Ökumenisches Teilen – nur ein Schlagwort?

 

Wer schon einmal miterlebt hat, wie Begegnungen von Kirchenvertreterinnen und -vertretern dadurch überschattet werden, dass die einen ganz dringend und existenziell auf die finanziellen Zuwendungen der anderen angewiesen sind (und seit Jahrzehnten in dieser Position geblieben sind), weiß, wie unendlich schwierig es ist, wirklich zu gemeinsamen Haushaltern Gottes zu werden. Diese Situation ist nicht davon zu trennen, dass der Reichtum auf der Welt extrem ungleich verteilt ist und diese Kluft noch zunimmt.

 

Neben dem Ziel, diese Kluft abzubauen, bleibt es kurzfristig eine ökumenische Aufgabe, nach neuen Formen des ökumenischen Teilens zu suchen. Das Entwicklungs“projekt“ im herkömmlichen Sinne ist in einer Zeit entstanden, als man daran glaubte, dass die wirtschaftlich ärmeren Länder bald aufholen würden und dass die Durchführung von möglichst vielen Projekten einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten würde. Beide Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Das hat zu vielen Veränderungen im Engagement für eine umfassende Entwicklung geführt, aber das „Projekt“ hat all diese Veränderungen unbeschadet überstanden. Auch weiterhin wird üblicherweise vom Partner im Süden ein Antrag gestellt, und dieser wird in einer Entwicklungseinrichtung im Norden geprüft. Es werden Rückfragen gestellt, eine Vorlage geschrieben und dann entscheidet ein Gremium in Deutschland oder England, ob Gelder für dieses Projekt bewilligt werden. Im positiven Falle wird ein Vertrag geschlossen, in dem der nördliche Partner vor allem die Verpflichtung zur Zahlung von Geldern übernimmt, während der Partner im Süden sich zu einem Einsatz der Gelder entsprechend der Bewilligung und zu einer ausführlichen Rechenschaft über die Verwendung der Mittel und den Erfolg des Vorhabens verpflichtet. Wenn all dies „abgewickelt“ ist, folgt das nächste Projekt. Die Qualität der Projekte hat sich in sehr vielen Fällen positiv verändert, ein Problem in der ökumenischen Zusammenarbeit ist aber, dass die Machtverhältnisse weitgehend unverändert geblieben sind.

 

Ökumenische Zusammenschlüsse finden neue Wege des Teilens

 

Es gibt seit Jahren Bemühungen, zu einem wirklich ökumenischen Teilen zu kommen, also die Partner im Süden gleichberechtigt an den Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln zu beteiligen. So hat der Ökumenische Rat der Kirchen verschiedene Instrumente geschaffen, um am runden Tisch gemeinsam zu entscheiden, welche Vorhaben besonders förderungswürdig sind. Ähnlich gehen zum Beispiel auch der Lutherische Weltbund und der Reformierte Weltbund vor. Auch in ökumenischen Fachorganisationen wie der Weltvereinigung für Christliche Kommunikation wird von international zusammengesetzten Gremien über die Förderung von Vorhaben entschieden.

 

Leider ist der Anteil dieser ökumenischen Förderungen am Gesamtvolumen kirchlicher Entwicklungsförderungen relativ gering, und es ist auch keine Tendenz zu deutlichen Steigerungen zu erkennen. Die Gründe dafür sind vielfältig und zeigen zugleich, wo auf dem Weg zu einem wirklich ökumenischen Teilen angesetzt werden kann. Zunächst einmal arbeiten manche der ökumenischen Förderstrukturen sehr schwerfällig, und bis zur Auszahlung von Geldern kann es lange dauern. Vielleicht sind es nicht die besonders kreativen und dynamischen Initiativen, die diesen Prozess überstehen. Außerdem sind manche Stabspositionen in ökumenischen Organisationen so besetzt worden, dass dem Anliegen eher geschadet als gedient wurde. Von daher ist meines Erachtens eine kritische Überprüfung der bestehenden Formen des ökumenischen Teilens im Interesse derer, die von möglichen finanziellen Förderungen profitieren sollen, dringend geboten. So kommt man auch dem Ziel näher, ökumenische Strukturen des Teilens noch stärker als Alternative zu bilateralen Förderungen auszubauen.

 

„Es geht nicht um ‚unser‘ Geld“

 

Ein weiterer Grund für die Stagnation des ökumenischen Teilens besteht darin, dass es unter den Kirchen im Norden kein Einvernehmen darüber gibt, dass es sinnvoll ist, ökumenische Formen des Teilens von Ressourcen zu fördern. Vor allem in den USA, aber nicht nur dort, gibt es sehr starke Tendenzen, bilateral Programme zu fördern, oft eng verbunden mit der Entsendung von Entwicklungs- und Missionspersonal. Dabei geht es auch um die Erwartung vieler Spenderinnen und Spender, ganz genau zu wissen, wofür das selbst gespendete Geld verwendet wird und möglichst einen Erfolgsbericht mit Foto und strahlenden Empfängern der Unterstützung zu erhalten. Die Tradition des „Nicknegers“, der längst in Missionsmuseen verschwunden ist, erlebt im Zeitalter von Polaroid und Video eine Renaissance. Die strahlenden und sichtbar dankbaren Kleinbauernfamilien neben dem gespendeten Traktor sind der Beweis, dass die eigene Bereitschaft zum Abgeben sinnvoll war.

 

Der Vergleich mit dem Nickneger mag hart klingen, aber es stellt sich die Frage, ob das Bestreben, ganz genau zu wissen, wohin das eigene Geld geht und nicht selten auch Zeichen der Dankbarkeit der Empfänger zu erwarten, eine Haltung ausdrücken, die hinter den biblischen Maßstäben für ein ökumenisches Teilen zurückbleiben. Eine eindeutige Position in dieser Frage hat der frühere Direktor der Basler Mission, Jacques Rossel, vertreten: „Es muss uns europäischen Christen immer bewusst werden, dass es nicht um ‚unser‘ Geld geht. Biblisch verstanden gehört das Geld, das wir ‚haben‘ und als ‚unser Geld‘ betrachten, zum Vermögen, das Gott der Menschheit anvertraut, damit es recht verwaltet werde.“[1]

 

Ein solches Verständnis von „unserem“ Geld steht im krassen Gegensatz zu den Lehren der neoliberalen Globalisierung und eröffnet Perspektiven dafür, als Christinnen und Christen vorzuleben, wie eine andere Globalisierung aussehen kann. Der evangelikale US-Theologe Ronald Sider stellt die Frage: „Die Bibel lehrt eindeutig, dass Gott grundlegend erneuerte wirtschaftliche Beziehungen in seinem Volk will. Haben wir den Glauben und den Gehorsam, ein bibelgemäßes Leben zu beginnen?“[2] Sider geht in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf ein, in welchem Geist die ersten Gemeinden der Jesus-Anhänger einander geholfen haben, wie sie aber auch Nichtgläubige in ihre selbstlose Unterstützung einbezogen. Der amerikanische Theologe zitiert in diesem Zusammenhang den römischen Herrscher Julian Apostata, der versuchte, das Christentum auszurotten, der aber zugeben musste, „dass die gottlosen Galiläer (Christen) außer ihren Armen auch noch die unsrigen ernähren“.[3]

 

Die großen Opfer der Mitglieder der ersten Gemeinden und ihre Bereitschaft, mit anderen zu teilen, waren für viele Menschen ein Anlass, sich diesen Gemeinschaften anzuschließen, die so ganz anders mit Geld und Reichtum umgingen als die umgebende Gesellschaft.

 

Es ist in der heutigen Zeit nicht sinnvoll, wie der Apostel Paulus in allen Gemeinden Geld zu sammeln und es dann persönlich zur Gemeinde in Jerusalem zu bringen. Aber es kommt darauf an, den Geist dieses Teilens unter den heutigen Verhältnissen lebendig werden zu lassen. Dies erfordert ein grundlegendes Umdenken in den Kirchen der finanziell reichen Länder. Wenn sie Haushalter des Reichtums Gottes und nicht Eigentümer sind und wenn sie durch die Art und Weise, wie sie teilen, ein Zeichen des kommenden Reiches Gottes setzen wollen, dann ist eine gründliche Überprüfung der gegenwärtigen Formen der Förderung von Programmen im Süden der Welt erforderlich. Dies gilt sowohl für die kirchlichen Entwicklungsorganisationen als auch für die Missionswerke. Wenn die ökumenische Gemeinschaft eine andere Globalisierung vorleben will, muss sich dies darin zeigen, wie mit Geld und Macht umgegangen wird.[4]

 

In diesem Licht erscheinen Bemühungen wie die „Vereinte Evangelische Mission“, in der Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland gleichberechtigt über die Verwendung der Mittel entscheiden, wichtig. Hier wird gezeigt, dass der Abbau des Machtgefälles als Folge krasser wirtschaftlicher Ungerechtigkeit auf der Welt zumindest exemplarisch durch ein ökumenisches Teilen überwunden werden kann.

 

In kirchlichen Entwicklungsorganisationen gibt es Bestrebungen, langjährige Partnerorganisationen mit Fonds auszustatten, über deren Verwendung für einzelne Projekte lokal entschieden wird. Auch ist es in vielen Fällen bewährte Praxis, dass die Partner in Übersee entscheiden, wer Stipendien erhält. Diese Ansätze zu einer Verlagerung von Entscheidungskompetenzen müssen mutiger vorangebracht werden. Vor allem aber muss nach Wegen gesucht werden, zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung über die Verwendung der vorhandenen Gelder zu kommen.

 

Mit der kleinsten Münze zahlen

 

Ein in Deutschland bisher leider zu wenig bekanntes ökumenisches Programm, zu einer wirklichen Geschwisterlichkeit zu kommen, ist die „Fellowship of the Least Coin“ (FLC). Die Initiative für diese Gemeinschaft ging 1956 von der indischen Christin Shanti Solomon aus. Sie schlug vor, dass Frauen in Asien und in anderen Teilen der Welt ein Projekt des Betens und positiven Handelns beginnen sollten. Daran können sich Frauen unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Lage beteiligen. Sie bringen ihre Gemeinschaft im christlichen Glauben dadurch zum Ausdruck, dass sie nach jedem Gebet eine Münze mit dem niedrigsten Wert zurücklegen, die es in der Währung ihres Landes gibt. Auf die kleinste Münze verständigte man sich, um auch den ärmsten Frauen Gelegenheit zu geben, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Dieses Geld wird gesammelt und für Vorhaben verwendet, durch die die Frauen ihre Solidarität mit leidenden Menschen und mit den Frauen aller Nationen der Welt zum Ausdruck bringen.[5]

 

Nach zehn Jahren beteiligten sich bereits Frauen aus 24 Ländern an der „Fellowship of the Least Coin“, nach drei Jahrzehnten schon Frauen aus 80 Ländern. Inzwischen ist die Gemeinschaft fest verankert in der weltweiten ökumenischen Bewegung und bei vielen ökumenischen Treffen wie den Vollversammlungen regionaler Kirchenkonferenzen vertreten. Alle zwei Jahre erscheint unter dem Titel „Circle of Prayer“ eine Sammlung von Meditationen und Gebeten von Frauen aus allen Teilen der Welt. Für die Zusammenstellung dieser Broschüren, den Austausch von Erfahrungen und Einsichten der weltweiten Gemeinschaft und die Verwendung der eingegangenen Gelder sorgt ein Internationales Komitee. Frauen tragen so mit den kleinsten Münzen dazu bei, dass Frauenprogramme in allen Teilen der Welt unterstützt werden können, zum Beispiel Bildungs- Gesundheits- und Friedensvorhaben von Frauen. Auch werden ökumenische Frauenprogramme gefördert, und es wird Hilfe in Katastrophensituationen geleistet. Zu erwähnen sind schließlich Kurse für Frauen, die Leitungsaufgaben anstreben oder übernommen haben.[6]

 

In einer Selbstdarstellung schreibt die „Fellowship“: „Die Gaben sind einzigartig, weil alle, seien sie nun reich oder arm, mit oder ohne Schulbildung, aus der Stadt oder vom Lande nur die kleinste Münze ihrer heimatlichen Währung geben ... Die ‚kleinste Münze‘ lehrt uns, bescheiden zu sein, auch die kleinsten Beiträge wert zu schätzen und darauf zu vertrauen, dass für Gott nichts unmöglich ist, der große Dinge tun kann aus dem Kleinsten und Unerwarteten.“[7]

 

Dies sind Vorstellungen und eine Praxis von weltweiter Zusammenarbeit, die den vorherrschenden Formen der Globalisierung eine lebendige Alternative entgegenstellen. Eine andere Welt ist möglich, lautet die Botschaft der Frauen in aller Welt, die jede für sich beten und handeln – und gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, unsere Erde menschlicher zu machen.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Jacques Rossel: Teilen in der ökumenischen Gemeinschaft, Texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst 32, Frankfurt am Main 1983, S. 17

[2] Ronald Sider, Der Weg durchs Nadelöhr, Wuppertal 1977, S. 108

[3] Ebenda, S. 104

[4] Vgl. Frank Kürschner-Pelkmann: Botschaft der Hoffnung, (EMW, Weltmission heute 37, Hamburg 1999)

[5] Vgl. Lakshmi K. Daniel (Hrsg.): Many Prayers, One Prayer – Reconciliation and Hope through the Fellowship of the Least Coin, Bangkok 1999

[6] Vgl. Fellowship of the Least Coin: Messages and Reports 2002, Bangkok 2002

[7] Faltblatt „The Fellowship of the Least Coin – A global movement of prayer for peace, justice and reconstruction“