Dramatisches Bild der Arche Noahs im Sturm.
Die Geschichte von Noah und seinem "Kasten" gehört zu den bekanntesten biblischen Texten. Foto: iStock.com/Javier_Art_Photography

Noah und die große Flut

 

Flutkatastrophen sind eine Strafe Gottes – davon waren die Israeliten in biblischen Zeiten überzeugt. Das kommt besonders in der Geschichte von der Sintflut und der Arche des Noah zum Ausdruck. Von gewaltigen Fluten wird auch in vielen Religionen und Kulturen berichtet, und allein in ­Mesopotamien gab es mehrere solche Mythen, von denen das Gilgamesch-Epos der berühmteste ist. Er entstand in der heute verbreiteten Form etwa 1250 vor Christus und war im ganzen Vorderen Orient gut bekannt. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Verfasser der biblischen Noah-Geschichte dieses Epos kannten und sich von ihm inspirieren ließen. Hier der Anfang einer gekürzten Überlieferung des Gilgamesch-Mythos, entnommen aus der Sammlung „Wasser – Elixier des Lebens“ von Martin Sandkühler:

 

„Alles, was ich hatte, nahm ich mit, den ganzen Ertrag meines Lebens lud ich ein in das Fahrzeug; Familie und all die Verwandten, die Tiere des Feldes, das Vieh von der Weide und Leute vom Handwerk, alle schiffte ich ein. Ich bestieg das Fahrzeug und verschloss die Tür. Als der junge Tag strahlend heraufzog, ballte fern sich am Horizont eine schwarze Wolke.“        

 

Die Ähnlichkeiten zwischen biblischer Geschichte und Gilgamesch-Epos sind nicht zu übersehen. Es gibt in beiden Fällen ein schwimm­fähiges Gefährt, in dem einige Menschen und eine große Zahl von Tieren vor den Fluten gerettet werden. Die Flutkatastrophe wird in drastischen Worten geschildert, und an ihrem Ende werden Vögel ausgesandt, um festzustellen, ob die Überflutung der Erde zu Ende ist. Schließlich wird in beiden Fällen ein Dankopfer dargebracht. Es gibt aber auch gravierende Unterschiede zwischen mesopotamischem Mythos und biblischer Geschichte. Im Gilgamesch-Epos sind die Götter selbst voller Furcht, in der Bibel ist Gott der Handelnde, und es wird auch deutlich, warum er den größten Teil seiner Schöpfung vernichtet.

 

Keine Wassergeschichte der Bibel hat die Menschen so zu immer neuen Erzählungen und Bildern inspiriert wie die Geschichte vom Bau eines Kastens, einer großen Flut, der Rettung, dem Regenbogen und dem Anfang eines neuen Lebens. Selbst in Geschichten vom Untergang Rungholts in der nordfriesischen Inselwelt schwingt noch etwas mit von der Furcht, dass Gott ein sündiges und hochmütiges Leben mit der Vernichtung durch die Gewalt des Wassers bestraft. Der letzte Vers von Detlev von Liliencrons berühmten Rungholt-Gedicht lautet:

 

Ein einziger Schrei – die Stadt ist versunken,

Und Hunderttausende sind ertrunken.

Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,

Schwamm andern Tags der stumme Fisch.

Heut bin ich über Rungholt gefahren,

Die Stadt ging unter vor sechshundert Jahren.

Trutz, Blanker Hans.

 

Die Rettung im „Kasten“

 

Am Anfang der Noah-Geschichte steht Gottes Reue, die Menschen gemacht zu haben, deren „Bosheit groß war auf Erden“ (1. Mose 6,5). Deshalb beschloss Gott, die Menschen von der Erde zu tilgen. Er machte eine Ausnahme: „Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn.“ (1. Mose 6,8) Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel, und deshalb sollten er und seine Familie gerettet werden. Auf Anweisung Gottes baute Noah einen „Kasten“, in dem er, seine Familie und je ein Paar aller Tiere, die auf der Erde lebten, vor der Flut bewahrt werden. Oft wird die Arche als winziges Schiff dargestellt, aber wenn man die exakten biblischen Maße zur Grundlage macht und davon ausgeht, dass ägyptische Ellen gemeint waren, dann handelte es sich immerhin um ein Schiff von 135 Meter Länge, 23 Metern Breite und 13 Metern Höhe. Danach brachte es der „Kasten“ auf etwa 13.900 Bruttoregistertonnen und hätte noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu den großen Frachtschiffen gehört. Aber, die Arche ist nie gebaut worden, ist nie geschwommen – und steht doch in einem tieferen Sinne für die ganze Wahrheit der Bibel. Es ist eine Geschichte, aus der viel über göttliches Handeln, menschliche Schwäche und das Überleben dieser Erde gelernt werden kann.

 

Der brasilianische Theologe Marcelo Barros erinnert in seinem Buch „Gottes Geist kommt im Wasser“ daran, dass Gott bei der Schöpfung die Wasser vom Himmel und aus der Tiefe voneinander getrennt hat: „Die Beschreibung der Sintflut in der Genesis erscheint wie ein gleichsam umgekehrter Schöpfungsbericht. In der Schöpfung, von der das Buch Genesis spricht, hat Gott durch die Trennung der Wasser die bedrohlichen Wasser beherrscht und das Chaos besiegt. Jetzt gerät das Universum außer Kontrolle. Die Wasser treten aus den ihnen zugewiesenen Bereichen und vermischen sich wie vor der Schöpfung. Bei diesem Bild muss man sich vor Augen halten, wie die Propheten und Priester von der babylonischen Gefangenschaft sprachen. Die Erfahrung des Exils wird kosmisch ausgeweitet. Die Schöpfung selbst rebelliert.“ (S. 168f.)

 

Es ging den biblischen Autoren also nicht darum, einen historisch genauen Bericht darüber zu geben, dass Noah wirklich ein gewaltiges Schiff baute, um dort seine Familie und Tiere aufnehmen zu können. Das ist schon deshalb auszuschließen, weil in der Bibel zwei Geschichten vereint wurden, die sich im Blick auf die Zahlenangaben unterscheiden, in einem wird von jeweils einem Paar berichtet und im anderen von sieben Tieren. Dazu schreibt der Theologe Jürgen Ebach in seinem Buch „Noah“: „Es handelt sich dabei offenkundig nicht um eine einlinige Erzählung, sondern um ein kunstvolles Gewebe aus mehreren unterschiedlichen Fäden. Dieser Ge­webe­charakter ist im überlieferten Text erkennbar geblieben, ja man hat offenkundig lose Enden stehen lassen und Verknüpfungsstellen kenntlich gemacht … Diese Widersprüche sind im Text bewusst erhalten geblieben. Wer das bestreiten wollte, müsste ja buchstäblich annehmen, dass die alten Tradenten nicht bis drei zählen konnten …“ (S. 20f.)

 

Zu welchen Überlegungen man kommt, wenn man versucht nachzuweisen, dass die Sintflut tatsächlich stattgefunden hat, kann man im Internet nachlesen, wenn man das Stichwort Noah eingibt. Dann stößt man zum Beispiel auf den Beitrag von Fred Hartmann und Reinhard Junker, die sich mit der Frage befassen: „Passten alle Tiere in die Arche Noah?“ (Link - PDF). Sie berechnen, dass alle Tierarten in die Arche passten, einmal abgesehen von den Wasserlebewesen, die im Wasser überleben konnten. Die Autoren kommen auf circa 21.100 mitzunehmende Wirbeltiere. Damit alle Tiere hineinpassen konnten, wird vermutet, dass Noah von großen Tieren wie Elefanten Jungtiere mitgenommen haben könnte, die weniger Platz brauchten. Das Futterproblem lösen die Autoren mit einem allgemeinen Winter- beziehungsweise Sommerschlaf und kommen so zum Ergebnis, dass die historische Glaubwürdigkeit der Geschichte von der Arche nicht zu erschüttern sei.

 

Mitte 2006 verkündeten dann US-Archäologen, sie hätten im Elburz-Gebirge die Überreste der Arche Noah gefunden. In mehr als 4.000 Metern Höhe hätten sie eine Gesteinsformation entdeckt, die an versteinerte Schiffsplanken erinnert, das versteinerte Holz der berühmten Arche. Dass andere Wissenschaftler es für unmöglich halten, dass der Wasserstand selbst beim Abschmelzen aller Gletscher und des Poleises eine solche Höhe erreichen konnte, ficht die US-Forscher nicht an. Und immerhin fand die Zeitschrift „National Geographic“ ihren „Fund“ berichtenswert. Man sieht, dass es sehr unterschiedliche Zugänge zur Noah-Geschichte gibt.

 

Als sich die Fenster des Himmels auftatem

 

Nachdem der Kasten fertig war, passierte, so berichtet die Bibel, eine Katastrophe globalen Ausmaßes. Es öffneten sich „alle Brunnen der großen Tiefe“ und es „taten sich die Fenster des Himmels auf“ (1. Mose 7,11), mit dem Ergebnis, dass alle Menschen und Tiere vernichtet wurden, außer den Bewohnern des Kastens: „Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte“, heißt es in im Vers 21, und in den beiden folgenden Versen wird noch einmal bekräftigt, dass alle Lebewesen auf der Erde starben. Die ganze Dramatik der Situation wird auch in diesem Vers deutlich: „Und die Wasser wuchsen gewaltig auf Erden hundertfünfzig Tage.“

 

In vielen Darstellungen der Noah-Geschichte – besonders in Kinderbibeln und Kinderbüchern – tritt die Vernichtung von vielen Millionen Menschen und Tieren in den Hintergrund, es wird eine reine Rettungsgeschichte erzählt, und der friedlich auf den Wassern schaukelnde Holzkasten lässt nicht mehr ahnen, was sich darunter abspielt.

 

Warum hat Noah geschwiegen?

 

Vor allem jüdische Autorinnen und Autoren haben in den letzten Jahrzehnten ihr Augenmerk auf das Schicksal all derer gerichtet, die keinen Platz in der Arche fanden. Die Überlebenden des Holocaust haben sich gefragt, warum gerade sie noch am Leben sind und was sie zur Rettung anderer hätten tun können. Der Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel hat dies in seinem Buch „Noah oder die Verwandlung der Angst“ eindrücklich herausgearbeitet. Er schreibt unter anderem: „… viele Über­lebende sind immer wieder verfolgt, ja gepeinigt von ungerechtfertigten Schuldgefühlen. Auch Noah musste sich eines Tages fragen: ‚Warum ich?‘ Sicher hat er nicht gedacht, er sei auserwählt, weil er besser als andere sei. Er kann nicht so eitel gewesen sein, um dies zu denken. Oder weil er eine bessere gesellschaftliche Stellung innehatte? Andere hatten höhere Positionen. Wieder und wieder muss Noah diese schmerzliche Frage gestellt haben: ‚Warum ich?‘ Zugegeben, er hat seine Frau und seine Kinder gerettet. Aber was ist mit seinen Verwandten, seinen Bekannten? Tot, alle tot.“

 

Warum hat Noah seine Mitmenschen nicht gewarnt? Geradezu unerträglich erscheint in diesem Zusammenhang das Schweigen Noahs. Im ­ganzen biblischen Bericht sagt er kein Wort, wortlos, so scheint es, nahm er Gottes Auftrag entgegen, einen Kasten zu bauen, wortlos baute er dieses gewaltige Fahrzeug, wortlos nahm er Abschied von der Welt, die dem Untergang ausgeliefert war, und wortlos kehrte er aus seiner Arche auf den festen Boden zurück.

 

Interessanterweise schweigt Noah im Koran nicht, sondern versucht, die Menschen für ein Leben in Hingabe an Gott zu gewinnen. Er stößt aber nur auf Ablehnung. Erst danach kam die Flut. Amir Zaidan hat diesen Zusammenhang bei einer Dialogtagung zu Noah (islamisch Nuh) im Februar 2000 in Berlin so dargestellt: „Weil die Angehörigen des Volkes von Nuh trotz dieser extrem langen Zeit der Ermahnung keinem Argument zugänglich waren, auf ihrer Ablehnung beharrten und immer arroganter wurden und zudem in ihrer Überheblichkeit glaubten, sich aus eigener Kraft vor der – von ihnen zudem für völlig unwahrscheinlich gehaltenen – angedrohten Strafe des Schöpfers schützen zu können, kam schließlich die von Nuh angekündigte Peinigung, die Flut mit gewaltigen Wassermengen von oben und von unten, der keiner der arroganten Ablehnenden und Verleugnen­den entrinnen könnte. Diese im Quran erwähnte Flut kann nach dem islamischen Selbstverständnis nur eine regional begrenzte Überschwemmung ge­wesen sein, da sie als Strafe für ein bestimmtes Volk, das Volk von Nuh, ge­schickt wurde. Untermauert wird der quranische Bericht einer regionalen Be­grenzung dieser Flut durch die Tatsache, dass nach dem Selbstverständnis des Quran grundsätzlich keine Peinigung ohne vorherige Ermahnung erfolgt.“ (EZW-Texte Nr. 163, Berlin 2002, S. 45)

 

Die Verfasser vieler Noah-Geschichten haben das Schweigen Noahs im biblischen Bericht nicht aushalten können, und manchmal redet er geradezu wie ein „Wasserfall“, so auch in Bruce Lows Schlager „Noah“. Dafür ein Beispiel aus dem Lied (nach dem Bau der Arche):

 

Noah rief: „Herr, da ist sie: Groß und schön!“
Der Herr sprach: „Noah, es wird Zeit, an Bord zu gehn.
Nimm von jedem Tier ein Paar, ohne Makel und gesund,
und Frau Noah und die Kinder und die Katze und den Hund.“
Noah sprach: „Herr, es fängt zu regnen an.“
Der Herr sprach: „Noah, bring die Tiere in den Kahn!“
Noah schrie: „Herr, es gießt in Strömen hier!“
Der Herr sprach: „Noah, hurry up, und schließ die Tür!“

 

Aber warum schweigt Noah in der Bibel? Wir müssen uns bewusst machen, dass wir keine spannende Reportage über eine Naturkatastrophe lesen, sondern einen biblischen Text, der mit bestimmten Intentionen geschrieben wurde und in dem anderes in den Hintergrund tritt. Aber vielleicht ist das Schweigen Noahs dennoch ein Zeichen für die Sprachlosigkeit vieler Menschen angesichts drohender Katastrophen und angesichts des Ausmaßes solcher Katastrophen. Wie reagieren wir heute auf die drohenden Katastrophen und die tagtägliche Not und das Elend in der Welt? Wasser spielt in vielen dieser ­Katastrophen eine wichtige Rolle, seien es nun die Flutkatastrophen in Bangladesch, die Dürren in der afrikanischen Sahelzone oder die Tsunami-Katastrophe Ende 2004. Wie oft verdrängen wir solche Katastrophen oder stehen ihnen sprachlos gegenüber?

 

Auf dem Hintergrund der Noah-Geschichte gewinnen auch Sprüche wie „Das Boot ist voll“ eine beklemmende Bedeutung. Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Reichen in ein vermeintlich sicheres Schiff zurückziehen, die Luke dicht machen und hoffen, dass die drohende Katastrophe an ihnen vorübergeht, während andere, schon bis zum Hals im Wasser stehen und auf der Flucht vor dem sind, was als globale Katastrophe, diesmal von den Menschen gemacht, schon begonnen hat? Aus dem „Nach uns die Sintflut“ kann so rasch ein „Mit uns die Sintflut“ werden.

 

Überleben in der High-Tech-Arche?

 

Wie fragwürdig es ist, ein kleines Stück „heile Welt“ schaffen und retten zu wollen, zeigt das Projekt „Eden“ in Cornwall. Für umgerechnet mehr als 130 Millionen Euro wurden riesige Gewächshäuser gebaut, in denen die Besucher nun die Vielfalt der Pflanzenwelt bestaunen können. Allein die Tropenhalle ist 240 Meter lang, 110 Meter breit und 55 Meter hoch, weit größer als die Arche Noahs nach der Beschreibung in der Bibel. Computergesteuert wird hier die bedrohte Welt in schöner Gestalt Millionen Be­suchern präsentiert, die dafür ein hohes Eintrittsgeld zahlen müssen, damit das aufwendige Projekt auch Gewinne abwirft. Dass die meisten Besucher per Auto zur Attraktion ins abgelegene Cornwall reisen, ist nur ein Anzeichen dafür, dass das vermeintliche „Eden“ vielleicht doch nur ein Disney-Land mit leichtem Öko-Touch ist. War es ein Fingerzeig Gottes, dass das ganze Projekt beinahe im Wasser versunken wäre, weil es während der Bauarbeiten zu wochenlangen schweren Unwettern kam und mehr als 160 Millionen Liter Wasser in die Baugrube flossen? Das Wasser wurde abgepumpt und so die künstliche „Eden“-Welt noch einmal gerettet. „Travel the world in one day“ lautet ein Werbeslogan des Unternehmens, und damit die Leute dabei keine nassen Füße bekommen, wird nach einem ausgeklügelten System weiterhin Wasser abgepumpt. Die neue Sintflut wurde verschoben, jedenfalls in der künstlichen Welt in Cornwall.

 

Noch ambitionierter war das Projekt „Biosphere 2“ in der Wüste von Arizona. Auf knapp einem Hektar sollte eine zweite Welt entstehen, mit Ozean, Mangrovensumpf, Regenwald, Savanne und Wüste. Finanziert wurde die neue Arche von dem texanischen Ölmilliardär Ed Brass. Das 150-Millionen-Dollar-Projekt sollte zeigen, wie ein Überleben in einer zweiten Biosphäre möglich sein könnte, wenn die Erde eines Tages nicht mehr bewohnbar sein sollte und die Menschen auf den Mars umsiedeln müssten. Das Glashaus sollte ohne Luftaustausch mit der Umgebung auskommen. Allerdings, die neue Arche Noah mit ihren High-Tech-Lösungen verbraucht für 1,5 Millionen Dollar Elektrizität im Jahr, die von einem nahen Wasserkraftwerk geliefert wird. Für Notfälle hat die künstliche Welt ein eigenes Kraftwerk, denn wenn eine Viertelstunde kein Strom fließt, bricht die ganze „Biosphäre“ in sich zusammen.

 

Die acht Bewohner, die am 26. September 1991 einzogen, sollten sich durch Ackerbau und die Pflanzen der künstlichen Welt ernähren. Was folgte, war ein einziges Desaster, angefangen damit, dass es nicht im Regenwald, sondern ausgerechnet in der Wüste anhaltend regnete. Außerdem nahm die Zahl der Ameisen stark zu, die die Insekten angriffen und das labile Gleichgewicht unter dem Glasdach durcheinander brachten. Dass veranlasste die „Süddeutsche Zeitung“ im September 2004 einen Beitrag über die zweite Biosphäre mit dem Titel „Insektenkrieg in der Arche Noah“ zu versehen. Die Anbaufläche war nicht groß genug für eine ausreichende Ernährung, die Qualität des Wassers hatte sich auf beängstigende Weise verschlechtert, die Bewohner waren bald zerstritten … Ein Jahrhundert sollte das Experiment dauern, und dass es wenigstens zwei Jahre dauerte, lag nur daran, dass Sauer­stoff in die zweite Welt gepumpt wurde, um ein Überleben der Menschen, Tiere und Pflanzen zu ermöglichen. Nach diesem Fehlschlag wurde ein zweiter Versuch unternommen, er endete schon nach wenigen Wochen wegen Sauerstoffmangels in den Glashäusern. Nun dürfen Touristen für einen stattlichen Eintrittspreis durch die Savanne und Wüste wandern – obwohl die echte Wüste gleich außerhalb der Glashaus-Welt beginnt.

 

Neue Hoffnung unter dem Regenbogen

 

Zurück in biblische Zeiten: Nach dem Ende der Sintflut dauerte es, so der biblische Bericht, noch vierzig Tage, bis Noah ein Fenster aufmachte und einen Raben und dann eine Taube ausfliegen ließ. Die Taube, die mit dem Ölblatt im Schnabel zur Arche zurückkehrte, ist zum wichtigsten Symbol der Friedensbewegung geworden, vor allem durch Picassos berühmte Zeichnung. Als die Erde wieder trocken war, verließen Noah, seine Familie und alle Tiere die Arche, und Noah baute einen Altar, um Gott für die Rettung zu danken. Bischof Martin Kruse hat in einer Predigt während der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1983 in Vancouver zu diesem Dankopfer gesagt: „Noah baut einen Altar. Er weiß, wem er den neuen Anfang verdankt. Er will das nicht vergessen. Leben aus Dankbarkeit – das ist eines der Zeichen des neuen Lebens. Leben aus der Dankbarkeit ist offen für Gott, offen zur Schöpfung Gottes. Offen zur Fülle der Gaben ­Gottes.“

 

Dann finden wir im biblischen Bericht diese erstaunliche Aussage: „Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an. Und will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich es getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht mehr aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (1. Mose 8,21–22)

 

Dorothee Sölle schrieb zu diesem Text 1989 in der Zeitschrift „Junge Kirche“: „Wir wissen heute, wie leicht es ist, die Erde zu verfluchen um der Profitgier willen und um sie zum totalen Material zu machen, mit dem wir schalten und walten wie ein Imperialist mit unterworfenen Ländern. Gott, in dieser Geschichte von Noah und Taube und Ölzweig, baut ein anderes Verhältnis zur Erde auf, er ist mit der Erde, er stellt sich auf die Seite der misshandelten Erde, die nicht mehr verflucht sein soll um der Menschen willen … Wir sind, wenn wir für die Schöpfung eintreten, im Einklang mit den ältesten Traditionen der Menschheit, die alle die Erde nicht als Gegenstand, als Objekt, als ausnutzbares Material behandeln. Die Erde gehört Gott, wie der Psalmist sagt. Gott hat sich in der Schöpfung in die Erde hinein­gegeben, so dass wir sagen können: Die Erde ist heilig.“

 

Gott schließt mit Noah und seiner Familie einen Bund, sagt ja zu einem Neuanfang gemeinsam mit den Menschen. Die biblischen Aussagen in diesem Zusammenhang sind immer wieder missverstanden worden und haben eine zum Teil katastrophale Wirkungsgeschichte gehabt. Aussagen wie „Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren … in eure Hände seien sie gegeben“ (1. Mose 9,2) wurde interpretiert als uneingeschränkte Gewalt der Menschen über die Tiere. Dabei wird aber der Kontext des Textes ignoriert, nämlich, dass dieser Bund mit jenen geschlossen wird, die die Tiere vor der Vernichtung bewahrt haben. Die Tiere werden also in die Hände von Menschen gegeben, die die Schöpfung bewahren.

 

Dieser Zusammenhang wird in der folgenden Aussage überdeutlich: „Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier …“ (1. Mose 9,15) Die Tiere und die ganze Schöpfung sind in den Bund einbezogen, sind nicht Objekte der Raffgier der Menschen. Dies wird noch bekräftigt durch den folgenden Vers über die Bedeutung des Regenbogens: „Und Gott sagte zu Noah: Dies sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.“ (1. Mose 9,17) Aus der Familie Noahs ist nach dem biblischen Bericht die ganze heutige Menschheit hervorgegangen, der die Verheißung des Bundes, aber auch der Auftrag, im Sinne Gottes mit der Schöpfung umzugehen, gilt. Heute ist der Regenbogen zum Beispiel das Hoffnungssymbol der Umweltbewegung Greenpeace.

 

Die Geschichte von der großen Flut ist eine Mahnung an die Menschheit, sorgsam mit der Schöpfung umzugehen. Mit dieser Mahnung ist aber Hoffnung verbunden. Der Schöpfer wird diese Welt nicht zugrunde gehen lassen. Dorothee Sölle schreibt: „Der Gott der Bibel ist ein Gott, der umkehrt und unsere Umkehr ersehnt.“

 

Die Geschichte zeigt auch, dass Initiativen von Einzelnen, in diesem Fall der Bau eines Schiffes durch einen einzigen Mann, nicht nur persönliche Bewahrung bedeuten, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Überleben der Schöpfung leisten können. Die Grünen-Politikerin Antje Vollmer hat diesen Bibeltext 1990 in einer Predigt so ausgelegt: „Nur Noah hat geglaubt und hat überlebt und mit ihm in einer Arche, wie in einer Nussschale, keimhaft das gesamte menschliche Leben. Warum hat Noah überlebt? Weil er sich irgendwann vom Festen und Sicheren abgestoßen und ausprobiert hat, ob diese Flut nicht trägt. Ob ihn nicht einer durch diese Flut trägt. Dafür musste er etwas loslassen, was ihm bisher Sicherheit versprochen hatte. Wer an den alten Sicherheiten und Häusern festhielt, der versank. Wer sich auf die Schiffe begab wie Noah, für den eröffnete sich ein neues Leben.“

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

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