Missionswissenschaft zur Globalisierung

 

Neben den ökumenischen Zusammenschlüssen wie dem ÖRK, dem RWB und dem LWB sowie weltweit präsenten Kirchen wie der römisch-katholischen Kirche haben sich in den letzten Jahren zahlreiche weitere Kirchen und ökumenische Zusammenschlüsse wie zum Beispiel die Weltvereinigung für christliche Kommunikation (WACC) mit den Auswirkungen der Globalisierung beschäftigt und auf ihren jeweiligen Fachgebieten nach Alternativen gesucht. Als ein Beispiel soll hier kurz auf die IX. Konferenz der International Association for Mission Studies (IAMS) eingegangen werden, die vom 10.-19. April 1996 in Buenos Aires stattfand und unter dem Thema „God and Mammon: Economies in Conflict“ stand. In der „Internationalen Vereinigung für Missionswissenschaft“ arbeiten Missionswissenschaftlerinnen und Missionswissenschaftler aus allen Regionen der Welt zusammen, die aus einer evangelischen, anglikanischen, römisch-katholischen oder orthodoxen Tradition kommen und unterschiedliche theologische Positionen vertreten.

 

An der Konferenz nahmen einhundertdreißig von ihnen aus siebenunddreißig Ländern teil. Um so bemerkenswerter ist die breite Übereinstimmung in der Kritik an der vorherrschenden Globalisierung, eine Grundhaltung, die schon in der Bibelarbeit des evangelikalen argentinischen Theologen René Padilla zu Levitikus 25 deutlich wurde. Die Bestimmungen für ein Jubeljahr, so Padilla, müssen heute ernst genommen werden: „Unter der Tyrannei des Mammon, König und Herr des globalen Wirtschaftssystems, leben viele Millionen Menschen in allen Teilen der Welt unterdrückt und in großem Elend. Trotz dieser Fakten wird behauptet, dass dieses perverse System das einzig mögliche sei und dass schon der Gedanke einer Alternative unrealistisch wäre.“[1]

 

René Padilla erinnerte daran, dass die Propheten des Alten Testaments die biblischen Texte in Erinnerung riefen, um die Unterdrückungsstrukturen ihrer Zeit zu kritisieren und nach Alternativen für eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens zu suchen. In diesem Geist beschäftigte sich der argentinische Theologe mit dem Levitikus-Text, stellte ihn in seinem damaligen Kontext dar und zog daraus Lehren für die heutige Zeit. Gottes Sorge für die Schöpfung und für die Armen sind dabei zentrale Aussagen des Bibeltextes, der Israel den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden weisen will. Padilla arbeitet heraus, dass in Levitikus 25 eine sehr konkrete Orientierung dafür gegeben wird, wie diese Ziele im gesellschaftlichen und ökonomischen Alltag umzusetzen sind, und dass diese Orientierung auch auf die heutige Ökonomie angewandt werden kann. Ein konkretes Beispiel dafür ist der Erlass der Schulden für die ärmsten Länder. Padilla kommt zum Ergebnis, dass die Bibel durchaus dabei helfen kann, eine Alternative zur vorherrschenden Globalisierung zu entwickeln und dass die biblischen Texte viel zu wenig eingesetzt würden, wenn es darum gehe, eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung zu einer Realität werden zu lassen.[2]

 

Kritik an der "Mammon-Wirtschaft" und die Suche nach Alternativen

 

An diese Gedanken konnte Ulrich Duchrow in einem Hauptreferat der Konferenz anknüpfen. Er stellte in knapper Form die gegenwärtige „Mammon-Wirtschaft“ dar. Bei der Suche nach Alternativen könne eine Beschäftigung mit der ökonomischen Alternative hilfreich sein, die das Volk Gottes seit dem Auszug aus Ägypten entwickelt hat und die einen Kontrast zu den ökonomischen Systemen der damaligen Königreiche des Nahen Ostens darstellte. In seinen Ausführungen ging Duchrow besonders auf die prophetische Tradition ein. Jesus stand in dieser Tradition: „Für ihn bildet das Reich Gottes einen Gegensatz zu den Königssystemen dieser Welt – es ist nahe herbeigekommen und beginnt mitten unter den einfachen Leuten und besonders unter den Armen und Ausgeschlossenen.“[3]

 

Die Gleichnisse und das Handeln Jesu sind für Ulrich Duchrow Beleg dafür, wie er sich mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen einschließlich der Geldwirtschaft seiner Zeit beschäftigt hat und wie er zum Vertrauen auf Gott und nicht auf Mammon ermutigte. Dann arbeitet Duchrow heraus, warum es wichtig und möglich ist, zum „totalitären globalen Neoliberalismus“ nein zu sagen und sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene Alternativen zu entwickeln. Hierbei sieht er besondere Aufgaben für die Kirchen und ihre Mitglieder: „Vermutlich gibt es keine andere Organisation auf der Welt, wo die lokalen, nationalen und globalen Strukturen so eng miteinander verbunden sind. Christinnen, Christen, Kirchen und kirchliche Organisationen sind aufgerufen und durch den Heiligen Geist dazu ermächtigt, das Salz, das Licht und der Sauerteig in unseren unterschiedlichen Kontexten und in der globalen Gemeinschaft zu sein. Wenn wir uns Gottes Kampf mit den Armen für eine gerechte Alternative anschließen, wie sie in der ganzen Bibel bezeugt ist, in unserer eigenen bedrohlichen Situation, dann werden die Menschen frohlocken und Gott preisen. Wenn wir dies nicht tun, verraten wir unsere Mission. Lasst uns in aller Bescheidenheit zu Gott beten: ‚Dein Reich komme!’.“[4]

 

Die Bedeutung einer kulturellen Transformation bei der Suche nach Alternativen

 

Während Ulrich Duchrow sich in seinem Vortrag auf ökonomische Fragen konzentrierte, reflektierte der indische Theologe Michael Amaladoss über die kulturelle Dimension des Globalisierungsprozesses und die Möglichkeiten einer Gegenkultur. Sein Referat hatte den Titel „Mission in a Post-Modern World. A Call to be Counter-Cultural“. Seine Grundthese lautet, dass Strategien für eine Alternative zur vorherrschenden Globalisierung nur dann wirkungsvoll sein können, wenn sie von einer kulturellen Transformation begleitet werden, insbesondere einer Veränderung des Weltverständnisses der Menschen und ihres Wertesystems.[5]

 

Die Globalisierung hat, so Amaladoss „nicht Gemeinschaft zwischen den Menschen geschaffen, sondern nur Fragmentierung und den Konkurrenzkampf um knappe Ressourcen“.[6] Dies habe zu einer kulturellen Krise beigetragen. Traditionelle Formen der Zusammenarbeit in Gruppen, einschließlich der Familie, seien zusammengebrochen und andererseits suchten die Menschen in einer inhumanen Welt nach neuer Identität und neuen Beziehungen der gegenseitigen Hilfe und der Solidarität. Aber auch die Kirchen hätten Probleme, eine alternative Vision zu entwickeln, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf vielfältige Weise Kompromisse mit dem eingegangen seien, was als Modernität verstanden wird. Sie seien andererseits aber noch nicht in der Lage, sich auf den religiösen Pluralismus in der Welt einzustellen, auch wenn sie sich mit Themen wie „Evangelium und Kultur“ und dem Dialog der Religionen befassten.

 

Nötig ist nach Auffassung von Amaladoss eine kritische Auseinandersetzung mit einer Modernisierung, die alles zu Objekten gemacht habe, die beobachtet, gemessen, manipuliert und für eigennützige Zwecke ausgebeutet würden. Ebenso gelte es, die Bedeutung von Gemeinschaft für das Leben neu zu entdecken und zu erkennen, wie menschlicher Egoismus Gemeinschaft zerstört.[7] Jesu Vision von einer Gemeinschaft in Gott muss in dieser Situation in Erinnerung gerufen werden und damit auch die Bedeutung der Transzendenz in einer Welt, in der die absolute Autonomie des Einzelnen propagiert wird.

 

Michael Amaladoss zog aus seinen Überlegungen die Konsequenz: „Die Herausforderung der Mission heute besteht deshalb darin, eine Gemeinschaft der Gegenkultur zu bilden, die die Werte des Lebens, der Gemeinschaft und der Transzendenz verkörpert. Sie bezeugt und fördert die Herrschaft Gottes in der Welt ... Für eine Gegenkultur einzutreten bedeutet, prophetisch zu sein. Es geht darum, die Menschen im Namen einer Vision damit herauszufordern, was sie werden können, und dadurch, dass diese Vision Gestalt annimmt.“[8]

 

Es geht also nicht nur um eine Vision eines anderen Lebens, sondern auch darum, es als Gemeinschaft zu leben. Amaladoss erinnert in diesem Zusammenhang an das Bild vom Salz der Erde. Solche alternativen Gemeinschaften müssten aber nicht notwendigerweise nur christlich sein, sondern könnten auch einen multireligiösen Charakter haben. Wir „besitzen“ Christus nicht, und leicht könne die Einzigartigkeit Christi mit der Einzigartigkeit der Christenheit verwechselt werden.[9]

 

Die Referate der Konferenz boten also viel Stoff zum Nachdenken und viel Provokation für ein herkömmliches Verständnis von Kirche und Mission. Die Berichte der Arbeitsgruppen lassen erkennen, dass diese Herausforderung angenommen wurde. Die Auseinandersetzung zwischen Gott und Mammon hat Konsequenzen für die Theologie, aber auch für die kirchliche und missionarische Praxis. Im Bericht einer Arbeitsgruppe wird herausgearbeitet, vor welchen Aufgaben die Kirche angesichts von Armut und Reichtum steht: „Die Kirchen der Reichen müssen erkennen, dass sie ihr Wertesystem und ihren Lebensstil ändern müssen, sie müssen wahrnehmen, dass die Kultur des Konsums nicht geeignet ist, diese Welt zu erhalten, und dass das Leben der Reichen direkte Auswirkungen auf das Leben der Armen hat. Wenn die Kirchen dies nicht tun, können sie nicht die Macht Gottes über Mammon bekunden.“[10]

 

Der Kampf für die Ökonomie Gottes in der Welt

 

In der Schlusserklärung der Konferenz werden unter anderem die Effekte des neoliberalen Kapitalismus noch einmal zusammengefasst und konkrete Vorschläge auf dem Weg zu einer Alternative formuliert. Es wird herausgearbeitet, wie die Bibel helfen kann, Visionen eines anderen Lebens und Wirtschaftens zu entwickeln, die auf der Einsicht beruhen, dass Gott ein Gott des Lebens ist und Leben fördern will. Ausdrücklich wird gefordert, eine interreligiöse Solidarität zu schaffen und dabei von den Werten und Überzeugungen der anderen Religionen zu lernen.

 

Breiten Raum nimmt in der Erklärung der Abschnitt ein, in dem es um die Herausforderungen für Kirche und Mission geht. Es wird daran erinnert, dass die Kirche in vielen Teilen der Welt eine Kirche der Armen ist, während andernorts die Kirchen selbst großen ökonomischen Einfluss haben und eine Rolle im globalen Kapitalismus übernehmen. Auch Missionsarbeit wird mit den so zur Verfügung stehenden Ressourcen finanziert. Dies muss kritisch überprüft werden.

 

Die Kirchen werden aufgefordert, das Fundament für eine Kultur des Lebens zu legen. Mission bedeutet auch, diese Kultur des Lebens in Situationen der Gewalt und des Todes zu fördern und dafür prophetisches Zeugnis abzulegen. Weiter heißt es: „Mission ist nicht nur der Ruf zum Exodus, von der Sklaverei in die Freiheit. Es ist auch der Ruf zur Wiederherstellung der Gesellschaft, der Wiederaufbau von Jerusalem nach der Zerstörung von Babylon.“[11] Am Ende der Erklärung steht die Selbstverpflichtung: „Unser Kampf in der Mission für die Ökonomie Gottes in der Welt wird weitergehen.“[12]

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Gott und die Götter der Globalisierung - Die Bibel als Orientierung für eine andere Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

  

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

  

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 

 



[1] C. René Padilla: The Relevance of the Jubilee in Today’s World, in: Mission Studies 25/26, S. 12

[2] Vgl. ebenda, S. 29

[3] Ulrich Duchrow: God or Mammon: Economies in Conflict, in: Mission Studies, 25/26. S. 48

[4] Ebenda, S. 62

[5] Vgl. Michael Amaladoss: Mission in a Post-Modern World. A Call to Be Counter Cultural, in: Mission Studies, 25/26. S. 68

[6] Ebenda, S. 69

[7] Vgl. Ebenda, S. 73

[8] Ebenda, S. 76

[9] Ebenda, S. 79

[10] Ebenda, S. 83

[11] Ebenda, S. 366

[12] Ebenda, S. 367