Grenzen des Konsums

 

Angesichts der Übernutzung der begrenzten natürlichen Ressourcen der Erde durch viele Menschen im Norden der Welt müssen Verbraucherinnen und Verbraucher bei uns sich fragen: Benötige ich diese Ware wirklich, auch dann, wenn ich mir bewusst mache, wie viel knappe Ressourcen in die Produktion und den Transport dieses Produkts eingegangen sind? Viele Käufe sind eine Kompensation für Frustrationen im Leben oder der Suche nach Prestige und Anerkennung. Schon bei kleinen Kindern hat der Kampf um den Absatz von „Markenkleidung“ begonnen, geschürt von einer geschickt platzierten Werbung und verstärkt durch ein soziales Umfeld, in dem es wie bei der Globalisierung nur noch „Gewinner“ und „Verlierer“ gibt, und die Gewinner tragen natürlich die Markenturnschuhe, die Markenhosen und die Markenpullover.[1]

 

Aus Protest gegen den Kaufrausch gibt es in den USA jedes Jahr Ende November einen „Buy-Nothing-Day“. Während die anderen sich in die vorweihnachtliche Kauf“schlacht“ begeben, bleiben die Protestler den Konsum“tempeln“ fern. 2001 wollte die Protestbewegung in Werbespots auf die Aktion und die Tatsache hinweisen, dass ein US-Bürger 30mal mehr konsumiert als ein durchschnittlicher Inder. Aber die meisten US-Fernsehstationen weigerten sich, den Spot auszustrahlen, weil er gegen die „aktuelle ökonomische Politik der USA verstößt“ (so die Begründung des Fernsehsenders CBS).[2]

 

Seit Ende der 90er Jahre wird versucht, den „Kauf-Nichts-Tag“ auch in Deutschland zu propagieren, bisher ohne großen Erfolg. Es spricht wohl doch mehr dafür, an 365 Tagen im Jahr verantwortungsvoll einzukaufen und zu konsumieren, als an einem festgelegten Tag im Jahr auf das Einkaufen zu verzichten. Die Alternative von „Haben oder sein“, die Erich Fromm in seinen Büchern und Aufsätzen immer wieder gestellt hat, ist aktueller denn je. Die Suche nach einer anderen Globalisierung ist deshalb auch die Suche nach einer anderen Lebensweise.[3]

 

In einer Stellungnahme zur UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung haben der Rat der EKD und die katholische Deutsche Bischofskonferenz dies so formuliert: „Die Kirchen tragen dazu bei, eine Politik des ökologischen Strukturwandels möglich zu machen, wenn sie immer wieder dazu aufrufen, den eigenen Lebensstil zu überdenken. Das christliche Menschenbild bietet vielfältige Ansätze für einen Gewinn an Lebensqualität durch die Unterscheidung von ‚gut leben‘ und ‚viel haben‘. Ein nachhaltiger Lebensstil in Verbindung mit entsprechenden Strukturveränderungen im Welthandel ist heute entscheidend für eine Neuorientierung in den reichen Industrienationen selbst.“[4]

 

Die Fragen des Sinns und Ziels des Lebens

 

Es geht im Kern um die ganz existenziellen Fragen des Sinns und Ziels des Lebens, die Fragen nach dem Woher, dem Warum und dem Wohin. Die Kirche hat kein Monopol für Antworten auf diese grundlegenden Fragen, aber sie kann und muss sich um Antworten bemühen, die in Einklang mit dem Ziel stehen, dass die Menschen zu Haushaltern dieser Schöpfung bestellt sind und nicht zu ihren Zerstörern und dass die Gerechtigkeit und nicht die Ausbeutung ein Zeichen des kommenden Reiches Gottes ist.

 

Ganz entscheidend ist die Auseinandersetzung mit dem, was Carl Amery als die „Religion“ des Kapitalismus bezeichnet: „Die Koexistenz des Christentums mit den Mächten des Totalen Marktes, des Globalkapitalismus, wird zur Existenzfrage. Entweder schließen sich die Kirchen der Logik der Fundamentalisten bzw. ihrer eigenen fundamentalistischen Binnensektoren an (was sie aus historischen Gründen wohl nicht können), oder sie fragen sich selbst grundsätzlich nach ihrem möglichen Standort und damit nach ihrem möglichen Auftrag in dieser Welt der von struktureller Sünde bestimmten Alternativlosigkeit: Welche Hoffnung, welches Heil ist zu verkünden?“[5]

 

Diese Auseinandersetzung wird heute zu einem entscheidenden Teil von Christinnen im Norden und Süden der Welt geleistet. Frauen sind nicht nur in großer Zahl die Opfer der vorherrschenden Globalisierung, sondern sie haben auch besser im Blick, wie Leben bewahrt und in Einklang mit der ganzen Schöpfung gestaltet werden kann. Dies wird im Abschnitt „Ökumene“ ausführlicher dargestellt werden.

 

Entgegen dem Trend zu immer mehr, immer schneller und immer weiter können sich Christinnen und Christen zusammen mit anderen verantwortungsbewussten Menschen für ein anderes Leben engagieren, das von Einzelnen und kleinen Gruppen schon in Ansätzen verwirklicht wird. Die großartigen Visionen der Bibel von diesem anderen Leben können dazu inspirieren, eine andere Gesellschaft entstehen zu lassen. Hier werden die Einsichten zu biblischen Geschichten und Berichten wie dem Aufbruch aus Ägypten aus dem ersten Band dieser Studie wichtig. Liest man die Bibel auf dem Hintergrund der damaligen und der heutigen politischen, ökonomischen und sozialen Auseinandersetzungen, so wird sie zu einem Leitfaden für ein Engagement für eine andere Globalisierung und ein anderes Leben.

 

Hier einige Beispiele für Einsichten aus einem solchen Studium von Bibel und sozialer Realität: Auf der Ebene der Kirche und der Kirchengemeinde kann vorgelebt werden, wie Waren und Dienstleistungen so in Anspruch genommen werden, dass die Ansprüche einer nachhaltigen Entwicklung beachtet werden. Das beginnt beim Einkauf von Lebensmitteln für den Kindergarten und den Altennachmittag. Beim Kauf von Obst kann darauf geachtet werden, dass es aus der lokalen oder regionalen Produktion stammt. Beim Kaffee, Tee und Kakao ist der Kauf von Produkten des Fairen Handels geboten. Vor dem Kauf eines neuen Dienstautos wird beraten, ob es wirklich benötigt wird, welches Modell mit sparsamem Verbrauch infrage kommt und wie erreicht werden kann, dass das Auto möglichst oft auf dem Parkplatz steht.

 

Auf individueller Ebene sind ähnliche Entscheidungen möglich. Die andere Globalisierung wird nicht darin bestehen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen einzustellen. Es geht vielmehr darum, schrittweise das Ausmaß jener Wirtschaftsbeziehungen einzuschränken, die zulasten von Beschäftigten gehen und/oder die die Umwelt schädigen. Das wird nur in kleinen Schritten möglich sein, aber diese Schritte können beweisen, dass ein anderes Wirtschaften möglich ist und dass immer mehr Menschen ein Interesse daran haben, nicht von der Ausbeutung anderer Menschen zu profitieren und im Einklang mit der Natur zu leben.

 

Das hat der Psychotherapeut und Sozialphilosoph Horst-Eberhard Richter im Herbst 2002 so formuliert: „Alle Zwänge des ökonomischen Systems, das die Menschen zunehmend auseinander bringt, sie hin und her wirft in immer kurzfristigeren unsicheren Beschäftigungen, im ständigen Wechsel neuer Arbeitsformen in Unternehmen, die sich fortwährend wandeln oder auch zerbrechen, alle diese Zwänge können offenbar in den Menschen eine innere Kraft nicht lähmen, die auf Zusammenarbeit und Gemeinschaftlichkeit besteht. Neuerdings taucht nun noch ein besonders erstaunliches Phänomen auf: Je unübersichtlicher sich die Globalisierung mit der immer mehr ausufernden Macht der internationalen Konzerne und der verwilderten Finanzmärkte darstellt, umso wachsamer und unerschrockener meldet sich aus der Mitte der Gesellschaft – vornean aus der Jugend – ein Wir-Bewusstsein, das in seinem weltumfassenden Anspruch mit der globalen Ausdehnung des neoliberalen Systems wetteifert ... Die jungen Leute wollen sich schlicht nicht damit abfinden, in einer Welt zu leben, in der internationale Machtblöcke die Mehrheit der Ärmeren von den Gewinnen der Globalisierung weitgehend abkoppeln.“[6]

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 



[1] Vgl. Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Player um Marktmacht, München 2001

[2] Vgl. die tageszeitung, 23.11.2001

[3] Vgl. Andreas Troge: Schwerste Aufgabe steht noch bevor: ein anderer Lebensstil, in: BUND/Misereor: Wegweiser für ein zukunftsfähiges Deutschland, München 2002, S. 144ff.

[4] Zitiert nach: epd-Dokumentation 30/2002, S. 5

[5] Carl Amery: Global Exit, Die Kirchen und der globale Markt, München 2002, S. 126

[6] Horst-Eberhard Richter: Die Wir-Menschen melden sich zurück, in: Chrismon plus, 10/2002, S. 74