Städte werden wegen Wassermangels schrumpfen

 

Früher bildete eine gesicherte Wasserversorgung die Grundlage für ein Wachstum von Städten, heute wachsen die Wasserversorgungsprobleme parallel zum Wachstum vieler Städte und dies vor allem im Süden der Welt. Von den 33 Megastädten der Welt mit mehr als zehn Millionen Einwohnern befanden sich im Jahre 2018 25 in Asien und Lateinamerika, die Mehrzahl davon in Entwicklungsländern, in denen nicht ausreichend Wasser für den häuslichen, landwirtschaftlichen und industriellen Bedarf gibt.

 

Aber auch in niederschlagsarmen Regionen der USA und Südeuropas wächst die Wasserknappheit in Großstädten, so in der Wüstenstadt Las Vegas. Bisher haben modernen Technologien und hohe Investitionen es der Stadt ermöglicht, trotz Wasserknappheit weiter zu wachsen. So werden zum Beispiel für die Bewässerung von Parkpflanzen Sensoren eingesetzt, die Feuchtigkeit und Wasserbedarf exakt messen und den Pflanzen nur so viel Wasser zukommen lassen, wie absolut notwendig ist. Zudem wird für solche Bewässerungszwecke aufwendig gereinigtes Brauchwasser genutzt. In anderen Megastädten mit Wasserknappheit in wohlhabenden oder reichen Ländern wird Meerwasser oder Brackwasser in teuren und energieaufwendigen Entsalzungsanlagen zu Trinkwasser aufbereitet.

 

Steigende Kosten für sauberes Trinkwasser

 

In den meisten Städten in Europa und Nordamerika gelingt es bisher, ausreichend gesundheitlich unbedenkliches Trinkwasser bereitzustellen. Eine wachsende Zahl von Städten ist aber auf Wasser aus entfernteren Landesteilen angewiesen, was dort nicht selten zu Protesten führt – und diese Proteste werden zunehmen, je knapper das Wasser landesweit wird.

 

Weitere Probleme entstehen dadurch, dass die Abwässer eine ständig wachsende Zahl chemischer Stoffe enthalten, von denen viele in Kläranlagen nicht abgebaut werden können. So ist in Flüssen unterhalb der Wassereinleitungen von Klärwerken eine Verweiblichung männlicher Fische durch Hormone nachgewiesen worden. Der hohe Investitionsbedarf in Trinkwasser- und Abwassersysteme lässt in den nächsten Jahrzehnten deutlich steigende Gebühren erwarten. Sie werden aber voraussichtlich in Ländern wie Deutschland kein Niveau erreichen, das eine Abwanderung aus den Städten auslösen wird. Dies um so weniger, als in ländliche Gebiete ähnliche Probleme bestehen, weil hier die Wasserqualität ebenfalls gefährdet ist, vor allem durch Nitrate aus der Landwirtschaft.

 

Afrikanische Großstädte vor gewaltigen Wasser- und Abwasserproblemen

 

Die prekäre Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssituation wird sich sehr viel stärker auf die städtische Bevölkerung in den Ländern des Südens auswirken. Für die bisher rasche Zunahme der Bevölkerung ist neben dem Bevölkerungswachstum vor allem der Zuzug von Menschen aus ländlichen Gebieten verantwortlich. Dort sind die Lebensverhältnisse und Berufsaussichten häufig noch deutlich schlechter als in den Städten. Und die dortige prekäre Wasserknappheit wird dadurch unübersehbar, dass Millionen Frauen und Mädchen oft viele Kilometer zurücklegen müssen, um Trinkwasser aus dem nächsten Fluss oder Brunnen zu holen.

 

Afrika ist der Kontinent mit den größten Wasserproblemen und zugleich einem besonders raschen Wachstum der Städte. Im Jahre 2020 wird die städtische Bevölkerung auf etwa eine halbe Milliarde Menschen gestiegen sein, fast eine Verdreifachung gegenüber 1990. Fast alle afrikanischen Städte sehen sich mit den Folgen einer unzureichenden Wasserversorgung und Abwasserentsorgung konfrontiert. Besonders die Bewohner der riesigen Slums müssen stark belastetes Wasser trinken und sind einer akuten Gefährdung ihrer Gesundheit durch dieses Wasser und die Abwässer ausgesetzt, welche nach starken Regenfällen ganze Stadtviertel überfluten.

 

Großer Investitionsbedarf und geringe Effizienz

 

Hinzu kommen große Investitionen zur Erneuerung bestehender Leitungsnetze. In vielen Großstädten im Süden der Welt geht mehr als ein Drittel des Leitungswassers durch Leckagen verloren. Die Versorgungs- und Entsorgungssituation ist in den kleineren Städten in armen Ländern meist noch schlechter als in Millionenstädten, weil hier bisher jegliche kommunale Versorgungs- und Entsorgungssysteme fehlen.

 

Das gegenwärtige Investitionsvolumen in Wasser- und Abwassersysteme reicht bei Weitem nicht aus, um das nachhaltige Entwicklungsziel der Vereinten Nationen zu erreichen, allen Menschen eine angemessene und gesundheitlich unbedenkliche Versorgung und Entsorgung zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass viele Wasserbetriebe in den Städten des Südens wenig effizient arbeiten, ihre laufenden Kosten nicht aus den Gebühreneinnahmen decken können und in ihrer Arbeit von einem zum Teil hohen Maß an Korruption beeinträchtigt werden.

 

Entgegen den Erwartungen von Weltbank und anderen Einrichtungen der Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten erwiesen, dass auch internationale Wasserunternehmen, die mit dem Betrieb der Wasserwerke beauftragt wurden, die notwendigen hohen Finanzmittel nicht aufbringen werden.

 

Diese internationalen Wasserkonzerne haben mittlerweile festgestellt, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen erforderlichen Investitionen und der kurz- und mittelfristig zu erwartenden Rendite besteht. Die Kaufkraft und die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung reichen nicht, hohe Wasserpreise durchzusetzen. So sind entweder die Investitionen eingeschränkt worden oder werden mit Entwicklungsgeldern finanziert, was nicht der Sinn der Privatisierung war. Außerdem wehren sich vielerorts im Süden der Welt soziale Bewegungen mit Erfolg gegen die Privatisierung des überlebenswichtigen Gutes Wasser zur Wehr. Daher wird heute wieder ein stärkeres Gewicht darauf gelegt, die Effizienz kommunaler Wasserbetriebe zu erhöhen.

 

Zu einem immer größeren Problem wird die Bereitstellung von ausreichend Trinkwasser. Zusätzlich zur Übernutzung der Grundwasservorräte wird in vielen Großstädten des Südens Wasser durch Leitungen und Kanäle aus entfernten ländlichen Gebieten herbeigeschafft. Das gilt zum Beispiel für China. Auch in Indien bestehen entsprechende Pläne. Dieser Wassertransfer führt allerdings zu wachsenden Spannungen innerhalb der Bevölkerung, weil sich die Landbewohner dagegen wehren, dass das lokal verfügbare Wasser für die Versorgung der Städte dient, während die eigene Versorgung unzureichend ist und noch prekärer wird.

 

Neben den quantitativen gibt es auch qualitative Probleme der Wasserversorgung. So musste die Megastadt Sao Paulo Anfang des Jahrhunderts bereits 170.000 Tonnen Chemikalien im Jahr einsetzen, um eine – wenn auch unzureichende - Trinkwasserqualität des belasteten Wassers zu erreichen. Ein wichtiger Grund für die Verschlechterung der Qualität des für die Versorgung genutzten Grund- und Flusswassers ist in den meisten Städten des Südens das Fehlen einer ökologisch und gesundheitlich unbedenkliche Abwasserentsorgung. In Lateinamerika und der Karibik werden lediglich 20 bis 30 Prozent der Abwässer in Kläranlagen behandelt, bevor sie in Flüsse, Seen oder Meere strömen.

 

In den Städten wirtschaftlich armer Länder wird der Wasserstress in den nächsten Jahrzehnten noch zunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass globale Klimaveränderungen in vielen Regionen des Südens einen Rückgang der Niederschlagsmengen verursachen und in vielen Fällen zu einer Häufung extremer Wetterbedingungen wie lange Dürren und kurze heftige Regenperioden mit großen Überflutungen führen. Dies beeinträchtigt die Landwirtschaft, aber auch die Zahl katastrophaler Überflutungen in städtischen Gebieten nimmt zu.

 

Ein Beispiel für die gewaltigen Herausforderungen durch den Klimawandel ist die peruanische Hauptstadt Lima. Dort werden im ganzen Jahr nur so hohe Niederschläge gemessen wie in Deutschland in einer einzigen Woche. Die Stadt ist deshalb auf das Wasser von drei Flüssen angewiesen, die in den Anden entspringen und von Gletschern gespeist werden. Daher wird es dramatische Folgen haben, wenn die meisten Gletscher der Anden bis zum Ende des Jahrhunderts auf ein Zehntel ihres früheren Volumens schrumpfen werden.

 

Trotzdem geht weiterhin ein beträchtlicher Teil des Trinkwassers der Stadt durch Leckagen verloren und die Wasserpreise sind so niedrig, dass das kostbare Nass verschwenderisch genutzt wird. Dies sind die beiden wichtigsten Ursachen dafür, dass ein Einwohner Limas statistisch gesehen einen doppelt so hohen Wasserverbrauch hat wie ein Bundesbürger. Der Klimawandel würde eine konsequente Politik des sparsamen und nachhaltigen Umgangs mit Wasser erfordern, aber dafür wären neben einem Bewusstseinswandel hohe Investitionen erforderlich.

 

Droht eine Migration aufgrund von Trinkwasser- und Abwasserproblemen?

 

Bisher erfolgt in vielen Entwicklungsländern eine Migration aufgrund verschlechterter Umweltbedingungen und vor allem der unzureichenden Wasser- und Abwassersituation von ländlichen Gebieten in die Städte. Aber je unerträglicher die Situation für Slumbewohner wird, desto stärker kann das Bestreben werden, die städtischen Gebiete zu verlassen.

 

Verschlechtert sich die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung weiter und werden die politisch-ökonomischen Bedingungen noch ungünstiger, ist eine so starke Abwanderung aus einzelnen großen Städten zu erwarten, dass die Bevölkerungszahl schrumpft. In den nächsten Jahrzehnten ist dies vor allem in jenen Städten zu erwarten, in denen die Wasserressourcen schon heute sehr knapp sind. Ein Beispiel dafür ist die jemenitische Hauptstadt Sana’a, die in den letzten drei Jahrzehnten von 80.000 auf 1,5 Millionen Einwohner gewachsen ist. Trotz aller Bemühungen zur Verbesserung der Versorgungssituation und zur Erschließung neuer Wasserressourcen war schon vor Beginn des Bürgerkrieges absehbar, dass die verfügbare Wassermenge bald nicht mehr ausreichen wird. So wird bisher die drei- bis vierfache Menge Grundwasser genutzt, wie sich neues Grundwasser bildet. Der Grundwasserspiegel ist von früher 20 Metern auf unter 200 Meter gesunken.

 

In den nächsten Jahrzehnten wird eine Abwanderung größerer Bevölkerungsgruppen erwartet. Ähnliche Prozesse sind in den Städten am Aralsee bereits heute zu beobachten und am Tschadsee zu erwarten, dessen Fläche sich seit den 1960er Jahren um 90 % vermindert hat. Städte, die früher am See lagen und wesentlich vom Fischfang lebten, haben ihre Existenzgrundlage verloren.

 

Ein zweiter Prozess zeichnet sich in flachen Küstenstaaten wie Bangladesch ab. Steigende Meeresspiegel und stärkere Taifune werden spätestens in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts viele Küstenstädte so stark gefährden und zerstören, dass größere Bevölkerungsgruppen gezwungen sein werden, in andere Landesteile zu flüchten.

 

Ländern wie Bangladesch fehlen die finanziellen Mittel für eine ständige Erhöhung der Deiche und aufwendige Flutschutzmauern. Aber die Überflutung der Stadt New Orleans im Jahre 2005 durch einem heftigen Hurrican hat gezeigt, dass auch reiche Länder nicht davor geschützt sind, dass es als Folge von Naturkatastrophen zu einer Abwanderung großer Teile der Bevölkerung kommt. Bei 90 % aller weltweiten Naturkatastrophen spielt Wasser eine wichtige Rolle.

 

Schrumpfende Städte im Süden der Welt aufgrund von Wasser- und Abwasserproblemen sind in den nächsten Jahren nur in Einzelfällen zu erwarten. Es besteht allerdings die Gefahr, dass sich die Wasserprobleme in den kommenden Jahrzehnten so verstärken, dass Millionen Menschen aus den Städten flüchten. Das wäre dann ein eindeutiges Anzeichen für eine Verschlechterung der ökologischen Bedingungen auf der ganzen Erde.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann