Traditionelle Darstellung der Ankunft der drei Weisen beim neugeborenen Jesuskind
Traditionelle Darstellung der Ankunft der drei Weisen beim neugeborenen Jesuskind Foto: iStock.com/DawidKasza

Weise aus dem Morgenland

 

Matthäus 2,1-12  Bibeltext

 

Nachdem Matthäus von der Geburt Jesu berichtet hatte, führte er die Magier aus dem Morgenland in die Geschichte ein. Dass es drei waren, steht nicht im bib­li­schen Text. Das wurde in der christlichen Tradition erst später daraus geschlossen, dass die Weisen oder Magier drei Geschenke oder genauer formuliert drei Arten von Geschen­­ken überreichten. Deshalb ist in Gottesdiensten und vor allem Kindergottesdiensten bei uns von drei Königen die Rede. In anderen christlichen Traditionen wird hingegen von bis zu einem Dutzend Magiern ausgegangen. Die bei uns gebräuchlichen Namen von Kaspar, Melchior und Balthasar lassen sich zuerst auf einem Mosaik in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert nachweisen. Ver­mutlich ist diese Tradition aber älter. Wie die Magier zu diesen Namen kamen, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei klären.

 

Die Geschichte von den Weisen oder Magiern gehört zu den schönen, fast märchenhaften Beschreibungen im Neuen Testament. Ist sie zu schön, um wahr zu sein? Fest steht, dass die Weisen nicht zufällig in das Evangelium des Matthäus geraten sind. „Mit den Gaben, die sie bringen, symbolisieren sie die Völker auf ihrer endzeitlichen Wallfahrt zum Zion (vgl. Jes 60, besonders 60,6)“, schreibt Professor Tobias Nicklas in einem Zeitschriftenbeitrag zur „Karriere der Weisen“.[1]

 

Es muss überraschen, dass Matthäus hier die Bezeichnung der Magier gewählt hat, die ansonsten sowohl im Alten als auch im Neuen Testament ausgesprochen negativ besetzt ist. Das an dieser Stelle verwendete griechische Wort hatte in der Antike überwiegend einen negativen Klang, auch wenn es in Persien einen Lehrer von Prinzen bezeichnete.[2] Es ist also kein Zufall, dass in der heutigen Lutherbibel der Begriff Magier vermieden wird und man sich für die Übersetzung „Weise“ entschied. In anderen Übersetzungen ist von „Sterndeutern“ die Rede. In der „Bibel in gerechter Sprache“ wird von „königlichen Magiern“ gesprochen.

 

In der westlichen Tradition wurden etwa im 9. Jahrhundert die Sterndeuter und Magier zu Königen, und dafür schien es sogar einen biblischen Anknüpfungspunkt zu geben, heißt es doch bei Jesaja im 60. Kapitel, Vers 3: „Und die Völker werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.“ Vom 15. Jahr­hundert an stellten europäische Maler die Anbetungsszene mit Königen aus Asien, Afrika und Europa dar, die seit dem Mittelalter bekannten Kontinente. Über Hieronymus Bosch und Albrecht Dürer fand der „Mohr“ endgültig Eingang in die Tra­dition der heiligen drei Könige.[3] Die drei Könige sind heute zu Symbolen dafür geworden, dass Menschen in aller Welt Jesus nachfolgen. Und mit den „Sternsin­gern“, die von Haus zu Haus gehen und singen, um Spenden für Projekte zugunsten von Kindern im Süden der Welt zu sammeln, ist auch die Dimension des weltweiten ökumenischen Teilens in eine Tradition aufgenommen worden, die mit drei Ma­giern begann.

 

Heribert Prantl, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, hat im März 2011 in einem Rundfunkbeitrag über ein heutiges Verständnis der Magier nachgedacht: „Es ist Fastenzeit, Weihnachten ist vorbei, die Krippe weggepackt. Aber die klassische christliche Krippe hat Figuren parat, die zeigen, wie man kulturelle Spaltung überwindet, sie gehören nicht weggepackt. Es sind die Heiligen Drei Könige. Der Stattlichste, Jüngste und Schönste ist der Fremdeste – der Schwarze. Das könnte heißen: Eine Gesellschaft muss Fremdes annehmen, sich bereichern lassen können, muss offen sein für das Ungewohnte und Neue.“[4] Für Herbert Prantl stehen die drei Könige in einer heutigen Interpretation für Judentum, Christentum und Islam, und er zieht aus der biblischen Geschichte den Schluss: „Man findet Gott nicht im Wettlauf, nicht im religiösen Wettkampf, man findet ihn miteinander.“[5]

 

Dass drei heidnische Magier die Ersten waren, die den neugebo­renen Heiland angebetet haben sollen, kann als ein früher Hinweis darauf verstanden werden, dass sich die Botschaft von Jesus von Nazareth auch (!) an die Nicht-Juden richtete. Der indische katholische Theologe Joseph Titus, der in Bangalore unterrichtet, hat dies in einem Aufsatz so hervor­gehoben: „Am Anfang von Jesu Leben brechen die trennenden Mauern zwischen den Rassen und Kulturen nieder. Diese Geschichte unterstreicht die universalistische Öffnung des Evangeliums.“[6]

 

Die Magier im Verständnis von Martin Luther

 

Wer die Vorstellung von drei Königen in das Reich der Legenden einordnet, der kann sich auf Martin Luther berufen, denn der schrieb 1522: „Diese Weissager nennt man gemeinlich die drei Könige, vielleicht nach der Zahl der drei Opfer. Das lassen wir so gelten bei den Einfältigen; denn es ist nicht viel dran gelegen. Aber es ist nicht bekannt, ob ihrer zwei, drei oder wieviel ihrer gewesen sind … Und es wird ihrer ein Häuflein (eine größere Schar) gewesen sein, unter welchen etliche Herren waren, gleichwie noch jetzt ein Fürst oder eine Stadt etliche Vornehme aus ihrer Mitte als Botschafter mit Geschenken zum Kaiser schicken könnten. Also ist’s auch hier zugegangen.“[7]

 

Bei gleicher Gelegenheit hat Luther sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, wer diese Fremden waren: „Die der Evangelist hie nennt Magier, heißen wir auf Deutsch die Weissager, nicht wie die Propheten weissagen, sondern durch schwarze Kunst, wie die Tartaren und Zigeuner pflegen. Daher spricht man von weisen Männern und weisen Frauen, die den Leuten allerlei Dinge sagen können, viel heimliche Kunst wissen und Abenteuer treiben. Und ihre Kunst heißt Magia und geht mit Teufelskraft zu, jedoch nicht immer so, wie’s die Hexen und Zauberinnen tun. Denn der Magier ahmt die rechten Propheten nach und weissagt wie die rechten Propheten, aber doch nicht aus Gottes Geist.“[8]

 

Die Magier, von denen der Evan­gelist berichtet, war Martin Luther überzeugt, verließen sich nicht allein auf ihre Vernunft, sondern waren offen für Wunderzeichen. „Hie lehren uns nu diese Magier den rechten Glauben. Nachdem sie die Predigt und das Wort aus dem Pro­pheten gehört, sind sie nicht faul noch langsam gewesen, zu glauben. Und beachte auch ihre Anstöße und Hindernisse! Der erste Fehlschlag ist: Sie kommen nach Jerusalem in die Hauptstadt und finden ihn nicht, der Stern ist auch verschwunden …“[9] Auch durch weitere Hindernisse ließen sie sich nicht von ihrem Weg und ihrem Glauben abbringen. Sie sind nach Überzeugung des Reformators deshalb beispielhaft für Gläu­bige, die ihren Gefühlen vertrauen sollen und nicht nur der Vernunft. Solche Menschen können sich darauf verlassen, dass Gott sie behütet: „Denn so genau hat er Acht auf diese Magier, dass er auch für ihre Heimfahrt Sorge trägt und sie im Schlaf drüber belehret.“[10]

 

Nach Luthers Verständnis ist es also kein Irrtum des Evangelisten und auch kein Zufall, dass ausgerechnet die Magier zu Zeugen der Geburt des Heilands geworden sind. Für den Reformator sind sie Zeugen dafür, dass die Vernunft allein nicht zum Glauben führt: „Aber Gott hat nicht alle Natur offenbart. Drum ist nu die Vernunft neugierig und will immer mehr wissen, daher hat sich das Studieren und Erfor­schen der Natur erhoben. Nu ist’s nicht möglich nach Adams Fall, der die Vernunft verblendet hat, dass die Natur von der Vernunft weiter erkannt werde, als es die Erfahrung oder göttliche Erleuchtung gibt. Da kann die unruhige Vernunft nicht still bleiben und sich genügen lassen, will’s alles wissen und sehen, wie ein Affe. Darum hebt sie an und dichtet und forschet weiter als ihr befohlen ist und verachtet, was ihr die Erfahrung oder Gott gegeben hat, und ergreift doch auch so nicht, was sie sucht. So wird all ihr Studieren und Wissen eitel Irrtum und Rattenwerk.“[11] Martin Luthers Interpretation macht deutlich, dass es neue Perspektiven eröff­net, wenn man die Bezeichnung „Magier“ oder „Wahrsager“ im Matthäus­evan­gelium ernst nimmt.

 

Der neue König ist nicht im Palast zu finden

 

Die Magier hatten vom neugeborenen König der Juden gehört, berichtet Matthäus, und waren gekommen, ihn anzubeten. Sie folgten einem Stern und gelangten nach Jerusalem, wo sie König Herodes aufsuchten und ihn fragten, wo der neuge­borene König zu finden wäre. Diese Frage an den König hatte in der Erzählung von Matthäus weit­reichende Folgen. Denn sie machte Herodes auf das neugeborene Jesuskind aufmerksam und war bald darauf Anlass für einen schrecklichen Kin­dermord. Aber wir müssen über diesen Massenmord nicht erschrecken, denn die Magiergeschichte ist eine Legende, und deshalb können wir uns darauf beschränken, zur Kenntnis zu nehmen, dass es für den weiteren Erzählungsverlauf für Matthäus wichtig war, dass die weitgereisten Fremden am Hofe des Königs erschienen. He­rodes erschrak „und mit ihm ganz Jerusalem“. Der König befragte Hohepriester und Schriftgelehrte, wo der Messias geboren werden sollte.

 

Dass die Magier den neu­geborenen König in der Darstellung des Evangelisten Matthäus im Palast von König Herodes such­ten, kann nicht überraschen. Und an­gesichts der vie­len prophetischen und messianischen Bewegungen im Ju­den­tum zur Zeit des He­ro­des war es nicht unwahrscheinlich, dass dieser von den Römern eingesetzte und im Volk unbeliebte König mit der Möglichkeit der Geburt eines endzeitlichen Messias-Königs rechnete, als die Magier ihm von dem Stern erzählten, der ihnen den Weg zu dem neugeborenen König der Juden wies. Es hat innerhalb der Geschichte also eine innere Logik, dass Herodes die bedeutendsten Fachleute in religiösen Fragen her­beirief, um zu erfahren, wo dieser König geboren werden sollte.

 

Bei Matthäus ist dies Anlass für eine sehr negative Darstellung der damaligen Vertreter des Judentums. Hubertus Halbfas schreibt dazu in seinem Standardwerk „Die Bibel“: „Zweifelsohne ist es eine kühne Konstruktion, den ungeliebten König Herodes zusammen mit ‚allen Hohenpriestern und Schriftgelehrten’ in eine unhei­lige Front zu stellen. Diese Koalition hat nie existiert. Ebenso wenig lässt sich ‚ganz Jerusalem’ unter die Feinde Jesu einordnen. Die aufgebotene Allianz entspricht der theologischen Konzeption des Matthäus, der bereits hier das böse Spiel ansetzt, das zur Verwerfung des Messias, zu seiner Verurteilung und Hinrichtung führen wird.“[12]

 

Unter „alle Hohenpriestern“ sind im Zusammenhang des Matt­häus­evan­geliums der Hohepriester und seine Verwandten zu verstehen, im weiteren Sinne auch diejenigen, die Ämter am Tempel innehatten. Es handelt sich hier um die Spitze der sadduzäischen Bewegung des Judentums, während die Schriftgelehrten für die Pharisäer stehen, einer Laienbewegung im Judentum. Matthäus verwendet die Formulierung „Ho­hen­pries­ter und Schriftgelehrte“ erneut in Zusammenhang mit Jesu Passion. Auf dem Weg nach Jerusalem kündigte Jesus seinen Jüngern an, er werde den „Ho­hen­priestern und Schriftgelehrten“ ausgeliefert werden (Matthäus 20,18). Im Tem­pel ange­kom­men, tat Jesus Wunder, und Hohepriester und Schriftge­lehrte ent­rüsteten sich (Matthäus 21,15). Und noch einmal begegnen sie uns, beim Tod Jesu, als sie den Gekreuzigten verhöhnten (Matthäus 27,41-42).[13]

 

Warum hat Matthäus die Sadduzäer und Pharisäer als gemeinsam Handelnde er­wähnt, obwohl sie doch jüdische Bewegungen bildeten, die tiefe theologische Diffe­renzen trennten und sie zu Jesu Lebzeiten miteinander im Streit lagen? Vermutlich hat Jesus, und dies besonders im Tempel, Konflikte vor allem mit den Sadduzäern gehabt, die den Hohepriester stellten und für den Tempelkult verantwortlich waren. Demgegen­über verbanden Jesus und die Pharisäer viele Überzeugungen, ange­fan­gen bei der Auffassung, dass das Judentum erneuert werden müsste. Das schloss Streitgespräche zwischen Jesus und Pharisäern nicht aus, und häufig waren es Dispute um religiöse Grundfragen, wie sie im damaligen Judentum häufig geführt wurden.

 

Als Matthäus sein Evangelium schrieb, hatte sich die religiöse Situation grundlegend verändert. Der Tempel in Jerusalem war zerstört worden, und damit hatten die Sadduzäer die Grundlage ihres großen Einflusses verloren. In den Synagogen der Diaspora befand sich die Jesusbewegung vor allem in Konflikt mit der pharisäischen Bewegung innerhalb des Judentums, die auch dafür gesorgt haben dürfte, dass die „Sektierer“ des Wanderpredigers aus Nazareth aus den Synagogen ausge­schlossen wurden. Aus dieser verschärften Konfliktsituation heraus, können wir annehmen, hat Matthäus die Sadduzäer und Pharisäer gemeinsam als Gegner Jesu verstanden und gewissermaßen in einem Atemzug genannt.

 

Die Hohepriester und Schriftgelehrten, die Herodes zurate zog, um den Geburts­­ort des neuen Königs herauszufinden, verwiesen auf Bethlehem und beriefen sich dabei auf Micha 5,1. Im Matthäus­evan­gelium wird unter Bezugnahme auf Micha gesagt, du Bethlehem „im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda“. Bei Micha hingegen steht „die du klein bist unter den Städten in Judäa“. Bei Matthäus wird also eine Formulierung gewählt, die nicht so stark herausstellt, dass es sich bei Bethlehem um einen kleinen Ort handelte. Dies mag ein Detail sein, es macht aber deutlich, dass die Jesusbewegung den Eindruck vermeiden wollte, Jesus sei in einem „Kaff“ auf die Welt gekommen.

 

Irritierender ist, was bei Micha über den erwarteten Herrscher aus dem Ge­schlecht David steht: „Erhebe deine Hand gegen alle deine Widersacher, dass alle deine Feinde ausgerottet werden..“ (Micha 5,8) In Vers 14 kündigt Gott an: „Und ich will mit Grimm und Zorn Vergeltung üben an allen Völkern, die nicht gehorcht haben.“ Der Fürst, der hieran mitwirken soll, wird sicher jemand anderes als Jesus sein, der als Friedensfürst in die Geschichte eingegangen ist.

 

Zurück zur Matthäuserzählung: König Herodes forderte die Weisen auf, nach Bethlehem zu reisen und dort nach dem neugeborenen Kind zu forschen. Wenn sie es gefunden hätten, sollten sie in den königlichen Palast zurückkehren, damit auch Herodes das Kind anbeten könnte. Dass die Schriftgelehrten sich nicht selbst auf den Weg machten, kann im Kontext des Matthäusevangeliums als Hinweis darauf verstanden werden, dass die religiösen Führer des eigenen Volkes kein Interesse an dem neu geborenen Messias zeigten, während heidnische Gelehrte von weither kamen, um ihn anzubeten.

 

Dass Herodes die Magier auf der kurzen Strecke nach Bethlehem nicht heimlich überwachen oder ganz offiziell begleiten ließ, sondern darauf vertraute, sie würden zu­rück­kommen und ihm von dem neuen König berich­ten, muss angesichts des übri­gen Verhaltens dieses Königs als äußerst unwahr­schein­lich angesehen werden. Wer einen derart umfassenden Sicherheits- und Spit­zelapparat aufgebaut hatte wie Herodes, der hätte sich nicht gescheut, in einer so wichtigen Angelegenheit die Magier auf den wenigen Kilometern von Jerusalem nach Bethlehem beobachten zu lassen. Man kann diese Problematik auch diplo­ma­tischer formulieren, wie es Rudolf Pesch, katholischer Professor für Neues Testament, in seinem Buch über die Weihnachtsgeschichte im Matthäusevangelium getan hat: „Wieso Herodes nicht selbst nach dem Kind forscht oder seine Häscher gleich hinter den Magiern herschickt, ist eine Frage, die den Erzählduktus überfordert.“[14]

 

Dem Stern folgen

 

Den Weisen, lesen wir bei Matthäus, erschien erneut der Stern und wies ihnen den Weg nach Bethlehem. Der Stern, der den Weg zeigt, war in der antiken Welt des Matthäus nicht nur ein probates Mittel, um die Magier endlich zum Jesuskind zu führen, sondern auch ein weiteres Zeichen dafür, dass hier eine bedeu­tende Per­sön­lichkeit geboren worden war. Es wurde erzählt, dass bei der Geburt von Alexander dem Großen eine bestimmte Konstellation der Sterne erkennen ließ, dass ein Weltherrscher geboren worden war.[15] Mochten andere Sterne und Sternkonstellationen auf die zukünftigen Herrscher von Weltreichen weisen, der Stern, der über Bethlehem stand, war in der Darstellung des Evangelisten Matthäus ein unübersehbares Zeichen dafür, dass hier der Messias geboren worden war.

 

Es hat immer wieder Versuche gegeben nachzuweisen, dass zu der Zeit von Jesu Geburt tatsächlich ein Stern den Weg nach Bethlehem gewiesen hat. Aber sie sind alle gescheitert, und sie lenken auch vom Kern der Geschichte ab. Tobias Nicklas, Professor für Neues Testament an der Universität Nijmegen, schreibt dazu: „Dass die Erzählung uns nicht in erster Linie mit historischen Ereignissen konfrontieren möchte, zeigt sich schon daran, dass das Matthäusevangelium den Stern ausdrücklich als vor den Magiern von Norden nach Süden ziehenden Wunderstern (2,9) zeichnet. Dies jedoch ist astronomisch nicht denkbar.“[16] Für Tobias Nicklas steht der aufgehende Stern dafür, „dass der Messias-König nun eine Herrschaft antritt, die jede irdische Macht ablöst“.[17] Es spricht also alles dafür, die Erforschung der Sternkonstellationen zur Zeit der Geburt Jesu zu beenden und sich ganz auf die wun­derbare Geschichte einzulassen, dass damals ein Mensch geboren wurde, der uns den Weg zu Gott gewiesen hat – wahrscheinlich ohne Stern, aber aus einer tiefen Liebe zu den Menschen.

 

Die Geschenke der Magier

 

Die Magier fanden in Bethlehem das Kind mit Maria und Josef. Sie fielen nieder, beteten das Kind an und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Mit diesen Geschenken wird an das priesterliche Verständnis des Messias in Texten des Alten Testaments angeknüpft.[18] In Jesaja 60, Vers 6 lesen wir über die Völkerwallfahrt: „Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob verkündigen.“ Dieser Vers ist Teil eines Jesaja-Abschnitts über die zukünftige Herrlichkeit Zions. „Dann wirst du es sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.“ (Jesaja 60,5) Matthäus knüpft an diese Prophezeiungen von Jesaja an, ohne dass der Reichtum an Gold oder Weihrauch in den Mittelpunkt gestellt wird. Die Geschenke sind in der Geschichte nur Symbole dafür, dass nun alle Völker auf das Heil hoffen können. Die Völker verehren den neugeborenen Heiland, lautet die Botschaft, die materiellen Geschenke sind dafür nur von symbolischer Bedeutung.

 

Martin Luther hat davor gewarnt, die Geschenke als zu wertvoll anzusehen: „Es ist klar: Diese Gaben kann jeder Christus bringen, der Arme nicht weniger als der Reiche, eher noch mehr. Gold, Weihrauch und Myrrhe können wir äußerlich nicht bringen, aber Glauben (Hebr. 11,1), d. h. ein wahres Vertrauen auf Dinge, die man nicht sieht, das können wir bringen.“[19]

 

Gott befahl den Magiern im Traum, nicht zu Herodes zurückzukehren, sondern auf einem anderen Weg zurück in ihr Land zu reisen, lesen wir im Matthäusevangelium. Und so, wie Josef das tat, wozu er in Träumen beauftragt wurde, taten es auch die Magier. Sie kehrten in ihre Heimat zurück, was aber Helena, die Mutter von Kai­ser Konstantin, im 4. Jahrhundert (um das Jahr 326) nicht daran gehindert hat, deren Gebeine bei einer Palästinareise zu ent­decken, ausgraben zu lassen und mit nach Kon­stan­tinopel zu nehmen. Von dort gelangten die Reliquien nach Mailand, wo ihnen zu Ehren die „Basilika zu den Heiligen Drei Kö­nigen“ errichtet wurde.

 

Diese Verehrung hatte ein abruptes Ende, als Kaiser Barbarossa Mailand erobern und zerstören ließ. Nun wurden die Gebeine als Kriegsbeute in einer Pro­zession von Mailand nach Köln überführt. Dort tra­fen sie 1164 ein, und es wurde in drei Jahrzehnten Arbeit von Goldschmieden ein kirchenförmiger Dreikönigs­schrein aus Gold und über 1.000 Edelsteinen ge­staltet, der die Gebeine auf­nahm und außen unter an­derem die Geburt Jesu, die Pro­pheten und die Jünger Jesu zeigt. Die prächtig prä­sentierten Reliquien be­grün­deten die Bedeutung Kölns als kirchlichem Zentrum Deutsch­lands, zu dem jedes Jahr viele Tausend Menschen pilgerten, was den wirt­schaftlichen Aufstieg der Stadt erst ermöglichte. Noch heute ruhen die Gebeine aus Palästina im Kölner Dom und werden von vielen Gläubigen verehrt.[20]

 

Von den Fremden lernen

 

Der bekannte evangelische Theologe Jörg Zink fordert uns anhand der Ge­schich­te von den Magiern zum Umdenken im Blick auf Menschen anderen Glaubens auf: „Mir scheint, es spiegele sich in dem harten Anspruch auf die alleinige und einzige Wahrheit des christlichen Glaubens eben doch das Muster der europäischen Kolo­nial- und Industriezivilisation, die sich berufen wusste, der Welt das Heil, die Kultur, das Wissen und eben auch den Glauben beizubringen. Ich meine, wir täten gut daran, mit fremdem Wissen, fremder Erfahrung und fremden Glaubensweisen behutsamer umzugehen, ehrfürchtiger, freundlicher und weniger rechthaberisch. Wir gäben damit nicht die Wahrheit preis, wohl aber gestünden wir ein, dass die Wahrheit weder an den kirchenamtlichen Lehrsätzen zu messen sei noch an den provinziellen Maßstäben, mit denen man sich in allerlei christlichen Zirkeln der eige­nen Wichtigkeit versichert ... Was immer seit der Steinzeit an religiösem Verstehen und Erfahren geschehen ist, das geschah nicht ohne Gott. Das sagt die Ge­schichte von den Weisen aus dem Morgenland.“[21]

 

Jörg Zink schreibt weiter über die heutige Bedeutung dieser biblischen Geschichte: „Die Magier brachten die Gaben ihres Landes. Und ich bin überzeugt, dass die Menschen der Dritten Welt uns Europäern viel bringen können, das uns neu ist und über dem wir unseren eigenen Glauben besser verste­hen können.“[22]

 

Der Dreikönigstag, der jedes Jahr am 6. Januar gefeiert wird, ist ein guter Anlass, über die Geschenke, die uns Fremde mit ihrem Glauben bringen, immer wieder neu nachzudenken. Mit dem katholi­schen Missionswissenschaftler Ludwig Bertsch können wir die Geschichte von den Magiern und ihrem Weg als Anstoß nehmen, uns als Teil einer weltweiten Gemeinschaft selbst auf den Weg zu machen: „Es ist nicht derselbe Weg für jede und jeden, aber doch ein gemeinsamer Weg aller, denn er steht unter dem guten Stern von Beth­­lehem, der jedem leuchtet, der sich seiner Führung anvertraut, auch dann, wenn der Stern sich vorübergehend verbirgt.“[23]

 

Der Streit um den Melchior von Ulm

 

„Wie ideologisch überzogen können deutsche Christen nur reagieren? Weil eine Figur der Heiligen Drei Könige schwarze Farbe und wulstige Lippen hat, soll sie rassistisch geprägt sein. In der Bibel ist die Figur des Melchior eindeutig als schwarz beziehungsweise farbig gekennzeichnet.“ Das schrieb Walter Ziegler aus Schweinfurt im Oktober 2020 in einem Leserbrief an die „Main-Post“. Anlass war die Debatte darüber, dass die Kirchengemeinde des Ulmer Münsters beschlossen hatte, zum Weihnachtsfest 2020 die Krippenfiguren der Heiligen Drei Könige von Martin Scheible aus dem Jahr 1920 nicht aufzustellen.

 

Dem Beschluss war eine Debatte über die rassistisch verzerrte Darstellung Melchiors durch den Künstler vorausgegangen. Dekan Ernst-Wilhelm Gohl begründete die Entscheidung so: „Wir wollen dieses Bild eines schwarzhäutigen Menschen nicht länger transportieren.“ Die Figur mit wulstigen Lippen und Federschmuck sei „voller Klischees und grotesk überzeichnet“. Die Kirchengemeinde bemühte sich, Missverständnissen vorzubeugen: „Natürlich darf und muss es schwarze Menschen an der Krippe geben. Die Idee, dass die Völkerwelt vereint an der Krippe steht, ist nach wie vor ein wichtiger und uns berührender Gedanke.“

 

Auch wurde darauf hingewiesen, dass Heiligabend 2020 im Dom die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt werde, und da gebe es keine Heiligen Drei Könige. Ich will hinzufügen, dass es auch bei Matthäus keine drei Könige gibt, sondern eine unbestimmte Zahl von Weisen oder Magiern. Auch hat Matthäus keinen Melchior mit schwarzer Hautfarbe überliefert (siehe Bibeltext oben). Der Evangelist ist also nicht als Kronzeuge geeignet, um die Aufstellung der rassistisch wahrgenommenen Krippenfigur zu fordern.

 

Dass dieser Konflikt 2020 entstand und bundesweites Aufsehen erregte, erklärt sich vor allem daraus, dass der Anteil der Menschen mit dunkler Hautfarbe in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist, vor allem als Resultat globaler Migrationsbewegungen, und dass die Sensibilität dieser Menschen und auch großer Teile der Bevölkerung gegenüber rassistischen Darstellungen gewachsen ist. Die in Kamerun geborene Musikerin Siyou Isabella Ngnoubamdjum äußerte gegenüber dem „Südwestfunk“: „Ich finde die Figur verächtlich, rassistisch und in keiner Weise wertschätzend. Und selbstverständlich bin ich froh, dass es darüber endlich eine Debatte gibt. Aus meiner Sicht ist die Aufarbeitung der einzige richtige Weg.“

 

Die Schwabacher Dekanin Berthild Sachs betonte, es handle sich bei der

Geschichte bei Matthäus um eine Geschichte zum Thema Globalisierung: „Hinter der Darstellung der Heiligen Drei Könige steckt ein globaler Gedanke. Der gesamte Erdkreis, symbolisiert durch die Vertreter Asiens, Afrikas und Europas, pilgert zum neugeborenen Kind. Zudem handelt es sich bei den Vertretern um Gelehrte, Weise.“ Diese Internationalisierung müsse aber respektvoll ausgedrückt werden.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

Sie erfahren mehr über die Geschenke der Weisen und ihre damalige und heutige Bedeutung sowie die ökologischen und sozialen Kosten des Goldabbaus in dem Beitrag "Gold Weihrauch und Myrrhe" auf dieser Website. 

 

 

 

 



[1] Tobias Nicklas: Die Karriere der Weisen, Weihnachten, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2007, S. 25

[2] Vgl. ebenda, S. 24f.

[3] Vgl. Die drei Könige in der Kunst, in: Weihnachten, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2007, S. 27

[4] Heribert Prantl: Grüß Gott – Der lange Weg von der Ausgrenzung hin zum Respekt, Glaubenssachen, NDR Kultur, 13.3.2011, Manuskript, S. 2

[5] Ebenda, S. 3

[6] Joseph Titus: The journey of the magi from the East to Bethlehem, Indian Theological Studies, 4/2009, S 20

[7] Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Göttingen 1950, S. 27f.

[8] Ebenda, S. 28

[9] Ebenda, S. 31

[10] Ebenda, S. 32

[11] Ebenda, S. 28

[12] Hubertus Halbfas: Die Bibel, Düsseldorf 2001, S. 421

[13] Vgl. Rudolf Pesch: Die matthäischen Weihnachtsgeschichten, Paderborn 2009, S. 50f.

[14] Ebenda, S. 56

[15] Tobias Nicklas: Ein Stern geht auf … über Bethlehem?, in: Weihnachten, Welt und Umwelt der Bibel, 4/2007, S. 28

[16] Ebenda, S. 28

[17] Ebenda, S. 31

[18] Vgl. Karl Jaroš: Jesus von Nazareth, Mainz 2000, S. 166

[19] Martin Luthers Evangelien-Auslegung, a.a.O., S. 24

[20] Vgl. u. a. Walter Schmithals: Weihnachten, Göttingen 2006, S. 76f.

[21] Jörg Zink: Zwölf Nächte, a.a.O., S. 120 und 123

[22] Ebenda, S. 124

[23] Ludwig Bertsch: Die Magiergeschichte, Anzeiger für Seelsorge, 12/2003, S. 23