„Unser Weten is doch man blots Stückwark, un veel Weten makt dumm un trurich, un ick will vergnöggt leben, solang dat Leben duurt.“ Jacob Friedrich Kirchhoff hat sich an sein Lebensmotto gehalten und sich nicht viel um die Anhäufung von Wissen geschert, besaß aber trotzdem eine beachtliche Bildung. Er kam am 13. Februar 1791 zur Welt. Über seine Kindheit und Jugend hat er offenbar nie gesprochen und auch aus anderen Quellen ist darüber nichts zu erfahren.
Als Makler hatte Kirchhoff in Hamburg einen gewissen Erfolg, ging seinem Beruf aber nicht mit großem Ehrgeiz nach. Hans-Heinrich Rottgardt schreibt dazu in seiner Biografie von Vetter Kirchhoff: „Von Beruf war er vereidigter Makler. Doch gehörte er nicht zu jener Sorte arbeitswütiger Börsenjobber, denen einzig und allein das Trachten nach Geld und Vermögen innewohnt. Im Gegenteil …“ Dafür wurde der charmanter Spötter einer der beliebtesten Hamburger Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts.
Anders als die meisten anderen Originale lebte er in einer wirtschaftlich sehr soliden Situation. Auch genoss er die Gesellschaft anderer Menschen, die ihn achteten und wegen seine Originalität und seines Humors schätzten. Er war eloquent und besaß großen Wortwitz. Viele Kaufleute, Dichter und Künstlern schätzten deshalb seine Gesellschaft.
Nach dem ersten Kennenlernen sprach er alle mit „Du“ und „mien Jung“ an. „Er war der netteste Hamburger Jung, der mir im Leben vorgekommen ist“, hat der Schriftsteller Johann Peter Theodor Lyser in der ersten Kirchhoff-Biografie geschrieben. Und so ähnlich haben auch viele andere Zeitgenossen das vergnügte Original Vetter Kirchhoff erlebt.
Das angesehene und geschätzte Original
Der Schriftsteller Paul Möhring schrieb über ihn: „… ihm saß der Schelm im Nacken. Was ihm seine Originalität verschaffte, was ihn zum Original stempelte, das waren nicht seine gutbürgerlichen Eigenschaften und Vorzüge, das war vielmehr seine Neigung, den Schalksnarren zu spielen, allerlei Streiche auszuführen, die von seinen Mitmenschen belacht wurden, brave und biedere Bürger an der Nase herumzuführen, Respektspersonen höchst respektlos gegenüberzutreten … Kirchhoff war trotz aller Streiche und Narreteien bei seinen Mitmenschen angesehen und geachtet; man lachte zwar über ihn, aber man respektierte ihn als Persönlichkeit, als Mann von Bildung, als humor- und witzbegabten Bürger der Stadt.“
Vetter Kirchhoffs Tag begann mit einem Dampfbad. Er wohnte bei St. Annen in der heutigen Speicherstadt und ging von dort aus mit einem riesigen Tuch bekleidet zur Badeanstalt Wilhelminenbad an der Kehrwiederspitze. Die Möglichkeit, sein beachtliches Gewicht so zu vermindern, schwand schon beim anschließenden üppigen Frühstück mit Austern und Champagner im Hotel König von Hannover in der Dammtorstraße.
Leisten konnte Kirchhoff sich ein solches Leben auch deshalb, weil er - hartnäckigen Gerüchten zufolge - als Liebhaber sehr begehrt war und von den Damen großzügig finanziell bedacht wurde. Sie gehörten zu den sogenannten „Eckhäusern“, also zu den Einwohnern der Stadt, die sich repräsentative Eckhäuser leisten konnten. Lassen wir hierzu einen anonym gebliebenen Zeitgenossen zu Wort kommen: „Die Liebschaften des Vetter Kirchhoff waren Legion! Wollt‘ ich von allen erzählen, es gäbe einen starken Beitrag zur Chronique scandleuse mancher sogenannter Eckhäuser. Kirchhoff war durchaus kein Kostverächter und man bezeichnete mir mehrere Damen, die ihm an Körperfülle nicht nachstanden, an Jahren aber bedeutend voraus waren, als seine erklärten Priesterinnen, von denen er ansehnliche Schürzenstipendien bezöge.“
Berühmt geworden ist Vetter Kirchhoff durch seine spitze Zunge. Gern setzten sich Heinrich Heine, der Komponist Albert Methfessel und andere Persönlichkeiten des Hamburger Kulturlebens im Lokal an seinen Tisch, weil dort immer für gute Stimmung gesorgt war. Dabei schätzten seine Gesprächspartner auch Kirchhoffs beachtliche Allgemeinbildung. Besonders in Musik, Malerei und Theater kannte er sich gut aus.
Häufiger kommentierte Kirchhoff bei solchen Treffen den Körperumfang seiner Zeitgenossen. Bei einem Paganini-Gastspiel in Hamburg genoss Kirchhoff dessen virtuoses Spiel, kommentierte aber auch: „Aber Gott! Wie mager de arme Mann is!“ Den Tenor Breitung lobte er hingegen wegen dessen Leibesfülle: „Datt is doch’n Kerl, de sick sehen laaten kann.“
Der ungeliebte Dienst bei der Bürgerwehr
Vetter Kirchhoff musste wie andere Männer der Stadt auch regelmäßig in der Bürgerwehr Dienst tun. Das fiel ihm wegen seines Volumens schwer, besonders das Exerzieren und die Teilnahme an Manövern. Mehrmals stellte er Anträge auf Befreiung von der Bürgerwehr, aber sie wurden abgelehnt. Er wehrte sich dadurch, dass er beim Marschieren nie Schritt hielt. Wenn der Kommandierende ihn daraufhin anfuhr, antwortete er seelenruhig: „Jo, sehn Se, davör kann ick nix!, bi en so dicken Mann as ick bün, geiht dat nich so gau, as bi den Andern!“
Bei Paraden ließ er sich von seinem Laufburschen einen Feldstuhl bringen, auf den er sich niederließ und die Kommandos wie „Gewehr beim Fuß“ ignorierte. Dieses Verhalten löste, so hat es ein Zeitzeuge berichtet, beim Publikum großes Ergötzen aus, wobei die Jugend ein ohrenbetäubendes Gejohle anstimmte. Das wirkte, und Kirchhoff brauchte von nun an nicht mehr an Paraden teilnehmen.
Wie Vetter Kirchhoff eine Gefängnisstrafe vermied
Häufiger geriet Vetter Kirchhoff in Konflikt mit der Polizei - und mehr als einmal konnte er sie übertölpeln. Als zwei Polizisten kamen, um ihn zu einer Haftstrafe wegen nächtlicher Ruhestörung zur Gänsemarktwache abzuholen, lud er einen befreundeten Maler ein, ihn zu begleiten. Er hätte ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, und weil das so wichtig wäre, wollte er es schriftlich tun. Mit Papier, Feder und Tinte machten sich Kirchhoff und der Maler begleitet von den beiden Polizisten auf den Weg. Die Gesellschaft stoppte in einem Lokal, wo Kirchhoff ein Frühstück für die Gesellschaft bestellte. Die Polizisten war zunächst gegen diesen Abstecher gewesen, aber Kirchhoff antwortete: „Eile mit Weile! Mit nüchternem Magen kann ich nicht brummen und mein Geschäft muss ich erst in Ordnung bringen.“
Das angebliche „Geschäft“ war über dem üppigen Frühstück rasch vergessen. Die beiden Polizisten konnten der Versuchung nicht wiederstehen und langten kräftig zu. Auch die Liköre, die Kirchhoff ihnen aufdrängte, genossen sie reichlich. Ein Zeitzeuge wusste zu berichten, die Polizisten „… nachdem sie einmal in Zug gekommen waren, soffen mit Vehemenz drauf los“. Nach einer Stunde waren die beiden Polizisten so betrunken, dass Kirchhoff und der Maler sie auf dem weiteren Weg zur Wache stützen mussten. Dort angekommen, befassten sich die wachhabenden Polizisten mit ihren beiden betrunkenen Kollegen und nicht um Kirchhoff. Er konnte unbehelligt nach Hause zurückkehren und musste – wo die Angelegenheit der Polizei wohl zu peinlich war - die Strafe nicht mehr antreten.
Als Vetter Kirchhoff ein Wettrennen auf einem Esel gewann
Vetter Kirchhoff liebte es, Maulhelden und selbstgerechte Bürger lächerlich zu machen. Einmal verspotteten ihn einige junge Schnösel, die sich als Herrenreiter bezeichneten. Das waren damals junge kaufmännische Angestellte, die ihre Zugehörigkeit zu den „besseren Kreisen“ dadurch unter Beweis stellen wollten, dass sie sonntags ausritten. Einer von ihnen verkündete: „Mein lieber Kirchhoff, Sie sollten man einmal mit uns ausreiten! Allerdings werden Sie wohl Schwierigkeiten haben, in Hamburg ein Pferd aufzutreiben, das Ihre Pfunde zu tragen in der Lage ist!“ Vetter Kirchhoff antwortete lächelnd: „Oh, ich würde sogar mit Ihnen am nächsten Sonntag um die Wette reiten, und wenn ich kein Pferd finde, so tut’s ein Esel auch; ich wiege zwei tüchtige Mehlsäcke.“
Die jungen Schnösel waren sich ihres Sieges sicher und schlugen eine hohe Summe als Wetteinsatz vor. Kirchhoff stimmte zu, bestand aber vorsichtshalber auf einer schriftlichen Fixierung der Wette und des Wetteinsatzes. Groß war das Gelächter der Reiter, als Kirchhoff tatsächlich auf einem Esel erschien. Das Lachen erstarb, als die jungen Reiter rasch ins Hintertreffen gerieten. Kirchhoff hatte die Route für das Rennen mit Bedacht vorgeschlagen: Sie führte mitten durch eine Kiesgrube. Während der Esel seinen Reiter behände zum Ziel trug, blieben die Pferde im Mahlsand stecken.
Begegnung mit einem schießwütigen Advokaten
Vetter Kirchhoff verspottete viele hochnäsige Bürger. Sie verziehen ihm das meist rasch, aber einmal wurde es gefährlich für ihn. Er hatte sich im Theater mit einem schmächtigen Advokaten angelegt, der hinter ihm saß und sich darüber beschwerte, dass Kirchhoff ihm den Blick auf die Bühne versperren würde.
Der Advokat war so zornig, dass er Kirchhoff zum Duell herausforderte. Der ließ dem schießwütigen Advokaten ausrichten, er könnte sich beim besten Willen nicht mit ihm duellieren, solange der Advokat so dünn wäre, er aber eine große Zielfläche böte. Das Duell müsste deshalb verschoben werden, bis der Advokat so dick wäre wie er selbst oder er selbst so dünn wäre wie der Herausforderer.
Alle lachten über den Advokaten, aber es hieß auch, Kirchhoff habe keinen Mut. Das ließ der nicht auf sich sitzen. Als ihn zwei kräftige junge Leute im Gedränge des Weihnachtsmarktes anrempelten, wurde er laut: „Ick mutt ju beiden Lümmels wull mol Anstand beibringen, wat?“ Die Kraftprotze drehten sich um und riefen höhnisch: „Dat versöök man mol!“ Und tatsächlich, mit ungeahnter Schnelligkeit verteilte Kirchhoff zwei kräftige Faustschläge. Die Männer gingen zu Boden, und der Ruf des Spötters war wiederhergestellt. Er blieb es auch, als sich herumsprach, dass Kirchhoff die beiden für den Auftritt engagiert hatte.
Der blamierte Zeitungsverleger
Kirchhoff war ein regelmäßiger Theaterbesucher und ärgerte sich immer wieder über einen Verleger, der gewohnheitsmäßig zahleiche Aufführungen in seiner Zeitung negativ bewertete. Deshalb wollte Kirchhoff ihm eine Lektion erteilen. Er wählte dafür das Gastspiel einer französischen Schauspieltruppe in Altona. Deren erste Aufführung verlief so enttäuschend, dass auf die geplanten Auftritte an den folgenden Tagen verzichtet wurde.
Das machte sich Kirchhoff zunutze. Er benutzte einen älteren Verriss einer anderen Theateraufführung des Zeitungsverlegers und fügte lediglich an den passenden Stellen den Namen des französischen Stücks und der Schauspieler ein. Diese Theaterkritik einer gar nicht stattgefundenen Aufführung bot er dem Verleger an, der sie arglos in seiner Zeitung abdruckte. Es sprach sich allerdings rasch herum, dass die Vorstellung ausgefallen war und Kirchhoff eine ältere Kritik des Verlegers nur leicht abgewandelt hatte. Der Verleger stand blamiert da und soll keine Theaterkritiken mehr verfasst haben.
Wo Kritik angezeigt war, zögerte Kirchhoff allerdings nicht, sie zu äußern. Der Freiherr von Malnitz, ein Dichter von durchaus begrenztem Talent, las bei einer Abendveranstaltung unter großem Stimmaufwand sein neues Theaterstück „Hans Kohlhas“ vor. Beim anschließenden Beisammensein im Austernkeller wurde Kirchhoff von Malnitz gefragt, wie ihm das Stück gefallen hatte. Darauf hätte er besser verzichten sollen, denn er bekam zu hören: „Na weest du, mien Jung, du hest jo schreen, dat dovon en Kacheloben infalln kunn!“
Die Verspottung des „Mäßigkeitsvereins“
Kirchhoffs Lebenswandel machte ihn nicht zum Freund des Mäßigkeitsvereins, in dem reiche Bürger sich zusammengeschlossen hatten, um gegen den Schnapskonsum der armen Leute zu wettern. Sie selbst tranken „in gepflegter Atmosphäre“ gern einige Gläser Wein, aber das sahen sie als Mäßigkeit an. Kirchhoff war diese Scheinheiligkeit zuwider.
Eines Nachts sah er einen total betrunkenen Mann in der Gosse liegen. Schnell rief er einige Arbeitsleute herbei: „Verdammich! Dor liggt jo Kornümsteker Ehlers sein Knecht! Gau Lüüd, haalt ‘n Koor un bringt den armen Stackel nah Huus! Hier hebbt ji ok 12 Schilling!“ Zwölf Schillinge waren ein beachtlichen Betrag, und so waren die Arbeitsleute gern bereit, den Betrunkenen auf einer Karre zum Haus des Kornumstechers (Kornhändlers) Ehlers zu bringen.
Am Ziel angekommen, weckten die Arbeitsleute den Hausherrn, der äußerst erbost war. „Mien Knecht? Dat is nich mien Knecht! Wat schall ick mit den Swienegel vör min Döör?! Glieks bringt ji den Keel wedder dorhen, wo ji em herhaalt hebbt!“ Aber die gewitzten Träger beharrten darauf, Kirchhoff hätte nur für den Transport zu Ehlers bezahlt, nicht für den Weg zurück. Um den unbekannten Betrunkenen loszuwerden, blieb dem Kornhändler nichts übrig, als den Trägern seinerseits zwölf Schillinge zu zahlen. Als Vorsitzender des Mäßigkeitsvereins wollte Ehlers keinen Betrunkenen vor seinem Haus liegen haben.
Am nächsten Tag stellte er Kirchhoff zur Rede. Der antwortete seelenruhig: „Ick weet gor nich, warum Se sick so opregen, Ehlers! De Besopene hett mi doch seggt, dat he geern in den Mässigkeitsvereen opnohmen warden wull - na, und dor weur he doch bi Ihn an de richtige Adress!“
Eines Tages beorderte man Kirchhoff wegen groben Unfugs in das Stadthaus, wo ihn der Polizeiherr zur Rede stellte: „Sie werden in Ihrem Leben wohl nicht mehr vernünftig, Kirchhoff!“ Der antwortete: „Was nützt denn alle Vernunft? Hat sie Ihnen vielleicht was geholfen? Nee – Sie sind ein vielgeplagter Polizeiherr, und ich bin und bleibe der dicke, lustige Kirchhoff - ick will gor nicks anners as vergneugt leben, so lang dat Leben duert – ob mit Vernunft oder ohne Vernunft, dat is mi egool!“
Kirchhoff besuchte ein Theaterstück über Kirchhoff
Vetter Kirchhoff war ein so berühmtes Hamburger Original, dass schon zu seinen Lebzeiten das Theaterstück „Kirchhoff oder Das lustige alte Hamburg. Hamburger Original-Volksposse in acht Bildern von Chr. Bischoff“ im Steinstraßen-Theater auf die Bühne kam. Kirchhoff konnte mit der Darstellung seiner Person durchaus zufrieden sein, etwa mit diesem Dialog: „Kirchhoff ist doch nun einmal ein rechter Eulenspiegel.“ – „Eulenspiegel – so nennt man ihn in Hamburg, aber unter dieser spaßigen Maske schlägt das beste, edelste Herz! Wie manche Träne hat er heimlich schon getrocknet!“ Damit wurde Kirchhoffs großzügige, aber dezente Unterstützung von Menschen in Not gewürdigt.
Ein Kritiker schrieb nach der Uraufführung in der Zeitung: „Wenn der alte Schwerenöter vom St.-Annen-Kirchspiel selbst unter den Zuschauern im Theater gewesen wäre, er hätte sein Freude an der geradezu meisterhaften Kopie seiner Person gehabt!“ Kirchhoff besuchte tatsächlich eine der späteren Aufführungen und war mit den Leistungen des Bühnen-Kirchhoff ebenfalls sehr zufrieden. Er schickte diesem am nächsten Tag ein kleines Päckchen mit einem Paar mit Brillanten besetzten Knöpfen für sein Oberhemd. In einem Begleitbrief zollte er dem Schauspieler seine Anerkennung. Aber wenn er echt wirken wollte, sollte er bei seinen Hemdknöpfen auf Imitate verzichten und die beigefügten Knöpfe tragen. Das tat der Schauspieler dann auch gern.
Später übernahm ein Vorstadttheater das Stück, und Kirchhoff war Gast einer Aufführung. Er war aber entsetzt über das stümperhafte Spiel dieses Theater-Kirchhoffs. Der Schauspieler hatte Kirchhoff im Publikum entdeckt und freute sich darauf, ein ebenso großzügiges Geschenk wie sein Kollege zu erhalten. Tatsächlich traf am nächsten Tag ein kleines Päckchen von Kirchhoff ein, das aber nur ein Paar wertloser Imitate enthielt. Im Begleitbrief musste der Schauspieler lesen, dass es sich bei seinem Spiel um eine miserable Nachahmung handeln würde, zu der die Knopf-Imitationen passten.
Das Original bleibt in Erinnerung
Am 14. Mai 1844 ging das Leben von Vetter Kirchhoff zu Ende. Der Kirchhoff-Biograf Hans-Heinrich Rottgardt hat Vetter Kirchhoff auf einer Ebene mit Eulenspiegel gestellt. Er schrieb über Kirchhoff: „Auch dieser benutzte nämlich die ihm in die Wege gelegten Gaben, sei es Schnellzüngigkeit, Spottlust, Humor und dergleichen, um damit gegen Dünkel, Heuchelei, Kastengeist und Bürokratismus zu Felde zu ziehen.“
Die Geschichten vom dicken, vergnügten Kirchhoff sind auch dank des Buches „Drei Hamburger Originale“ von Paul Möhring unvergessen. So auch diese: Der Bürgermeister war irritiert. Was wollten all die Menschen, die sich vor dem Rathaus versammelt hatten. Ein Ratsdiener konnte den Auflauf erklären: „Herr Bürgermeister, der Kirchhoff ist oben auf dem Dach des Rathauses und geht da immer auf und ab!“
Der Bürgermeister ließ ihn herunterholen und stellte ihn zur Rede: „Was haben Sie auf dem Dach vom Rathaus zu suchen? Solche Streiche verbitte ich mir! Aber verlassen Sie sich darauf, dieser Spaß wird Ihnen teuer zu stehen kommen!“ Kirchhoff belehrte ihn: „De Spooß kost mi gor nicks. Da - dor steht dat swatt up witt.“ Er reichte dem Bürgermeister das Schreiben, und da stand: „Sie werden hiermit aufgefordert, morgen früh zwischen zehn und elf auf dem Rathaus zu erscheinen!“
Kirchhoff blieb seinen Zeitgenossen in guter Erinnerung. Ein halbes Jahrhundert entstand dieses Gedicht (Knepp bedeutet hier Kneipenbesuch):
In olen scheunen Tiden
leevt een vergneugter Mann,
vun dem manch oler Börger
goar veel vertellen kann;
een slichter Linwandmakler
weer he, doch kugelrund,
bi den sein Knepp kunn lachen
een Kranker sik gesund.
Gewiß hest, leve Leser,
villicht du mol von Kirchhoff heurt?,
de selbst den argsten Griesgram
to’n Lachen hett verfeuhrt.
Wat de von Kneep vullbröckt hett,
in’n Volksmund levt faf fort;
de Uhlenspeegeleen
bedreeft hin in Accord!
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro