Drei Männer ergriffen die Initiative für eine grundlegende Neuordnung des städtischen Armenwesens, der Leiter der Handelsakademie Johann Georg Büsch, der Kaufmann Caspar Voght und der Jurist Johann Arnold Günther. Sie gründeten 1788 die Allgemeine Armenanstalt. Viele ihrer Ziele sind bis heute bestimmend für die Sozialpolitik. In heutige Begriffe übersetzt, ging es ihnen um Hilfe zur Selbsthilfe, Fördern und Fordern sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Sie waren prominente Vertreter der Aufklärung in Hamburg, und ihr Vorhaben war ein – in heutiger Sprache – „Leuchtturmprojekt“ der Aufklärung. Dafür, dass es weit über Hamburg hinaus leuchtete und in vielen Städten Nachahmung fand, sorgte Voght unermüdlich auf vielen Reisen. Günther hielt sich im Hintergrund und sorgte ganz wesentlich dafür, dass das Projekt in der Praxis Erfolg hatte.
Johann Arnold Günther, geboren am 9. April 1755, war der Sohn eines wohlhabenden Hamburger Kaufmanns, und wenn es nach dem Vater gegangen wäre, hätte Johann Arnold ebenfalls als Kaufmann reüssiert. Deshalb wurde er mit 14 Jahren von der Schule genommen und verbrachte seine Tage nun im Kontor. Nur abends konnte er sich noch mit literarischen Werken beschäftigen, die ihn zu eigenen literarischen Arbeiten inspirierten.
Nachdem seine Gedichte in Zeitungen wie dem „Wandsbecker Boten“ erschienen waren, hatte der Vater ein Einsehen, und der Sohn durfte die Gelehrtenschule Johanneum und das Akademische Gymnasium besuchen. Danach studierte er von 1775 an Rechts- und Kameralwissenschaft sowie Geschichte und Statistik an der Universität Göttingen. Nach drei Jahren schloss er das Jurastudium ab und vervollständigte seine juristische Ausbildung bei verschiedenen Gerichten, unter anderem beim Reichskammergericht in Wetzlar.
Die Gründung einer Sparkasse und einer Armenanstalt
1780 kehrte Günther nach Hamburg zurück, wo er ein Jahr später Kornelia Krochmann heiratete, der er vorher Lieder der Liebe und Sehnsucht gesungen hatte. Das Paar hatte keine Kinder. Als vermögendem jungen Mann war es Günther möglich, sich als Jurist um öffentliche Angelegenheiten zu kümmern und hier sein Fachwissen einzubringen. Er trat 1781 der Patriotischen Gesellschaft bei und wurde bereits ein Jahr später zu einem der Vorsteher dieser Vereinigung von sozial engagierten Aufklärern gewählt. Er erarbeitete eine demokratische Verfassung für die Patriotische Gesellschaft, was einen erheblichen Mitgliederzuwachs auslöste. Günther traf sich nun häufig mit den anderen Anhängern der Aufklärung in Hamburg wie Caspar Voght und Johann Georg Büsch.
1778 ergriff Günther als Vorsteher der Patriotischen Gesellschaft die Initiative für die Gründung einer „Ersparungskasse“, weltweit die erste Sparkasse. Laut Satzung konnten „geringe fleißige Personen ihren sauer erworbenen Not- oder Brautpfennig sicher zu einigen Zinsen belegen“. Es war nun Geringverdienern wie Tagelöhnern und Hausmädchen erstmals möglich, ihre kleinen Ersparnisse anzulegen. Das hatte auch das pädagogische Ziel, die arme Bevölkerung zum Sparen und zur Vorsorge für Notzeiten zu veranlassen. In seinem Testament hat Günther die Motivation für sein eigenes Handeln so beschrieben: „Gemeinnützigkeit in möglichst weitem Umfange war der Haupt-Grundsatz und die Haupt-Leidenschaft meines Lebens. Ich lebte diesem Grundsatz, um nicht vergeblich hier existiert zu haben.“
Sein soziales Engagement blieb nicht unbeachtet in der Stadt, und er wurde 1792 in den Rat gewählt. Hier konnte der Jurist in mühevoller Kleinarbeit verschiedene Verbesserung von Verwaltungsvorschriften erreichen und Ideale der Aufklärung in die Arbeit der Verwaltung umsetzen. Auch verfasste er zahlreiche Schriften zu ökonomischen und sozialen Themen. Die meisten davon veröffentlichte die Patriotischen Gesellschaft. Als diese Gesellschaft die Biene als ihr Wappentier wählte, dachte sie an Mitglieder wie Günther, die mit großem Fleiß und selbstlos für das Wohl der Allgemeinheit sorgten.
Die Mitwirkung an der Gründung der Allgemeinen Armenanstalt gehört zweifellos zu den wichtigsten Leistungen Günthers. Erstmals unternahm man systematisch den Versuch, die Armen zu befähigen, ihre Lage selbst zu verbessern. Die Armenanstalt war eine private Initiative, die aber in enger Zusammenarbeit mit dem Rat der Stadt tätig war. So stellte die Stadt das durch einen Neubau frei gewordene alte Waisenhaus für die Armenanstalt zur Verfügung. Die Verantwortlichen der Anstalt wollten die hilfsbedürftigen Menschen dort erreichen, wo sie lebten. Dafür teilten sie die Stadt in fünf Bezirke, die den Kirchspielen entsprachen. Jeder Bezirk wurde in zwölf Quartiere unterteilt, für die jeweils ein ehrenamtlicher Armenpfleger zuständig war.
Ein bedeutender Aufklärer leistet viel für Hamburg und gerät trotzdem in Vergessenheit
Diese Armenpfleger besuchten die Bewohner und stellten fest, wer auf Hilfe angewiesen war und wie diese Hilfe am besten erfolgen konnte. Nur bei einer unverschuldeten Notlage war eine Unterstützung vorgesehen. Erwachsenen, die arbeitsfähig waren, wies man eine Beschäftigung zu, meist in einer Manufaktur. Hier erhielten die Armen eine feste Anstellung, verdienten aber weniger als die regulär beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Armen konnten so ein Existenzminimum sichern, aber sie hatten kaum Aussicht, sozial aufzusteigen. Auch wurde ihr Lebenswandel von den Armenpflegern überwacht, Alkoholkonsum konnte zum Ende der Unterstützung führen. Positiv wirkte die Einrichtung von Armenschulen, lange bevor die Allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde.
Mit der Schaffung der Armenanstalt verbot die Stadt das Betteln. Das erwies sich als großer Nachteil für zugewanderte Arme sowie für jüdische Arme, die von der Unterstützung ausgeschlossen blieben - und nun noch schlechter dran waren als vorher. Immerhin erwies sich die Unterstützung von Armen als so effektiv, dass die Zahl der Insassen des Zuchthauses, wo man früher oft Arme einlieferte, drastisch sank.
Als Günthers Frau nach 16-jähriger Ehe starb, stürzte das den Witwer in eine seelische Krise. Er starb am 20. August 1805 im Alter von nur 50 Jahren. Der Historiker Franklin Kopitzsch hat den Aufklärer so gewürdigt: „… Johann Arnold Günther, der selbst in Hamburg zu den nahezu vergessenen historischen Gestalten zählt, gehört zu den wenigen überregional bedeutsamen Persönlichkeiten der hamburgischen Aufklärung jener Tage ... Zahlreiche gemeinnützig-wohltätige Einrichtungen wurden von ihm angeregt, mitgeschaffen und mitgetragen.“
Seit 1883 gibt es in Hohenfelde eine Güntherstraße. Der Aufklärer Günther hatte zu den Grundbesitzern im damals ländlichen Hohenfelde gehört.