Als „wandelnde Bruttoregistertonne“ hat er Rundfunkgeschichte geschrieben: Karl Herbert, besser bekannt als „Käpp'n Herbert“. In den 1930er Jahren war er der Muntermacher im Hamburger Hafenkonzert. Jeden Sonntag um sechs in der Frühe schallte seine Stimme laut durch den Äther:
Wacht auf, ihr Schläfer groß und klein.
Es wacht schon längst der Kapitein.
Er ruft euch „Guten Morgen!“ zu.
Wacht auf, wacht auf, aus Euer Ruh.
Reise! Reise!
Jeder weckt den Nebenmann,
Der letzte stößt sich selber an!
Manchmal musste Käpp'n Herbert selbst nicht geweckt werden, denn der Umtrunk am Abend vor der Sendung ging dann gleitend in den Morgen und den Weckruf über. Der Käpp'n brauchte auch die Menschen rund um den Michel nicht zu wecken, das erledigten die Kirchenglocken. Damals konnten die Radiosendungen und die einzelnen Beiträge noch nicht aufgezeichnet werden, sodass alles live gesendet werden musste. Das galt auch für das Glockengeläut, mit dem das Hafenkonzert jede Woche begann. Weil Glocken erst nach zehn Minuten gut klingen, begann man schon zehn vor sechs mit dem Läuten.
Dafür hörte man die Michelglocken dann aber nicht nur in Deutschland, sondern via Kurzwelle auch in China und Südafrika. Der maritime Charakter der Sendung kam dadurch zum Ausdruck, dass nach dem Glockenläuten das Horn des Schiffes ertönte, von dem live gesendet wurde.
Eine Sendung, die nach Tang und Teer riecht
Das Hafenkonzert ging am 9. Juni 1929 auf Sendung. Der Intendant des Nordischen Rundfunks hatte seinem Mitarbeiter Kurt Esmarch den Auftrag erteilt, ein neues Programm für den erst fünf Jahre alten Rundfunksender zu entwickeln. Wenn die Überlieferung stimmt, tat er das mit diesen Worten: „Schaffen Sie etwas ganz Neues, eine Sendung, die nach Tang und Teer riecht, eine Sendung, in der die See zu den Hörern spricht, die See und die Männer, die sich ihr verschrieben haben. Nutzen Sie alle Möglichkeiten, die Ihnen die Technik bietet. Stellen Sie die Technik vor neue Probleme. Kurz und gut: Schaffen Sie eine einmalige Sendung für den frühen Sonntagmorgen.“
Kurt Esmarch entwickelte das Konzept einer Sendung, die jeden Sonntag von einem anderen Schiff im Hamburger Hafen oder auf der Elbe übertragen werden und die neben viel Musik auch informative und unterhaltende Beiträge aus der Welt der Seefahrt bieten sollte.
Gleich die erste Sendung löste allerdings bei der Hörerschaft Unmut aus. Zum Auftakt spielten die Altonaer Sinfoniker, die extra mit an Bord des Ozeandampfers „Antonio Delfino“ der Hamburg Süd gekommen waren, die Ouvertüre von „Die lustigen Weiber von Windsor“. Die Streichinstrumente müssen aus den damaligen recht primitiven Radioempfängern kläglich geklungen haben und von Tang und Teer war auch nichts zu spüren. Fortan erklang Blasmusik, vorzugsweise Stücke aus der Welt der Seefahrt. Gelegentlich bereicherten Kurt Esmarch und Käpp’n Herbert das Programm mit eigenen Gesangsnummern.
Das Hamburger Hafenkonzert war trotz der „Lustigen Weiber“ von Anfang an ein großer Erfolg und wurde auch von anderen deutschen Sendern übernommen. Damals gab es immerhin bereits eine knappe halbe Million Rundfunkgeräte in Norddeutschland und viele davon waren sonntags bereits um 6 Uhr morgens eingeschaltet. Besonders beliebt war sehr rasch Karl Herbert, neben Kurt Esmarch der Ko-Moderator der Sendung. Er trug in der Sendung den Titel Käpp’n Herbert, obwohl er nie Kapitän gewesen war.
Warum er von Freunden die „wandelnde Bruttoregistertonne“ genannt wurde? Das lag zunächst einmal an seinem beeindruckenden Gedächtnis für Schiffsdaten, und da war dann auch noch sein beachtlicher Leibesumfang. Der hinderte ihn jedoch nie daran, eine Jakobsleiter zu erklimmen oder sich durch einen Maschinenraum zu zwängen.
Kurt Grobecker, der später die Sendung moderierte, hat betont, dass Käpp’n Herbert nicht nur wegen seiner Wendigkeit in Erinnerung geblieben ist: „Mehr noch aber beeindruckte er seine Umwelt durch eine nie versiegende Fröhlichkeit und sein immenses Gedächtnis für Ereignisse, Daten, Namen und Zusammenhänge der christlichen Seefahrt. Karl Herbert war von explosivem, unbezähmbarem Temperament und steckte voller lustiger Geschichten, die er ohne lange nachzudenken aus dem Ärmel schütteln konnte.“ All das war für die Livesendung von enormen Wert.
Damit die Sendung nicht zu lang wurde und die Mischung aus Wort und Musik stimmte, lief der Käpp'n immer mit einem riesigen Wecker durch die Sendung, der an einer Kordel über seinem Bauch hin- und herpendelte. Wenn das Hafenkonzert von Bord eines Luxusdampfers oder eines Frachters kam, der gerade im Hafen lag, musste das Orchester mit an Bord, ebenso die Technik. Zunächst gab es nur ein einziges Mikrofon, das sich Musiker und Sprecher weiterreichten. Viel musste improvisiert werden und Pannen waren nicht zu vermeiden. Entstand eine Pause, hatte der Käpp'n immer eine Geschichte parat. Und seine Beiträge rochen wirklich nach Tang und Teer. Nach jeder Sendung machte er sich auf den Weg zu einem seiner Lieblingslokale wie zu Alma Büngers Köminsel in Blankenese, wo er all jene Geschichten zum Besten gab, für die im Hafenkonzert keine Zeit gewesen war.
Als Käpp’n Herbert die Ankunft einer Viermastbark ankündigte, die tatsächlich vor Holland dümpelte
Unvergessen ist eine Live-Übertragung im Januar 1938 vom Feuerschiff „Elbe 1“. Es war windstill und weit und breit kein Schiff in Sicht. Aber Käpp'n Herbert machte auch aus dieser Situation etwas, und das hörte sich so an: „Wir haben hier einen phantastischen Ausblick auf die sturmzerfurchte, hochgehende See, welche herrlichen Naturgewalten. Diese Gischt: weißer Schaum und graublaue Wellen … Aber was erspäht mein waches Seemannsauge? Dort am Horizont, wo das Meer an der Erdkugel herunterzurutschen scheint, offenbart sich uns ein an Schönheit nicht zu übertreffendes Bild. Die stolze Padua nähert sich uns unter vollen Segeln.“
Die „Padua“ war tatsächlich mit Salpeter aus Chile auf dem Weg nach Hamburg, aber sie dümpelte noch in einer Flaute vor der holländischen Insel Texel. Käpp'n Herbert stiftete große Verwirrung, als er seine fantasievolle Reportage so beendete: „Liebe Bräute in Hamburg und anderswo - macht euch schon mal bereit, eure Janmaaten in die Arme zu schließen. In ein paar Stunden habt ihr eure Jungs bei euch!“
Die Viermastbark „Padua“ gehörte zu den berühmten Flying-P-Linern der Laeisz-Reederei und bot einen prächtigen Anblick, wie man im Hans-Albers-Film „Große Freiheit Nr. 7“ sehen kann, und sie segelt auch heute noch als russisches Schulschiff „Kruzenshtern“ über die Weltmeere. Damals, als Käpp’n Herbert das schöne Schiff angekündigt hatte, kamen alle an die Landungsbrücken - nur die „Padua“ nicht. Unruhe machte sich breit, man befürchtete ein Unglück auf der Elbe.
Die Laeisz-Reederei sah sich Fragen und Verdächtigungen ausgesetzt. Was hieß da Flaute? Im Radio war von stürmischer See und prallgefüllten Segeln die Rede gewesen! Schließlich blieb der Reederei nichts übrig, als einen Bananendampfer umzuleiten, damit dieser die „Padua“ nach Hamburg schleppte.
Aber Käpp'n Herbert war auch bei Reedern eine solche Institution, dass die Laeisz-Reederei den teuren Zwischenfall mit Fassung trug. Kurt Grobecker hat seine Beschreibung der Ereignisse mit diesem Satz beendet: „Und der ‚Käpp’n‘ versprach, dass er niemals in seinem Leben wieder eine Jungfrau enttäuschen wollte …“
Die Zeiten hatten sich 1933 geändert. Die Naziherrschaft machte auch vor dem Hafenkonzert nicht halt. Käpp'n Herbert und sein Kollege Karl Esmarch weigerten sich beharrlich, in die Partei einzutreten oder die Sendung politisch „gleichzuschalten“. Kurt Esmarch hat später betont und sicher auch für seinen Kollegen Käpp’n Herbert gesprochen, der zu dieser Zeit bereits verstorben war: „Nun wollte man mich 1933 propagandistisch-politisch einfangen. Ich habe allen diesen Versuchen mit dem mir eigenen – sprich schleswig-holsteinischen – Dickkopp widerstanden. Ins Hafenkonzert kam keine Politik.“
Aber Kurt Esmarch und Käpp’n Herbert mussten die Hörer nun als „Volksgenossen“ ansprechen und jedes neue „Kraft durch Freude“-Schiff mit einer Sendung würdigen. Bei der Taufe des Schiffes „Wilhelm Gustloff“ musste im Mai 1937 die Rede von Robert Ley, der die Deutsche Arbeitsfront leitete, gesendet werden. Das blieb die Ausnahme. Im Krieg wurden die Hafenkonzerte jahrelang aus einem zerstörten Hafen gesendet, aber das hat Käpp'n Herbert nicht mehr erlebt.
Trauer um die „wandelnde Bruttoregistertonne“
In seinem Buch „Hamburger Hafenkonzert“ hat Kurt Grobecker den Abschnitt über Käpp’n Herbert so beendet: „Dieses einzigartige Original des Hamburger Hafenkonzerts mit dem nie versiegenden deftigen Humor starb so, wie es sich Karl Herbert vielleicht selbst gewünscht hätte: überraschend und friedlich. Vor allem aber in der Umgebung, die er am meisten geliebt hatte. Im Oktober 1938 ließ er sich nach dem Hafenkonzert in sein gemütliches Stammlokal ‚Op‘n Bull’n‘ fahren. Dort hat sein Herz ganz plötzlich zu schlagen aufgehört. Um kaum ein Rundfunk-Original haben die Hörer jemals so getrauert wie um die ‚wandelnde Bruttoregistertonne‘.“
Bedauernd stellte Kurt Grobecker fest: „Mit Karl Herbert war die erste Epoche des Hamburger Hafenkonzerts zu Ende gegangen. Ohne den Käpp’n und dazu noch im Krieg musste die Sendung im wahrsten Sinne des Wortes ihren Geist aufgeben. Denn nach dem Zusammenbruch gab es keine deutschen Schiffe mehr, von denen man senden konnte, und im Hafen gab es nichts mehr, über das zu reden lohnte.“
Noch vor Kriegsende war vorerst das Ende des Hafenkonzerts gekommen. Zuletzt sendete die Hafenkonzert-Mannschaft nicht von Schiffen, die gab es im Hafen kaum noch, sondern aus einem Bunker. Und angesichts der vielen Bombenangriffe zeichnete man die Sendung vorab auf.
Aber bereits 1947 wurde die beliebte Sendung neu belebt und wird auch heute noch jeden Sonntagmorgen ausgestrahlt. Etliche Jahre hat Kurt Grobecker zum Erfolg der Sendung beigetragen, und mit Heidi Kabel kam auch erstmals eine Frau in der Sendung zu Wort. Das Hafenkonzert gilt heute als älteste Rundfunksendung der Welt, die immer noch ausgestrahlt wird. Bisher ist sie mehr als 3.000 Mal gesendet worden.
Aus:
Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise in die Welt der Hamburger Originale
ISBN 978-3-98885-248-9
336 Seiten, 15,95 Euro