Ebro

 

In den letzten Jahren war Spanien immer wieder von Wasserproblemen durch sehr hohe Temperaturen und sehr niedrige Niederschläge betroffen, so auch 2018. Nun wirkt es sich besonders im ohnehin niederschlagsarmen Süden des Landes fatal aus, dass die Wirtschaft in großem Umfang von Bewässerungslandschaft und Tourismus geprägt wird, die beide mit einem großen Wasserverbrauch verbunden sind. Schon heute hängt der Südosten Spaniens vom Wassertransfer aus Flüssen und Stauseen im Landesinneren ab, vor allem vom Wasser des Flusses Tajo. Anfang des Jahrhunderts gab es Pläne, große Mengen Wasser des nordspanischen Flusses Ebro in den Süden umzulenken. Der Konflikt um diesen Wassertransfer ist exemplarisch für viele Wasserkonflikte in aller Welt.

 

„Wasserschlacht am Ebro“ lautete am 30. März 2001 eine Schlagzeile in der „Frankfurter Rundschau“. Die damalige spanische Regierung plante den Bau von 900 Kilometer langen Kanälen, um jährlich mehr als eine Milliarde Kubikmeter Wasser des nordspanischen Flusses umzuleiten. Ein Fünftel des Wassers sollte nach Barcelona fließen, vier Fünftel in den trockenen Süden Spaniens. Die Kanäle waren Teil eines Investitionsprogramms, das im Rahmen eines „Nationalen Wasserplans“ (Plan Hidrologico National PHN) die Wasserversorgungsprobleme Spaniens lösen sollte. Es wurde unter anderem der Bau von 118 Staudämmen geplant. Auch eine Modernisierung der bestehenden Wasserversorgungssysteme wurde vorgesehen. Das gigantische Wasserprojekt sollte annähernd zwanzig Milliarden Euro kosten, wobei ein Drittel der Gelder von der EU erhofft wurde, aber die EU verzögerte eine Entscheidung und lehnte das Vorhaben schließlich ab, weil die Folgen auf das Ökosystem nicht geklärt worden waren. Dennoch wollte die Regierung Aznar das Prestigeprojekt bis 2008 fertigstellen.

 

Ein wichtiges Ziel des Plans war es zu verhindern, dass sich der trockene Süden Spaniens in eine Wüste verwandelt. Wie kritisch die Situation mittlerweile geworden war, zeigte sich im Juni 2002 bei schweren Regenfällen an der Mittelmeerküste, als der ausgedörrte Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen konnte und so riesige Flutwellen entstanden. Diese Situation hätte ein umfassendes neues Konzept der Wassernutzung erfordert, aber Kritiker warfen der damaligen spanischen Regierung unter Ministerpräsident Aznar vor, sie orientiere sich vor allem an wirtschaftlichen Zielen und sorge zudem für Aufträge für befreundete Bauunternehmer.

 

Zu den wirtschaftlichen Zielen des Plans gehörte es, die internationale Konkurrenzfähigkeit Spaniens durch die Wasserumleitung zu erhöhen. Tausenden Hotels und Apartmentanlagen an der Küste sollte garantiert werden, weiter ausreichend Trinkwasser zu erhalten und – so die Kritiker – weiter ungehindert verschwenderisch zu verwenden. Allein 80 Golfplätze in Andalusien sollen so unter sengender Sonne stets grün bleiben. Im Sommer werden jede Nacht drei Millionen Liter Wasser für einen Golfplatz eingesetzt, damit der Rasen gedeiht. Nach Angaben der Umweltschutzorganisation WWF ist der Wasserbedarf eines Golfplatzes in Südspanien so hoch wie der einer Stadt mit 12.000 Einwohnern. Die Golfplätze liegen in einer Region, die in Gefahr steht, sich wegen Klimaveränderung und Wassermangel in eine Wüste zu verwandeln.

 

„Fünf Liter Wasser für einen Salatkopf“

 

Offiziell sollte das Ebrowasser ausschließlich der Landwirtschaft zugutekommen, aber wer könnte das überprüfen? Vor allem wäre es leicht ge­wesen, bisher für die Landwirtschaft genutztes Wasser für andere Zwecke zu verwenden, während das Ebrowasser den Bedarf der Landwirtschaft gedeckt hätte. Kritik rief auch der Plan zur Ausweitung der Bewässerungs­landwirtschaft hervor. Der Ausbau des Gemüse- und Obstanbaus im heißen und wasserarmen Süden wird von vielen Menschen im Norden als unsinnig angesehen, und die spanische Tageszeitung „El Pais“ gab 2001 einem Beitrag über diese Wasserverschwendung den Titel „Fünf Liter Wasser für einen Salatkopf“.

 

Allein in der Umgebung der südspanischen Provinzstadt Almeira existieren riesige Plastikfolien überdachte Gemüseflächen mit einer Fläche, die etwa der Größe von München entspricht. In der Hitze unter den Folien arbeiten fast ausschließlich Arbeiter aus Nordafrika und Osteuropa. Sie werden miserabel bezahlt und leben unter erbärmlichen Bedingungen unter Plastikfolien neben den Gewächshäusern.

 

Die Betreiber der Gemüseanbaubetriebe haben den Wasserplan der spanischen Regierung vehement unterstützt. So sagte Vicente Sicilia im August 2002 einem Journalisten des britischen Rundfunksenders BBC: „Hier in Murcia haben wir ein wunderbares Klima, gutes Land und hart arbeitende Menschen. Es gibt nur eines, was fehlt – Wasser.“ Und der Regionalpräsident Luis Ramon Valcarcel schwärmte: „Wir haben ein Wunder in Murcia vollbracht. Wie die Israelis haben wir eine Wüste in fruchtbares Land verwandelt, und wir sollten für diesen Erfolg nicht bestraft werden.“

 

Etwa drei Millionen Hektar werden in Spanien inzwischen für die Bewässerungslandwirtschaft genutzt. Das entspricht sechs Prozent der Fläche des Landes. Dieser Wirtschaftszweig hat einen Anteil von mindestens 70 Prozent am menschlichen Wasserverbrauch, ein Wert, der auch deshalb so hoch ist, weil wassersparende Bewässerungstechniken erst allmählich eingeführt werden, weil die Landwirtschaftsbetriebe nur sehr wenig für das genutzte Wasser zahlen.

 

Zu den entscheidenden Ursachen dieser Ausbeutung von Natur und Menschen gehört, dass die Preise für Tomaten, Zucchini, Paprika und ­Gurken von den ausländischen Handelskonzernen immer weiter gedrückt worden sind. Die Treibhausbesitzer erhalten nur einen Bruchteil des niedrigen Endverkaufspreises, das erschwert Investitionen in wassersparende Bewässerungs­systeme und ist auch eine Ursache für die mise­rable Bezahlung der Tagelöhner. Die Sonderangebote in Supermärkten in Deutschland, Österreich oder der Schweiz haben einen hohen Preis, der in Spanien gezahlt wird.

 

Dass in den letzten Jahren im Süden Spaniens zunehmend Biogemüse angebaut und bei uns vermarktet wird, wirft die Frage auf, welche Rolle die Ausbeutung knapper Wasserressourcen und die Ausbeutung von Menschen bei der Anerkennung als Bioprodukt spielt. Auch wird deutlich, dass dieses Biogemüse deutlich teurer sein müsste, wenn man den Ressourcenverbrauch in Rechnung stellt. Bio und billig – das passt hier nicht zusammen. Den Preis zahlen Natur und ausgebeutete Arbeitskräfte.

 

Demonstrationen gegen und für die Umverteilung des Wassers

 

Gegen den gigantischen Plan zur Umverteilung des Ebrowassers sind im Frühjahr 2001 Hunderttausende von Spanierinnen und Spaniern in Saragossa, Barcelona und Madrid auf die Straße gegangen, die größten Demons­trationen in Spanien seit Jahrzehnten. Als Symbol ihres Protestes wählten die Initiatoren eine Wasserleitung mit einem Knoten. Im August 2001 fand ein „Blauer Marsch für eine neue Wasserkultur“ statt, der in Brüssel endete, wo gefordert wurde, die Pläne der spanischen Regierung nicht mit EU-Mitteln zu fördern. Ein Gipfeltreffen der Europäischen Union in Barcelona im Frühjahr 2002 wurde zu großen Demonstrationen gegen die Umleitung des Wassers genutzt. Bei einer Demonstration am 15. März 2002 kamen in der Innenstadt Barcelonas etwa 350.000 Demonstranten zusammen.

 

Es ging bei den Protesten auch darum, dass viele nordspanische Regionen seit vielen Jahren von der Zentralregierung vernachlässigt worden sind, während die Gelder in den Ausbau des Tourismus an der Küste und die Landwirtschaft im Süden flossen. Zudem sind die Dürren der neunziger Jahre in Nordspanien noch in schlechter Erinnerung. Eine Rentnerin aus einem Dorf nahe Saragossa brachte die Gründe des Protestes so auf den Punkt: „Die da oben haben uns immer wieder beraubt, und jetzt wollen sie uns auch noch das Wasser wegnehmen!“

 

Im rücksichtslosen Kampf um Gewinne und regionale Standortvorteile spielt Wasser in Spanien eine immer größere Rolle und birgt entsprechenden sozialen Konfliktstoff. Auch im Süden Spaniens hat es Demonstrationen gegeben – für die Ableitung von Ebrowasser in den Süden. In Murcia, Almeria und Valencia wurde unter dem Slogan „Wasser für alle“ der Plan der Regierung von breiten Bevölkerungskreisen unterstützt. Und angesichts der widerstreitenden Positionen war in spanischen Medien von einem „guerra del agua“, einem Krieg ums Wasser, zu lesen.

 

Ein Fluss mit langer Geschichte

 

Der 927 Kilometer lange Ebro mit seinen weit mehr als 300 Nebenflüssen hat sich im zurückliegenden Jahrhundert ohnehin gravierend verändert. An zehn Stellen wird er durch große Betonmauern aufgestaut, und an den Nebenflüssen gibt es weit über 100  weitere Staudämme. Viele Orte sind in den letzten Jahrzehnten in den Stauseen des Ebros versunken, auch Orte, die im spanischen Bürgerkrieg heftig umkämpft waren und die jetzt nur noch in den Büchern Hemingways in Erinnerung bleiben. Der Ebro war früher ein Symbol für die Fruchtbarkeit Spaniens und zugleich ein Ort der Kriege, heute ist er immer mehr zu einem Wirtschaftsweg geworden.

 

Die Pläne zur Umleitung des Wassers haben den Anwohnern die Bedeutung des Flusses in Erinnerung gebracht. Xerta, im Oktober 1938 der Ort der furchtbarsten Kämpfe des Bürgerkrieges, wurde zum Zentrum des Widerstandes gegen die neuen Staudamm- und Kanalprojekte. An den Pyrenäen wuchs der Protest gegen Stauseen, die nicht nur Felder und Häuser überfluten würden, sondern auch einen alten Kulturraum, so eine 20 Kilometer lange Strecke des berühmten Jakobsweges. Außerdem würde der Tourismus gefährdet, der in erheblichem Umfang mit EU-Unterstützung gefördert worden ist.

 

Besonders bedroht fühlen sich die Fischer an der Mündung des Ebro, denn sie spüren die Folgen von Wasserbaumaßnahmen bereits. Seit dem Bau immer neuer Staudämme in den letzten Jahrzehnten und der Verladung von Ebrowasser auf Tankschiffe zur Ferieninsel Mallorca fehlen nicht nur wertvolle Nährstoffe, sondern es kommt auch nur noch die Hälfte des Wassers an. Deshalb kann das Meerwasser in das Flussdelta vordringen. Entschlossen stellte der Geologe Dr. Antonio Canicio Albacar, der Reis im Ebrodelta anbaut, zum Widerstand gegen die Pläne der Regierung fest: „Der Ebro ist ja nicht irgendein Fluss. Um den Ebro wurde immer gekämpft. Aber wir haben Hoffnung, den Kampf zu gewinnen!“ Die Auseinandersetzung mit den Plänen der Regierung führt dazu, nach Alternativen zu suchen. Dazu äußerte sich Ricardo Aguilar, Sprecher der Umweltorganisation Green­peace in Spanien, so: „Wir fordern, dass man statt über Staudämme, die Häuser und den Lebensraum vieler Menschen zerstören, über Sparmaßnahmen und die sinnvolle Nutzung des Wassers redet.“

 

Das vorläufige Ende eines Plans

 

Der Wahlsieg der Sozialisten im März 2004 förderte im Norden Spanien die Hoffnung auf einen Stopp des gigantischen Wasserplans. Das hatte die Sozialistische Partei im Wahlkampf versprochen. Aber es war nicht klar, ob diese Zusage eingehalten würde, denn die Sozialisten im Süden Spaniens beharrten darauf, dass das Wasser des Ebro umgeleitet werden müsse. Die neue Umweltministerin Cristina Narbona setzte sich vehement für die Einhaltung der Zusage im Wahlkampf ein, und am 18. Juni 2004 beschloss die Regierung, den Plan zu stoppen, eine Auffassung, die die Mehrheit des Parlaments teilte. Da die abgewählte Regierung im Eilverfahren vollendete Tatsachen schaffen wollte und schon Aufträge an Baufirmen vergeben hatte, waren rechtliche Auseinandersetzungen um Schadenersatzforderungen nicht zu vermeiden, aber entscheidend ist, dass die Ableitung des Ebrowassers verhindert werden konnte. Deshalb wurde Mitte Juni 2004 am Ebrodelta drei Tage lang die Verhinderung des Wassertransfers gefeiert.

 

Als Ersatz für das Ebrowasser sollten an der Mittelmeerküste 15 neue Meerwasser­entsalzungsanlagen gebaut werden. Außerdem wurden mehr als hundert weitere Maßnahmen geplant, um eine sparsame und effiziente Wasser­nutzung sicherzustellen. So wird der Wasserpreis für den Tourismusbereich erhöht.

 

Die staatlichen Investitionen für das Bündel der geplanten Maßnahmen belaufen sich auf 3,8 Milliarden Euro, also ein Bruchteil des Wasserplans der abgewählten Regierung. Umweltministerin Cristina Narbona betonte gegenüber der Presse: „Die Bürger werden schneller Qualitätswasser bekommen und das zu geringeren Kosten für die Staatskasse.“ Das Ende des Plans zur Wasserableitung wurde im Norden Spaniens mit großer Freude aufgenommen, während im Süden viele zornig reagierten, so der konservative Politiker Francisco Campos: „Ein politisches Versagen der Sozialisten und eine Aggression gegen Spaniens Einheit.“

 

Es geht beim Kampf um das spanische Wasser um Wirtschafts- und Machtinteressen und entsprechend rücksichtslos werden diese Konflikte ausgefochten. Neben dem Flusswasser ist auch die Nutzung der Grundwasservorräte umstritten. Das Wasser hat sich dort über viele Tausend Jahre gesammelt, wird aber jetzt binnen weniger Jahre oder Jahrzehnte hochgepumpt. Nachhaltig wäre die Wassernutzung nur, wenn sie auf die Menge begrenzt würde, die natürlich wieder aufgefüllt wird. Nach Berechnungen der Umweltschutzorganisation WWF gibt es in Spanien etwa 500.000 illegal betriebene Brunnen. Aber diese Brunnen lösen die Probleme der Agrarbetriebe auch nicht mehr, weil die Grundwasservorräte ständig sinken. Die Dürrekatastrophen seit Anfang des Jahrhunderts führen ganz Spanien vor Augen, dass die systematische Übernutzung der Wasserressourcen und Wasserverschwendung den Prozess der Desertifikation des Landes stark beschleunigen.

 

Die Verhinderung des Plans der Ableitung von Ebrowasser war also erst der Anfang für eine nachhaltige Wasserpolitik. Um die Grundwasservorräte zu schonen und auch für kommende Generationen genug Wasser zu haben, sind in Spanien umfassende Sparmaßnahmen von Haushalten, Industrie, Landwirtschaft und nicht zuletzt im Tourismus erforderlich. Tatsächlich hat es im letzten Jahrzehnt große Anstrengungen gegeben, den Wassereinsatz in der südspanischen Bewässerungslandwirtschaft drastisch zu vermindern, vor allem durch den Einsatz einer Tröpfchenbewässerung an den Wurzeln der Pflanzen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums sind seit 2002 drei Milliarden Euro in die Modernisierung der Bewässerung geflossen. Die Landwirtschaftsbetriebe haben auch keine andere Wahl, denn Klimawandel, immer weniger Wasser vom Tajo und die hohen Preise für das Wasser aus den Meerwasserentsalzungsanlagen lassen ihnen auch keine andere Wahl. Aber: Noch immer nimmt die bewässerte Fläche zu.    

 

Die Touristen, die sich kritisch über den Umgang der Spanier mit dem Wasser mokieren, sollten bedenken, dass ein durchschnittlicher Tourist am Tag ein Drittel mehr Wasser verbraucht als ein Einheimischer. Und dabei ist der Wasserverbrauch für Swimmingpools, Golfanlagen etc. noch gar nicht eingerechnet.

 

Und der Ebro? Der Kampf um den Transfer von erheblichen Teilen seines Wassers hat den Zorn der Menschen in Katalonien gegen „Madrid“ und das übrige Spanien drastisch verstärkt und Wasser auf die Mühlen derer geleitet, die eine Unabhängigkeit der Region fordern. Käme es zu einem neuen Versuch, Ebrowasser in den Süden abzuleiten, wäre damit garantiert, dass es zu keiner Beruhigung der brisanten politischen Auseinandersetzungen kommt. Aus den bisherigen Erfahrungen um das Wasser des Ebro können auch andere Länder lernen, dass ein Wassertransfer zwar technisch machbar ist, aber häufig einen sehr hohen sozialen und politischen Preis hat.

© Frank Kürschner-Pelkmann