Judit – die Retterin mit dem Schwert
Eine der spannendsten und immer wieder kontrovers diskutierten biblischen Geschichten finden wir im Buch Judit, und wie in fast allen Geschichten, in denen es in der Bibel um Babylonien geht, spielt Nebukadnezar eine bedeutende und negative Rolle. Im Falle der Judit-Geschichte ist er es, der seine assyrischen Truppen nach Israel sendet, damit die Menschen ihn, Nebukadnezar, als ihren Gott anerkennen. Die Verteidiger Israels in dieser Geschichte sind diejenigen, die gerade aus dem babylonischen Exil zurückgekehrt sind. Es geht im Buch Judit auch darum, die Geschichte, die mit bitteren Niederlagen geendet hatte, noch einmal neu zu erzählen – und dieses Mal mit einem eigenen Sieg zu krönen.
Am Anfang der Geschichte wird Nebukadnezars große militärische Macht dadurch demonstriert, dass er das verfeindete Mederreich besiegte und dessen sehr wehrhafte Hauptstadt einnahm. Um so zorniger war der mächtige König darüber, dass die anderen Völker ihm bei diesem Feldzug die Gefolgschaft versagt hatten. Er beschloss, sich zu rächen: „Und er rief alle seine Ältesten, Fürsten und Hauptleute und beriet sich heimlich mit ihnen und eröffnete ihnen, dass er daran dächte, die ganze Erde unter seine Herrschaft zu bringen. Da das ihnen allen gefiel, rief der König Nebukadnezar seinen Feldhauptmann Holofernes und befahl ihm: Zieh aus gegen alle Reiche, die im Westen liegen, und besonders gegen die, die mein Gebot verachtet haben. Du sollst kein Reich verschonen, und alle befestigten Städte sollst du mir unterwerfen.“ (Judit 2,2-6)
Und tatsächlich begann in dieser Geschichte der Feldherr Holofernes einen Vernichtungsfeldzug gegen alle, die sich dem Herrschaftsanspruch Nebukadnezars entgegenstellten. Ausführlich wird im zweiten Kapitel geschildert, mit welch beeindruckender Streitmacht Holofernes sich auf den Weg machte, eine befestigte Stadt nach der nächsten eroberte und alle vernichtete, die Widerstand leisteten. Schließlich fürchtete sich „das ganze Land“ vor ihm (Judit 2,18).
Daraufhin unterwarfen sich die meisten Völker, nur die Juden entschlossen sich, wenn auch voller Furcht, zum Widerstand gegen Nebukadnezar und sein mächtiges Heer. Der jüdische Widerstand konzentrierte sich auf den (fiktiven) Ort Betulia, der von den zahlenmäßig weit überlegenen Truppen Nebukadnezars belagert wurde, war er doch das einzige Hindernis auf dem Weg nach Jerusalem. Die assyrischen Truppen schnitten Betulia die Wasserversorgung ab, und den Belagerten gingen bald Wasser und Lebensmittel aus. Sie standen daraufhin kurz vor der Kapitulation.
Die fromme, gelehrte und mutige Witwe Judit („die Jüdin“) warf den Ältesten des Ortes vor, in dieser kritischen Situation zur Kapitulation bereit zu sein, wenn Gott es nicht zur Rettung der Stadt regnen lassen sollte. Judit war in dieser Geschichte überzeugt, dass man sich nicht fatalistisch auf ein Eingreifen Gottes verlassen durfte: „Wer seid ihr, dass ihr den Herrn versucht? Das dient nicht dazu, Gnade zu finden, sondern vielmehr Zorn und Ungnade. Wollt ihr dem Herrn nach eurem Gefallen Zeit und Tag bestimmen, wann er helfen soll?“ (Judit 8,10f.).
Judit nahm daraufhin die Sache selbst in die Hand. Sie begab sich in das Lager der Assyrer und bot sich dem Feldherrn Holofernes an. Der betrank sich in Vorfreude auf die Liebesnacht sinnlos, und als er daraufhin eingeschlafen war, konnte Judit ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlagen. Der Tod des Feldherrn löste bei den Belagerern ein so heilloses Durcheinander aus, dass die jüdischen Belagerten die günstige Gelegenheit nutzen und die Feinde in die Flucht schlagen konnten.
Der Gott der Juden erwies sich in dieser Geschichte als der wahre Gott, während die Truppen Nebukadnezars eine demütigende Niederlage erlitten. Gott handelte durch eine Frau, die die Schuld auf sich nahm, einen schlafenden Feind mit dem Schwert zu töten. Im letzten, dem 16. Kapitel des Buches singt Judit ihrem Gott ein Dankeslied und feiert den Sieg. Das Lied endet mit einer Drohung: „Weh den Heiden, die mein Volk verfolgen! Denn der allmächtige Herr bestraft sie und sucht sie heim am Tage des Gerichts. Er wird ihren Leib plagen mit Feuer und mit Würmern, und sie werden brennen und es fühlen in alle Ewigkeit“ (Judit 16,20-21).
Hat sich die Geschichte wirklich so ereignet?
In der Zeitschrift „Bibel heute“ des Katholischen Bibelwerkes war 2004 in einem Heft über Judit zu lesen: „Immer wieder bewegt Leserinnen und Leser die Frage, ob sich das im Buch Judit erzählte Geschehen auch wirklich so ereignet hat. Darauf ist eine einfache Antwort möglich: Nein!“[1] Es wird auf verschiedene Unstimmigkeiten verwiesen. So war das assyrische Reich zu Lebzeiten von König Nebukadnezars bereits untergegangen, es gab also keine assyrischen Truppen mehr, und Nebukadnezar residierte nicht in Ninive, sondern in Babylon. Die Angabe, dass die Juden gerade vorher aus dem babylonischen Exil zurückgekehrt waren (Judit 5,21), lässt sich nicht damit in Einklang bringen, dass der zu diesem Zeitpunkt längst verstorbene Nebukadnezar seine Truppen ausgesandt haben soll.
Fragen wirft auch der Hinweis im Bibeltext auf hinsichtlich der bereits erfolgten Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem, denn zu dieser Zeit war Babylon längst von den Persern erobert worden. Positiv formuliert verdichtet die Judit-Geschichte viele Erfahrungen und Erlebnisse des jüdischen Volkes zu einer einzigen Erzählung. Bemerkenswert ist, dass auch außerbiblische, vor allem griechische Quellen in das Buch Judit verarbeitet wurden. Alle biblischen und außerbiblischen Bezüge wurden so ausgewählt und gestaltet, dass sie die Kernbotschaft der Verfasser des Buches verstärken: Die Beziehung zu Gott und das Vertrauen auf Gott bilden die Grundlage für die Existenz Israels.
Wir haben es beim Judit-Buch mit einer Lehrerzählung zu tun, die etwa 150 bis 100 v. Chr. entstanden ist und wahrscheinlich auf Griechisch verfasst wurde. Die Geschichte wurde also einige Jahrhunderte nach der Herrschaftszeit Nebukadnezars und den Auseinandersetzungen zwischen Juden und Babyloniern aufgeschrieben, was hinlänglich erklärt, warum die historischen Ereignisse der damaligen Zeit nicht exakt wiedergegeben wurden. Es ging ohnehin nicht um eine Geschichtsschreibung im engeren Sinne, sondern es sollte den Gläubigen Mut gemacht werden, auch in schwierigsten Situationen darauf zu vertrauen, dass Gott dafür sorgt, dass die Feinde Israels am Ende eine Niederlage erleiden.
Judit wird in dieser Geschichte zur Widerstandskämpferin, die den feindlichen Feldherrn tötet und so ihr Volk rettet. Und Nebukadnezar? Er muss wie so häufig in der Bibel als „Bösewicht“ herhalten. Dabei vermuten Theologinnen und Theologen heute, dass sich die Erzählung eigentlich gegen die hellenistische Willkürherrschaft in Israel und ihren Repräsentanten Antiochus Epiphanes richtete. Der Sieg der Makkabäer gegen die verhassten Seleukiden hatte ein neues Selbstbewusstsein geschaffen, das es jetzt auch ermöglichte, die eigene Geschichte neu zu erzählen und zu deuten.
Keine männermordende „femme fatal“
Die Zahl der theologischen Interpretation des Judit-Stoffes ist lang. Man kann den biblischen Text zum Beispiel als Versuch verstehen, zumindest fiktiv die Geschichte der Niederlage gegen die Babylonier (und vorher gegen die Assyrer) im Rückblick einmal gänzlich anders zu erzählen. Was wäre gewesen, wenn der Widerstand gegen die Invasoren Erfolg gehabt hätte, wenn man nicht Opfer geworden wäre, sondern es geschafft hätte, den Feldherren der Feinde zu ermorden und seine Truppen in die Flucht zu schlagen? Es macht in einer solchen Erzählung auch Sinn, die Assyrer und den Babylonier Nebukadnezar zu einer feindlichen Macht zu verschmelzen. Wenigstens in der Legende werden sie alle besiegt, wird die eigene Erfahrung der Ohnmacht zu einer Geschichte des entschiedenen Handelns und des Sieges.
Die Judit-Geschichte hat immer wieder eine besondere Bedeutung für Christinnen und Christen gehabt, die sich zum konsequenten, auch gewaltsamen Widerstand gegen Tyrannen entschlossen haben. Die Theologieprofessorin Barbara Schmitz hat in einem Beitrag über „Zivilcourage im Buch Judit“ herausgearbeitet: „Gottes Handeln und Retten kann nur als Handeln von Menschen gedacht werden, die ihr Handeln an Gott rückbinden … Damit wird deutlich, dass ‚alles von Gott zu erwarten‘ nicht heißen kann, passiv die Hände in den Schoß zu legen, sondern in verantworteter Eigeninitiative vor Gott zu handeln.“[2]
Bemerkenswert an der Geschichte ist nicht zuletzt, dass einer Frau die Aufgabe zufällt, Israel zu retten. Es ist eine Frau, die in den Debatten mit den politisch und religiös Verantwortlichen des Ortes scharfsinnig argumentiert und offenkundig über solide theologische Kenntnisse verfügt. Es wäre durchaus angebracht, Judit wegen ihrer Bildung und Klugheit und dem daraus erwachsenen entschlossenen Handeln zu schätzen und nicht lediglich ihre Mordtat immer neu darzustellen und zu interpretieren.
Es ist auffällig, dass es in biblischen Geschichten mordende Männer in großer Zahl gibt, deren Taten weit weniger problematisiert werden als die Befreiungstat von Judit in dieser Erzählung. Als Beispiel für eine männermordende „femme fatal“ eignet sich Judit auf jeden Fall nicht, wie die feministische katholische Theologin Claudia Rakel betont: „Es geht nicht um Macht im Geschlechterverhältnis oder um die Macht der Frau über den Mann. Judit tötet Holofernes nicht, weil er ein Mann ist, sondern weil er ein Tyrann und brutaler Feldherr ist, der das Volk Israel bedroht.“[3]
Eine Geschichte inspiriert christliche Künstlerinnen und Künstler
Das Buch Judit wurde nicht in den jüdischen biblischen Kanon aufgenommen, und das schon deshalb nicht, weil die Urfassung nicht auf Hebräisch verfasst worden ist. Für Katholiken und Orthodoxe hat das Buch einen festen Platz in der Bibel, während es in der protestantischen Tradition zu den „apokryphen“ Schriften zählt, die weder im Gottesdienst noch in der kirchlichen Unterweisung einen festen Platz haben. Aber trotz der protestantischen Vorbehalte gegenüber dieser Geschichte hat sie in der christlichen Kunst eine lange Wirkungsgeschichte entfaltet.
Besonders das Motiv des Abschlagens des Kopfes des feindlichen Heerführers durch Judit hat immer wieder Künstler inspiriert, vorzugsweise mit den Accessoires des bluttriefenden Schwertes und des abgeschlagenen Kopfes. Davon hebt sich das sensibel gestaltete Gemälde „Judith und Holofernes“ der italienischen Malerin Artemisia Gentileschi aus dem 17. Jahrhundert ab. Es spricht viel dafür, dass sie die Erfahrung der Vergewaltigung durch einen Maler, der sie als junge Frau unterrichten sollte, in ihrer sensiblen Darstellung des Widerstandes von Judit verarbeitet hat. (Mehr über diese Malerin erfahren sie im Abschnitt: „Ein wunderbarer Garten und die schöne Susanna“.)
Zu den musikalischen Bearbeitungen des Judit-Themas gehören Antonio Vivaldis Oratorium „Juditha triumphans“ und Wolfgang Amadeus Mozarts Oratorium „La Betulia Liberata“. Zu erwähnen ist auch ein 1840 erstmals aufgeführtes Drama von Friedrich Hebbel über „Judith“, in dem die biblische Geschichte große Änderungen erlebte, sodass das Drama mehr über den Schriftsteller als über die Heldin sagt. Friedrich Hebbel war der Auffassung, dass die Frau von Natur dazu bestimmt wäre, dem Manne unterwürfig zu sein. Der Dichter hat bekannt, dass er die biblische Judit „nicht brauchen“ konnte. Seine Judit folgte nicht nur Gottes Auftrag, sondern auch eigenen Trieben und erkannte nach der Tötung von Holofernes, dass sie Grenzen überschritten hatte. Sie wirkte nach ihrer Tat wie paralysiert. Einer Frau gebührte ein solches Handeln nicht, war Friedrich Hebbel überzeugt. Und da Holofernes und Judit in dem Drama – anders als in der biblischen Geschichte – miteinander geschlafen hatten, fürchtete die junge Frau nun, einen Sohn ihres Feindes zu gebären. Für diesen Fall wünschte sie sich den Tod. Bei allen Veränderungen der biblischen Geschichte behielt der Schriftsteller eines bei: König Nebukadnezar trat auch hier als verhasster Despot auf, der sich sogar selbst zum Gott erhob.
© Steinmann Verlag, Rosengarten
Autor: Frank Kürschner-Pelkmann
[1] Barbara Schmitz: Durch die Hand einer Frau, in: Bibel heute, 3/2004, S. 6.
[2] Barbara Schmitz: Zivilcourage im Buch Judit, Dem Rad in die Speichen fallen, in: Bibel heute, 3/2004, S. 15f.
[3] Tod dem Tyrannen, Interview mit Claudia Rakel, in: Bibel heute, 3/2004, S. 9.