RATHAUS ALTONA - FRÜHER EIN BAHNHOFSGEBÄUDE
Erst einmal gab es viel Streit – das war schon bei den ersten Eisenbahnvorhaben in Norddeutschland so. Aber dann ging es sehr schnell – das war anders als bei heutigen Bahnprojekten. 1831 entwickelte der Lübecker Kaufmann Emil Müller den Plan für eine Bahnstrecke zwischen Lübeck und Hamburg. Damals waren nicht einmal zwei Jahre seit der Eröffnung der weltweit ersten Eisenbahnlinie zwischen Liverpool und Manchester vergangen. Für eine Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Hansestädten war ein hohes Passagier- und Frachtaufkommen zu erwarten. Aber gegen diesen Plan legte die Regierung in Kopenhagen ihr Veto ein. Der dänische König regierte zu dieser Zeit auch Schleswig-Holstein, und die Dänen fürchteten, dass vor allem Hamburg von einer solchen Eisenbahnstrecke profitieren würde. Das wollten sie verhindern.
Anschließend wurde eine Eisenbahnstrecke von Kiel über Neumünster nach Altona geplant. Mehrere Kaufleute gründeten im Januar 1841 die Aktiengesellschaft der Altona-Kieler Eisenbahn. Altona war damals die zweitgrößte Stadt im Reich des dänischen Königs, stand aber wirtschaftlich im Schatten des mächtigen Hamburg. Die Eisenbahn sollte Altona und vor allem dem Hafen der Stadt Vorteile bringen. Der Bürgermeister und die Kaufleute Altonas waren sich einig, dass der Bahnhof möglichst weit weg von der Grenze zu Hamburg gebaut werden sollte, damit die Hansestadt möglichst wenig profitieren würde. Das erklärt, warum der Bahnhof an der Westgrenze des damaligen Altona gebaut wurde. Ottensen war zu dieser Zeit noch eine selbstständige Stadt, und so konnte der Bahnhof nicht weiter westlich entstehen.
Streit gab es darüber, wie weit entfernt vom Altonaer Hafen der Bahnhof gebaut werden sollte. Die Kaufleute waren für eine Nähe zur Elbe, selbst wenn es wegen des steilen Elbhangs nicht möglich sein würde, die Bahn direkt im Hafen enden zu lassen. Bürgermeister Behn fürchtete allerdings, dass die Gleisanlagen die dicht besiedelten Wohn- und Gewerbegebiete von Altona und Ottensen trennen würde. Er wollte den Bahnhof deshalb dort bauen lassen, wo sich der heutige Altonaer Bahnhof befindet. Wie nicht selten, so setzten sich auch in diesem Fall die Kaufleute durch und der Bahnhof entstand in der Nähe des Elbhangs.
Der Bau einer Bahnstrecke im Rekordtempo
Die Bahnlinie wurde beeindruckend rasch gebaut. Obwohl erst iam 8. März 1843 mit den Bauarbeiten begonnen worden war, konnte die 104 Kilometer lange Bahnstrecke bereits am 18. September 1844 feierlich eingeweiht werden. Sie trug zunächst den Namen „König Christian VIII. Ostseebahn“ und wies rasch ein großes Passagier- und Frachtaufkommen auf.
Das Empfangsgebäude in Altona nahm den klassizistischen Stil der Häuser an der benachbarten Palmaille auf, die der bekannte dänische Architekt Christian Frederik Hansen entworfen hatte. Die schlossartige Fassade des Bahnhofsgebäudes wurde unterbrochen durch ein großes Tor, durch das die Lokomotiven fuhren, um auf einer südlich gelegenen Drehscheibe gewendet zu werden. Das war notwendig, weil die ersten Lokomotiven noch nicht rückwärts fahren konnten.
Schwierig war es zunächst, wie die Fracht vom Bahnhof zum Hafen und zurück transportiert werden konnte. Es galt, einen Höhenunterschied von etwa 28 Metern zu überwinden. Der Gütertransport war zunächst sehr aufwendig. Die Waren wurden im Hafen in Waggons geladen und von Pferden mittels Schienen zu einer Rampe gezogen. Dort setzte man die Waggons auf Rollböcke, die mit einem Seilaufzug nach oben gezogen wurden. Der Aufzug arbeitete zunächst mit Pferdekraft, später mit einer Dampfmaschine. Oben angekommen, galt es, den Waggon wieder auf Gleise zu stellen. Man ahnt, die Sache war sehr aufwendig. Da war es nur ein schwacher Trost, dass der Altonaer Hafen der erste Hafen im Deutschen Reich mit Bahnanschluss war. 1876 konnte ein knapp 400 Meter langer Eisenbahntunnel eröffnet werden, der es ermöglichte, die Waggons vom Kai direkt zu den oberhalb gelegenen Gleisanlagen zu bringen.
Nach dem Ende der dänischen Herrschaft über Schleswig-Holstein konnte 1867 die „Verbindungsbahn“ zwischen Hamburg und Altona gebaut werden. Das erwies sich für Altona als besonders vorteilhaft, nachdem 1872 die Elbbrücken fertiggestellt waren und es nun ohne umzusteigen möglich wurde, mit der Bahn von Altona ins übrige Deutschland zu reisen.
Das alte Bahnhofsgebäude und die Bahnanlagen waren dem rasch steigenden Passagieraufkommen bald nicht mehr gewachsen. Deshalb wurde 1896 der neue Altonaer Bahnhof an der Stelle gebaut, wo er sich noch heute befindet (bis er in einigen Jahren nach Diebsteich verlegt wird). Es traf sich gut, dass das rasch wachsende Altona in dieser Zeit ein neues Rathaus benötigte, und so wurde das bisherige Bahnhofsgebäude so umgebaut und erweitert, dass hier von 18998 an die Stadtverordnetenversammlung tagen, der Bürgermeister regieren und die Verwaltung untergebracht werden hoheitliche Aufgaben wahrnehmen konnten. Die Südfassade des Rathauses erinnert noch an das frühere Bahnhofsgebäude, wobei das nicht mehr benötigte Tor für die Tor-Durchfahrt der Lokomotiven geschlossen worden ist. Die Ost- und Westflügel des früheren Bahnhofsgebäudes erhöhte man und fügte einen Nordflügel hinzu. Auf diese Weise entstand das vierflügelige Rathaus mit einem großen Innenhof, wie es bis es bis heute besteht. Man entschied sich für einen Ziegelsteinbau mit einem weißen Zementputz.
Ein Rathaus in „imperialer Herrschaftsarchitektur“
Der Nordflügel mit dem Haupteingang erhielt überrascht Säumen einen von Säulen getragenen Giebel, dessen Figuren von den Bildhauern Karl Gabers und Ernst Barlach gestaltet wurden. Sie wählten das Motiv eines Nachens in bewegter See, geleitet von einer Frauenfigur mit Flügeln. Der Nachen symbolisiert das Gemeinwesen Altona, das tatsächlich bald darauf stürmische Zeiten erlebte, die die Stadt durchschüttelten.
Der Baustil des Rathauses ist als „imperiale Herrschaftsarchitektur“ eingeordnet worden. Passend dazu steht ein Denkmal von Kaiser Wilhelm I. vor der Nordseite des Gebäudes. Er blickte auf den „Kaiserplatz“, allerdings nur bis 1918, dann wurde daraus der „Platz der Republik“. Die Nazis benannten ihn nach Adolf Hitler. Als dessen „tausendjähriges Reich“ nach 12 Jahren geendet hatte, kehrte man zum Namen „Platz der Republik“ zurück. Dabei ist es bis heute geblieben.
Die größeren Räumlichkeiten des neuen Rathauses waren im so mehrsehr willkommen, alsdenn Altona wuchs 18989 um Ottensen wuchs und ein Jahr später um Bahrenfeld, Othmarschen und Övelgönne. 1927 sorgte der Altonaer Oberbürgermeister Max Brauer dafür, dass die anderen Elbvororte bis Blankenese sowie einige nördlich davon gelegene Orte wie Lurup eingemeindet wurden. Es ging ihm dabei nicht zuletzt um die Steuereinnahmen aus den reichen Gemeinden an der Elbchaussee. Diese Einnahmen sollten dazu beitragen, die ambitionierten Wohnungsbauprojekte zu finanzieren, durch die die arme Bevölkerung endlich angemessenen Wohnraum erhalten sollte. Allerdings verhinderte die Weltwirtschaftskrise von 1929 viele geplante Bauvorhaben. Durch das „Groß-Hamburg-Gesetz“ im Jahre 1937 wurde Altona zu einem Stadtteil von Hamburg.
Größter Raum des neuen Rathauses wurde der Kollegiensaal, in dem damals die Stadtverordnetenversammlung tagte und heute die Bezirksversammlung zusammentritt. Auch die meisten Behörden fanden zunächst im Rathaus Platz, darunter auch das Standesamt. Das Rathaus ist im Zweiten Weltkrieg mehrfach von Bomben getroffen worden, aber die Schäden konnten in der Nachkriegszeit beseitigt werden. Der Innenhof des Rathauses ist mittlerweile ein beliebter Ort für Open Air Kinovorstellungen. Das Rathaus steht unter Denkmalschutz.
Auf dem „Platz der Republik“ steht seit 1989 das Kunstwerk „Schwarze Form – Gewidmet den fehlenden Juden“ des US-amerikanischen Künstlers Sol LeWitt. Der schwarze Quader ist ein Mahnmal für die ermordeten und vertriebenen Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Altona und ebenso für die ungeborenen Kinder und Enkel der Ermordeten, die der deutschen Gesellschaft fehlen. Entsprechend der Kunstauffassung von LeWitt trägt das Werk keine Inschrift, es ist aber um erläuternde Tafeln ergänzt worden.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann
Entdeckungsreise entlang der Elbchaussee
Mit dem Linienbus 112 von Altona bis Blankenese
Rediroma Verlag 2024, 342 Seiten mit zahlreichen Farbfotos, 31,95 Euro