Die Mühlen des Reichskammergerichts mahlten sehr langsam, zu langsam für Agneta Willeken, die starb, bevor ein Urteil erging. Auch ihre beiden Töchter, um deren schlechte Behandlung es in dem Prozess ging, waren verstorben – ebenso die Anwälte der Klägerin und der beklagten Stadt Hamburg. So erlebte Agneta Willeken nicht mehr den Triumpf, die Stadt Hamburg erfolgreich verklagt zu haben. Die Entschädigung kam den Erben der Klägerin und ihrer Töchter zugute.
Wer war die streitbare Frau, die gegen ihre Heimatstadt vor das höchste Gericht zog? Sie wurde etwa 1497 in Hamburg geboren. Ihr Vater war ein wohlhabender Brauer und besaß ein stattliches Haus am Hopfenmarkt. Seine Frau Margaretha und er hatten sechs Töchter, von denen Agneta die älteste war. In jungen Jahren heiratete sie Hans Willeken, einen Islandfahrer. Er betrieb also Handel mit Island, leider ohne Erfolg, sodass er 1527 zahlungsunfähig war und Hamburg verlassen musste. Er starb einige Jahre später verarmt in Lübeck.
Wie die ehrgeizige Agneta Willeken die Stadt Lübeck zu einem Krieg veranlasste
Agneta Willeken blieb in Hamburg und nahm nun entschlossen ihr Schicksal selbst in die Hand. Ihre beiden kleinen Töchter übergab sie ihrer Schwester, begann eine Beziehung zu dem Schmied Marx Meyer und stachelte dessen Ehrgeiz an. Der Historiker Heinrich Reincke hat dies in seinem 1928 erschienenen Lebensbild „Agneta Willeken“ so beschrieben: „Sie wollte ihn groß sehen und sich groß! So reizte sie in ihm den Wagemut und die Abenteuerlust und trieb ihn hinaus in die Welt zu Kampf und Sieg. Marx Meyer hat es frei und offen selbst anerkannt, was er ihr und ihrem Ehrgeiz verdankte.“
Unter ihrem Einfluss gab er das Schmiedehandwerk auf und begann eine militärische Laufbahn in Lübeck. Agneta Willeken blieb in Hamburg, konnte aber seinen Ehrgeiz auch aus der Ferne wachhalten. Tatsächlich stieg er zum Feldhauptmann der immer noch ziemlich mächtigen Stadt Lübeck auf. Lang ist die Liste seiner militärischen Erfolge und sogar an einem Feldzug gegen die Türken war er beteiligt. Er genoss große Popularität in Lübeck und heiratete die Witwe eines angesehenen Bürgermeisters. Aber Agneta Willeken blieb eng mit ihm verbunden.
Sie soll ihren Einfluss dafür genutzt haben, dass Marx Meyer und über ihn der Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenwever die Hansestadt in die Erbfolgekonflikte am dänischen Königshof verwickelten. Lübeck hatte erleben müssen, dass seine wirtschaftliche Vormachtstellung im Ostseeraum schwand, seit sich der Handel im 16. Jahrhundert in den Nordseeraum und nach Übersee verlagerte.
Zudem tauchten immer mehr holländische Schiffe in der Ostsee auf und betrieben erfolgreich Handel. Die Lübecker begannen sogar unter Mitwirkung von Marx Meyer Kaperfahrten, um die holländischen Schiffe zu vertreiben, allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Die letzte Hoffnung war, durch die Beteiligung an den dänischen Erbfolgekonflikten zu erreichen, dass ein neuer lübeckfreundlicher dänischer König den Holländern die Durchfahrt durch den Sund untersagen würde. Aber die Pläne misslangen und Herzog Christian von Schleswig-Holstein regierte als Christian III. das dänische Reich.
Die Plünderung des Schlosses in Trittau
Ohne Kriegserklärung begann Marx Meyer 1534 einen Feldzug in Holstein, um die Burgen der Familie Rantzau zu erobern, die in den dänischen Erbfolgeauseinandersetzungen auf der von Lübeck bekämpften Seite standen. Mit dem überraschenden Angriff erzielten die Lübecker zunächst einige militärische Erfolge. So konnte Meyer das Schloss der Rantzaus in Trittau erobern und plündern. An dieser Plünderung beteiligte sich auch Agneta Willeken, die für sich und ihre Töchter größere Mengen teurer Kleidung sowie wertvollen Schmuck mit zurück nach Hamburg nahm. Heinrich Reinecke schreibt: „Die Tage, da Marx Meyer auf Trittau saß, bildeten den Höhepunkt in Agnetas Leben. Fast täglich war sie mit ihrem Ritter zusammen und lebte herrlich und in Freuden.“
In ihrem Roman „Agneta Willeken“ hat Andrea Schampier diese Tage in Trittau so beschrieben: „… dort an der Seite von Marx hatte sie sich wie eine Schlossherrin gefühlt, und wenn es auch nur wenige Tage gewesen waren, die sie beide nach Marx‘ Übernahme des Schlosses dort hatte verweilen können … die eroberten Räume hatten alles an Gütern und noch viel mehr geboten, dessen sie bedurft hatte, um mit Marx glücklich zu sein. Luxus, Luxus, Luxus, wohin man sich auch gewandt hatte. Kleider aus edlen Stoffen, auserwählte Mahlzeiten von Silberbesteck, Weine, von denen Agneta nicht gewusst hatte, das es sie gab, feine Tuche und Laken, warme Bäder und exotische Duftessenzen.“
Eine Niederlage für Lübeck – und für Agneta Willeken
Allerdings währte das Luxusleben nur sehr kurz, denn rasch konnten die holsteinischen Gegner der Lübecker mit neuen Truppen den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten verändern. Im Mai 1536 kämpften Marx Meyer und seine Mannen in Skandinavien auf verlorenem Posten. Er musste schließlich kapitulieren und wurde im Felsenschloss Warberg am Kattegat eingekerkert. Durch eine List und unter Mitwirkung der Frau des Schlossherrn gelang es ihm, sich zu befreien und das Schloss mit einer getreuen Truppe unter seine Kontrolle zu bringen. Dort belagerten ihn überlegene dänischen Truppen.
Es gelang Marx Meyer, einen Brief an Agneta Willeken zu senden. Ihr Antwortbrief vom 23. April 1535 an den Liebhaber konnten dänischen Truppen abfangen. In dem Brief ging es nicht nur um die Aufmunterung Meyers und Ratschläge für seine Kriegsführung, sondern auch um Details ihrer Liaison. Agneta Willeken bedauerte, dass Marx Meyer sie aufgefordert hatte, vorerst nicht zu ihm nach Warberg zu kommen.
Es war ihr bewusst, dass Marx Meyer nun nicht nur eine Frau in Lübeck, sondern auch die Frau des Schlossherrn von Warberg als Gefährtin hatte. Sie betonte aber ihre hervorgehobene Rolle als Liebhaberin des Feldherrn. Sie wählte für ihren Anspruch, letztendlich die Partnerin von Marx Meyer zu sein und zu bleiben, dieses Bild: „Wenn alle Kapellen besungen sind, so soll noch immer ich für Euch die rechte Hauptkirche bleiben.“
Wir hören hier eine Frau, die trotz aller Widrigkeiten und Rückschläge an ihrem Lebensziel festhielt, an der Seite von Marx Meyer zu Macht und Einfluss zu gelangen. Die Tage im Schloss in Trittau sollten ein Vorgeschmack auf zukünftiges Glück sein. Als bürgerliche Frau im 16. Jahrhundert hatte Agneta Willeken nur an der Seite eines einflussreichen Mannes die Aussicht, ihre Ziele zu erreichen.
Der abgefangene Brief schadete ihrem Ruf nachhaltig. Das dänische Königshaus ließ den Brief vervielfältigen und weit streuen. In Hamburg ging der Senat so weit, den Brief öffentlich verlesen zu lassen. Diese Bloßstellung verfehlte nicht ihre Wirkung und isolierte Agneta Willeken weiter in der Stadt. Da das Original des Briefes nicht mehr existiert, muss offenbleiben, ob er um skandalträchtige Passagen ergänzt wurde.
Dass Agneta Willeken sich in dem Brief als „Hauptkirche“ bezeichnet hatte, nahmen ihre Gegner zum Anlass, von ihr höhnisch als von der „Hauptkirche“ zu sprechen. Den beteiligten Männern erging es noch wesentlich schlechter als ihr. Marx Meyer musste erneut kapitulieren und wurde hingerichtet. Der Lübecker Bürgermeister Wullenwever, der den missglückten Feldzug zu verantworten hatte, wurde gestürzt, festgenommen, gefoltert und ebenfalls hingerichtet.
Ein angesehenes Ratsmitglied stürzte ins Unglück
Agneta Willeken war nun mehr denn je in Hamburg isoliert und zudem hoch verschuldet. Sie musste ihr Haus verkaufen und hatte große Mühe, eine neue Bleibe zu mieten, weil niemand die Frau mit dem schlechten Ruf aufnehmen wollte. Heinrich Reincke schrieb über die nun entstandene Situation: „Mit Marx Meyer schien auch Agneta vernichtet: ihr brennender Ehrgeiz hatte sein Ziel verfehlt. Mit der Rolle, die sie spielen wollte, schien es endgültig aus zu sein. Aber – es schien nur so. Denn kaum war der erste Kummer verwunden, da wusste sie einen anderen hochgestellten Mann völlig zu betören, so dass er Ehre und Eid vergaß. Das war Joachim Wollenwever, der ältere Bruder Jürgens, des gestürzten lübischen Bürgermeisters.“
Joachim Wollenwever genoss in Hamburg als Kaufmann und Ratsherr ein hohes Ansehen – jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als seine Verbindung zu Agneta Willekes bekannt wurde. Man warf ihm nicht nur diese Liaison vor, sondern es entstand auch der Verdacht, er hätte die Hamburger Interessen in Zusammenarbeit mit seinem Bruder verraten. Man schloss ihn daraufhin 1536 aus dem Rat aus. Er verließ die Stadt und starb zwei Jahre später verarmt in Schweden.
Skandal bei einem Fest im Eimbecker Haus
Hamburg hatte sich wohlweislich aus den Erbfolgestreitigkeiten in Dänemark herausgehalten und konnte 1538 den neuen dänischen König Christian III. freundschaftlich in der Stadt begrüßen. Dabei scheute der Rat der Stadt keine Kosten, um den Gast zu beschenken und die Stadt herauszuputzen. Die Besucher wurde in das beliebte Eimbecksche Haus zu einem großen Fest eingeladen. Das hätte ungetrübt verlaufen können, wären nicht die 18 und 15 Jahre alten Willeken-Töchter durch einen Nebeneingang in den Saal gelangt, auf Geheiß ihrer Mutter.
In ihrem Roman schrieb Andrea Schampier: „Der Besuch des dänischen Königshofs in Hamburg war für Agneta eine ungeheure und angesichts der Situation, in der man sich befand, wohl einmalige Gelegenheit, ihre beiden heiratsfähigen Töchter in die Gesellschaft einzuführen … Es sollte ein unvergesslicher Abend für die beiden Mädchen werden; ein Abend, der ihnen den Weg in eine unbeschwerte Zukunft ebnen sollte.“ Unvergesslich wurde der Abend für die beiden jungen Frauen tatsächlich, aber ganz anders, als die Mutter das erhofft hatte.
Die wie adlige Fräulein gekleideten schönen jungen Frauen mit den von der Mutter geraubten Kleidern und dem Schmuck aus dem Schloss der Rantzaus in Trittau fielen den jungen dänischen Gästen gleich auf. Aber auch Melchior Rantzau erspähte die jungen Damen. Der holsteinische Ritter und Politiker im Dienst des dänischen Königs war erbost, als er erfuhr, wer diese beiden Damen waren und vor allem, wer ihre Mutter war. Er beschwerte sich beim Bürgermeister und der veranlasste, dass die Töchter Willeken von einem Ratsdiener aus dem Saal gewiesen wurden.
Andrea Schampier schrieb in ihrem Roman: „Und so mussten die Töchter der Agneta Willeken auf Geheiß des Hamburger Rats und unter den neugierigen, teils auch mitleidigen Blicken von zahlreichen Männern und Frauen, die mehr oder weniger beteiligt das Geschehen verfolgten und sich einen Reim darauf machten, das Tanzfest zu Ehren seiner Königlichen Majestät Christian III. verlassen. Ein schändliches Ereignis, das sich tief in die Geschichte Hamburgs einprägen sollte.“
Raubzüge auf Initiative einer Hamburgerin
Agneta Willeken war empört über die Behandlung ihrer Töchter und über deren durch den Skandal weiter gesunkene Heiratsaussichten. Es gelang der Mutter trotzdem, ihre Tochter Anna 1539 mit dem Mecklenburger Hans Kopeke, der als berittener Soldat im Dienste Hamburgs stand, zu verheiraten. Kopeke musste allerdings erleben, dass er in der Stadt, der er getreulich diente, nach dieser Heirat von vielen Bekannten gemieden und von anderen Hamburgern wegen seiner Verbindung zur Familie von Agneta Willeken verspottet wurde.
Die Verbitterung über diese Behandlung machte ihn zugänglich für die Bemühungen seiner Schwiegermutter, ihn dazu anzustacheln, sich gegen die Stadt Hamburg zu wenden. Er gab seine Tätigkeit als städtischer Soldat auf und schmiedete Rachepläne. Agneta Willeken veranlasste ihn dazu, Hamburg am 1. Dezember 1540 die Fehde anzusagen. Das hätte wie bei Don Quichote enden können, denn die Zeit der Ritterfehden war Mitte des 16. Jahrhunderts definitiv vorbei und ein einzelner Ritter der mächtigen Stadt Hamburg hoffnungslos unterlegen.
Aber die Geschichte nahm einen tragischen Verlauf. Kopeke überfiel zwei oder drei Jahre lang Hamburger Kaufmannswagen und machte zunächst reiche Beute. Heinrich Reincke schrieb über diese Zeit: „Immer mehr sank Kopekes Schar zu einer bloßen Räuberbande herab. Verwegene Gesellen aus aller Welt, die seit den nordischen Friedensschlüssen soldlos durch die Lande streiften, schlossen sich ihm an, heruntergekommene Adlige des südlichen Mecklenburg und der Provinz schämten sich nicht, Unterschlupf zu gewähren und an der Beute teilzunehmen.“ Agneta Willeken soll geeignete Gelegenheiten für Raubzüge erkundet und neue Räuber angeworben haben. Kopeke wurde schließlich 1542 festgenommen und hingerichtet.
Eine Entschädigungsklage gegen die Stadt Hamburg
Zehn Jahre nach dem Vorfall im Eimbeckschen Haus, im Jahre 1548, wählte Agneta Willeke eine neue Strategie, um sich an Hamburg zu rächen. Sie reiste nach Speyer, um die Stadt Hamburg vor dem Reichskammergericht auf eine Entschädigung dafür zu verklagen, dass ihre beiden Töchter aus dem Tanzsaal vertrieben worden waren. Sie erreichte, dass ihre Klage zur Verhandlung angenommen wurde. Sie forderte die Zahlung von 24.000 Gulden, das entsprach dem Jahreshaushalt der Stadt.
Die Hamburger Obrigkeit nahm die Klage zunächst nicht sonderlich ernst, sah sich aber dann doch gezwungen, Argumente zu finden, um die Klage als unberechtigt abzuwehren. Dabei ging der Rat ausführlich auf Verfehlungen der Klägerin ein. Aber das verfing nicht beim Reichskammergericht, das zur Auffassung gelangte, diese Einlassungen wären für den Prozess unerheblich. Nicht Agneta Willeken, sondern ihre Töchter wären des Saals verwiesen worden.
Der Prozess zog sich hin und das Urteil wurde erst 1583 gefällt, etwa zwei Jahrzehnte nach dem Tod der Klägerin. Der Klägerin sprach das Gericht 1.000 Gulden zu, die Gerichtskosten musste Hamburg ebenfalls zahlen. Anschließend gab es noch einen Rechtsstreit über Einzelheiten der Zahlung an die Erben und die Höhe der Kostenerstattungen. Erst 1590 konnte das Reichskammergericht den Vorgang nach 42 Jahren abschließen.
Die Romanautorin Andrea Schampier hat in einem Interview 2007 zum Charakter von Agneta Willeken gesagt: „Ja, sie ist kein linearer Charakter. Sie ist widersprüchlich und verhängnisvoll. Weil sie eine so attraktive Frau war – das ist keine Erfindung, das belegen die Prozessakten -, hat sie viele Männer in ihren Bann gezogen. Und ins Unglück gerissen.“
Es sei hinzugefügt, dass sie auch sich selbst ins Unglück gestürzt hat. Sie ist als tragische Gestalt in die Hamburger Geschichte eingegangen. Sie war zweifellos eine außergewöhnliche Frau, für deren Streben nach Einfluss und Reichtum in der Hansestadt des 16. Jahrhunderts kein Platz war. Sie stellte sich außerhalb der Normen der damaligen städtischen Gesellschaft und kann als Original angesehen werden kann.
Dass in Hamburg kein Straßenname an Agneta Willeke erinnert, kann angesichts ihres Lebensweges nicht überraschen.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro