„So ist das Abenteuer ihres Lebens nicht nur ein Spiegel ihrer Zeit, sondern zugleich eine Parabel für den Aufbruch des Theaters zur anerkannten bürgerlichen Institution. Es erzählt auch vom frühen Kampf der Frauen um ihre eigenen Ideale, um Selbstbestimmung und Führungspositionen.“ Das schrieb Petra Oelker in ihrem Buch „Die Neuberin. Die Lebensgeschichte der ersten großen deutschen Schauspielerin“.
Friederike Caroline Weißenborn wurde am 9. März 1697 als Tochter des Gerichtsinspektors Daniel Weißenborn und seiner Frau Anna Rosine in Reichenbach geboren. Ihr Vater war ein jähzorniger Mensch, unter dem die Familie zu leiden hatte. Die Mutter starb früh, und in der Nachbarschaft hieß es, ihr Mann trage dafür die Verantwortung. Friederike blieb mit dem Vater zurück, erwies sich als bildungshungrig und lernte u. a. Latein. Nachdem der Vater sie oft geschlagen hatte, ergriff sie mehrfach die Flucht. Einmal ließ der Vater sie steckbrieflich suchen. Sie wurde gefasst und für mehr als ein Jahr in eine Gefängniszelle gesperrt. Anschließend musste sie zurück zu ihrem prügelnden Vater. Von einem Peitschenschlag behielt sie zeitlebens eine Narbe im Gesicht.
Das junge Mädchen wird von einer Komödiengesellschaft engagiert
1716 machte sie einen neuen Fluchtversuch, dieses Mal mit Erfolg. Ihr Begleiter war Johann Neuber, der eigentlich studieren wollte, aber nach dem Tod des Vaters mittellos dastand. Beide wollten sich den Komödianten anschließen. Sie trafen auf die Spiegelberg’sche Komödiantengesellschaft und gehörten nun zum „fahrenden Volk“, das ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie angesiedelt war. Petra Oelker schreibt über den Beginn des Engagements: „Die beiden Neuankömmlinge werden gerne aufgenommen. Die junge Frau mit den dicken blonden Locken, mit der geraden Nase und dem vollen Mund ist trotz der Narben im Gesicht eine Schönheit. Sie ist schlank und langbeinig, bewegt sich leicht und gern. Sie ist gebildet und voller Elan, etwas Neues zu beginnen. Dazu der ruhige Studiosus, immer bereit, da auszuhelfen, wo es gerade notwendig ist. Solche Leute braucht Spiegelberg.“
Da die Spiegelberg’sche Kommödiantengesellschaft ein gewisses Ansehen genoss, durften Friederike Weißenborn und Johann Neuber 1718 in der Hof- und Domkirche von Braunschweig heiraten. Schon bald darauf wechselte das Paar zur Haack’schen Truppe, die berühmt war und der es auch finanziell gut ging. Hier konnte Friederike Neuber nach Herzenslust spielen, tanzen und singen. Sie bekam immer mehr Hauptrollen, aber dann starb die Prinzipalin, und die Truppe geriet in finanzielle Not. Bei einem Aufenthalt in Hamburg ließ der Prinzipal seine Truppe in Stich und verschwand.
Die Gründung einer eigenen Theatertruppe
Daraufhin gründeten Friederike und Johann Neuber 1726 eine eigene Theatertruppe. In Dresden erhielten sie von August dem Starken ein Privileg als „Hof-Comödianten“. Das berechtigte sie auch, während der Messen in Leipzig auf einer festen Bühne zu spielen, eine lukrative Aufführungsmöglichkeit. Johann Neuber war offiziell Prinzipal der Neuber’schen Komödiengesellschaft, aber die tatsächliche Leitung übernahm seine Frau. Es gelang ihnen, etwa 20 herausragende Schauspielerinnen und Schauspieler zu gewinnen. Man spielte auch anspruchsvolle Stücke, die häufig aus dem Französischen übersetzt worden waren. Den Hanswurst verbannte die Neuberin von der Bühne.
Paul Möhring, der Chronist der Hamburger Theatergeschichte, hat Friederike Neuber in seinem Buch „Im Hamburger Rampenlicht“ so gewürdigt: „Mit Konsequenz und Rücksichtslosigkeit bekämpfte sie den verwilderten Geschmack des Publikums. Was Gottsched und dessen Zeitgenossen an französischen Trauer- und Lustspielen übersetzten und für die deutsche Bühne bearbeiteten, das führte diese mutige Frau auf … sie brachte Lessing mit seinen ‚Jungen Gelehrten‘ zum ersten Male auf die Bühne, sie schulte ihre Schauspieler im Sprechen und in der Rede, sie suchte unermüdlich Talente und förderte sie … Das große Verdienst der Neuberin bleibt, das Fundament zum Aufschwung des deutschen Theaters aufgebaut zu haben.“
Bei der Gratwanderung zwischen künstlerischem Anspruch und kommerziellen Notwendigkeiten mussten weiterhin auch lustige Stücke gespielt werden, die das Publikum liebte. Auch bei den Gastspielen in Hamburg. Es ist überliefert, dass 1732 dieses Stück in Hamburg auf die Bühne kam: „Der Wilde oder Die ungekünstelten Einfälle eines wilden Amerikaners über die Sitten unserer Zeit“. Der indigene Amerikaner kam in dem Stück nach Deutschland und wunderte sich sehr über die Sitten und Gebräuche der Einwohner.
Der schwierige Alltag einer Thetertruppe
Die Neuber‘sche Komödiengesellschaft erlangte Berühmtheit, aber der Alltag war weiterhin mühsam, vor allem die Reisen mit allen Kulissen, den Hausrat etc. durch Regen und Schnee. Und es gab immer wieder unvorhersehbare Schwierigkeiten. So löste der Tod von August dem Starken ein monatelanges Aufführungsverbot in Sachsen aus. Hinzu kamen die Auseinandersetzungen mit anderen Theatergesellschaften um Spielstätten und Aufführungsberechtigungen.
Friederike Neuber versuchte, Hamburg zum norddeutschen Standort ihrer Truppe zu machen. Petra Oelker schreibt: „Hier hofft sie genug Zuschauer zu finden, die das Theater füllen und die Komödianten satt machen. Etwa achtzigtausend Einwohner, fast dreimal so viel wie Leipzig, beherbergte die alte Hansestadt.“ Zwar war die „Comodien Bude“ tatsächlich nur eine Bude, aber hier wurden nun Stücke von Molière gespielt. Daneben standen weiterhin Burlesken auf dem Programm. Fast ein Dreivierteljahr blieb die Truppe 1735 in Hamburg.
1738 kam die Neuberin erneut mit ihrer Truppe in die Stadt und führte hier eine Neuerung ein. Es gab bereits eine musikalische Begleitung für Theaterstücke, aber die Orchester spielten nach eigenem Belieben Musikstücke, die oft nicht zur Handlung passten. Gemeinsam mit einem Komponisten sorgte die Neuberin nun dafür, dass Theaterstück und Musik eine Einheit bildeten. 1739 kam die Komödiengesellschaft noch einmal nach Hamburg, durfte nun sogar im Opernhaus spielen, aber die Massen strömten nicht zu ihren anspruchsvollen Aufführungen, sondern in die Theaterbude eines Komödianten. Im Januar 1740 stand die Prinzipalin vor den Trümmern ihres Jahrzehnte lang mit unendlichen Mühen aufgebauten anspruchsvollen Theaterengagements.
Abschied von Hamburg im Zorn
Das Geld reichte nicht einmal mehr, um die Kosten für den Rücktransport der Kulissen und der übrigen Besitztümer nach Leipzig zu decken, und nun war die Schauspieltruppe auch noch untereinander zerstritten. Die Neuberin verabschiedete sich 1740 bei der letzten Aufführung mit einem Gedicht, in dem sie sich satirisch mit dem fehlenden Verständnis der Hamburger für anspruchsvolles Theater beklagte: „Denn von der Schauspielkunst habt ihr sehr wenig Licht, weils Euch an Zärtlichkeit, Natur und Kunst gebricht …“ Das Gedicht löste Empörung aus, auch beim Rat der Stadt. Die Neuberin kehrte nie wieder nach Hamburg zurück.
Und dann nahte doch noch überraschend eine Rettung. Der russische Zarenhof lud die Neuber’sche Komödiengesellschaft nach St. Petersburg ein. Es wurde eine anstrengende Reise zu Lande und zu Schiff, aber die Zarin Anna war begeistert von den Aufführungen. Da sie gern lachte, kamen auch Komödien zur Aufführung. Aber damit war abrupt Schluss, als die Zarin plötzlich starb. Ihre Nachfolgerin hatte keine Verwendung für die Theatertruppe und schickte sie zurück nach Deutschland. Immerhin hatte sich die Reise nach Russland finanziell gelohnt.
Der harte Überlebenskampf einer Schauspielerfamilie
Zurückgekehrt nach Leipzig musste die Neuberin erneut um Aufführungszeiten und Aufführungsorte kämpfen. Dazu noch einmal Petra Oelker: „Friederike Neuber hat ihr Leben lang gekämpft, aber nie so hart wie jetzt. Jetzt geht es ums Überleben. Schulden, Unruhe unter den Komödianten und immer weniger Publikum gehören nun zum Alltag. Dennoch, sie ist eine Institution in Leipzig, und auch wenn sie altert, hat sie in diesen Jahren gerade unter den jungen Leuten die meisten Bewunderer.“ Zu den Bewunderern zählte Gotthold Ephraim Lessing, der so oft wie möglich ihre Aufführungen besuchte.
Schließlich wurde es einsam um die Prinzipalin, viele ihrer Schauspieler verließen Leipzig, und auch Lessing war bald nicht mehr da. Es war ein letzter Triumpf, als Maria Theresia die verarmte Schauspielerin nach Wien einlud, aber auch diese Freude war nicht von Dauer. Friederike und Johann Neuber waren schließlich bettelarm und konnten sich glücklich schätzen, dass sie bei hilfsbereiten Menschen Aufnahme fanden. Am 29. November 1760 starb die Frau, die so viel für das Theater geleistet und die einen so traurigen Lebensabend verbracht hatte.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte