Hier liegt Herr Doctor Schuppius.
Er war ein scharfer Critikus,
Mitunter auch ein sehr grober Gesell.
Ist leicht zu finden an seiner Stell.
Man rührt Grobheit und Dummheit zu Mut,
So haben wir einen neuen Schuppius.
Der Vers stand nicht auf dem Grabstein von Johann Balthasar Schupp. Aber er kursierte nach seinem Tod in der Stadt, verbreitet von den vielen Gegnern des Pastors von St. Jacobi. Es gab auf der anderen Seite zahlreiche Hamburgerinnen und Hamburger, die in seine Gottesdienste strömen. Es waren so viele, dass in St. Jacobi zwei neue Emporen eingebaut wurden.
Aber das besänftigte seine Kritiker in der Kirche nicht, am wenigsten seine Amtsbrüder in den anderen Kirchen der Stadt, die argwöhnisch beobachteten, dass ihre „Schäfchen“ in die Gottesdienste Schupps strömten. Man kann Schupp ohne Weiteres zu den Hamburger Originalen zählen - und wie so vielen Originale war er den Mächtigen unbequem, in diesem Fall besonders den Mächtigen in seiner Kirche.
Ein beeindruckender Bildungsweg in kriegerischen Zeiten
Johann Balthasar Schupp (später auch Schuppius genannt) wurde am 1. März 1610 in Gießen geboren. Sein Vater war Bürgermeister der Stadt, die Mutter stammte ebenfalls aus einer angesehenen bürgerlichen Familie. Der Sohn besuchte standesgemäß die Gelehrtenschule Gießens und begann bereits mit 15 Jahren ein Studium in Marburg. Er studierte zunächst Philosophie und wechselte dann zur Theologie. Mitten im Dreißigjährigen Krieg unternahm er von 1628 an eine akademische Reise in verschiedene deutsche Universitätsstädte und ebenso nach Livland, Estland, Polen und Dänemark. Die Kriegswirren brachten ihn mehrfach in Gefahr und zwangen ihn zur Flucht, aber er erlangte auf dieser Bildungsreise auch viele neue wissenschaftliche Einsichten.
Schupp schloss sein Studium 1631 in Rostock mit Auszeichnung ab. Er hielt nun Vorlesungen an dieser Universität. Als Folge der militärischen Auseinandersetzungen um die Stadt musste er allerdings noch im gleichen Jahr über Hamburg zurück nach Gießen flüchten. Sein Landgraf berief den 25-Jährigen zum Professor.
Er unterrichtete in Marburg und Gießen. Er war so beliebt, dass seine Kollegen und Studenten sich erfolgreich bei seinem Landesherrn für eine deutliche Erhöhung seines Gehalts einsetzten. Er konnte nun eine Familie gründen und heiratete 1636. Seine Frau Anna Elisabeth und er sollen eine glückliche Ehe geführt haben und hatten fünf Kinder.
1645 erreichte der Krieg auch Marburg. Schwedische Truppen eroberten und plünderten die Stadt. Auch das Gartenhaus und die ganze Habe der Familie Schupp gingen verloren. Da war es nur ein schwacher Trost, dass Schupp im gleichen Jahr zum Doktor der Theologie promoviert wurde. Im folgenden Jahr nahm Schupp die Berufung zum Hofprediger des Landgrafen von Hessen-Braubach an und zog mit seiner Familie nach Braubach um. Der Landgraf fasste rasch große Vertrauen in seinen Hofprediger und ernannte ihn 1648 zu seinem Bevollmächtigten bei den Friedensverhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges in Osnabrück und Münster.
Der populäre Pastor von St. Jacobi
Im gleichen Jahr trug man Balthasar Schupp die Stelle des Pastors der St. Jacobikirche in Hamburg an. Er hielt eine so beeindruckende Probepredigt, dass er einstimmig gewählt wurde. Gern hätten ihn die Verantwortlichen des Hochstiftes Münster stattdessen zum Generalsuperintendenten gemacht und boten ihm ein höheren Gehalt, als man ihm in Hamburg in Aussicht gestellt hatte. Schupp entschied sich trotzdem für Hamburg: „Wegen Education meiner Kinder und anderer Commoditäten halber deuchte mich, es sei ein Pastorat in Hamburg besser, als anderswo ein großer Titel.“
Schupp wurde am 20. Juli 1649 in sein neues Amt eingeführt. Der weitgereiste Theologe war erfreut, in eine so international geprägte Stadt zu kommen. Er schrieb einem Freund, dass er vorher schon mehrmals in Hamburg gewesen war, „und habe nicht gewusst, was Hamburg war, dass Hamburg ist Klein Spanien, Klein Portugal, Klein Frankreich, Klein Schweden, Klein Dänemark, dass Hamburg eine kleine Welt ist.“ Auch über die „klugen Köpfe“ in der Stadt zeigte er sich erfreut. „Hamburg ist gefüllt mit Doktoren, Lizentiaten, Magistern.“
Über die Hamburger Gartenpracht äußerte er: „Hamburg ist ein irdisches Paradies. Ich weiß mich nicht zu besinnen, dass ich eine Stadt in Deutschland gesehen hätte, die so viele schöne Lustgärten hat wie Hamburg.“
Schupp besaß im Vergleich zu seinen Amtsbrüdern eine sehr beeindruckende theologische und philosophische Bildung. Das hat ihn vermutlich davon befreit, hochgebildete, aber schwer verständliche Predigten in St. Jacobi zu halten. Mittwochs, freitags und sonntags war die Kirche stets gefüllt, weil Schupp einen volkstümlichen Predigtstil hatte, wenn er auf die Kanzel stieg. Er vermittelte seine biblischen Einsichten mit Geschichten aus dem Alltag, Anekdoten und Witzen. Die Kirche soll häufig von Lachen widergehallt sein.
Von seinen Amtsbrüdern attackiert
Schupp schuf sich dadurch Gegner in der Stadt, dass er die Lebensweise mancher Gemeindemitglieder mit drastischen Worten anprangerte. So warf er den Kaufleuten vor, in der Kirche vor und sogar im Gottesdienst hinter vorgehaltener Hand leise über geschäftliche Angelegenheiten zu reden. Er sagte in einer Predigt: „Wann wird wohl größerer Wucher, größere Schinderei und Betrügerei in Hamburg getrieben als an dem Christabend in der Domkirche!“
Seine Amtsbrüder und manche Gemeindemitglieder empfanden seinen Predigtstil als nicht vereinbar mit dem Ernst einer Predigt. Schupp hatte nach dem Tod seiner Frau 1651 erneut geheiratet, und um dem populären Prediger zu schaden, verbreiteten seine Gegner falsche Gerüchte über die Zustände in seiner Familie und darüber, dass er keine glückliche Ehe führen würde.
Sein Amt ließ Schupp Zeit für schriftstellerische Arbeiten. Hatte er frühere Werke wie damals üblich auf Latein veröffentlicht, so schrieb er nun Bücher auf Deutsch. Er wollte damit auch weniger gebildete Menschen erreichen. Schupp war als orthodoxer lutherische Theologe nach Hamburg gekommen, wandelte ich aber zu einem Reformtheologen.
Der Hamburger Historiker Franklin Kopitzsch hat in seinem umfangreichen Werk über die Aufklärung in Hamburg den Pastor von St. Jacobi so gewürdigt: „Der Gedanke der Bildung durch und für das Leben, die Neuerungen im Gottesdienst und die über die Fachdisziplin der Theologie hinausreichende literarische Tätigkeit – alle diese Fakten machten den aus Hessen, wo er immerhin Hofprediger gewesen war, nach Hamburg gekommenen Schappius bei den Amtsbrüdern nicht eben beliebt. Vor allem Senior Müller machte ihm das Leben schwer.“
Die judenfeindlichen Auffassungen Schupps
Nicht verschwiegen werden soll, dass es einen dunklen Schatten im Leben und Wirken von Pastor Schupp gab, seine Judenfeindlichkeit, die sich besonders gegen die sefardischen Juden und ihren zur Schau gestellten Reichtum richtete. Manche dieser aus Portugal und Spanien vor der Inquisition geflohenen Juden betätigten sich in Hamburg erfolgreich als Fernhändler und Bankiers. Besonders reich war Diego Teixeira, der in der Stadt als „der reiche Jude“ galt. Schupp teilte die Auffassung vieler Christen, dass der jüdischen Bevölkerung lediglich eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft zukam. Er mokierte sich deshalb in einer Geschichte über den „reichen Juden“, dem sein Geld ermöglichte, wie ein Adliger in einer „schönen mit Sammet gefütterten Kutsche“ in Begleitung eines Dieners in Livree durch die Stadt zu fahren.
Schupp unterstellte in einer Veröffentlichung, dass der reiche Jude sein Vermögen durch Betrug „zusammen gescharret“ hatte. Um zu betonen, dass den Juden lediglich eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft zustand, erinnerte er am Ende seines Textes an die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70. Dieses historische Ereignis galt in der Theologie zu Zeiten Schupps als göttliche Strafe dafür, dass die damaligen Juden sich nicht zum Christentum bekannt hatten.
Einem solchen Verständnis der Rolle der Juden stand, so werden es auch viele Leserinnen und Leser der Schrift Schupps gesehen haben, der Reichtum manchen Juden in der Stadt diametral entgegen. Schupp wollte den Juden in Hamburg mit fragwürdigen theologischen Argumenten lediglich niedrigste Tätigkeiten als „Holzhäuer“ und „Wasserträger“ zuweisen. Ein reicher Jude in einer prächtigen Kutsche passte ganz und gar nicht in eine solches Verständnis des Platzes der Juden in der Hamburger Gesellschaft.
Weitere Angriffe auf den beliebten Prediger
Solche Auffassungen teilten Schupps Amtsbrüder, aber andere Schriften Schupps nahmen seine orthodox lutherischen Amtsbrüder zum Anlass, ihn vor einer Kommission des Geistlichen Ministeriums, dem Gremium aller lutherischen Pastoren der Stadt, vorzuladen. Es wurde 1657 von Schupp verlangt, keine theologischen Schriften mehr zu veröffentlichen und alle Publikationen ohne ein Pseudonym herauszugeben. Das nahm Schupp hin. Er weigerte sich aber, seine Schriften vorab dem Senior, dem leitenden Pastor, zur Zensur vorzulegen.
Dass Schupp weitere Bücher veröffentlichte, ohne sie vorher zensieren zu lassen, verschärfte die Konflikte. Die volkstümlichen Schriften fanden reißenden Absatz. Sie befassten sich mit Fragen von Alltagleben und Pädagogik, aber zum Beispiel auch mit dem Gelehrtendünkel. Besonders in der Leserschaft beliebt und bei den Mächtigen verhasst waren seine satirischen Schriften. Schupp wurde vorgeworfen, seine Kollegen lästerlich anzugreifen. Seine Gegner attackierten ihn ihrerseits mit hässlichen Schmähschriften.
Das Geistliche Ministerium ließ von den theologischen Fakultäten in Straßburg und Wittenberg theologische Gutachten zu den Schriften Schupps anfertigen, deren Ergebnisse 1658 in eine Klageschrift gegen Schupp beim Senat einflossen. Vor allem forderte das Geistliche Ministerium vom Senat, er möge Schupp verbieten, Fabeln, Scherze, Satiren und Ähnliches in seine Predigten und Schriften einzubeziehen. Der Senat wollte sich verständlicherweise nicht in die Angelegenheit verwickeln lassen und gebot beiden Seiten, Stillschweigen zu wahren und die Konflikte hinfort nicht mehr öffentlich auszutragen.
Schupp publizierte weiter Schriften, vermied aber Themen und Formulierungen, die öffentlich Anstoß erregen konnten. Fabeln und Anekdoten bezog er aber weiterhin auch in seine religiösen Schriften ein. Der Senat verbot ihm daraufhin im Frühjahr 1658, weitere Schriften in Hamburg zu publizieren. Viele der späteren Veröffentlichungen Schupps erschienen daraufhin in Wolfenbüttel. Der Streit ging weiter und der Senat wollte endlich Ruhe haben. Er verwarnte Schupp deshalb im Januar 1669.
Das reichte dem Geistlichen Ministerium nicht und es richtete kurz darauf eine Eingabe an den Senat, in dem gebeten wurde, „solchem ärgerlichen Wesen und großer Zerrüttung unserer Kirche, wie auch dem betrübten Zustand des Ministerii nicht länger zuzusehen“. Der Senat unternahm zwar nichts, Schupp sah sich aber trotzdem genötigt, in einer Verteidigungsschrift die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen. In einem biografischen Beitrag über Schupp hat der evangelische Theologe Carl Bertheau im 19. Jahrhundert geschrieben: „Die vielen Widerwärtigkeiten, die ihm zu Theil wurden, blieben nicht ohne Folgen; er starb frühzeitig an einer heftigen Krankheit in seinem 52. Lebensjahr am 26. October 1661 …“
Ein „Eulenspiegel“ auf der Kanzel
Schupp ist als bedeutender satirischer Schriftsteller in die Literaturgeschichte eingegangen. Wie beliebt seine Schriften waren, zeigt sich auch daran, dass man eine ganze Reihe von ihnen ins Dänische und Niederländische übersetzte. Er selbst wurde trotzdem als vermutlich erster – und wahrlich nicht als letzter – Satiriker der Stadt verspottet und verfolgt. Jemand, der Missstände in der Stadt und die Völlerei der Reichen anprangerte, war den Herrschenden ein Dorn im Auge.
Wie Till Eulenspiegel hielt Schupp seinen Zeitgenossen den Spiegel vor. Dass er sehr anschaulich und gut verständlich schrieb und predigte, machte die Sache nur noch schlimmer. Johannes Sass hat in seinem Buch über Hamburger Originale dem Pastor von St. Jacobi einen ehrenvollen Platz eingeräumt und das soll auch hier geschehen. Er war ohne Zweifel ein besonders gebildetes Mitglied der Gruppe der Hamburger Originale – und das erklärt wahrscheinlich auch, warum er mit solcher Vehemenz bekämpft wurde.
Die in St. Jacobi wegen der großen Zahl von Besuchern in Schupps Gottesdiensten errichteten zusätzlichen Emporen hat man später wieder abgerissen – sie wurden nicht mehr benötigt. Schupp selbst hatte über seine Gottesdienste geschrieben: „Die Kirche ist so voll, dass ich mich durch das Volk auf die Kanzel drängen muss.“
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro