Globalisierungs-Alternativen: die Europäischen Union reformieren

 

Die Europäische Union ist im Prozess, in allen Bereichen einen gemeinsamen europäischen Markt zu schaffen, auf dem Unternehmen aus anderen EU-Staaten ebenso frei agieren können wie die jeweiligen inländischen Unternehmen.  

Auch der Dienstleistungsbereich ist in den letzten Jahren sehr stark liberalisiert worden, zum Beispiel der Telekommunikationsbereich. Das hat zur Folge, dass die EU nur noch als Gemeinschaft anderen Staaten eine Liberalisierung im grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereich anbieten kann, weil eine Maßnahme automatisch alle Mitgliedsstaaten betrifft. 

 

Lediglich in Bereichen, für die die EU bisher keine Zuständigkeit hat, bedarf es einer Zustimmung der einzelnen Länder. Verpflichtungen, die die EU eingeht, gelten für alle Mitgliedsstaaten, ohne dass die nationalen Parlamente hier noch einen Einfluss haben. Da auch das Europäische Parlament in Fragen der Liberalisierung von internationalem Handel und Dienstleistungen keine Entscheidungskompetenz hat, bedeutet diese Regelung, dass die zuständigen Ministerien in den Mitgliedsstaaten und die EU-Bürokratie in einem Ausschuss faktisch allein bestimmen, wo liberalisiert wird und wo nicht – und wo Druck auf andere Staaten ausgeübt wird, ihre Dienstleistungsmärkte für die internationale Konkurrenz zu öffnen. Die Enquete-Kommission des Bundestages zu Globalisierungsfragen stellte hierzu fest: „Das Demokratiedefizit der Gemeinschaft ist in diesem Bereich besonders augenfällig, weil nicht nur das Europäische Parlament angesichts seiner begrenzten Kompetenzen, sondern auch die nationalen Parlamente von einer echten Kontrolle ausgeschlossen sind.“[1]

 

Dafür lässt die EU sich von großen europäischen Konzernen beraten, deren Interessen dann auch eine große Rolle bei der Formulierung der EU-Politik haben. Die Unternehmen sind im „European Services Forum“ gut organisiert und besitzen Einfluss bei der Formulierung der EU-Politik. Im Interesse dieser Unternehmen setzt die EU sich zum Beispiel dafür ein, dass Manager und Spezialisten ungehindert überall einreisen können. Andererseits blockiert sie die zeitweise Tätigkeit weniger qualifizierter Arbeitskräfte aus nicht EU-Ländern im Dienstleistungsbereich im Auftrag ausländischer Dienstleistungsanbieter, weil die Migration in den EU-Raum begrenzt und gesteuert werden soll.

 

Das hat den Effekt, dass die Länder im Süden, die im grenzüberschreitenden Dienstleistungswettbewerb niedrige Löhne als einen entscheidenden Vorteil ausspielen könnten, dies faktisch nicht tun können, weil die reichen Länder für die meisten Arbeitsmigranten die Grenzen dichtmachen. Ein Dienstleistungsunternehmen aus Mali hat also keine Chance, mit einer größeren Zahl von Beschäftigten nach Saarbrücken oder Helsinki zu kommen, um dort preiswert Aufträge auszuführen. Die Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs hat also genau dort Grenzen, wo die westlichen Staaten ihre Interessen beeinträchtigt sehen.[2]

 

Länder wie Indien fordern, dass, wenn schon liberalisiert wird, dies auch Arbeitskräfte mit mittleren und niedrigen Qualifikationen betreffen müsse. 65 Eine ungehinderte Einreisemöglichkeit von Arbeitskräften aus aller Welt könnte, so wenden Kritiker einer solchen Liberalisierung ein, zu einem Lohndumping führen. Der DGB fordert deshalb unter anderem, dass ausländische Dienstleister, die inländischen Arbeits- und Lohnbedingungen einhalten müssten. Diese Forderung ist verständlich, um Lohndumping und eine Arbeitslosigkeit der einheimischen Beschäftigten zu verhindern, hat aber den Effekt, dass bei einer Einhaltung dieser und anderer Einschränkungen die ausländischen Anbieter ihren Hauptvorteil, nämlich niedrige Löhne, verlieren würden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass in dieser Frage eine verbindliche Regelung für alle Staaten getroffen wird, denn sie müsste einstimmig beschlossen werden.[3]

 

Die fehlend Transparenz bei internationalen Liberalisierungsverhandlungen

 

Die fehlende Transparenz, weltweit ein Problem der GATS-Verhandlungen, ist in Europa noch durch die geheimen Verhandlungsprozesse in der EU verschärft. Dies wurde schlaglichtartig deutlich, als das globalisierungskritische Netzwerk attac im April 2002 vertrauliche Dokumente zur EU-Position in den gegenwärtigen Verhandlungen über eine weitere Handelsliberalisierung veröffentlichte. Attac-Pressesprecher Felix Kolb sagte zum Ziel der Veröffentlichung: „Wir haben uns das Ziel gesteckt, das GATS ebenso zu Fall zu bringen wie 1997 das multilaterale Abkommen über Investitionen. Die Veröffentlichung der geheimen Forderungslisten ist ein erster Schritt dabei.“[4]

 

Die Dokumente machten deutlich, dass es bereits lange Listen von Forderungen für Liberalisierungsmaßnahmen von anderen Staaten an die EU gibt. Diese Forderungen an andere Länder, die zu einem großen Teil die Interessen europäischer Konzerne widerspiegeln, haben einen Effekt auf die Liberalisierungen in Europa selbst. Dazu stellt die Enquete-Kommission des Bundestages zur Globalisierung 2002 fest: „Wenn die (EU-)Kommission mit Verweis auf eigene Liberalisierungsfortschritte hohe Forderungen an Drittstaaten stellt, werden diese weitreichende Begehrlichkeiten gegenüber der EU formulieren.“[5]

 

  

© Frank Kürschner-Pelkmann 

 



[1] Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Berlin 2002, S. 158

[2] Vgl. Peter Wahl: Mehr Risiken als Chancen für den Süden, die Dienstleistungsverhandlungen in der WTO, in: epd-Entwicklungspolitik, 22/2001, S. 22

[3] Vgl. Thomas Fritz: Die Bewertung der GATS-Verhandlungen im Rahmen der Wissensgesellschaft, a. a. O., S. 20

[4] Attac-Presseinformation vom 14.4.2002

[5] Schlussbericht der Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, a. a. O., S. 153