In Deutschland gibt es heute eine große Vielfalt christlicher Kirchen, darunter viele Einwandererkirchen wie hier die Koptische Kirche in Waldsolms.  Foto: iStock.com/travelview
In Deutschland gibt es heute eine große Vielfalt christlicher Kirchen, darunter viele Einwandererkirchen wie hier die Koptische Kirche in Waldsolms. Foto: iStock.com/travelview

Zukunft der Ökumene – 20 Thesen

 

1. Ökumene muss am eigenen Ort, nicht in der weiten Welt beginnen. Wenn man einen weiten Bogen um die Baptisten oder gar die Adventisten in der Nachbarschaft des eigenen Kirchturms macht, ist auch die Partnerschaft mit einer Gemeinde im fernen Papua-Neuguinea kein Ersatz.

 

2. Durch die Migration von Menschen aus vielen Teilen der Welt nach Deutschland sind selbst in kleineren Städten Einwanderer-Kirchen entstanden. Die ökumenische Gemeinschaft mit ihnen darf sich nicht darauf beschränken, ihnen Gemeinderäume zur Verfügung zu stellen und sie gewissermaßen zu Untermietern im Hause Gottes zu machen.

 

3. In der ökumenischen Gemeinschaft kann vorgelebt werden, wie Menschen unterschiedlicher Völker und Kulturen miteinander und nicht nur nebeneinander leben, wie Vielfalt zur Bereicherung werden kann. Dafür reicht es aber nicht, am eigenen Ort nebeneinander zu leben und hin und wieder die Partner in Tansania zu besuchen.

 

4. Ökumene am eigenen Ort bleibt provinziell, wenn sie nicht eingebunden ist in die weltweite ökumenische Bewegung. Ein positives Beispiel für diese Verknüpfung von lokaler Zusammenarbeit in einem weltweiten Verbund sind die Weltgebetstage. Es gilt, den Ökumenischen Rat der Kirchen und die konfessionellen Weltbünde zu stärken und im eigenen Lande präsenter werden zu lassen.

 

5. Die Zusammenarbeit von Einrichtungen der Ökumene, Mission und Entwicklungsdienst in unserem Land sollte neu geklärt und intensiviert werden, und zwar sowohl theologisch als auch in der praktischen Zusammenarbeit. Sonst entsteht aus einer strukturellen und finanziellen Arbeitsteilung bei uns Schaden bei den Partnern in Übersee.

 

6. Das Stichwort vom ökumenischen Teilen muss endlich mit Leben gefüllt werden. Wir können nicht unsere Maßstäbe und Verwaltungsabläufe zum alleinigen Maßstab dafür machen, wie finanzielle Ressourcen der Kirchen bei uns zu den Partnern im Süden weitergegeben werden.

 

7. Das Lernen von der weltweiten Ökumene und von den anderen Kirchen am eigenen Ort darf sich nicht darauf beschränken, hin und wieder ein Gebet aus Asien oder ein Lied aus Afrika in den Gottesdienst aufzunehmen. Es bedarf der Einsicht, dass das eigene Gemeindeleben, der eigene Kirchenkreis und die eigene Landeskirche wirklich auf die Erfahrungen und Einsichten der anderen Gemeinden und Kirchen angewiesen sind. Dazu gehört, dass es nicht nur Ökumene- und Partnerschaftsausschüsse gibt, sondern dass auch in anderen Arbeitsfeldern der Kirche ganz selbstverständlich in einem ökumenischen Horizont gearbeitet und gelernt wird.

 

8. Zu ökumenischer Gemeinschaft gehört es, sich zu streiten, und wenn dies erforderlich ist, auch leidenschaftlich zu streiten. Noch viel zu häufig ist das ökumenische Gespräch davon geprägt, kontroverse Fragen zu umgehen oder so höflich und zurückhaltend anzudeuten, dass eine wirkliche Diskussion nicht zustande kommt.

 

9. Ökumene braucht Wissen und Sprachfähigkeit über den eigenen Glauben. Ökumene vor Ort leidet zum Beispiel darunter, dass viele Gemeindemitglieder nicht wissen, was das spezifisch Lutherische oder Reformierte an ihrem Glauben ist. Dabei geht es nicht um eine Apologetik der eigenen Glaubenstradition, sondern um eine kritische Reflexion dessen, was die eigene Kirche zu dem gemacht hat, was sie heute ist.

 

10. Ökumene lebt vom Reichtum der Traditionen und Theologien, aber es besteht die Gefahr, die fremden Anderen aus dem Blickwinkel der Exotik zu betrachten. Ein osteuropäischer orthodoxer Gottesdienst in einer fremden Sprache wird dann allemal mehr geschätzt als der Gottesdienst der heimischen Pfingstler, deren Stil nur ein Kopfschütteln auslöst.

 

11. Partnerschaften von Gemeinden und Kirchenkreisen in Deutschland und in Übersee können ein Baustein praktizierter Ökumene sein, vor allem dann, wenn diese Partnerschaft einbezogen ist in eine breitere kirchliche Zusammenarbeit und wenn sie zum Austausch über globale soziale und kirchliche Probleme führt.

 

12. Im Zeitalter der Globalisierung muss Ökumene damit verbunden werden zu erkennen, wo wir im eigenen Haushalt, am eigenen Ort und im eigenen Land mit anderen Teilen der ganzen bewohnten Erde ein Teil globaler Produktions- und Lieferketten sind. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie eng heute global und lokal miteinander verwoben sind.

 

13. Der Anspruch, dass Ökumene ein Beispiel einer anderen Globalisierung sein soll, muss in unseren Kirchen noch eingelöst werden. Dazu gehört es, sich nicht nur kritisch mit der vorherrschenden Globalisierung auseinander zu setzen, sondern auch, Alternativen zu entwickeln und vorzuleben. Der Ökumenische Rat der Kirchen, die konfessionellen Weltbünde sowie andere ökumenische Zusammenschlüsse und Einrichtungen haben hier Wegweisendes geleistet, das in unseren Kirchen stärker rezipiert werden muss. 

 

14. Wenn Ökumene und die ökumenische Bewegung den Menschen etwas bedeuten soll, muss sie Antworten auf Fragen und Sorgen bieten, die die Menschen haben, und nicht nur auf solche, die sie haben sollten. Dies bedeutet zum Beispiel, dass die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, um die Umwelt, um die wachsende Gewalt am eigenen Ort und in der Welt ernst genommen und noch stärker zu einem Thema der Ökumene gemacht werden muss.

 

15. Über Ökumene kann heute nicht mehr nachgedacht werden, ohne auch die Beziehungen zu den anderen Weltreligionen im Blick zu haben. Dafür bedarf es mehr als akademischer Dialogtagungen. 

 

16. Ökumenisches Engagement ist kein Luxusartikel in finanziell guten Zeiten, sondern eine Existenzgrundlage jeder Kirche. Teil der einen Kirche Christi in der Welt zu sein, kann nicht zur Disposition gestellt werden, wenn die Mittel knapper werden.

 

17. Ökumene hat nur als Bewegung eine Zukunft, nicht als Ritual oder nur auf der Ebene der Treffen von kirchenleitenden Personen, so wichtig diese auch sein mögen. Es stellt sich die Aufgabe, eine neue ökumenische Begeisterung zu entfachen, aber davor steht die Frage, worüber die Menschen in der Ökumene denn begeistert sein sollen.

 

18. Ökumene lebt vom Geist, nicht nur von theologischen Einsichten. Deshalb sind gemeinsame Feiern, gemeinsamer Tanz oder gemeinsame Bibliodrama-Veranstaltungen wichtige Formen gelebter Ökumene. Dabei wird dann auch erfahrbar, dass Ökumene Spaß bringen kann.

 

19. Ein Zeichen gelebter Ökumene ist das gemeinsame Abendmahl. Wenn wir uns nicht zusammen an den Tisch des Herrn setzen können, ist ökumenische Gemeinschaft nicht nur unvollkommen, sondern es stellt sich die Frage, ob wir das Glaubensbekenntnis dann noch mit Überzeugung sprechen können. Der Glaube an die eine Kirche Christi erfordert keine organisatorische Einheit, aber die Bereitschaft, Brot und Wein als Zeichen der Gemeinschaft in Christus zu teilen.

 

20. Eine ökumenisch bewegte Kirche ist eine Kirche auf dem Weg. Das Ziel ist nach meiner Überzeugung nicht die Einheitskirche, sondern ein verantwortungsbewusstes und verbindliches Miteinander der Kirchen.

 

© Frank Kürschner-Pelkmann