„Aale-Aale“ hieß mit bürgerlichem Namen Karl Wilhelm Schreiber. Er kam 1892 in Dresden zur Welt und arbeitete zunächst auf einem Elbschiff, ließ sich dann aber in Hamburg nieder. Das kam so: Sein Schiffer schickte ihn in Hamburg zum Aalkauf los. Schreiber kaufte nicht nur die Fische, sondern erkannte auch, welches Potenzial im Aalgeschäft lag. Er gab seinen bisherigen Beruf auf und verkaufte von 1919 an geräucherte Aale in Hamburg, sonntags auf dem Fischmarkt und in der Woche an anderen Stellen in der Stadt. Mit seinem umgebauten Kinderwagen, seiner Melone mit Blumen und seiner besonders hohen Stimme, mit der er „Aale, Aale!“ rief, gehörte er rasch zu den bekanntesten Hamburger Straßenverkäufern. Oft stand er mit seinem Wagen vor Karstadt in Eppendorf oder vor Woolworth in der Innenstadt.
Bereits 1952 wurde Aale-Aale in der Presse irrtümlich für tot erklärt. Damals starb der Fischhändler Hermann Münch, der sich in der Gerichtsmedizin als Frau erwies. Da eine Ähnlichkeit mit Aale-Aale bestand, kam es zu einer Verwechslung und in den Morgenzeitungen war zu lesen: „Aale-Aale eine Frau“. Der Irrtum klärte sich rasch auf und die Presse hatte am nächsten Tag erneut eine absatzfördernde Schlagzeile: „Hei lewet noch! Aale-Aale lebt!“ Es war nun geklärt, dass der Fischverkäufer Aale-Aale nicht gestorben war. Auch sprach sich rasch herum, dass er verheiratet war und zwei Kinder hatte, also keine Frau war. Die Falschmeldung erwies sich als sehr vorteilhaft für das Original Aale-Aale, der sich über Zeitunginterviews und viel Publicity freuen konnte.
Es gab noch einmal eine Falschmeldung, weil Aale-Aale mit Aalweber verwechselt wurde. Die Leser des Hamburger Abendblatts lasen 16. Januar 1965: „Originale sterben aus. Der Aalweber ist eines der letzten in Hamburg. Wer kennt nicht das kleine Männchen mit dem Blumenstrauß am verbeultem schwarzen Hut, in einem Kinderwagen die selbstgeräucherten Aale durch die Straße schiebend und sie anpreisend: ‚Aale, Aale, Aale …‘“ Da war Aalweber schon mehr als ein Jahrhundert tot, Aale-Aale aus der Seilerstraße aber noch quicklebendig. Auch diese Falschmeldung musste den Aalverkäufer nicht ärgern, denn Publicity war schon damals verkaufsfördernd.
Nicht zuletzt aufgrund der Falschmeldungen verkaufte das Hamburger Original noch jahrelang mit großem Erfolg seine Räucheraale, etwa 200 Stück am Tag. Er selbst aß übrigens keinen Aal, sondern bevorzugte Karpfen, aber das behielt er wohlweislich für sich. „Aale-Aale“ starb am 30. Oktober 1970 in einem Heim in Farmsen. Das Hamburger Abendblatt nahm das zum Anlass für einen ausführlichen Beitrag, der mit dem Satz endete: „Jetzt ist Hamburg wirklich um ein Original ärmer geworden.“
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro