wilhelm I. keine Badewanne in seinem Palais Unter den Linden. Wenn seine kaiserliche Hoheit baden wollte, musste eine Badewanne aus einem benachbarten Hotel ausgeliehen und von den Dienern ins Schloss geschleppt werden.

 

Wie Badekarren für Anstand sorgten

 

Die Aufklärer hatten dennoch Erfolge zu feiern. 1793 konnte in Heiligendamm bei Bad Doberan das erste Seebad nach dem Vorbild des englischen Brighton eröffnet werden. Heiligendamm wurde bald ein mondäner und teurer Badeort, wo von Zar Peter I. bis Lord Nelson zahlreiche gekrönte und ungekrönte Persönlichkeiten das Badehaus besuchten und auf der Seebrücke flanierten. Hier herrschten aber keine Zustände wie im alten Rom, sondern der Anstand regierte zumindest oberflächlich die Szene.

 

Das galt auch für die in rascher Folge entstehenden weiteren Seebäder an Nord- und Ostsee. Undenkbar, dass die Gäste einfach in die Fluten stiegen und welche Blöße auch immer zeigten. Zur Bewahrung des Anstands wurden Badekarren entwickelt, in die die Gäste einzeln stiegen und dann einige Meter ins Meer gerollt wurden. Joseph von Eichendorff hat solche Karren 1805 bei einem Besuch im Seebad Travemünde so beschrieben: „Jeder dieser Karren besteht aus einem kleinen niedlichen Stübchen, mit Stühlen, Stiefelknecht u. allen Bequemlichkeiten, das auf 2 Rädern steht, u. auf der See-Seyte ganz offen ist. Hat sich nun der Badende in die kleine Wohnung einlogiert, so wird sie einige Schritte weit ins Meer hineingeschoben, u. er kann sich nun auf einer vorangebrachten Strickleiter ohne alle Gefahr so tief in die See herablassen, so er Lust hat …“

 

Damit war der Sittlichkeit Genüge getan, könnte man denken, aber die Seebäder wollten keinen Zweifel am Anstand aufkommen lassen. Sie unterteilten den Strand in drei Bereiche: einen für die Badekarren der Männer, einen für die der Frauen und einen neutraler Bereich in der Mitte, in dem nicht gebadet werden durfte. In Travemünde durften Männer und Frauen erst 1927 gemeinsam im Strandkorb sitzen und am gleichen Strandabschnitt baden. Noch 1914 schrieb Franz Kafka, dass er in diesem Seebad „durch die nackten Füße als unanständig aufgefallen“ sei. Das tat der Beliebtheit der Seebäder offenbar keinen Abbruch. In rascher Folge entstanden im wilhelminischen Deutschland neue Seebäder, und wer das Glück hatte, die kaiserliche Familie anzulocken wie Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, wurde jeden Sommer zum Treffpunkt derer, die sich im Winter in den Schlössern und Palais trafen. Die Bäderarchitektur dieser Orte lässt noch heute etwas von der früheren Pracht ahnen. Im wieder teuren Heiligendamm prangt am Kurhaus wieder auf Latein ein Versprechen, das auf Deutsch so heißt: „Freude empfängt dich hier, entsteigst du gesundet dem Bade.“

 

Parallel zu den Seebädern erlebten auch die Heilbäder im Binnenland vom 19. Jahrhundert an einen raschen Aufschwung. Ihre Existenzgrund­lage sind Heilwässer, die mit Mineralien angereichert an die Erdoberfläche treten. Je nach Zusammensetzung helfen diese Heilwässer gegen fast alle Krank­heiten der Welt, von Magen-Darm-Beschwerden bis zu Hauterkrankungen. In vielen dieser Bäder orientiert man sich an den Empfehlungen von Pfarrer Sebastian Kneipp und bringt den Kreislauf mit kalten und warmen Güssen, Wassertreten und Wadenwickeln, Wannenbädern und kalten Armbädern in Schwung. Und wer sich an die Gesundheitsratschläge Kneipps hält, der macht bei kalten Kniegüssen vielleicht die gleichen Erfahrungen wie dieser selbst: „Nach acht bis zehn Kniegüssen ist jedes Schmerzgefühl verschwunden. Mit Behagen, mit einem gewissen Sehnen, erwartet man den nächsten Strahl, der in so kurzer Zeit die verweichlichten Füße so bedeutend gestärkt hat.“

 

In den mondänen Bädern waren die Reichen und Mächtigen unter sich, wenn man einmal von ihren Dienern und Köchinnen absieht. Aber Sozialreformer wollten, dass auch das „einfache Volk“ die Vorteile eines Bades im Salz- oder Süßwasser – oder doch wenigstens in der Badewanne – genießen konnte. Der Sozialreformer Oskar Lassar forderte 1887: „Jedem Deutschen ein Bad pro Woche!“ An Badewannen in jeder Wohnung war noch nicht zu denken, aber in Städten wie Hamburg und Berlin wurden erste Wasch- und Badeanstalten für „Unbemittelte“ erbaut, in denen in Badewannen gebadet werden konnte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurden die ersten öffentlichen Hallenbäder eröffnet. Um auch ärmeren Schichten einen Aufenthalt an der See zu ermöglichen, ließ Pastor Friedrich von Bodelschwingh von 1890 an Seehospize auf der Insel Amrum bauen, und auch in vielen anderen Badeorten entstanden Sanatorien und Erholungsheime. So wurde aus der exklusiven Sommerfrische für die Reichen und Mächtigen allmählich eine Massenbewegung. Mit Badekarren war diesem Ansturm nicht zu begegnen, und so änderten sich die Badegewohnheiten binnen weniger Jahrzehnte. Ausgerechnet von den Baracken einer nicht mehr benötigten Marineartilleriestellung in den Dünen von Sylt ging nach dem Ersten Weltkrieg so etwas wie eine Revolution aus: Die jugendbewegten Urlauber Klappolttals badeten mit ohne etwas an.

 

Baden heute

 

Mittlerweile gehören Badewannen und/oder Duschen zur Ausstattung der meisten Wohnungen und Häuser in Deutschland. Dem Luxus scheint für alle, die es bezahlen können, keine Grenze gesetzt zu sein: Whirlpool, Marmor­waschbecken, goldene Wasserhähne … Der bekannte Architekt und Designer Antonio Citterio hat Luxusbäder nach dem Maßstab entworfen: „Wasser ist Reichtum, ein Luxus.“ Und hinzugefügt: „Die Wasserquelle im Badezimmer ist also ein wichtiger Ort, deshalb muss das Produkt seine Bedeutung widerspiegeln.“ Solche Sorgen möchten wir haben, werden vermutlich die mehr als eine Milliarde Menschen sagen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.

 

Parallel zu immer luxuriöseren Badezimmern sind aus vielen städtischen Schwimm­bädern inzwischen (teurere) Erlebnisbäder geworden. Die Wellnesswelle sorgt dafür, dass die Globalisierung auch in die Bade- und Erholungswelt Einzug gehalten hat. Wer will, kann weiterhin 50 Meter Bahnen schwimmen, aber es werden auch ayurvedische Massagen, türkische Dampfbäder, Peeling mit Meersalz und Er­holung auf beheizten Speck­steinliegen, Vulkansauna und Cleopatra-Bad geboten.

 

Einen neu eröffneten Marmorpalast hat Julia Kloft in Hamburg besucht, den zweiten türkischen Hamam der Stadt. In „Spiegel Online“ beschrieb sie ihre Erfahrungen am 5. Februar 2007 so: „Mit 700 Quadratmetern ist er mehr als doppelt so groß, die gesamte Inneneinrichtung wurde aus der Türkei importiert und von Selma Costur selbst entworfen. ‚Wir wollten ein Stück Hochkultur unseres Heimatlandes nach Hamburg bringen’, sagt sie. Seit Hunderten von Jahren gehört der Hamam zur türkischen Badekultur. Das strenge Reinlichkeitsgebot des Islam schreibt tägliche Waschungen vor.

 

1584 wurde das erste öffentliche Badehaus in Istanbul gebaut. ‚Die Errichtung eins Hamams war früher den Sultanen vorbehalten’, berichtet Coskun Costur’. ‚Er diente neben der Reinigung auch dem sozialen Austausch. Die Religion schreibt jedoch eine strenge Trennung der Geschlechter vor.’“ Das ist in Hamburg nicht der Fall. Nur dienstags und mittwochs ist der Hamambesuch den Damen vorbehalten und das Personal ausschließlich weiblich. An den restlichen Tagen ist das Publikum gemischt – so auch heute ... Nur mit Bikinislip, Badelatschen und Pestemal, einem Minihandtuch, bekleidet betrete ich den marmornen Baderaum. Es ist feuchtwarm, das Licht ist gedimmt, einer der Masseure singt auf Türkisch vor sich hin. Auf einem großen Marmorsockel in der Mitte des Raumes, dem Nabelstein, liegt ein junges Pärchen ... Nachdem ich mich begossen habe, strecke ich mich auf dem beheizten Nabelstein aus und betrachte die Lichtkuppel über mir. ‚Wohlige Wärme’ bedeutet das Wort Hamam. Sie öffnet die Poren und weicht die Haut auf, um sie auf das nachfolgende Peeling vorzubereiten ... Ein Wasserschwall klatscht gegen meine Füße. ‚Das ist der Weckruf’, sagt Ismael ... Ismael übergießt mich mit einer Schale Wasser, dann zieht er einen Handschuh aus Wildseide, die Kese, über und nimmt sich mein linkes Bein vor. Nach und nach wird mein ganzer Körper mit gleichmäßigen Bewegungen gestriegelt, bis meine obere Hautschicht nur noch in kleinen Fetzen an mir klebt. Ismael spült sie mit Wasser ab ...“ 

 

Ganz andere Erfahrungen macht man im Ende 2004 eröffneten Badeparadies „Tropical Islands“ in Brandenburg. In einer riesigen Halle, in der ur­sprünglich Luftschiffe gebaut werden sollten, entstand auf einer Fläche von 366 mal 213 Metern endlich eine blühende Landschaft, eine künstliche Tropenwelt mit 12.000 Tropenpflanzen. Etwa 70 Millionen Euro hat ein malaysischer Ge­schäftsmann in den Ausbau der größten freitragenden Halle der Welt investiert. Der „Ozean“ mit fünf Millionen Litern Wasser hat eine Temperatur von 28 Grad, und wem das nicht reicht, der kann in die „Bali-Lagune“ wechseln, wo das Wasser auf 31 Grad aufgeheizt wird. Die Luft hat angenehme 25 Grad. In einer 107 Meter hohen Halle kostet das viel Energie – so viel, wie eine Kleinstadt verbraucht, kritisierte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Cornelia Behm.

 

In den Medien war nicht nur Lob über die neue Tropenwelt zu lesen, so bezeichnete der Berichterstatter der „Frankfurter Rundschau“ das Ganze als „eine hastig zusammengezimmerte Kulisse, in der südostasiatische Versatzstücke mit deutschen Sicherheitsstandards verschraubt werden“. Und in der „Süddeutschen Zeitung“ war von einem „Paradies der Künstlichkeit“ zu lesen, und es wurde beklagt: „Der Wahnsinn solcher Kunstwelten, ihre unökologische Exzentrik und ihre banale Verkaufstüchtigkeit auf dem Feld der Träume, wird selten in der Öffentlichkeit diskutiert.“ Ob genügend Besucher kommen werden, um in einem Riesenpool zu baden und im Tropendorf Afrika, Thailand und Samoa dicht beieinander zu haben, bleibt abzuwarten. Wer sich im warmen Wasser treiben lässt, hört aus dem Lautsprecher Affen kreischen, Vögel singen und Elefanten trompeten. Wie im richtigen Tropenleben – oder doch so ähnlich.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann