Wasser für Porto Alegre
Es gibt gute Gründe für eine Bürgerbeteiligung an der Daseinsfürsorge mit Trinkwasser, aber wie kann sie konkret aussehen? Wenn man nach Beispielen sucht, findet man sie vor allem in Lateinamerika und selten in Deutschland. Ein herausragendes Beispiel war bisher die südbrasilianische Stadt Porto Alegre. Die Industriestadt hat nach den Kriterien des UN-Entwicklungsprogramms UNDP die höchste Lebensqualität in Brasilien. Dazu trägt die gute Wasserversorgung und Abwasserentsorgung durch das „Departemento Municipal de Agua e Esgoto“ (DMAE) ganz wesentlich bei. DMAE ist ein selbstständig operierender Betrieb, der im Eigentum der Stadt Porto Alegre ist. DMAE erhält keine staatlichen Zuschüsse und kann umgekehrt alle Gewinne für Investitionen nutzen. 1990 betrug der Anteil der Haushalte mit eigenem Wasseranschluss in Porto Alegre 95 Prozent, im Jahre 2001 waren es 99,5 Prozent. Inzwischen wurden 100 Prozent erreicht. Eine weitere Errungenschaft ist ein „Sozialtarif“, von dem arme Familien, aber auch soziale Einrichtungen und Schulen profitieren. Mit Kunden, die die Gebühren dennoch nicht zahlen (können), werden Gespräche geführt. Nur wenn nichts hilft, wird die Versorgung unterbrochen.
Auch bei der Abwasserentsorgung wurde deutlich verbessert. 1990 waren erst 70 Prozent der HaushalteHaushalteH an das städtische Abwassersystem angeschlossen, 2004 immerhin 84 Prozent, inzwischen sind es etwa 87 Prozent. Der Erfolg reicht nicht aus, aber dies ist immerhin einer der höchsten Werte unter den brasilianischen Städten. Das hat positive Auswirkungen auf die Gesundheitssituation der Bevölkerung. Ein Schwachpunkt war bisher, dass ein Großteil des Abwassers ungeklärt in den Guaiba-See floss, aus dem an anderer Stelle auch Trinkwasser für Porto Alegre gewonnen wird. Mit einem Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank werden inzwischen neue Kläranlagen gebaut.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger mitreden können
Worin ist der Erfolg des Versorgungsunternehmens DMAE begründet? Beobachter sind sich darin einig, dass die hohe Transparenz, die großen Partizipationsmöglichkeiten und die damit verbundene Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Wasserbetrieb die Grundlage für die raschen Versorgungsfortschritte bilden. Eine wichtige Rolle hat dabei der „Beratungs-Rat“ gespielt, in dem mehr als ein Dutzend Organisationen der Zivilgesellschaft in Porto Alegre vertreten sind, darunter die Industriekammer, die Vereinigung der Haushalte, das Rechtsanwalts-Institut und eine Gewerkschaft.
Dieser Rat trat bisher einmal wöchentlich zusammen und beriet zum Beispiel über Investitionsvorhaben, das Jahresbudget und den Wasserpreis. Alle Entscheidungen des Managements in diesen Fragen bedurften der Zustimmung des Rates. Die Protokolle und Entscheidungen des Gremiums waren öffentlich zugänglich. Außerdem gibt es bei DMAE eine Vertretung der Beschäftigten, die Missstände zur Sprache bringt und Vorschläge für Verbesserungen machen kann. Den mehr als 2.000 Beschäftigten werden zahlreiche Fortbildungsmöglichkeiten geboten, angefangen bei Kursen für die Beschäftigten, die nicht Lesen und Schreiben können.
Die Reformen des Wasserbetriebes waren in den letzten Jahrzehnten eingebettet in eine Kommunalpolitik, die eine stärkere Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen in der Stadt sowie eine deutliche Verbesserung der Leistungen der Stadt für die Einwohner zum Ziel hatten. So wurde zum Beispiel auch das Nahverkehrssystem von Porto Alegre ein Vorbild für andere Städte in ganz Lateinamerika.
Die Bürger erhielten die Möglichkeit, über die städtischen Mitbestimmungsgremien auf Investitionsentscheidungen für ihren Stadtteil, auf den städtischen Haushalt, aber auch auf die Politik der Wasserwerke Einfluss nehmen, zum Beispiel auf die Frage, welche Vorhaben zu Verbesserung der Versorgung Priorität haben sollten. Eine Folge war, dass Investitionsentscheidungen nicht länger vorzugsweise zugunsten der Stadtteile fielen, in denen die Wohlhabenden und Reichen leben.
Die sozialistische Arbeiterpartei konnte 1988 die Kommunalwahl gewinnen und stellte den Bürgermeister. Auch bei den folgenden Kommunalwahlen war sie erfolgreich. Parallel dazu wuchs das Interesse der Bevölkerung an der Bürgerbeteiligung. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger von Porto Alegre, die aktiv an den Entscheidungen mitwirkten, stieg von weniger als 1.000 im Jahre 1990 auf etwa 40.000 am Ende des Jahrhunderts.
Die Leistungen des Wasserbetriebes in Porto Alegre waren in diesem Kontext überzeugend. In einer Studie der britischen Entwicklungsorganisationen „Tearfund“ und „WaterAid“ über die öffentliche Wasserversorgung in Porto Alegre aus dem Jahre 2003 werden vier Prinzipien genannt, an denen sich die Stadt bei ihrer Wasserversorgung orientiert:
– „Die öffentliche Verwaltung kann tatsächlich so kompetent und effizient arbeiten wie private Unternehmen, wenn nicht sogar besser.
– Die essenziellen Dienste für die Bevölkerung sind für die Nation von strategischer Bedeutung und müssen deshalb nach dem Willen der Menschen erbracht werden, der durch ihre Vertreterinnen und Vertreter zum Ausdruck gebracht wird.
– Die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen dürfen nicht als Quelle des Profits angesehen werden.
– Eine gute öffentliche Unternehmensführung kann tatsächlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Öffentlichkeit bessere und preiswertere Dienstleistungen erhält.“
Kein „Happy End“
Weit mehr als 2.700 Kommunen in Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt ließen sich von Porto Alegre zu eigenen Formen des „Bürgerhaushalts“ inspirieren. Allerdings, so sehr Porto Alegre als leuchtendes Beispiel für einen partizipatorischen Haushalt gelobt wurde, und so viele Kommunen es zum Vorbild nahmen, so schwierig verlief der Partizipationsprozess in diesem Jahrhundert in der Stadt selbst, wozu Finanzprobleme der Kommune ebenso beitrugen wie ein sinkendes Engagement der örtlichen Arbeiterpartei für diese Bürgerbeteiligung. Hinzu kam landesweit die Enttäuschung darüber, dass die Regierungen unter Führung der Arbeiterpartei viele Erwartungen nicht erfüllen konnten. Das war der Hauptgrund für Niederlagen der Arbeiterpartei bei den Kommunalwahlen Anfang November 2004 in vielen Städten, so auch in Porto Alegre.
Die nachfolgenden Bürgermeister behielten zwar zunächst die Partizipation der Bürger bei Investitionsentscheidungen grundsätzlich bei. Aber der Anteil der Investitionen, über den die Bürger mitentscheiden konnten, an den Gesamtinvestitionen ging deutlich zurück und es gab zunehmende Verzögerungen bei der Umsetzung solcher Investitionen. Viele in den 1990er Jahren beschlossene Projekte sind noch immer nicht verwirklicht, was natürlich zur Frustration der Menschen führt, die sich für solche Vorhaben eingesetzt hatten. Auch wirkte sich negativ aus, dass die gewaltigen Investitionen für die Fußballweltmeisterschaft in Austragungsorten wie Porto Alegre ohne eine Bürgerbeteiligung geplant und durchgeführt wurden.
Das „World Resources Institute“ hat 2018 in einem Bericht (Link – PDF) den Prozess der allmählichen Erosion der Partizipation der Bürger analysiert. In dem Bericht wird u. a. diagnostiziert, dass die aktive Förderung der Bürgerbeteiligung durch die Arbeiterpartei und ihre Amtsträger im Laufe ihrer Regierungszeit in Porto Alegre sank. Zwar waren die Mitentscheidungsmöglichkeiten bei lokalen Vorhaben weiterhin beträchtlich, aber es gelang den Bürgerinnen und Bürgern nicht, in längerfristige Investitionsplanungen einbezogen zu werden. Im Bericht heißt es: „Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass ein entschiedener politischer Einsatz für den Erfolg des partizipatorischen Budgets eine Schlüsselrolle besaß. Das Programm stand vor großen Herausforderungen, als das Engagement stark zurückging und als dann die Arbeiterpartei an politischer Unterstützung verlor.“
Im März 2017 setzte die sozialdemokratische politische Führung von Porto Alegre die Bürgerbeteiligung für zwei Jahre aus, und es besteht die Befürchtung, dass dies das Ende einer wirkungsvollen Mitwirkung der Bürger ist.