Kommunikation und Medien - Die Welt der Werbung

 

„Minority Report“ heißt der neue Film von Steven Spielberg, der im Sommer 2002 in die Kinos kam. Finanziell war er schon ein Erfolg, bevor der erste Zuschauer ihn gesehen hatte. 25 Millionen Dollar nahm die Produktionsgesellschaft dafür ein, dass sie nichts tat, außer an der richtigen Stelle die richtigen Produkte gut sichtbar in den Film einzubauen. „Product Placement“ nennt man das, und für Spielbergs Film zahlten gleich 15 große Konzerne für die Platzierung ihrer Produkte im Film. Darunter sind so bekannte Firmen wie American Express, Pepsi und Nokia. Lexus, ein Toyota-Tochterunternehmen, soll fünf Millionen Dollar investiert haben, damit Tom Cruise im Luxusgefährt der eigenen Marke durch den Film braust.[1]

 

Die Drehbücher zahlreicher Filme, auch Fernsehfilme, werden inzwischen um die Produkte herum geschrieben, deren Produzenten für eine gute Platzierung bezahlen. Dass solche Werbung einen Einfluss auf die Inhalte der Filme hat, lässt sich kaum bestreiten. Die Welt des Luxus erobert mehr denn je die Kino- und Fernsehwelt. Ein Problem waren in dieser Hinsicht bis vor kurzer Zeit die alten Filme, die noch ohne „Product Placement“ gedreht worden waren und die beim Abspielen im Fernsehen keine Zusatzeinnahmen einbrachten.

 

Aber auch dieses Problem ist inzwischen technisch gelöst. Vor allem in den USA gibt es Firmen, die darauf spezialisiert sind, in alte Filme neue Produkte so zu integrieren, dass niemand etwas merkt. Bei bewegten Bildern bedarf es dabei einer ausgefeilten Technik, damit die Kaffeeschachtel mit dem Firmensignet immer genau an der Stelle auf dem Tisch zu sehen ist, an der sie einmal platziert wurde. Vor allem die Firma Princeton Video Image schafft auch das und beliefert inzwischen alle großen Fernsehsender der USA.[2]

 

Wenn das Digital-TV weiter entwickelt ist, so verheißen die Propheten der Werbebranche, dann eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Dann brauchen wir nur auf den BMW zu clicken, der elegant durch den Film gleitet, und schon erfahren wir mehr über das Fahrzeug und erhalten auch gleich Informationen über den nächstgelegenen BMW-Händler. Lebensmittel können gleich bestellt werden und werden dann umgehend ins Haus geliefert.[3]

 

Mit solchen interaktiven Möglichkeiten soll die dahinsiechende E-Commerce-Branche neuen Auftrieb erhalten. Dass das Fernsehen dann noch mehr den Gesetzen des Marktes total gehorchen muss und alle Geschichten und Berichte um die Produkte herum geschrieben werden, stört nicht, jedenfalls nicht die Verfechter dieser schönen neuen Konsumwelt. Das ist auch ein Grund, warum die Kabelnetze in Deutschland so begehrt sind. Sie eröffnen den Zugang zum „Supermarkt“ im Fernsehen. Ganz sicher sind die Werber aber nicht, ob die Zuschauer die neuen Möglichkeiten rund um die Markenartikel und deren Verkauf schätzen werden, viele seien einfach zu bequem und wollten den Film sehen, statt sich durch Einblendungen von der Qualität der Kaffeemaschine zu überzeugen. So raten die Experten auf diesem Gebiet des Marketing: „Es bedarf einfacher Interaktion und starker emotionaler Anreize. Anders lässt sich auf diesem Feld nichts bewegen.“[4]

 

Filme mit „konsumfreundlichen“ Umfeld werden global vermarktet

 

Die Filme mit den Produkten der großen internationalen Konzerne werden rund um den Globus verbreitet, und mit ihren Werbebotschaften und dem „konsumfreundlichen“ Filmumfeld verändern sie diese Welt. Immer stärker setzen sich international angebotene Markenartikel gegen die Angebote lokaler Unternehmen durch und immer mehr wird der Besitz dieser Markenartikel gleichgesetzt mit Erfolg, einem guten Leben und Glück. Viele möchten „Powershopper“ werden, und so nimmt die Gier zu, mehr und mehr Geld zu erhalten, und sei es auf zweifelhafte Weise.

 

Vielleicht sind die Werbemacher und ihre Finanziers die erfolgreichsten Propagandisten der vorherrschenden Globalisierung. Gnadenlos werden auch die letzten noch werbefreien Räume erobert. Erfinderisch werden auch die letzten Zeiten ohne Werbung noch genutzt, zum Beispiel durch Werbespots für wartende Kunden an Geldautomaten. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde ein Weg gefunden, selbst die Strände in Werbeflächen zu verwandeln. In New Jersey werden Firmenlogos auf Gummimatten gepresst, die auf eine Walze gewickelt und frühmorgens über den Strand gezogen werden.

 

Selbst die eigene Haut kann als Werbefläche zu Markte getragen werden. In San Francisco bot der Betreiber mexikanischer Restaurants jenen Personen lebenslang jeden Tag ein kostenloses Mittagessen an, die sich gut sichtbar auf ihrem Körper das Casa Sanchez-Logo tätowieren ließen. Seither laufen 50 Einwohner mit dem Bild eines Mexikaners mit Sombrero auf der Haut durch die Stadt.[5]

 

Etwa 500 Milliarden Dollar werden jedes Jahr für Werbung ausgegeben. Jeder Bewohner der Industrieländer ist durchschnittlich 1.500 Werbebotschaften am Tag ausgesetzt. Etwa 85 Prozent davon nehmen wir nicht (bewusst) wahr, von den übrigen vergessen wir die meisten rasch wieder. Dennoch wäre es eine Illusion anzunehmen, dass zum Beispiel die 500.000 Werbespots, die jährlich von französischen Fernsehsendern ausgestrahlt werden[6], keinerlei Wirkung hätten. Sie besteht nicht nur in der Propagierung bestimmter Produkte, sondern auch in der Vermittlung von Werten für das Leben der Einzelnen und für das soziale Zusammenleben. Um so bedenklicher ist es, dass die grenzüberschreitende Werbung ständig zunimmt, dass also Werte aus einer Gesellschaft rund um den Globus verbreitet werden.

 

Medien und Werbebotschaften aus der westlichen Welt – überall auf dem Globus verbreitet

 

Es kommt noch etwas hinzu. Die großen globalen Konzerne liefern in immer mehr Ländern einen Großteil der Werbeeinnahmen der kommerziellen Medien. Und damit ist ein beträchtlicher Einfluss auf das Medienangebot verbunden. Dies beginnt bei der Auswahl der Medien, in denen geworben wird, und reicht bis zum Zuschnitt der Programme. Medien mit einem „internationalen“ Angebot sind besonders gefragt, was für Fernsehsender bedeutet, dass sie mit nordamerikanischen und europäischen Serien und Spielfilmen das attraktivste Umfeld für Werbespots anbieten können. Die Serien im Stil von „Die Schönen und die Reichen“ und die Werbespots westlicher Konsumgüter-Unternehmen ergänzen sich so.

 

Das ist schon seit einigen Jahrzehnten so, aber was sich im Zeitalter der Globalisierung verstärkt hat, ist die Integration von immer mehr Ländern in die Vermarktung von Produkten internationaler Konzerne und die Verbreitung einer am Konsum orientierten Lebensweise in Fernsehprogrammen. Die Filme und die Werbespots verbreiten die gleiche Botschaft: Jeder ist, was er kauft und jeder ist so glücklich, wie der Geldbeutel reicht.

 

Die Botschaften, die von kommerziellen Fernsehsendern und anderen Medien rund um die Uhr verbreitet werden, sind zutiefst religiös. Das zeigt sich schon auf den ersten Blick daran, dass viele biblische Worte und Bilder Eingang in Werbespots gefunden haben. Gravierender aber ist, dass die grundlegenden Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Orientierung im Leben in Werbespots und Fernsehserien angesprochen und auch beantwortet werden – jenseits aller bisherigen religiösen Werte. Konsum löst alle Probleme, und das Heil kommt von den Luxusartikeln. „Wie ich mich kleide, welches Auto ich fahre, welchen Strom ich kaufe und welches Betriebssystem ich benutze, ist eine soziale Aussage, ein Bekenntnis.“ So beschreibt Bernd Beuscher die neue Religion.[7]

 

Dass diese Botschaften jetzt weltweit verbreitet werden, ist eine Dimension des Globalisierungsprozesses und trägt erheblich zur Entsolidarisierung der Gesellschaften bei. Die neue Religion ist eine gewaltige Herausforderung für die Kirchen, und diese beginnen erst ganz allmählich und zaghaft, sich ihr zu stellen. Die Jahrtausende alte Frage Gott oder Mammon stellt sich heute in ganz neuer Weise.

 

Zugleich wächst die Kluft zwischen der paradiesischen Welt der Werbung und der Realität vieler Menschen, die unter den ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen des globalen Wirtschaftssystems leiden. Manche dieser Menschen werden zu Opfern auch noch dieser Werbung, weil sie sich an die Hoffnung klammern, sie würden etwas besser leben, etwas glücklicher sein und etwas an dem Luxus der großen weiten Konsumwelt teilhaben, wenn sie sich mit ihrem letzten Geld eine bestimmte Seife oder eine Barbiepuppe für ihr Kind kaufen. Selbst in brasilianischen Slumgebieten findet man diese Puppen inzwischen, besonders beliebt ist die blonde Originalpuppe, obwohl in den Slums nur wenige blond sind. Die Macht der Werbung zeigt sich nirgends so brutal wie bei den Ärmsten, den Ausgeschlossenen dieser Welt, die verzweifelt versuchen, dazuzugehören, und deshalb mit dem letzten Geld die Attribute der Marken-Welt kaufen.

 

Die Werbung wird inzwischen kulturellen und sozialen Traditionen und Normen in den einzelnen Ländern angepasst. Die globalen Konzerne haben auf diesem Gebiet dazugelernt. Ein Vorreiter angepasster Werbekonzepte ist Coca-Cola und dies seit vielen Jahren. Als die Firma der Bibliothek des amerikanischen Kongresses eine Sammlung sämtlicher Werbespots der letzten fünfzig Jahre überließ, waren das mehr als 20.000 unterschiedliche Filme.[8]

 

„Werbung proklamiert dem Publikum in der ganzen Welt einen einzigen Standard“

 

Tag für Tag entstand in den letzten Jahrzehnten ein neuer Werbefilm, um die Konsumenten zwischen Alaska und Indonesien zu überzeugen, dass Coca-Cola für sie genau das richtige Getränk ist. Erfolgreiche „global player“ wie Coca-Cola ignorieren lokale Kulturen und Sprachen nicht, sondern sie verwerten sie geschickt, um ein „Weltprodukt“ auf dem lokalen Markt einzuführen und zu propagieren.[9]

 

Der Medienwissenschaftler Cees Hamelink schreibt über diese globalisierte Werbung: „Worin immer die lokalen Varianten der Werbung bestehen, die Werbung proklamiert dem Publikum in der ganzen Welt einen einzigen Standard: Konsum erfüllt die grundlegenden Sehnsüchte, und das Vergnügungs-Einkaufen ist eine essenzielle kulturelle Aktivität. Es überlagert alle kulturellen Unterschiede der Welt mit der Herrschaft eines konsumorientierten Lebensstils.“[10] Dafür zahlen tun die Käuferinnen und Käufer. Die rasch gewachsenen Kosten der Werbung der großen Unternehmen werden über die Verkaufspreise wieder hereingeholt. Umsonst ist nichts in der Marktwirtschaft, die Werbung am wenigsten.

 

Die mühsame Suche nach Alternativen

 

Welche Alternativen gibt es? Zunächst einmal ist es wichtig, die Mediennutzerinnen und -nutzer darüber aufzuklären, wie Werbung entsteht, wie offen und subtil Botschaften vermittelt werden, welche Werte in Anzeigen und Werbespots transportiert werden. Solche medienpädagogischen Programme müssen schon im Kindergartenalter beginnen, weil schon kleine Kinder den Werbebotschaften ausgesetzt sind, nicht selten Formen der Werbung, die gezielt für Kinder gestaltet werden. Die Werbebranche hat nämlich herausgefunden, dass schon die Vier- bis Zehnjährigen einen beachtlichen Einfluss darauf haben, wohin es in den Urlaub geht und welches Auto gekauft wird, ganz zu schweigen von alltäglichen Waren wie Süßigkeiten. Das macht die Werbung mit Kindern und für Kinder so lohnend, gegen die Aufklärung wenigstens ein wenig helfen kann. Dass die Kinder in so massiver Weise den Träumen und Versprechungen ausgesetzt sind, die fabriziert werden, um so viel wie möglich zu verkaufen, lässt sich allerdings durch Medienpädagogik nicht ausgleichen. Es bleibt die Grundfrage an die Gesellschaft: Wollen wir wirklich, dass die Träume der Kinder von denen geprägt werden, die Schokoriegel verhökern wollen?

 

Vermutlich verstärkt die Werbung jene Mythen, die zu vorherrschenden Mythen in dieser Gesellschaft und dieser Welt zu werden drohen: die Mythen von einem Leben mit immer mehr Waren, immer mehr aufregenden Erlebnissen in einer Konsumwelt und immer mehr Geschwindigkeit, egal, wohin die Reise gerade geht. Diesen Mythen kann letztlich nur mit der Vision von einem anderen Leben und dessen schrittweiser Umsetzung begegnet werden, aber das ist ein langer Prozess.

 

Anzustreben ist kurzfristig, werbefreie Räume zu verteidigen beziehungsweise wieder herzustellen. Dies gilt vor allem für die Schulen. So kann zum Beispiel verhindert werden, dass auch in hiesigen Mathematikbüchern (wie in den USA) in die Texte Nike oder Disneyland eingeflochten werden, um so auf subtile Weise Werbung zu betreiben. Die Gesetzeslage ist bei uns eindeutig: Werbung ist in deutschen Schulen nicht gestattet. In der Praxis sieht es anders aus. Plakate werden aufgehängt, Flyer und Postkarten ausgelegt und andere Formen der Werbung eingeführt. Es gibt bereits erste spezialisierte Agenturen für Werbung in Schulen.

 

Mit Albin Dannhäuser, dem Präsidenten des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, kann nur gefordert werden, dass die Schule eine werbefreie Zone bleiben muss, damit der „Markenterror“ nicht weiter um sich greift: „Wenn Coca-Cola oder Nike an Schulen werben, wird dadurch das Konkurrenzdenken unter den Kindern verschärft. Die Benachteiligung von Kindern aus ärmeren Verhältnissen wird dabei leichtfertig in Kauf genommen.“[11]

 

Oft entscheidet der Schulleiter, ob geworben werden darf, und nicht selten wird die Schule für 50 Euro pro Aktion zum Schauplatz des Kampfes der Markenartikelhersteller um junge Kunden. Gerade weil die gesetzliche Grundlage für solche Aktionen in mehreren Bundesländern fehlt oder zweifelhaft ist, gibt es gute Aussichten für Eltern, Lehrer und Schüler, solche Werbekampagnen auf dem schulischen Gelände zu stoppen.

 

Es gilt außerdem, die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender mit wenig oder keiner Werbung vor der Verdrängung durch kommerzielle Sender zu schützen. Diese Gefahr besteht sowohl bei uns als auch in anderen Teilen der Welt. Es gibt rücksichtslose Verdrängungsbemühungen durch die Verantwortlichen der privaten Sender und einige Politiker, die sie unterstützen.

 

Dem kann mit einer Stärkung und Propagierung des öffentlich-rechtlichen Systems und einer kritischen Auseinandersetzung mit den oft dürftigen Programmen der Privatanbieter begegnet werden. Wo ein Programm zum Umfeld für Werbung verkommt und die Grenzen von Programm, Sponsoring und Werbung immer mehr verschwimmen, ist Widerspruch und das Einklagen der gesetzlichen Bestimmungen gefordert. In Deutschland wird hier eine Auseinandersetzung ausgefochten, die auch in anderen Teilen der Welt Konsequenzen hat, vor allem dann, wenn es gelingt, das öffentlich-rechtliche System als bessere Alternative zu den kommerziellen Sendern zu verteidigen. Es gibt Alternativen zu einer totalen Kommerzialisierung und Privatisierung von Radio und Fernsehen, lautet eine Botschaft, die auch in anderen Teilen der Welt gehört werden wird.

 

In allen Medien gilt es durchzusetzen, dass die Trennung von Werbung und Programm wieder deutlicher erkennbar wird. Bestimmte Formen der Vermischung von Werbung und Programm müssen schlicht untersagt werden, zum Beispiel Gesundheitssendungen, bei denen nicht erkennbar ist, dass sie im Auftrag eines Pharmakonzerns produziert und im Programm platziert wurden.

 

In solchen Fragen müssen auch die Kirchen stärker Einfluss auf die Mediengesetzgebung und die Durchsetzung dieser Bestimmungen ausüben. Liberalisierung kann nicht bedeutet, dass nun alles möglich ist und dass Werbung und Public Relations-Beiträge immer tiefer ins Programmangebot vordringen.

 

Gegen die globale Macht der Tabak- und Alkoholkonzerne

 

Es gibt – vor allem im Süden der Welt – viele kirchliche Medien, die Werbung für Alkohol und Zigaretten ablehnen. Damit sind wirtschaftliche Einbußen verbunden, aber angesichts der Millionen Menschen, die von Alkohol und Zigaretten abhängig sind und ihre Gesundheit riskieren, ist dies ein verantwortungsbewusster Schritt. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass der Werbeaufwand der Tabakkonzerne in Afrika, Asien und Lateinamerika sprunghaft steigt, weil hier die Zukunftsmärkte vermutet werden. Angesichts von fast fünf Millionen Rauchertoten in der Welt (so die Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO[12]) sind die internationalen Verhandlungen über ein Verbot von Zigarettenwerbung gerade für den Süden der Welt von großer Bedeutung.

 

Um so bedenklicher ist es, dass die deutsche Regierung bisher als einziges EU-Mitglied ein Verbot dieser Werbung ablehnt, und zwar mit Verweis auf die freie Meinungsäußerung. Das stößt international auf völliges Unverständnis und wird mit der wirtschaftlichen Bedeutung der deutschen Tabakindustrie und den jährlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer von elf Milliarden Euro in Verbindung gebracht. Die „Internationale Koalition tabakkritischer Nichtregierungsorganisationen“ hat aus Protest Deutschland den „Marlboro-Mann-Preis“ verliehen, „für das Nachplappern von Argumenten der Tabakindustrie in der Debatte um Tabakwerbeverbote“.[13]

 

Bei den Verhandlungen über eine Anti-Tabakkonvention im Rahmen der Arbeit der Weltgesundheitsorganisation im Herbst 2002 gehörte Deutschland neben Japan und den USA zu den Ländern, die ein Werbeverbot ablehnten, wiederum mit dem Argument, ein solches Verbot sei nicht mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren.[14]

 

Wenn es gelingen soll, weltweit ein Werbeverbot durchzusetzen und entsprechend der WHO-Vorschläge die Tabaksteuer schrittweise deutlich zu erhöhen, bedarf es besonders in Deutschland einer intensiven öffentlichen Debatte und Unterstützung der Forderungen der Weltgesundheitsorganisation.

 

Die Kirchen und die „Religion des Konsums“

 

Ein eigenes Kapitel ist die sexistische und auf andere Weise gesellschaftlich gefährliche Werbung, zum Beispiel Werbung mit rassistischen oder blasphemischen Inhalten. Hier besteht die Aufgabe darin, solche Werbung zu demaskieren und möglichst zu verbieten. Ein Boykott von Produkten solcher Unternehmen hat sich vielerorts als eine Methode erwiesen, um solche Werbung zu unterbinden. Die Kirchen sollten sich nicht darauf beschränken und auch nicht darauf konzentrieren, blasphemische oder vermeintlich blasphemische Formen der Werbung anzugreifen. Viel wichtiger ist es, einen innerkirchlichen und gesellschaftlichen Diskussionsprozess darüber in Gang zu bringen, welche religiösen Botschaften die Anzeigen oder Fernsehspots transportieren und was dies über die von der Werbung angenommenen Bedürfnisse, Wünsche und Probleme der Gesellschaft aussagt.[15]

 

Die Kirchen müssen sich mit der „Religion des Konsums“ auseinandersetzen, die in vielen Werbebotschaften zum Ausdruck kommt und dem ihre Alternative entgegenstellen. Kirchen, christliche Initiativen und andere Akteure der Zivilgesellschaft sollten neue Formen von Werbung entwickeln, die mit den Werten korrespondieren, die sie vertreten. Der Versuch, mit den Mitteln der Markenartikelwerbung auch religiöse und soziale Botschaften zu vermitteln, wirkt oft nur peinlich. Für eine andere Werbung sind Kreativität und Originalität gefragt – und das Nachdenken darüber, welche Orientierung die christliche Botschaft für die Werbung gibt. Dass so viele Anzeigen und Werbespots religiöse Botschaften und nicht selten auch biblische Anklänge aufweisen, spricht dafür, dass hier ein Fundus ist, den man nicht den Anbietern von Tütensuppen überlassen sollte.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 13.7.2002

[2] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 9.4.2002

[3] Vgl. die im Herbst 2002 erschienene Beilage „Die Kraft der Werbung“ in der Süddeutschen Zeitung und anderen Publikationen, S. 46

[4] Ebenda, S. 48

[5] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 13.8.2001

[6] Stand 1999, vgl. deutsche Ausgabe der Le Monde diplomatique, Mai 2001, S. 15

[7] Bernd Beuscher: „... und dein Durst kann was erleben“ – christliche Motive (in) der Werbung, in: Junge Kirche, 5/2002, S. 40

[8] Vgl. Le Monde diplomatique, Mai 2001, S. 17

[9] Vgl. Jan Servaes/Rico Lie: Media versus globalisation and localisation, in: Media Development, 3/2001, S. 22

[10] Cees J. Hamelink: Confronting cultural rights, in: Media Development, 4/2001, S. 46

[11] Zitiert nach: epd-Zentralausgabe, 23.9.2002

[12] Vgl. epd-Zentralausgabe, 15.10.2002

[13] Vgl. Süddeutsche Zeitung, 23.10.2002

[14] Vgl. epd-Zentalausgabe, 25.10.2002

[15] Vgl hierzu den Beitrag über religiöse Motive in der Werbung von Bernd Beuscher in der Jungen Kirche 5/2002, S. 37ff.