Die Jesus-Leute im Zeitalter des globalen Römischen Reiches

 

Die Epoche, die der Integration in das Römische Reich folgte, gilt unter Historikern als eine relativ friedliche Phase der Geschichte dieses Imperiums und wird als Zeit der „Pax Romana“ bezeichnet. Aber dieser Ausdruck entsprach nur der Wahrnehmung der Mächtigen im damaligen Rom und jener späteren Historiker, die Geschichte als Geschichte der Mächtigen verstanden und darstellten. Aus der Sicht der „kleinen Leute“ in Judäa, und das war der allergrößte Teil der Bevölkerung, stellte sich die Lage gänzlich anders dar. Auch sie werden es begrüßt haben, dass nach vielen Jahren der Kriege und Bürgerkriege die akute Kriegsgefahr gebannt zu sein schien. Aber sie konnten – anders als spätere Historiker – nicht wissen, dass ein Jahrhundert des relativen (!) Friedens angebrochen war. Zu oft hatten sie schon erlebt, dass sich die militärischen Gewichte zwischen den Großmächten über Nacht veränderten und ein neuer Krieg begann, von dem dann auch sie betroffen waren.

 

Außerdem war der Preis der „Pax Romana“ die bedingungslose Unterwerfung unter das Diktat der Mächtigen in Rom und der von ihnen eingesetzten lokalen Autoritäten. Wer sich dem nicht fügte, so erlebte es mehrfach die jüdische Bevölkerung, wurde gnadenlos niedergemetzelt. Auch die Jesus-Leute standen vor der Frage, wie sie sich gegenüber dieser globalen Macht verhalten sollten. In der zugespitzten Zeit des Wirkens Jesu war ein Ausweichen vor einer Positionsbestimmung und Parteinahme nicht zu vermeiden. Das macht es so spannend und für die heutige Zeit so lehrreich zu verstehen, wie Jesus und seine Leute sich in den Konflikten ihrer Zeit verhielten.

 

Wie bei der heutigen Globalisierung gab es auch im Römischen Reich eine ideologische Ebene der Auseinandersetzung. Die offizielle religiös verbrämte Ideologie hat Livius, ein Parteigänger des Augustus, so formuliert: „Die Himmlischen wollen, dass mein Rom Haupt der Welt sei; daher mögen die Römer die Kriegskunst pflegen, und sie sollen wissen ... dass keine menschliche Macht ihnen widerstehen kann.“[1]

 

Rom als Zentrum einer globalen Wirtschaftsmacht

 

Rom war nicht nur das Zentrum eines politischen und militärischen Weltreiches, sondern auch einer – nach dem damaligen Weltbild – globalen Wirtschaftsmacht. Ein wichtiger Faktor war dabei die Weiterentwicklung der Geldwirtschaft. Stephen Zarlenga schreibt in seiner umfangreichen Geschichte des Geldes sogar: „Die Entwicklung Roms von einem winzigen Dorf im 8. Jahrhundert v. Chr. zum Begründer und Beherrscher der Weltordnung ist teilweise auf sein Bronzegeld zurückzuführen ... Die Entscheidung ... statt Gold und Silber Bronze zu verwenden, hatte weitreichende Konsequenzen. Sie führte zu einer Wertminderung von Gold und Silber und somit auch zu einer Machtminderung der östlichen Tempel und Kaufleute ...“[2] Es ist spannend, nachzulesen, wie es den römischen Herrschern gelungen ist, ihr Bronzegeld international als Zahlungsmittel durchzusetzen und den Währungen der griechischen und anderen Konkurrenten zu schaden. Später wollten römische Patrizier die in eroberten Gebieten geraubten Silberbestände gewinnbringend einsetzen und erreichten die Anerkennung von Silbermünzen als Zahlungsmittel, wobei sie riesige Gewinne machten, weil ihr Silber durch die Prägung zu Münzen den fünffachen Wert bekam.[3]

 

Heutige Währungsgeschäfte und -manipulationen zu Lasten Schwächerer erscheinen deshalb so neu nicht mehr, und es wird überdeutlich, dass Jesus in einer Zeit lebte, in der spekulative Geschäfte mit dem Geld bereits weit verbreitetet waren und Auswirkungen bis in abgelegene Provinzen des Römischen Reiches hatten.

 

Die Einbindung Galiläas in internationale Wirtschaftsbeziehungen

 

Palästina hatte im internationalen Wirtschaftssystem der Römer durchaus einen wichtigen Platz. Gut ausgebaute Straßen führten nach Petra (und von dort nach Arabien), nach Damaskus und Ägypten. Die Mittelmeerhäfen stellten die Verbindungen zum übrigen Wirtschaftsraum her, und Jerusalem war eine so wichtige Handelsmetropole, dass schließlich der Hohepriester in seine Bitten am Versöhnungstag einflocht, der florierende Handel möge im kommenden Jahr gesegnet sein.[4]

 

Galiläa bildete kein Zentrum der internationalen Wirtschaft, besaß aber vor allem mit Olivenöl einen wichtigen Exportartikel. Auch gab es größere Weingüter (vgl. das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg). Fische vom See Genezareth wurden eingesalzen und exportiert. Es gab bereits eine fabrikmäßige Konservierung.[5] Die Fischer, die Jesus zu seinen Jüngern machte, waren also – wenn auch ganz arme – Akteure des "globalen" Warenaustausches unter römischer Regie.[6]

 

Zu bemerken war außerdem eine starke Akkumulation von Reichtum, der vor allem im Entstehen großer Güter sichtbar war, die vor allem mit Sklaven, aber auch mit Tagelöhnern betrieben wurden.[7] Es gab seit der Blütezeit der griechischen Stadtstaaten auch bereits ökonomische Theorien, die sich mit dem Funktionieren des Marktes beschäftigten, wobei Aristoteles noch heute zitiert wird, wenn es um die Erklärung von Handel und Preisen in der antiken Ökonomie geht.[8]

 

Die Grenzen ökonomischer Macht

 

Neben Ähnlichkeiten sind auch Unterschiede zwischen dem damaligen „globalen“ Weltreich der Römer, das immerhin von England bis Ägypten reichte, und der heutigen Globalisierung festzustellen. Zunächst einmal bestehen große Unterschiede im ökonomischen Leben. Zwar gab es im Römischen Reich bereits Märkte und die meisten Güter des Lebens waren zu Waren geworden, die auch über große Entfernungen gehandelt wurden, aber es fehlten große multinationale Konzerne. Die Möglichkeiten der individuellen Kapitalakkumulation waren begrenzt. Die Politik und militärisches Kalkül hatten die Oberhand gegenüber Wirtschaftsunternehmen, und der Staat hatte eine übermächtige Rolle im Wirtschaftsleben.[9]

 

Die Wirtschaft wurde zumeist von politisch Mächtigen kontrolliert, ohne dass sie sich selbst intensiv um das Geschäft kümmerten. Dafür hatten sie Verwalter. Große Gewinne waren selbstverständlich willkommen, aber wenn ein Unternehmen sichtbar erfolgreich war, dann wurde von den Kaisern die Erwartung geäußert, der Besitzer möge einen großen Geldbetrag für den Bau einer Arena oder einer Wasserleitung zur Verfügung stellen. Deshalb konnten die Besitzer der Handelshäuser oder großen Landgüter vor allem erwarten, von den Erträgen ihrer Unternehmen luxuriös zu leben.

 

Diese Form des Umgangs mit den Gewinnen spiegelt sich auch in einem Gleichnis Jesu wider, dem Gleichnis vom reichen Kornbauern. Nach dem Bau großer Scheunen und der Anhäufung großen Reichtums will er nicht – wie es heutige Theoretiker der Marktwirtschaft wohl empfehlen würden – sein Kapital gewinnbringend in neue Unternehmungen investieren, sondern er will das Leben genießen. Von daher gab es zu Jesu Zeiten – und dies besonders in den armen Gebieten von Galiläa und Judäa – kaum das Problem der Akkumulation von Kapital um der Akkumulation willen. Die Reichen in dieser Gesellschaft waren die Besitzer von Landgütern sowie all jene, die es geschafft hatten, in der Verwaltung der Römer eine lukrative Stellung zu bekommen, bevorzugt als Zoll- und Steuereintreiber.

 

Unterschiede zwischen damaligen und heutigen Herrschaftsstrukturen

 

Auch politisch gab es große Unterschiede zwischen den damaligen globalen Herrschaftsstrukturen und der heutigen Zeit. So bestand damals einen eindeutigen Primat der Politik gegenüber den wirtschaftlichen Machtgruppen. Die politisch Mächtigen bedienten sich des wirtschaftlichen Reichtums, um ihre Macht zu festigen, und sie sorgten dafür, dass sie selbst einen beträchtlichen Teil des Vermögens abbekamen. Aber der Chef eines großen Gutes hätte sich lächerlich gemacht, wenn er versucht hätte, seine wirtschaftliche Macht einzusetzen, um die Politik in Rom entscheidend mitzubestimmen. Im Zweifelsfall wäre man nur auf seinen Reichtum aufmerksam geworden und hätte ihn genötigt, ein neues Amphitheater zu stiften. Wirtschaftlicher Reichtum war nützlich im politischen Machtkampf, aber was wirklich zählte, war eine große Unterstützung der politisch mächtigen Kreise in Rom.

 

Mitentscheidungsmöglichkeiten am politischen Leben hatte nur ein kleiner Kreis von Bürgern Roms, und je weiter die Menschen von dieser Machtzentrale entfernt waren, desto mehr waren sie der Willkür derer ausgeliefert, die die römischen Interessen vertraten. Eine demokratische Mitwirkung gab es für die Menschen in Judäa und Galiläa nicht. Im Blick auf die heutige Situation ist festzustellen, dass die Menschen, die in politischen und wirtschaftlichen Machtzentren leben, demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Aber je weiter man an die Peripherie kommt, desto weniger demokratische Rechte haben die Menschen.

 

Auch diese Peripherie besteht aus politisch selbstständigen Staaten, deren Regierungen nicht auf Weisungen aus Rom oder Washington warten. Die Abhängigkeiten, die heute bestehen, sind allerdings subtiler, und damit ist die Rolle der einheimischen Elite, die in das globale System einbezogen ist, auch nicht identisch mit den damaligen Verhältnissen. Geblieben ist ein massiver Widerstand gegen globale Herrschaftsansprüche. Damals war vor allem die Kopfsteuer der Anlass zu Protesten und Aufständen. Für die Juden war der Widerstand auch religiös begründet.

 

Dazu schreiben Dorothee Sölle und Luise Schottroff in ihrer Jesus-Biographie: „In den messianischen Bewegungen des Judentums im 1. Jahrhundert stand die Hoffnung auf das Reich Gottes, auf eine Erde, auf der nur noch Gott König ist, im Mittelpunkt. Die Gotteserwartung gab den Menschen Kraft und Phantasie. Ihr Widerstand machte sich besonders an der Frage der Steuer für Rom fest. Das war die Konsequenz aus der Gottesbeziehung: Kein Mensch hat mehr das Recht, Anspruch auf den Körper anderer zu erheben. Dies aber tat der Kaiser in Rom. Er betrachtete die Kopfsteuer (tributum capitis) als Konsequenz der Eroberung von Völkern, deren Körper nicht mehr ihnen selbst gehörten, sondern Eigentum des neuen Herrn in Rom geworden war ... Aus der Perspektive vieler jüdischer Menschen drohte die mit der Kopfsteuer verbundene Anerkennung der Herrschaft des Kaisers über die Menschen die Beziehung zu Gott zu zerstören. Gott allein soll König und Herr sein und niemand sonst, das war die Lebensrichtung für jüdische Menschen.“[10]

 

Auch heute wird der Widerstand gegen globale Mächte religiös begründet, wobei zwar nicht die Kopfsteuer, aber die Frage im Zentrum steht, ob die Erde des Herrn ist oder unter der Herrschaft einer kleinen mächtigen Minderheit steht. Gibt es also doch sehr viele Ähnlichkeiten zwischen dem Römischen Reich und der heutigen globalisierten Welt?

 

Franz Segbers stellt in seinem Buch über die Tora die unterschiedlichen Positionen zur Frage einer antiken Marktwirtschaft mit internationalen Handelsbeziehungen dar. Sie reichen von der Behauptung, es habe in der Antike keine marktorientierte Produktion gegeben, bis zu der Auffassung, es habe schon damals fortgeschrittene Kenntnisse der nationalökonomischen Marktgesetze gegeben.[11] Es lässt sich aber vorsichtig feststellen, dass die Marktökonomie durch die Expansion des Römischen Reiches und die Einbeziehung aller abhängigen Gebiete in ein an den römischen Interessen orientiertes Wirtschaftssystem gegenüber früheren Zeiten ein sehr viel größeres Gewicht gewann. Die Ausbreitung einer einheitlichen Währung hat diesen Prozess gefördert und dazu geführt, dass die Preise, die ein Fischer am See Genezareth auf dem lokalen Markt erzielte, durchaus in einem Zusammenhang mit den Münzspekulationen in Rom standen. Wenn man will, kann man dies eine frühe Form der Globalisierung nennen.

 

Deshalb soll am Ende dieses Absatzes ein antiker „Globalisierungsgegner“ zu Wort kommen, der britische Rebell Calgacus, der an dem vierzigjährigen Krieg in seiner Heimat gegen die Römer teilnahm: „Diese Räuber der Welt durchwühlen, nachdem sich ihren Verwüstungen kein Land mehr bietet, selbst das Meer ... Plündern, Morden, Rauben nennen sie mit falschem Namen Herrschaft, und wo sie eine Wüste schaffen, nennen sie es Frieden ... Britannien aber kauft täglich seine Knechtschaft aufs Neue.“[12]

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann

 

 

 

 

 



[1] Zitiert nach: Klaus Schmidt: Welche Weltordnung? Die Pax Romana aus der Sicht ihrer Nutznießer und Opfer, in: Junge Kirche, 4/92, S. 209

 

[2] Stephen Zarlenga: Der Mythos vom Geld – die Geschichte der Macht, Zürich 1999, S. 37f.

 

[3] Vgl. ebenda, S. 41ff.

 

[4] Vgl. Karl Jaroš: Jesus von Nazareth, Mainz 2000, S. 23

 

[5] Vgl. ebenda, S. 28f. sowie Willibald Bösen: Galiläa, Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, Freiburg 1998, S. 175f.

 

[6] Aelius Aristides beschrieb diese auf Rom orientierte Ökonomie im zweiten Jahrhundert nach Christus, dass die beherrschten Länder Rom „stets reichlich mit dem versorgen, was es in ihnen gibt. Herbeigeschafft wird aus jedem Land und aus jedem Meer, was immer die Jahreszeiten wachsen lassen und alle Länder, Flüsse und Seen sowie die Künste der Griechen und Barbaren hervorbringen. Wenn jemand das alles sehen will, so muss er entweder den gesamten Erdkreis bereisen, um es auf solche Weise anzuschauen, oder in diese Stadt (Rom) kommen. Was nämlich bei den einzelnen Völkern wächst und hergestellt wird, ist notweniger Weise hier stets vorhanden, und zwar im Überfluss ... Der Hafen Rom (Ostia) ist der gemeinsame Handelsplatz aller Menschen und der gemeinsame Markt für die Erzeugnisse der Erde.“ Zitiert nach: Füssel/Segbers: „... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit – Biblische Impulse für eine theologische Wirtschaftsethik, Luzern 2000,, S. 336

 

[7] Kuno Füssel: Die politische Ökonomie des Römischen Imperiums in der frühen Kaiserzeit, in: Füssel/Segbers (Hrsg.): „... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit“, a. a. O., S. 41ff.

 

[8] Vgl. Hans Christoph Binswanger: Die Marktwirtschaft in der Antike, in: Füssel/Segbers: „... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit, a. a. O., S. 23ff.

 

[9] Vgl. Kuno Füssel: Die politische Ökonomie des Römischen Imperiums, a. a. O., S. 48

[10] Dorothee Sölle/Luise Schottroff: Jesus von Nazaret, München 2000, S. 27

 

[11] Franz Segbers: Die Hausordnung der Tora, a. a. O., S. 127ff.

 

[12] Zitiert nach: Klaus Schmidt: Welche Weltordnung?, a. a. O., S. 210