Globalisierungs-Alternativen: eine Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs abwehren
Wie kompliziert und zugleich wichtig es ist, auf die globalen Handels- und Dienstleistungsverhandlungen Einfluss zu nehmen und welche Möglichkeiten es hierfür gibt, zeigte sich Anfang des Jahrhunderts an den GATS-Verhandlungen.
Das „General Agreement on Trade in Services“ ist eine Vereinbarung im Rahmen der Zusammenarbeit in der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organisation). Die WTO wurde Mitte der 90er Jahre gegründet, um den Welthandel zu fördern und insbesondere eine Liberalisierung der Handelsbeziehungen voranzubringen.[1] Ein wichtiger Bereich der WTO-Liberalisierungsbestrebungen sind die Dienstleistungen. Zwar machen sie nur etwa ein Viertel des Welthandels aus, aber in vielen Industrieländern entfallen mehr als zwei Drittel des Sozialprodukts auf diesen Bereich. Als entsprechend vielversprechend wird von den Dienstleistungskonzernen das internationale Geschäftspotenzial angesehen. Mit der Gründung der WTO ging der Abschluss des GATS-Vertrages über eine internationale Liberalisierung des Dienstleistungssektors einher, der am 1. Januar 1995 in Kraft trat und von vornherein auf eine immer weiter voranschreitende Liberalisierung ausgerichtet war.[2]
Besonders die Einbeziehung von ausländischen Direktinvestitionen in diese Vereinbarungen ist umstritten. Kritiker werfen der WTO vor, damit zumindest in Teilbereichen das fortzusetzen, was Ende 1998 vorerst bei den MAI-Verhandlungen (Multilaterale Abkommen über Investitionen) gescheitert ist, nämlich die rechtliche Absicherung einer ungehinderten Investitionstätigkeit von multinationalen Konzernen in aller Welt. Die Pläne für MAI-Abkommen waren angesichts der breiten Proteste in vielen Teilen der Welt zunächst aufgegeben worden, über die GATS-Verhandlungen wird das Anliegen jetzt im Bereich der Investitionen im Dienstleistungsbereich wieder eingeführt. Das Ergebnis ist, dass Länder die Möglichkeit verlieren, Regeln für Auslandsinvestitionen festzulegen, zum Beispiel Einschränkungen des Gewinntransfers oder Auflagen zur Schaffung von Arbeitsplätzen.[4]
Dabei geht es um eine ganz zentrale Frage im Blick auf das Wirtschaftsleben der Zukunft. Es gibt nach Berechnungen der UN-Unterorganisation UNCTAD weltweit etwa 82.000 multinationale Konzerne (Stand 2008). Sie besitzen etwas 230.000 bis 250.000 Tochterunternehmen.[5] Ob diese Unternehmen auf einem liberalisierten globalen Markt frei schalten und walten können wie sie wollen oder ob sie verbindlichen nationalen und internationalen Regelungen unterworfen sind, macht also einen enormen Unterschied. Das erklärt die Proteste gegen MAI ebenso wie den Versuch der Unternehmen, über den GATS-Prozess zumindest für den Dienstleistungsbereich doch noch zur „großen Freiheit“ zu kommen.
Liest man WTO-Publikationen, so entsteht das Bild einer heilen Welt des liberalisierten globalen Dienstleistungsmarktes und es scheint nur an Fehlinformationen und Fehleinschätzungen zu liegen, dass es irgendwelche Proteste gegen GATS gibt.[6] Organisationen wie die WTO haben aus den Erfolgen von Protestbewegungen gelernt, und wer im Internet die Seiten der WTO aufsucht, der wird mit einem ganzen Bündel von Informationen zu GATS versorgt, unter anderem dem Text der Broschüre „GATS – Facts and Fiction“.[7]
Als „Fiction“ werden die Aussagen von GATS-Kritikern bezeichnet, die in der Broschüre selektiv ausgewählt abgedruckt werden mit dem Ziel, sie zu widerlegen. Es kann nicht überraschen, dass in der WTO-Broschüre die Behauptung aufgestellt wird, Handelsliberalisierung diene dem menschlichen Wohlergehen und habe einen der größten Beiträge in der Geschichte der Menschheit zu Wirtschaftswachstum und zur Überwindung der Armut geleistet. Herausgestellt wird in dieser Verteidigungsschrift, die über 140 WTO-Länder hätten jede Freiheit, selbst zu entscheiden, für welche Bereiche sie eine Liberalisierung des Handels- mit Dienstleistungen vornehmen wollten. Sie könnten dies mit bestimmten Einschränkungen tun und es gäbe die Möglichkeit, solche Marktöffnungen auch wieder rückgängig zu machen. Aber es sei in ihrem eigenen Interesse, sich am weiteren Prozess der Liberalisierung zu beteiligen, denn sie bringe dem eigenen Land Vorteile. Die Entscheidungen über GATS wie andere Bereiche der WTO-Arbeit würden demokratisch von allen mehr als 140 Ländern getroffen, jedes Land habe eine Stimme.
[1] Die WTO knüpft damit an die GATT-Vereinbarungen an, die 1948 entstanden, um den Freihandel zu fördern. Die GATT-Verhandlungen konzentrierten sich auf die Liberalisierung des Warenhandels, vor allem durch den Abbau von Zöllen und Abgaben.
[2] In einer WTO-Einführung zu GATS heißt es hierzu: „Among the most important elements in the GATS package is the promise that successive further rounds of negotiations will be undertaken to continue opening up world trade in services“, WTO Secretariat: An introduction to the GATS, Genf 1999, S. 1
[4] Vgl. dazu u. a.: Die WTO zu wessen Diensten? Ein Positionspapier der Erklärung von Bern zum WTO-Dienstleistungsabkommen GATS, Zürich 2000, S. 3f.
[5] Vgl. OECD: Multinational enterprises in the global economy, Paris 2018, Link: https://www.oecd.org/industry/ind/MNEs-in-the-global-economy-policy-note.pdf
[7] WTO: Facts and Fiction, a. a. O.