Eine verheerende Katastrophe sollte sich als Glücksfall für Caspar Voght erweisen. Sein Vater Caspar Voght „der Ältere“ war Kaufmann in Hamburg und ging davon aus, dass sein am 17. November 1752 geborener Sohn in seine Fußstapfen treten würde. Der Vater hatte mit großem Erfolg ein internationales Handelshaus aufgebaut und war zum Ratsherrn aufgestiegen. Wie in Kreisen der Außenhandelskaufleute üblich, sollte der Sohn 1772 im Alter von 20 Jahren internationale Erfahrungen sammeln und zur Ausbildung nach Lissabon reisen. Das verhinderte aber die Mutter, denn das schreckliche Erdbeben in Lissabon 1755 war in ganz Europa und auch in Hamburg noch in Erinnerung. Auch zwei Brüder der Mutter verloren damals ihr Leben.
Also musste der Sohn nicht in diese vermeintlich weiterhin gefährdete Stadt und sich mit Soll und Haben von Warengeschäften befassen. Stattdessen durfte eine „grand tour“ unternehmen, eine Bildungsreise durch Europa, wie sie unter den Söhnen reicher Familie gerade sehr beliebt war. Das kam dem an Literatur, Sprachen und Wissenschaft interessierten Voght sehr entgegen. Drei Jahre lang genoss er seine Rundreise durch England, Frankreich, Spanien, Italien und die Schweiz.
Begeistert von den Gedanken der Aufklärung
Nach der Rückkehr erwarb er sich in Hamburg den Ruf als „erster Gentleman Hamburgs“, sprach er doch nicht nur ausgezeichnet Englisch, sondern hatte auch vornehme Umgangsformen erlernt. Er verliebte sich in Hamburg schwärmerisch, aber unglücklich in die verheiratete Magdalena Pauli, und wo er sie nicht heiraten konnte, verzichtete er ganz auf eine Ehe. Er wurde Teilhaber des väterlichen Unternehmens, trat aber auch der Patriotischen Gesellschaft bei, der Vereinigung der sozial engagierten Aufklärer der Stadt. Da traf es sich sehr gut, dass der junge Georg Heinrich Sieveking ebenfalls zum Teilhaber des Unternehmens der Voghts wurde und das Engagement des jungen Voght für die Ideale der Aufklärung teilte. Gemeinsam schufteten sie tagsüber im Kontor und genossen abends die Gesellschaft der Männer und Frauen aus bürgerlichen Familien, die sich für die Aufklärung und zunächst auch für die Französische Revolution begeisterten.
1781 starb Caspar Voght der Ältere und sein Sohn und Sieveking leiteten das Unternehmen nun gemeinsam, das bald den Namen Voght & Sieveking trug. Besonders durch den Handel mit den unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten erzielten sie hohe Gewinne. Selbstbewusst verkündete Voght: „Ich war der erste Hamburger Kaufmann, der aus Mocca Kaffee, aus Baltimore Taback, aus Surinam Kaffee, aus Africa Gummi holte.“ Ob das historisch so stimmt, kann bezweifelt werden, richtig ist in jedem Fall, dass Voght & Sieveking rasch zu einem der großen Überseehandelsunternehmen der Stadt aufstieg und hohe Gewinne erzielte.
Ein Mustergut anch dem Vorbild einer "ornamented farm" in England
Aber bald war nicht mehr zu übersehen, dass Voght sich allmählich aus der Leitung des Unternehmens zurückzog und andere Interessen entwickelte. 1785 kaufte er zwei Bauernhöfe in Klein Flottbek und fasste den Plan, hier nach englischem Vorbild eine „ornamented farm“ anzulegen, ein Gut mit einer harmonischen Verbindung von Park- und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Voght hatte solche Farmen bei seinem Englandaufenthalt kennengelernt und wollte sein Mustergut dafür nutzen, fortschrittliche englische Landwirtschaftsmethoden bekannt zu machen und den Kartoffel-, Steckrüben und Kleeanbau zu fördern. Auch erprobte er die Gründüngung, die er in Italien kennengelernt hatte. Heute würde man sein Gut als Ökobetrieb bezeichnen. Zugleich ging es um die Gestaltung einer schönen Landschaft. Als Aufklärer wollte er das Schöne mit dem Nützlichen verbinden.
Durch den Kauf von zwei weiteren Bauernhöfen wurde Voght zum Besitzer eines stattlichen Gutes. Er verabschiedete sich einvernehmlich aus der Firma Voght & Sieveking, um sich auf die Arbeit auf seinem Mustergut zu konzentrieren. Dabei war er stark von den Ideen Rousseaus beeinflusst, dessen Grab er besucht hatte, und wollte dem Gemeinwohl dienen. Das vertrug sich nicht mit dem auf Gewinn ausgerichteten Leben eines Hamburger Kaufmanns. In einem Brief bekannte er: „Ich habe nie den Gedanken ausstehen können, die kostbare Lebenszeit zur Vermehrung des Vermögens zu verwenden; meiner geistigen Unabhängigkeit war jedes Geschäft zuwider.“
Aber auch als Gutsbesitzer war er ökonomischen Zwängen ausgesetzt, zumal er seinen Landbesitz immer mehr erweiterte. Schließlich besaß er etwa 230 Hektar Land plus größere gepachtete Flächen wie das Gelände des heutigen Altonaer Volksparks. Von 1794 an ließ er sich ein Landhaus bauen, das klein und ländlich wirken sollte, innen aber edel ausgestattet war und später um einen Festsaal erweitert wurde. Dieses Landhaus entwickelte sich zu einem Treffpunkt der gebildeten, von den Idealen der Aufklärung und der Empfindsamkeit geprägten bürgerlichen Kreise.
Für die Gestaltung und Bepflanzung seiner „ornamented farm“ warb Voght den britischen Gärtner James Booth an, dem er es ermöglichte, eine Baumschule aufzubauen und eine große Zahl unterschiedlicher Bäume und Gehölze für die Parkanlagen zu züchten. Für seine Landarbeiter (damals „Insten“ genannt) ließ Voght reetgedeckte kleine „Instenhäuser“ als Backsteinfachwerk-Reihenhäuser bauen. Die Landarbeiterfamilien konnten hier lebenslang wohnen und wurden auch bei Krankheit und im Alter entlohnt. Für die Kinder der Landarbeiter und die Dorfjugend ließ er eine Schule bauen.
Engagement für die armen der Stadt
Voght war ein frühes Genie dessen, was man später als Public Relations bezeichnen sollte. In einer anonymen Schrift pries der „Landmann von Flottbek“ sein Mustergut selbst an. Auch die 1788 von ihm mitgegründete Hamburger Armenanstalt profitierte davon, wie erfolgreich Voght dieses tatsächlich vorbildliche Projekt präsentierte. 1806 übergab er sein Gut einem Verwalter und besuchte für die Allgemeine Armenanstalt eine große Zahl armer Familien Hamburgs, um ihre Lebenssituationen kennenzulernen und realistische Konzepte zur Armutsbekämpfung zu erarbeiten. Gemeinsam mit dem Sozialreformer Johann Georg Büsch entwarf er eine Armenordung“ für die Stadt.
Büsch hatte die gemeinsame Überzeugung so formuliert: „Es ist nicht die Schuld dieser Armen, daß ihrer so viele sind, und daß sie durch ihre Vielheit Not leiden. Sie sind auf eben dem Wege zur Existenz gelangt wie der Familiensohn, wie das Fürstenkind. Sie wollen ihre Existenz mit uns neben uns fortsetzen, und haben eben so viel Recht zu diesem Wunsch, als wir.“ Büsch, Günther und Voght erkannten und benannten die strukturellen Ursachen von Armut und Elend. Sie wollten die Armen dabei unterstützten, ihre Lage zu verbessern.
Aus dieser Grundlage trug Voght nicht nur dazu bei, die Armenfürsorge in Hamburg grundlegend zu verändern und galt bald als „Vater der Armen“, sondern war auch im In- und Ausland ein gefragter Berater. Für Napoleon war er von Paris bis Marseille unterwegs, um überall die Armutsbekämpfung zu organisieren. Auch in Wien half er bei der Neugestaltung der Armenfürsorge und erhielt dafür 1802 vom Kaiser den Titel eines Freiherrn. Voght trug entscheidend dazu bei, dass europaweit in über 40 Städten nach Hamburger Vorbild Armenanstalten entstanden.
Er nutzte seine zahlreichen Reisen auch dafür, bekannte Dichter und Denker zu treffen, so auch Goethe. Von ihm ist der Satz überliefert: „Wenn ich die Bekanntschaften der letzten Zeit durchgehe, bleibt doch immer wieder Vogt in Hamburg die vorzüglichste.“ Auch viele andere Gesprächspartner schätzten den gebildeten und vielseitig interessierten Aufklärer Voght – und das schätzte Voght seinerseits. Sein Biograf Kurt Detlev Möller hat das so formuliert: „Das Bedürfnis sich auszuzeichnen und die Anerkennung der Besten seiner Zeit zu gewinnen, war stark in Voght entwickelt.“
Konkurs in der Franzosenzeit
Während der französischen Besetzung Hamburgs ab 1806 und den kriegerischen Auseinandersetzungen in dieser Zeit half der von Voght eingeführte Kartoffelanbau, die Ernährungslage etwas zu verbessern. Das Mustergut Voghts wurde durch marodierende Truppen bedroht und verwüstet. Zudem verlor er einen Großteil seines Vermögens 1811, als das Handelshaus Sieveking, an dem er mit seinem Kapital beteiligt gewesen war, Konkurs anmelden musste. Voght musste sich nun intensiv um den wirtschaftlichen Erfolg seines Gutes bemühen und fand trotzdem die Zeit, eine Reihe von Büchern zu landwirtschaftlichen Themen zu verfassen.
1828 verkaufte der inzwischen 76-Jährige sein Gut an Martin John Jenisch. Der ließ den heutigen Jenischpark neu gestalten und das prächtige Jenisch Haus bauen. Caspar Voght erblindete im Alter allmählich und starb am 20. März 1839.
An den Sozialreformer Voght erinnern in Hamburg zwei Straßen, die „Baron-Voght-Straße“ in Klein Flottbek und die Caspar-Voght-Straße in Hamm. Das 1794 erbaute Landhaus Caspar Voghts an der Baron-Voght-Straße ist erhalten geblieben und gilt als Meisterwerk des frühen Klassizismus.
Aus: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise durch die Hamburger Geschichte