Cover des Buches Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1786 – Ernst Georg Sonnin kann den Bau der Kirche St. Michaelis trotz vieler Konflikte abschließen

Hamburgs St. Michaeliskirche gehört zu den bedeutendsten Barockbauten in Norddeutschland. Bereits im 16. Jahrhundert gab es in diesem Gebiet (damals außerhalb der Stadtwälle) eine Friedhofskapelle, für die sich später der Name St. Michaelis eingebürgert hatte, auch wenn Hamburg inzwischen lutherisch war und die Geistlichkeit nicht viel für Heilige übrig hatte. Nachdem im Dreißigjährigen Krieg die heute noch erkennbaren großen Wallanlagen errichtet worden waren, gehörte auch die Gegend um die Kapelle zum eingefriedeten Stadtgebiet und wurde rasch besiedelt. 1669 konnte die erste St. Michaeliskirche eingeweiht werden, die 1750 durch einen Blitzschlag in Flammen aufging.

 

Mit dem Bau einer neuen Michaeliskirche betraute man Johann Leonhard Prey, einen bereits namhaften Architekten, und Ernst Georg Sonnin, der durch die Barockkirche berühmt werden sollte. Dass auch Sonnin an dem prestigeträchtigen Bau beteiligt wurde, war eine Überraschung. Auf seinem bisherigen Lebensweg deutete nichts darauf hin, dass er einmal eine große Kirche bauen dürfte. Er wurde am 10. Juni 1713 in Quitzow im Kreis Priegnitz geboren und verbrachte seine Jugend in Altona.

 

Hier besuchte er die Friedrichschule, aus der später das Christianeum hervorging. Er studierte zunächst Theologie und dann Mathematik in Halle und Jena. Nach der Rückkehr an die Elbe arbeitete er als Lehrer für Latein und Mathematik. Zusätzlich eröffnete er eine Feinmechanik-Werkstatt und entwickelte Wasser- und Pendeluhren, parabolische Laternen und Winkelmesser. Sonnin installierte zum Beispiel Hamburgs ersten Blitzableiter auf der St. Jacobikirche.

 

Vor dem Auftrag für die St. Michaeliskirche war er erst an einem Bauvorhaben beteiligt gewesen, einer Brauerei in Altona. Dennoch warf ihm ein Chronist vor, er habe „nie ein Gebäude, selbst nicht einen Schweinestall gebauet“. Während man in Residenzstädten nur erfahrene Baumeister mit solchen Vorhaben betraute, war Sonnin „Amateur“. Dass er zum Zug kam, lag daran, dass die Auftraggeber Prey nicht allein mit dem großen Bauvorhaben beauftragen wollten, stand er doch im Ruf, einen schwierigen Charakter zu haben.

 

Ein  Kirchbau wird von Streit begleitet

 

Das Problem war nur, dass Sonnin seinerseits starrsinnig sein konnte und es oft auch war. Abwechselnd hatten sie jede zweite Woche auf der Baustelle das Sagen, keine gute Idee, weil gar zu oft in der folgenden Woche das rückgängig gemacht wurde, was der Kollege in der Vorwoche angeordnet hatte. Miteinander und noch häufiger gegeneinander bauten Sonnin und Prey die Kirche, wobei der viel jüngere Sonnin mehrmals wegen „despotischen Gebarens“ vermahnt wurde, auch weil er im Streit mit den Zünften lag, die für den selbstbewussten Baumeister ohne Meisterprüfung nicht viel übrig hatten.

 

Beim Bau des Michel machte Sonnin erst einmal mit einem genial ausgeklügelten Gerät zur Beseitigung der Reste der niedergebrannten Kirche von sich reden. Prey bezweifelte immer wieder die Durchführbarkeit von Sonnins Vorschlägen und forderte Gutachten an. Das kostete viel Geld und Zeit. Von 1753 an ruhten die Bauarbeiten gleich für drei Jahre, weil das Geld ausgegangen war und man auf die Fertigstellung von Gutachten wartete. Nach zwölf Jahren Bauzeit starb Prey, und Sonnin konnte die alleinige Verantwortung für den Bau übernehmen.

 

Nach der Fertigstellung der Kirche 1762 beauftragte man Sonnin später auch damit, den Turm zu errichten. Er entschied sich für eine Holzkonstruktion mit Kupferverkleidung. Es gelang ihm von 1777 an, den Bau des Turms ohne die sonst üblichen Gerüste nur mit einer drehbaren Seilwinde zum Transport der Baumaterialien zu realisieren. Trotzdem zog sich das Bauvorhaben bis 1786 hin. Der 132 Meter hohe Turm der Kirche ist von Weitem zu sehen und zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden.

 

In 75 Metern Höhe befindet sich die größte Turmuhr Deutschlands – entstanden nicht ohne heftige Streitigkeiten zwischen Son­nin und dem Uhrmacher Pohlmann. Im Nachhinein muss man Sonnin Recht geben, denn die Uhr ging zunächst deutlich erkennbar falsch, und der Uhrmacher forderte nun noch mehr Geld, um dafür zu sorgen, dass die Uhr richtig tickte.

 

Sonnin rettet Hamburgers schiefe Kirchtürme vor dem Einsturz

 

Während der langen Bauzeit von Kirchengebäude und Turm verwirklichte Sonnin eine Reihe weiterer Bauvorhaben, darunter das Herrenhaus des Gutes Kaden, das Pastorat in Westensee und die Kirche in Wilster. Großen Eindruck machte der Architekt, als er 1763 den Turm des Hamburger Doms wieder richtete, der bedenklich schief geworden war und umzustürzen drohte. Mit selbst entwickelten mechanischen Geräten wurde der Turm angehoben und anschließend so wieder auf ein erneuertes Fundament herabgelassen, dass er genau senkrecht in den Himmel ragte. Auch den Türmen von St. Nikolai, St. Katharinen sowie St. Petri und Pauli in Bergedorf verhalf Sonnin unter großem Staunen des Publikums zum aufrechten Stand. Und aufrecht verteidigte der vielseitig talentierte und engagierte Sonnin auch die Ideale der Aufklärung und war ein aktives Mitglied der Patriotischen Gesellschaft.

 

Und das Privatleben des umtriebigen Bauherrn und Erfinders? 2022 erschien das Buch „Schwule Architekten“ von Wolfgang Voigt (früherer stellvertretender Direktor des Deutschen Architekturmuseums) und Uwe Bresan (Architekturhistoriker). Unter den etwa 40 Porträts von schwulen Architekten ist auch eines von Sonnin. Das kann nicht überraschen. In einer biographischen Darstellung des Architekten in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ von 1892 gibt es mehrere Andeutungen über die Freundschaft zwischen Sonnin und Cord Michael Möller, eine Freundschaft, die „beide eng verbunden bleiben ließ“. Es wird auch erwähnt, dass beide „ein gemeinschaftliches Hauswesen“ hatten. Und darauf folgt die Bemerkung „sie blieben beide unverheiratet“. Deutlicher konnte man vermutlich 1892 in einem angesehenen biografischen Werk die schwule Verbindung der beiden nicht erkennbar machen.

 

1785 nahm Sonnin die Stelle eines Stadt- und Salinenbaumeisters in der Salzstadt Lüneburg an. Er blieb dort in so guter Erinnerung, dass man eine berufsbildende Schule nach ihm benannt hat. Sonnin starb am 8. Juli 1794 in Hamburg und wurde in der Michel-Krypta beigesetzt.

 

Die Sonninstraße in Hammerbrook erinnert an ihn. Sein bedeutendstes Werk, die Michaeliskirche, ging am 3. Juli 1906 bei unachtsamen Lötarbeiten zur Reparatur des Daches in Flammen auf und musste nach den alten Plänen neu aufgebaut werden. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann