Cover des Buches Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte
Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte, 1016 Seiten ISBN 978-3-384-05017-5 38 Euro

1785 – Johannes Kopp, der Baumeister des neuen Waisenhauses, das fast wie ein Schloss wirkt

Soziale Einrichtungen kosten Geld, und deshalb waren sie bei vielen der reichen Hamburger Kaufleute, die den Rat der Stadt beherrschten, nicht sonderlich beliebt. Vor der Reformation hatten vor allem die Klöster sich um die Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen wie der Waisenkinder gekümmert. Nur zögerlich übernahmen in der lutherisch gewordenen Stadt neue Institutionen diese Aufgaben, während gleichzeitig die Zahl der Armen und Hilfsbedürftigen stetig zunahm. So bedurfte es der Initiative niederländischer Einwanderer, um das erste Waisenhaus zu finanzieren. Es entstand 1604 am Rödingsmarkt. Wie groß der Bedarf für ein solches Heim war, zeigte sich daran, dass bereits ein Jahr nach der Eröffnung des Waisenhauses 144 Kinder Aufnahme gefunden hatten.

 

1756 war die Baufälligkeit des Gebäudes nicht mehr zu übersehen. Das Waisenhaus-Kollegium beschloss deshalb, dass ein neues Haus gebaut werden musste. Aber erst einmal brach ein Konflikt zwischen dem Rat der Stadt und der Leitung der wohltätigen privaten Waisenhaus-Stiftung aus. Die Obrigkeit wollte nur ein kleines Grundstück für den Neubau bereitstellen, die Stiftung forderte ein großes an der Admiralitätsstraße. Nachdem ein Einsturz von Teilen des alten Gebäudes drohte, lenkte der Rat schließlich ein und stellte das gewünschte Grundstück kostenfrei zur Verfügung, auch übernahm die Stadt ein Drittel der Baukosten. Viele Spenden und Schenkungen ermöglichten die Finanzierung eines stattlichen Gebäudes. 1779 war Baubeginn.

 

Ein erfahrener Baumeister erhält den Auftrag

 

Mit dem Bau beauftragte man den Zimmermeister Johannes Kopp, der am 2. Juli 1734 in Darmstadt geboren wurde. Nach seiner Ausbildung war er in Hamburg unter dem Architekten Sonnin an den Zimmererarbeiten der neuen St. Michaelis-Kirche beteiligt. Anschließend entschied er sich für einen Berufsweg im städtischen Bauhof, den er von 1767 an als Bauhofinspektor leitete. Er betreute u. a. den Neubau der Pesthofkirche und Baumaßnahmen an der St. Katharinenkirche. Auch für die Fassade des Erweiterungsbaus des Rathauses zeichnete er verantwortlich. Zu seinen größten Bauvorhaben gehörte der barocke Neubau des Eimbeckschen Hauses. Es diente mit seinen Festsälen und seinem Weinkeller für festliche Anlässe, dort fanden aber z. B. auch Auktionen statt. Kopp war auch für den Bau diverser kleiner städtischer Gebäude verantwortlich und ebenso für die Reparaturen von Schleusen und Brücken. Außerdem schrieb er zahlreiche Gutachten. Daneben unterrichtete er einige Jahre lang die Bauzeichenklasse der Patriotischen Gesellschaft.

 

Ein vorbildlich geplantes Waisenhaus

 

Die Stadt war mit seiner Arbeit so zufrieden, dass er mehrmals zusätzliche Entlohnungen erhielt – in der sparsamen Hansestadt kein häufiger Vorgang. Sein schönster Bau wurde das Waisenhaus, dessen Fassade fast den Eindruck eines Schlosses machte. Das U-förmige Gebäude besaß sogar ein Türmchen und bot im Innenhof ein Spielgelände für die Waisenkinder. Es gab einen Jungen- und einen Mädchenflügel, die durch eine große Kapelle getrennt waren. In mehreren Werkstätten erhielten die Jungen und Mädchen eine berufliche Ausbildung. Eine Kinderbibliothek ließ erkennen, dass das neue Waisenhaus vom Geist der Aufklärung beseelt war. Ein Chronist beschrieb es damals als „mit das ansehnlichste Gebäude unserer Stadt“. Am 14. Juli 1785 zogen die etwa 600 Waisenkinder mit Pauken- und Trompetenbegleitung vom alten ins neue Haus.

 

Zum Waisenhaus gehörte eine eigene Schule mit jeweils einer Klasse für Jungen und Mädchen. Ab 1815 wurden die Kinder je nach Alter in unterschiedlichen Klassen unterrichtet. Man kann davon ausgehen, dass das pädagogische Niveau nicht besonders hoch war, aber immerhin erhielten die Kinder eine gewisse Schulbildung, die damals nur ein kleiner Teil der Kinder in armen Familien erhielt. Es gab im Waisenhaus eine Krankenschwester, und bei ernsten Erkrankungen wurde ein Arzt geholt. Trotzdem war die Kindersterblichkeit hoch.

Mit dem Einzug in das neue Haus wurde das Beschäftigungskonzept für die Waisenkinder verändert. Vorher wurden sie mit oft stupiden Arbeiten beschäftigt, die dem Erzielen von Einnahmen des Waisenhauses dienten, die Mädchen vor allem in einer Spinnstube und Jungen wie Mädchen in der Strumpfstrickerei. Harald Weber hat die Änderungen in einem Vortrag zur Geschichte des Waisenhauses in Hamburg (auf hamburg.de verfügbar) so beschrieben: „Es wurde mehr und mehr erkannt, dass eine gezielte berufliche Ausbildung vonnöten war. Die bloße Beschäftigung und ein einfacher Arbeitseinsatz wurden nur für diejenigen Kinder in Betracht gezogen, die körperlich und geistig für eine berufliche Ausbildung nicht geeignet waren. Im neuen Gebäude in der Admiralitätsstraße ließ der Waisenvater Hieronymus Sebastian Kiehn im Jahre 1790 entsprechende Werkstätten für die berufliche Ausbildung errichten: eine Drechselei, eine Tischlerei, eine Bindegarnmacherei, eine Leinenweberei, eine Strohflechterei, eine Spinnerei und eine Spielzeugfertigung …“

 

Das Waisenhaus genoss seit seiner Gründung eine große Unterstützung in der Bevölkerung und erhielt auch von vielen ärmeren Menschen Spenden. Diese bereitwillige Hilfe gab es auch für die Kinder des neuen Hauses. Das zeigte sich besonders bei dem jährlichen Volksfest „Waisengrün“, das mit einem Umzug der Waisenkinder durch die Stadt begann und auf einem Festplatz am Besenbinderhof außerhalb der Stadtwälle fortgesetzt wurde. Musik, Tanz und Unterhaltungsangeboten stellten eine große Attraktion für die Hamburgerinnen und Hamburg dar.

 

Nicht alle Kinder im Waisenhaus waren tatsächlich Waisenkinder. Viele Mütter griffen aus Not zur Aussetzung ihrer Kinder, besonders unehelicher Kinder. Im Geiste der Aufklärung tat man viel für die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder. Es war das Vorzeigeobjekt für den Umgang mit sozialem Elend. Johannes Kopp, der dieses stattliche Gebäude entworfen hatte, starb am 23. Januar 1796. 

 

Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte

 

 

© Frank Kürschner-Pelkmann