Cover des Buches "Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte"
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, ISBN 978-3-384-05017-5, 1016 Seiten, 38 Euro

1663 – Glückel von Hameln und ihr Mann handeln mit Juwelen und verleihen Geld

„Meine Frau, die weiß von allem. Laßt sie tun, was sie vordem zu tun gepflegt.“ Mit diesen Worten auf dem Sterbebett ermöglicht es Chaijm von Hameln seiner Frau Glückel, nach seinem Ableben die internationalen Handels- und Geldgeschäfte allein, das heißt ohne einen Vormund, fortzuführen. Drei Jahrzehnte lang hatte das Ehepaar gemeinsam alle Erfolge und Tiefpunkte eines unsicheren Händlerdaseins geteilt. Allerdings, bisher war Chaijm allein auf die langen und gefahrvollen Reisen zu den Messen nach Leipzig oder Frankfurt gefahren, nun reiste sie selbst und musste sich dazu noch um ihren Haushalt mit vielen minderjährigen Kindern kümmern.

Ein Jugend unter den schwierigen Bedingungen jüdischer Existenz in Hamburg

Geboren wurde Glückel Pinkerle im Jahre 1645 in Hamburg. Ihre Familie war wohlhabend, der Vater war erfolgreicher Diamantenhändler. Die Pinkerles hatten aber auch die Schrecken der Diskriminierung und Verfolgung der Juden miterleben müssen. Die Großeltern waren vor Judenverfolgungen in Detmold nach Altona geflüchtet und gehörten zu den ersten jüdischen Familien des Ortes. Da Juden von vielen Berufen ausgeschlossen waren, konnten die meisten von ihnen nur in Handel und Geldgeschäften ein Auskommen finden. Da dies im kleinen Altona kaum möglich war, zog die Familie nach Hamburg. Glückel erlebte die ganze Unsicherheit jüdischer Existenz in der damaligen Zeit schon im Alter von drei Jahren, denn auf Beschluss der Hamburger Bürgerschaft hin mussten alle deutschen Juden die Stadt verlassen.

Glückels Eltern zogen zurück nach Altona, denn dort herrschte eine größere Toleranz. Die Juden durften einen eigenen Friedhof anlegen und ein Bethaus eröffnen. Geschäfte machen konnten sie allerdings vor allem in Hamburg, und dafür benötigten sie einen Pass, den der Hamburger Rat nur für jeweils vier Wochen gegen eine hohe Gebühr ausstellte. Für Glückels reichen Vater war das kein großes Problem, wohl aber für die vielen armen jüdischen Kleinhändler. In ihren Lebenserinnerungen schrieb Glückel: „Besonders sind nebbich manche Arme und Elende gewesen, die sich oft gewagt haben, ohne Paß in die Stadt zu schleichen. Wenn sie dann von der Polizei ertappt worden sind, hat man sie ins Gefängnis gelegt.“ Aber auch mit Pass war „ihr Leben oft nicht sicher vor Bosheit von bösen Leuten und Lumpengesindel“.

Die Unsicherheit jüdischen Lebens musste Glückel erneut erleben, als schwedische Truppen 1657 Altona besetzten. Die Familie floh zurück nach Hamburg, wo sich der Vater als erster deutscher Jude ein Bleiberecht kaufen konnte. Vorher war dieses Recht schon einigen reichen jüdischen Kaufleuten aus Spanien und Portugal gewährt worden, die vor der Inquisition an die Elbe geflüchtet waren. Obwohl die Anwesenheit auch der deutschen Juden gegen hohe Geldzahlungen geduldet wurde, war es ihnen in Hamburg weiterhin verboten, eine Synagoge zu eröffnen.

Gemeinsam mit ihrem Mann handelt sie mit Juwelen und verleiht Geld

Die lutherische Geistlichkeit achtete streng darauf, dass die Juden keinerlei religiöse Rechte erhielten, so dass „wir wieder in unsere heimlichen kleinen Bethäuser gekrochen“ sind, berichtet Glückel. Von so mancher Kanzel predigten Pastoren für die Vertreibung der Juden, und die Furcht vor Pogromen überschattete ihren Alltag.

Im Alter von zwölf Jahren wurde Glückel mit einem jungen Mann in Hameln verlobt, zwei Jahre später, 1661, fand dort die Hochzeit statt. Obwohl das Paar sich vorher nicht gekannt hatte, wurde aus der arrangierten Heirat eine glückliche Ehe. Nach einem kurzen Versuch, in Hameln einen Handel aufzubauen, zog das junge Paar 1663 in das geschäftige Hamburg. Sie handelten mit Juwelen und verliehen Geld gegen Pfänder.

Gemeinsam waren sie so erfolgreich, dass sie rasch in den Kreis der wohlhabenden jüdischen Familien aufstiegen. Glückel berichtet stolz, dass ihr Mann „von niemandem einen Rat angenommen hat, als was wir uns immer zusammen besprochen haben“. Daneben kümmerte sie sich um den Haushalt und ihre Kinder. „… alle zwei Jahre habe ich ein Kind gehabt und mich viel gequält, wie die Ordnung ist, wenn man so ein Häuschen mit Kindern beisammen – Gott behüte sie – hat.“

Vierzehn Kinder hat sie geboren, von denen zwölf das Erwachsenenalter erreichten. Für sie hat Glückel ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben, aber auch für sich selbst: „Ich habe dieses angefangen zu schreiben mit Gottes Hilfe nach dem Tode eures frommen Vaters, und es hat mir wohl getan, wenn mir die melancholischen Gedanken gekommen sind, aus schweren Sorgen ...“ Wir verdanken Glückel die erste heute noch bekannte Autobiografie einer Frau in Deutschland.

Ein hartes Leben als selbstständige Kauffrau

Die gemeinsame Handelstätigkeit mit ihrem Mann, damals eine große Ausnahme, erlaubte es Glückel, nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1689 selbstständig zu bleiben, wobei sie in einigen Wochen ein Vermögen erwerben und dann rasch wieder an den Rand des wirtschaftlichen Ruins geraten konnte. Sie importierte Ware aus Holland, hatte eigene Gewölbe (Lagerräume) und konnte eine kleine Strumpfmanufaktur aufbauen. „Im Sommer in der Hitze und im Winter bei Regen und Schnee bin ich auf Messen gefahren, ganze Tage bin ich auch in der Winterszeit in meinem Gewölbe gestanden ...“ Sie reiste zu den Messen in entfernten Städten wie Paris, Amsterdam und Wien.

Umso tragischer wurde ihre zweite Ehe mit einem Kaufmann in Metz im Jahre 1700. Sie verlor ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und geriet in große wirtschaftliche Not, als ihr Mann Konkurs anmelden musste und starb. Danach „ist es uns sehr miserabel gegangen, sodass wir wirklich oft kein Brot im Hause gehabt haben“. Erst als eine Tochter Glückel aufnahm, konnte sie einen bescheidenen Ruhestand genießen. Sie starb 1724 in Hameln im Alter von über 80 Jahren.

Die jüdische Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, die die Lebenserinnerungen Glückels 1910 veröffentlichte, schrieb im Vorwort: „Glückel von Hameln zeigt uns die Lebenszähigkeit und Lebensfreudigkeit der Juden ihrer Zeit … in Erfolg und Misserfolg, Glückel zeigt sich auf der Höhe der Bildung jener Epoche, mit dem spezifischen Einschlage jüdischer Gelehrsamkeit. Hinausblickend über die Sorgen des Alltags, die für die Juden der damaligen Zeit fast erdrückend waren, erscheint sie uns als kluge, starke Frau, die trotz des Herzeleides, das sie erlebte, trotz der schweren Schicksalsschläge, die sie erduldete, aufrecht blieb.“

In Altona hat man 2016 eine Straße nach Glückel von Hameln benannt.

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

© Frank Kürschner-Pelkmann