Maria und Eva - Jungfrau und Sünderin?
Im Verlauf der Kirchengeschichte wurde die tugendhafte Jungfrau Maria häufig der Sünderin Eva gegenübergestellt, und dabei wurde die Jungfrauengeburt in einem biologischen Sinne verstanden. Eva und ebenso Maria-Magdalena wurden mit der Gefährlichkeit oder auch Verwerflichkeit weiblicher Sexualität in Verbindung gebracht, und das hat die Geschlechterbeziehung in vielen Teilen der Welt nachhaltig negativ beeinflusst. Dass vor allem durch Augustinus Sexualität und Erbsünde in eine direkte Beziehung gebracht wurden, hat in der kirchlichen Morallehre bis heute nachgewirkt.[1] Die evangelische Theologieprofessorin Renate Wind schrieb dazu: „Tatsächlich hat die Madonna ihren Anteil an der Unterdrückung der Frauen in der Kirche und durch die Kirche gehabt. Denn: Neben ihr sind alle realen Frauen unvollkommen. Ihnen fehlt, mehr oder weniger, was Maria angeblich hat: Reinheit, Gehorsam, Demut. Dafür haben sie, was Maria angeblich fehlt: eine eigene unberechenbare weibliche Sexualität und eine fremde Psyche, die so schwer zu durchschauen und deshalb so schwer zu ertragen ist.“[2]
Die Gegenüberstellung von Eva und Maria ist nur zu verstehen, wenn wir uns etwas näher mit der „Erbsünde“ beschäftigen. Wir finden diesen Begriff, ja diesen Gedanken, nirgends in der Bibel, weder im Alten noch im Neuen Testament. Und doch hat die Vorstellung von der „Erbsünde“, die durch Adam und Evas „Sündenfall“ in die Welt kam, den christlichen Glauben über fast zwei Jahrtausende stark geprägt. Im Judentum hat die „Erbsünde“ keinerlei Tradition, sie ist erst durch die Gnostik in das entstehende Christentum hineingekommen – und hat in der Konsequenz unser Bild von Maria sehr stark mitgestaltet.
Die Gnostik kann hier nur in knapper Form dargestellt werden, aber es soll doch soweit geschehen, dass deutlich wird, warum und wie sie zur postulierten „Erbsünde“ beitrug. Angesichts vieler negativer Erfahrungen in der realen Welt kamen die Gnostiker der Antike zur Überzeugung, dass es einen scharfen Kontrast von Gut und Böse, von Licht und Finsternis gibt. Um in die Welt des Lichts zu gelangen, braucht der Mensch Erkenntnis, im Griechischen „gnosis“. Diejenigen, die wir heute unter dem Schlagwort Gnostiker zusammenfassen, gehörten in den ersten Jahrhunderten nach Christus einer philosophisch-religiösen Bewegung an, die äußerst vielfältig und vielstimmig war. Manche Gnostiker waren im Hellenismus zu Hause und bemühten sich um eine Weiterentwicklung der Gedanken Platons, andere gehörten mystischen Gruppen des Judentums an und wieder andere sahen in Christus ein weltentrücktes Wesen, dessen Geheimbotschaft sie entschlüsselt zu haben glaubten. Sie betrachteten sich daher auch als die einzigen wahren Christen.[3]
Viele Christinnen und Christen in der hellenistisch geprägten Welt des zweiten und dritten Jahrhunderts konnten nur aus vollem Herzen der Auffassung der Gnostiker zustimmen, dass das Leben in dieser Welt von Gefahren, Leid, Verfolgung und Hinrichtungen bestimmt war. Für diese Christinnen und Christen bildete der Himmel das Gegenbild zu diesem irdischen Jammertal, und sie hofften inständig auf ein paradiesisches Leben im Himmel. Aber die gnostischen Auffassungen riefen dennoch heftigen Widerspruch bei den Kirchenvätern hervor, also bei den Denkern der alten Kirche, die sich letztlich zumindest in der katholischen Kirche durchsetzen und die theologischen Überzeugungen dieser Kirche entscheidend prägen konnten.
Streit gab es vor allem, als gnostische Christen behaupteten, dass Christus, der aus einer höheren Welt kam, nie Mensch geworden wäre. Er habe nur scheinbar in seinem irdischen Körper gelebt. Bei der Kreuzigung kam er auch nicht ums Leben, sondern kehrte unmittelbar in den Himmel zurück.[4] Solche Auffassungen riefen den vehementen Widerspruch anderer Christinnen und Christen hervor, und das spiegelt sich in einigen der Briefe im Neuen Testament wider. Im 1. Timotheusbrief im 3. Kapitel, Vers 16, heißt es über den Glauben „Er ist offenbart im Fleisch“. Gott hat also menschliche Gestalt angenommen.
Der Streit eskalierte rasch, und in der Kirche setzte sich dann die Auffassung durch, Jesus sei zu seinen Lebzeiten auf dieser Erde wahrer Mensch und wahrer Gott gewesen. Die Niederlage der Gnostiker in dieser Auseinandersetzung bedeutete aber nicht, dass sie keinen Einfluss mehr in der Kirche ausübten. Vor allem die gnostisch geprägte Mithrasreligion und ihre Vorstellung, dass die Menschen von Geburt an entweder zur Teilhabe am göttlichen Licht oder an der Finsternis vorbestimmt waren, blieben nicht ohne Wirkung. Der einflussreiche Kirchenvater Augustinus war in seiner Jugend ein Anhänger der Mithrasreligion gewesen, bevor er zum Christen wurde. Augustinus sprach, vielleicht auch unter dem Einfluss von Mithrasvorstellungen, von den von Geburt an bösen Menschen und vertrat die Überzeugung, die Erbsünde sei durch die Schuld von Adam und Eva in die Welt gekommen. Sie werde seither durch Sexualität und Zeugung von Generation zu Generation weitergegeben.
Eva als Sünderin, Maria die Heilige
Für Martin Luther ist der Lobpreis der Elisabeth („und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“) Anlass zu dieser Bemerkung: „So ist von niemand gesungen, da singt sie von Christus. Alle, die von Weibern geboren werden, sind Kinder des Zorns, der im Paradies flugs über uns ergangen.“[5] Hier sei eingefügt, dass auch der andere große Reformator, Johannes Calvin, in einer Weihnachtspredigt 1558 davon sprach, „daß wir in Adam verdammt sind, daß wir Kinder des Zorns sind“[6] Hier wird also interessanterweise Adam zum Urheber aller Verdammnis gemacht, nicht Eva. Bei Martin Luther lesen wir hingegen über Maria und die Geburt Jesu: „… nur dass sie ohn Sünd, ohn Schand, ohn Schmerzen und ohn Verderben geboren hat, wie sie auch ohn Sünd empfing. Der Fluch Evas ist nicht über sie gangen …“[7] Hier wird überdeutlich, welche Konsequenzen sich nach Martin Luthers Verständnis aus der „Sünde“ Evas für alle Frauen außer Maria ergeben. Das Wunder neuen Lebens wird mit Sünde, Schand, Schmerzen und Verderben in Verbindung gebracht.
Die Gegenüberstellung von Eva und Maria hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt, wobei Papst Paul VI. in einer Ansprache am 4. Mai 1970 auch die Männer mit einbezog, als er über die Ehe von Maria und Josef verkündete: „Und so steht wie schon am Anfang des Alten auch an der Schwelle des Neuen Testaments ein Ehepaar. Während aber Adam und Eva Quelle des Bösen waren, das die Welt überschwemmt hat, stellen Josef und Maria den Höhepunkt dar, von dem aus sich die Heiligkeit über die ganze Erde ausbreitet.“[8]
Der bekannte Theologe Jörg Zink plädierte dafür, dass wir den Gedanken, der Mensch sei so zum Feind Gottes geworden, „dringend vergessen“ sollten. Er fügt hinzu: „Nein, nach Jesus sind wir alle nicht Ausgesperrte oder Verstoßene, wie die Paradiesgeschichte feststellt, nicht Verworfene, sondern Eingeladene. Wir brauchen der Einladung nur zu folgen. Dies und nichts anderes ist der Kern des Evangeliums.“[9]
Zum Abschluss dieser Überlegungen soll erwähnt werden, dass es in der ökumenischen feministischen Debatte auch Bemühungen gibt, die Beziehung Eva – Maria anders zu interpretieren. Die brasilianischen katholischen Theologinnen Ivone Gebara und Maria Bingemer haben ein positives Eva-Bild und können deshalb in ihrem Maria-Buch über die Mutter Jesu schreiben: „Sie ist Eva in der Ganzheit ihres Seins – Mutter der Lebenden, Mutter des Lebens.“[10] Und sie fügen hinzu: „Die Kirche erkannte schon sehr früh in der Frau Maria die neue Eva – diejenige, die dem Geheimnis der Fähigkeit zur Mutterschaft der Frau eine neue und definitiv weite Dimension gibt.“[11]
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[1] Vgl. u. a. Helen Schüngel-Straumann: Eva biblisch, in: Wörterbuch der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991, S. 125ff.
[2] Renate Wind: Befreit aus dem Gefängnis der Dogmen, Publik-Forum, 15/1996, S. 24
[3] Vgl. Hans-Josef Klauck: Erlösung durch Erkenntnis, in: Apokryphe Evangelien, Welt und Umwelt der Bibel, 3/2007, S. 27
[4] Vgl. Claude Gianotto: Nur zum Schein gekreuzigt?, in: Apokryphe Evangelien, Welt und Umwelt der Bibel, 3/2007, S. 30f.
[5] Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Göttingen 1950, S. 95
[6] Johannes Calvin: Lukas 2,1-14: Ein Heiland ward geboren, veröffentlicht auf www.reformiert-online.de
[7] Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Göttingen 1950, S. 190
[8] Zitiert nach: Apostolisches Sendschreiben „Redemptoris Custos“ von Papst Johannes Paul II. vom 15. August 1989, im Internet zu finden unter: http://www.vatican.va/holy_father/john_paul_ii/apost_exhortations/documents/hf_jp-ii_exh_15081989_redemptoris-custos_ge.html (Abschnitt 13)
[9] Jörg Zink: Die Urkraft des Heiligen, Freiburg 2003, S. 323
[10] Ivone Gebara/Maria Bingemer: Maria, a.a.O., S. 107
[11] Ebenda, S. 108