Die Trennung von Liberalisierung und Privatisierung

 

Die WTO betont in ihren Veröffentlichungen, dass eine Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsbereichs nicht verknüpft sei mit einer Privatisierung öffentlicher Unternehmen und öffentlicher Verantwortungsbereiche. In einer WTO-Pressemitteilung vom Sommer 2002 heißt es: „Liberalisierung bedeutet nicht Privatisierung. GATS und die laufenden Verhandlungen erfordern keine Privatisierung, Kommerzialisierung oder Deregulierung irgendeines Dienstleistungsbereichs.“[1]

 

In der Praxis sieht dies bisher leider oft anders aus. Um so mehr ist es sinnvoll, die WTO-Behauptung sehr ernst zu nehmen. Die Konsequenz besteht darin, bei den internationalen Verhandlungen und den nationalen GATS-Zusagen streng darauf zu achten, dass eine solche Koppelung nicht stattfindet. Dafür ein Beispiel: In verschiedenen Ländern sind Teile der Wasserversorgung bereits privatisiert worden, andere Betriebe werden weiterhin von Kommunen oder dem Staat kontrolliert. Wenn ein solches Land nun den Wasser-Dienstleistungsbereich international liberalisiert, bedeutet dies zunächst einmal nur, dass ausländische Konzerne sich gleichberechtigt mit nationalen Unternehmen um Kontrakte für die bereits privatisierten Wasserbetriebe bemühen können.

 

Das hat für sich genommen Nachteile, weil zu erwarten ist, dass kleine, oft unerfahrene und kapitalschwache nationale Unternehmen kaum Chancen haben, sich bei Ausschreibungen gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen. Aber mit dieser Liberalisierung im Rahmen der GATS-Vereinbarungen ist nicht verbunden, dass mehr staatliche Wasserbetriebe privatisiert werden und ein Versuch, auf GATS zu verweisen, um eine Privatisierung durchzusetzen, ist illegitim.

 

Allerdings gibt es vor allem zwei Faktoren, die einen solchen Druck erhöhen. Zunächst einmal haben die internationalen Wasserkonzerne ein großes Interesse daran, dass weitere Privatisierungen durchgeführt werden. Sie haben sich nicht für die Liberalisierung eingesetzt, um festzustellen, dass alle Kontrakte für bereits erfolgte Privatisierungen vergeben sind und diese Verträge bei einer Laufzeit von bis zu 30 Jahren erst in vielen Jahren wieder neu ausgeschrieben werden. Die Wasserkonzerne können bei solchen Bemühungen um eine forcierte Privatisierung oft auf die massive Unterstützung des Internationalen Währungsfonds und westlicher Regierungen rechnen, die überzeugt sind, dass Privatisierung das Gebot der Stunde ist. Diesem Druck muss standgehalten werden und unter Berufung auf die WTO selbst darauf beharrt werden, dass internationale Konzerne keinen Anspruch darauf haben, dass eine GATS-Liberalisierung zu einem Ausverkauf des öffentlichen Bereichs führt. Realistischerweise ist für die Verteidigung einer solchen Position ein sehr massiver öffentlicher Druck erforderlich. Dies ist allein schon deshalb, weil mit der Vorbereitung und Durchführung von Privatisierungen oft große Zahlungen von Bestechungsgeldern verbunden sind, es also im Lande selbst durchaus einflussreiche Leute gibt, die eine solche Privatisierung vorantreiben wollen.

 

Es kommt ein zweiter Faktor hinzu. Nach den WTO-Vereinbarungen unterliegen Bereiche, in denen neben dem Staat auch private Unternehmen tätig sind, den Bestimmungen, die wettbewerbsverzerrende Eingriffe ins Marktgeschehen verhindern sollen. Subventionen sind solche Eingriffe, und deshalb ist es umstritten, in welchem Umfang Regierungen die Anbieter im staatlichen Besitz noch subventionieren dürfen, ohne auch den privaten (internationalen) Konkurrenten die gleichen Vergünstigungen zu gewähren. Nach den GATS-Bestimmungen können sich Regierungen bei ihren Liberalisierungszusagen solche Möglichkeiten ausdrücklich sichern. Wenn sie dies nicht getan haben, bleibt zumindest umstritten, in welchem Maße sie staatliche Anbieter von Dienstleistungen bevorzugen dürfen. Der Effekt kann leicht sein, dass diese staatlichen Betriebe der internationalen Konkurrenz nicht standhalten und entweder in Konkurs gehen oder privatisiert werden.

 

Diesem Konzept der Liberalisierung und erzwungenen Privatisierung ist das Konzept entgegenzustellen, dass es eine Verantwortung des Staates dafür gibt, dass alle Bürger einen Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, Arbeit etc. erhalten, also alle Bereiche, die zum Überleben notwendig sind. Dieser grundlegende Bedarf muss für alle Menschen gewährleistet werden und nicht nur für den kaufkräftigen Teil der Gesellschaft. Staatliche Gelder müssen gezielt eingesetzt werden, um damit die Versorgung gerade der ärmeren Bevölkerungsgruppen sicherzustellen, auch wenn dies nach WTO-Vorstellungen wettbewerbsverzerrende Subventionen sein sollten.

 

 

Dieser Text ist der 2002 erschienenen Studie „Visionen und kleine Schritte – Auf dem Weg zu einer anderen Globalisierung“ entnommen, die das Evangelische Missionswerk in Deutschland herausgegeben wurde.

 

© Evangelisches Missionswerk in Deutschland, Hamburg

 

Verfasser: Frank Kürschner-Pelkmann

 

 



[1] WTO-Pressemitteilung vom 28.6.2002